26. September 2025
Hauptversammlung Nachweis Aktionär
Corporate / M&A

BGH: Hauptversammlung – Nachweis der Aktionärsstellung

BGH stärkt die Satzungsautonomie nicht börsennotierter AG mit Inhaberaktien beim Nachweis der Aktionärsstellung für Teilnahme an der Hauptversammlung.

Der BGH hatte im Streit um die Wirksamkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen einer nicht börsennotierten AG mit Inhaberaktien zu entscheiden, ob eine bei Anmeldung zur Hauptversammlung vorgelegte anwaltliche Verwahrbestätigung vom Vorstand der AG zu Recht als ein nach der Satzung ausreichender „sonstiger Nachweis“ der Aktionärsstellung akzeptiert worden war (Urteil v. 25. März 2025 – II ZR 208/22). 

Ausgangspunkt: Hauptversammlung 2020

Die Beklagte ist eine nicht börsennotierte AG mit auf den Inhaber lautenden Stückaktien. Ihre Satzung eröffnet für den Nachweis der Teilnahme- und Stimmrechtsberechtigung zur Hauptversammlung verschiedene Möglichkeiten: ein in Textform erstellter besonderer Nachweis des Anteilsbesitzes durch ein in- oder ausländisches Kredit- oder Finanzdienstleistungsinstitut als depotführendes Institut oder durch einen deutschen Notar, eine entsprechende Bescheinigung der Gesellschaft oder ein sonstiger, von der Gesellschaft als ausreichend angesehener Nachweis. Fristgerecht meldete sich C zur Hauptversammlung an und legte ein Schreiben einer Rechtsanwältin vor, die bestätigte, eine bestimmte Anzahl Inhaberaktien in Form mehrerer Sammelurkunden für C in Verwahrung zu haben. In der Hauptversammlung wurden mit den (hierfür erforderlichen) Stimmen von C mehrere Beschlüsse gefasst.

OLG: Auch nicht börsennotierte Gesellschaft kann sich auf Vermutungswirkung des § 123 Abs. 4 Satz 5 AktG berufen

Die Klägerin, selbst Aktionärin der Beklagten, erhob gegen die Beschlüsse Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage gegen die AG mit der Begründung, C sei nicht Aktionärin und daher nicht stimmberechtigt gewesen. 

Das LG wies die Klage ab; das OLG wies die dagegen eingelegte Berufung zurück und führte zur Begründung aus, die Beklagte könne sich auch als nicht börsennotierte Gesellschaft auf die Vermutungswirkung des § 123 Abs. 4 Satz 5 AktG berufen, die auf dem von C erbrachten Nachweis beruhe. Gegen die Entscheidung des OLG ging die Klägerin in Revision zum BGH.

BGH: Satzungsfreiheit ermöglicht es, selbst bestimmte Nachweisformen festzulegen

Auch der BGH bestätigte die Rechtmäßigkeit der Zulassung von C zur Hauptversammlung 2020. Der BGH stellt in seiner Entscheidung klar, dass sich die Beklagte für den Nachweis des Aktienbesitzes von C, abweichend von der vorhergehenden Entscheidung des OLG, nicht auf § 123 Abs. 4 Satz 5 AktG berufen kann, weil die unwiderlegliche Vermutung nach Systematik und gesetzgeberischem Willen allein für die in § 123 Abs. 4 AktG geregelten Nachweise börsennotierter Gesellschaften gilt und sich nicht auf satzungsmäßige Alternativen erstreckt, die § 123 Abs. 3 AktG ermöglicht. 

Auf die Anwendbarkeit der Vermutungswirkung des § 123 Abs. 4 Satz 5 AktG kam es im Ergebnis gar nicht an. Der BGH bejaht für eine nicht börsennotierte AG mit Inhaberaktien eine weitgehende Satzungsfreiheit nach § 123 Abs. 3 AktG, von der die Beklagte in zulässiger Weise Gebrauch gemacht habe, indem sie abweichend von § 123 Abs. 4 AktG selbst bestimmte Nachweisformen festlegte; solche Regelungen müssen jedoch hinreichend bestimmt sein, was für den vorliegenden Fall vom BGH letztlich bejaht wurde. 

