Gesetzlich geregelt ist der grenzüberschreitende Herein-Formwechsel nicht; ein sicherer Rechtsrahmen fehlt. Doch welche Rechtsvorschriften sind dann anwendbar?
Im Gegensatz zu einem nationalen Formwechsel, also dem identitätswahrenden Wechsel einer deutschen Gesellschaft in eine andere Gesellschaft ebenfalls deutscher Rechtsform, ist ein grenzüberschreitender Formwechsel gesetzlich nicht geregelt. Hierbei wird der identitätswahrende Wechsel einer deutschen Gesellschaft in eine Gesellschaft mit Rechtsform eines anderen EU- oder EWR-Staates (Heraus-Formwechsel) oder einer ausländischen Gesellschaft mit Rechtsform eines anderen EU- oder EWR-Staates in eine deutsche Gesellschaft (Herein-Formwechsel) durchgeführt.
Schon lange wird zur Schaffung eines sicheren Rechtsrahmens für grenzüberschreitende Formwechsel die Verabschiedung einer europäischen Sitzverlegungsrichtlinie gefordert. Als Vorbild dazu könnte die Verschmelzungsrichtlinie dienen. Diesem Wunsch wurde jedoch bislang noch nicht entsprochen.
Rechtsprechung des EuGH
In der sogenannten VALE-Entscheidung vom 12. Juli 2012 (C-378/10) hat der EuGH jedoch vor dem Hintergrund der europarechtlichen Niederlassungsfreiheit und des Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatzes (Art. 49, 54 AEUV) entschieden, dass ein grenzüberschreitender Formwechsel möglich ist. Mitgliedsstaaten haben dies anzuerkennen, soweit zwei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind:
- Das nationale Recht des Wegzugsstaates (also des Staates, aus dem die Gesellschaft „herausgewechselt″ werden soll) lässt einen entsprechenden innerstaatlichen Formwechsel zu und
- das Recht des Zuzugsstaates sieht den Formwechsel einer Gesellschaft nationalen Rechts – deren Rechtsform der der ausländischen Gesellschaft vergleichbar ist – in die Rechtsform der Zielgesellschaft vor.
Liegen die beiden Voraussetzungen vor, so sind die nationalen Umwandlungs- und Formwechselvorschriften auch auf grenzüberschreitende Sachverhalte entsprechend anzuwenden (also für Deutschland die §§ 190 ff. UmwG).
OLG Nürnberg und Kammergericht Berlin folgen dem EuGH
Das OLG Nürnberg hat in seinem Beschluss vom 19. Juni 2013 (Az: 12 W 520/13) dieselbe Auffassung vertreten wie auch schon der EuGH. Nämlich, dass in dem vorliegenden Fall die grenzüberschreitende Verlegung von Verwaltungs- und Satzungssitz einer Kapitalgesellschaft von Luxemburg nach Deutschland zulässig ist. Auch der damit einhergehende Formwechsel in eine entsprechende Gesellschaftsform des deutschen Rechts ist daher zulässig, allerdings nur sofern das Recht des Wegzugsstaates ebenfalls eine entsprechende Umwandlungsfähigkeit gestattet. Zudem hat das OLG Nürnberg bestätigt, dass auf das Verfahren des grenzüberschreitenden Herein-Formwechsels nach Deutschland die §§ 190 ff. UmwG unter europarechtskonformer Auslegung analog anzuwenden sind.
Mit Beschluss vom 21. März 2016 (Az: 22 W 64/15) hat das Kammergericht Berlin nochmals unter Verweis auf die VALE-Entscheidung bestätigt, dass ein grenzüberschreitender Herein-Formwechsel in eine deutsche GmbH rechtlich zulässig ist. Die §§ 190 ff. UmwG finden für einen derartigen grenzüberschreitenden Herein-Formwechsel analoge Anwendung. Es hat zudem konkret darauf hingewiesen, dass auch nicht explizit in §§ 191, 226 UmwG genannte ausländische Rechtsträger einen Formwechsel in eine deutsche GmbH durchführen können, sofern ein dem ausländischen Rechtsträger äquivalenter deutscher Rechtsträger einen Formwechsel in eine deutsche GmbH durchführen kann.
Wie man anhand der Rechtsprechung sieht, kann man für Deutschland einen gewissen Rechtsrahmen entwickeln, aufgrund dessen ein grenzüberschreitender Formwechsel aus einem EU- oder EWR-Staat nach Deutschland umsetzbar ist. Auch wenn hierfür bislang keine klare gesetzliche Regelung besteht.
Anwendbare Rechtsvorschriften zum grenzüberschreitenden Herein-Formwechsel
Für die grenzüberschreitende Verschmelzung hat der deutsche Gesetzgeber auf Basis der Verschmelzungs-Richtlinie das deutsche Umwandlungsgesetz um die §§ 122a ff. UmwG ergänzt. Für den grenzüberschreitenden Herein-Formwechsel hingegen existieren im deutschen Recht keine Normen, die diesen für zulässig erklären und die rechtlichen Anforderungen daran definieren.
Aufgrund des Ablaufs eines grenzüberschreitenden Formwechsels und der gemäß der Rechtsprechung des EuGH anwendbaren Rechtsvorschriften finden auf den grenzüberschreitenden Formwechsel zwei nationale Rechtsordnungen sukzessiv Anwendung; zunächst die Rechtsordnung des Wegzugsstaates und daran anknüpfend die Rechtsordnung des Zuzugsstaates. Dabei sind jedoch immer der Äquivalenzgrundsatz und der Effektivitätsgrundsatz im Hinterkopf zu behalten, die möglicherweise Anpassungen erforderlich machen.
Der Äquivalenzgrundsatz besagt dabei, dass ein Mitgliedstaat nicht dazu verpflichtet ist, grenzüberschreitende Vorgänge günstiger zu behandeln als gleichartige innerstaatliche Vorgänge. Er ist aber auch nicht berechtigt, die Modalitäten für grenzüberschreitende Vorgänge ungünstiger zu gestalten als die für gleichartige innerstaatliche Vorgänge.
Vom Effektivitätsgrundsatz spricht man, wenn ein Mitgliedstaat nicht berechtigt ist, die Anforderungen an einen grenzüberschreitenden Vorgang so hoch zu setzen, dass die Durchführung eines derartigen Vorgangs praktisch unmöglich oder übermäßig erschwert ist.
Detailfragen hat der EuGH in seiner Entscheidung offen gelassen. Insbesondere ist er nicht darauf eingegangen, wie die nationalen Vorschriften für den Formwechsel bei grenzüberschreitenden Sachverhalten konkret analog anzuwenden bzw. auszulegen sind.
Verknüpfung der beiden anwendbaren Rechtsordnungen durch Analogiebildung
Es ist klar, dass es zum Beispiel bei einem Herein-Formwechsel einer französischen Gesellschaft nicht Aufgabe eines deutschen Registergerichts sein kann, französisches Umwandlungsrecht zu prüfen. Insofern stellt sich die Frage, durch die (analoge) Anwendung welcher Rechtsnormen – die vergleichbare grenzüberschreitende Sachverhalte regeln – die Verknüpfung zwischen den beiden Rechtssystemen erfolgt. Es werden insofern verschiedene Auffassungen vertreten, die nicht nur akademischer Natur sind, sondern auch rein praktische Auswirkungen auf die erforderliche Dokumentation haben.
Für die grenzüberschreitende Verschmelzung, bei der – wie beim grenzüberschreitenden Formwechsel – ebenfalls zwei Jurisdiktionen beteiligt sind, sieht § 122k UmwG eine sogenannte Verschmelzungsbescheinigung vor. In dieser bestätigt das für die übertragende Gesellschaft zuständige Gericht, ob die Voraussetzungen nach nationalem Recht für die grenzüberschreitende Verschmelzung erfüllt sind. Dadurch wird das Gericht des übernehmenden Rechtsträgers, also des Zuzugsstaates, von der Prüfung der Bestimmungen einer fremden Rechtsordnung befreit.
Allerdings unterscheiden sich Formwechsel und Verschmelzung grundlegend. Beim Formwechsel ist nur eine Gesellschaft betroffen, deren Rechtsform unter Wahrung der Identität des Rechtsträgers geändert wird. Dagegen existieren bei der Verschmelzung zunächst zwei Rechtsträger, von denen einer untergeht und dessen Vermögensgegenstände im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf den anderen Rechtsträger übergehen. Insofern bestehen gewisse Zweifel, ob die vergleichbare Interessenlage als Voraussetzung für eine analoge Anwendung im Hinblick auf die §§ 122a ff. UmwG gegeben ist.