Anforderungen an den Nachweis der Aktionärsstellung

Die in der Satzung der Beklagten vorgesehene Öffnungsklausel, nach der neben bestimmten Regelbeispielen – Bescheinigung eines depotführenden Kredit‑ oder Finanzdienstleistungsinstituts, eines deutschen Notars oder der Gesellschaft – auch ein „sonstiger, von der Gesellschaft als ausreichend angesehener Nachweis“ für die Anmeldung zur Hauptversammlung genügt, führt nach Auffassung des BGH nicht zur Unbestimmtheit. Angesichts der vielfältigen Verwahrkonstellationen bei Inhaberaktien nicht börsennotierter Gesellschaften sei eine solche Öffnung systemgerecht; sie berechtigte die Gesellschaft jedoch nicht, beliebige Nachweise zu akzeptieren. Vielmehr ergebe die Auslegung, dass „sonstige Nachweise“ gegenüber den ausdrücklich genannten Beispielen eine vergleichbare Richtigkeitsgewähr bieten müssen, was bereits durch die Aufzählung der Regelbeispiele indiziert sei.

Ausreichender Nachweis durch anwaltliche Verwahrungsbestätigung

Vor diesem Hintergrund durfte die Beklagte die Teilnahme‑ und Stimmberechtigung von C auf die anwaltliche Bestätigung stützen; das Schreiben erfüllt nach Auffassung des BGH die satzungsmäßigen Anforderungen, insbesondere auch deshalb, weil die Ausstellerin als Rechtsanwältin besonderen Standespflichten unterliegt, so dass die anwaltliche Erklärung eine den Regelbeispielen vergleichbare Richtigkeitsgewähr biete.

Anpassungsbedarf in der Satzung

Für die Praxis steht nunmehr fest, dass die Record-Date-Vermutung des § 123 Abs. 4 Satz 5 AktG ausschließlich für börsennotierte Aktiengesellschaften mit Inhaberaktien gilt, während bei nicht börsennotierten Aktiengesellschaften § 123 Abs. 3 AktG die weitgehende Satzungsautonomie für Form und Zeitpunkt des Nachweises regelt.

Nicht börsennotierte Aktiengesellschaften mit Inhaberaktien sollten ihre Satzungsregelungen zum Anteilsbesitznachweis überprüfen und bei Öffnungsklauseln ausdrücklich festlegen, dass „sonstige“ Nachweise nur dann genügen, wenn sie eine den Regelbeispielen (Depotbank, Notar, Gesellschaft) vergleichbare Richtigkeitsgewähr bieten.

Anwaltliche Bescheinigungen werden insbesondere dann als ausreichender Nachweis in Betracht kommen, wenn der Anwalt die unmittelbare Verwahrung für den Anmeldenden, etwa in Form einer Sammelurkunde bestätigt. Einer Bescheinigung über den bloß mittelbaren Besitz dürfte hingegen nicht die notwendige Richtigkeitsgewähr zukommen.

Eine Angleichung an die für börsennotierte Gesellschaften geltenden Nachweisanforderungen gemäß § 123 Abs. 4 AktG durch eine Satzungsregelung bleibt der nicht börsennotierten AG weiterhin möglich. Während die Zulassung sonstiger ausreichender Nachweise eine erhöhte Flexibilität mit sich bringt, sorgt sie zugleich auch für ein größeres Streitpotential.

Prüfung der vorgelegten Nachweise

Für die Zulassung zur Hauptversammlung bietet sich eine zweistufige Prüfung an, indem zunächst die formelle Satzungskonformität des vorgelegten Nachweises verifiziert und anschließend, bei konkreten Anhaltspunkten für eine abweichende materielle Rechtslage, eine Plausibilitätskontrolle mit gegebenenfalls ergänzenden Prüfmaßnahmen durchgeführt wird. Zu einer umfassenden Eigentumsprüfung ist die AG hingegen weder bei Anmeldung noch im Rahmen der Hauptversammlung verpflichtet.

Neue Rechtslage bereits in Sicht

Perspektivisch wird sich die Nachweisproblematik vereinfachen, wenn die bestehende Übergangsregelung für nicht girosammelverwahrte Inhaberaktien einer nicht börsennotierten AG im Juli 2029 ausläuft (Art. 79 Abs. 3 VO (EU) 2024/1624), da spätestens zu diesem Zeitpunkt alle im Umlauf befindlichen Inhaberaktien in die Girosammelverwahrung eingebracht werden müssen, um einen Rechtsverlust zu vermeiden. – Das ist allerdings Stoff für den nächsten Blogbeitrag.

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