Ähnliche Bedenken wie gegen die Anwendung der §§ 122a ff. UmwG bestehen auch hinsichtlich der Analogie zu Art. 66 SE-VO. Dieser hat die Umwandlung einer Societas Europaea (SE) in eine nationale AG zum Gegenstand. Eine solche Umwandlung unterscheidet sich jedoch ganz erheblich von einem grenzüberschreitenden Formwechsel. Es findet – anders als beim grenzüberschreitenden Formwechsel – weder ein Sitzwechsel statt, noch sind zwei unterschiedliche nationale Rechtsordnungen betroffen.
Demgegenüber kann Art. 8 SE-VO als entsprechende Brücke herangezogen werden. Diese Norm behandelt die Verlegung des Sitzes einer SE in einen anderen Mitgliedstaat. Folglich ist nur ein Rechtsträger beteiligt und es sind wegen der grenzüberschreitenden Komponente die Regelungen zweier Rechtsordnungen in Einklang zu bringen. Art. 8 Abs. 8 SE-VO sieht vor, dass „im Sitzstaat der SE […] das zuständige Gericht, der Notar oder eine andere zuständige Behörde eine Bescheinigung aus[stellt], aus der zweifelsfrei hervorgeht, dass die der Verlegung vorangehenden Rechtshandlungen und Formalien durchgeführt wurden″.
Demnach kann argumentiert werden, dass aufgrund der vergleichbaren Interessenlage beim Herein-Formwechsel für die Verknüpfung der beiden sukzessiv anzuwendenden Rechtsordnungen zur Lückenschließung Art. 8 SE-VO (analog) und nicht die Regelungen in §§ 122a ff. UmwG oder Art. 66 SE-VO heranzuziehen sind.
Beschränkte Reichweite der analogen Anwendung des Art. 8 SE-VO
Bei der analogen Anwendung des Art. 8 SE-VO ist darauf zu achten, dass diese nur soweit erfolgen kann als bei der sukzessiven Anwendung der beiden für den entsprechenden grenzüberschreitenden Formwechsel einschlägigen nationalen Rechtsordnung tatsächlich Lücken verbleiben. Eine pauschale Anwendung des gesamten Art. 8 SE-VO würde über das Ziel hinausschießen. Letztlich braucht es zur Überprüfung durch das Registergericht des Zielstaates lediglich einer behördlichen Bescheinigung über die Umwandlungsfähigkeit im Wegzugsstaat, wie sie in Art. 8 Abs. 8 SE-VO vorgesehen ist. Derartige Bescheinigungen müssen gemäß der VALE-Entscheidung vom Zuzugsstaat anerkannt werden. Der Beschluss des KG Berlin hält hiermit übereinstimmend eine Anwendung des Art. 8 SE-VO für möglich, sofern diese zu keiner Benachteiligung der hereinwechselnden Gesellschaft gegenüber einer vergleichbaren deutschen Gesellschaft führt.
Ergebnis: Analoge Anwendung und europarechtskonforme Auslegung
Es ist abschließend festzuhalten, dass auf den grenzüberschreitenden Herein-Formwechsel die §§ 190 ff. UmwG sowie Art. 8 SE-VO analoge Anwendung finden. Allerdings nur soweit diese entsprechend europarechtskonform ausgelegt werden und eine solche Auslegung auch tatsächlich erforderlich ist.
Unsere Beitragsreihe stellt wichtige Aspekte rund um das Umwandlungsrecht nach dem UmwG vor. Hier zeigen wir die Möglichkeiten einer Unternehmensumstrukturierung auf, stellen einzelne Aspekte heraus, schildern Herausforderungen und skizzieren die ein oder andere Lösungsidee. Bisher erschienen ist ein Überblick über die umwandlungsrechtliche Verschmelzung, ein Beitrag zum Verschmelzungsvertrag sowie zum Formwechsel. Weiter haben wir die Möglichkeiten im Rahmen einer Unternehmensspaltung, die partielle Gesamtrechtsnachfolge sowie den Ablauf einer Spaltung erläutert. Zuletzt sind wir auf die Schlussbilanz, die Besteuerung von Umwandlungen und die arbeitsrechtlichen Besonderheiten bei Umwandlungen sowie die grenzüberschreitende Verschmelzung aus gesellschaftsrechtlicher sowie aus arbeitsrechtlicher Sicht eingegangen.