Neues zur Mitbestimmung: Auch eine laufende SE-Umwandlung schützt nicht vor Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat.
Das Landgericht Berlin hat am 9. März 2018 (Az.: 102 O 72/17 AktG) einen Beschluss zur Mitbestimmung im Aufsichtsrat gefasst, der auch bereits zum Gegenstand von Presseberichterstattungen geworden ist. Es geht um den Aufsichtsrat der Delivery Hero AG, die weltweit verschiedene Online-Essenslieferdienste und -portale vereint.
In Deutschland gehören so bekannte Namen wie „Foodora″, „Lieferheld″ und „pizza.de″ dazu. Juristisch stellen sich in dem Verfahren einige interessante Fragen, die in diesem Beitrag beleuchtet werden sollen. Der Beschluss ist bislang noch unveröffentlicht, eine Veröffentlichung soll aber zeitnah erfolgen.
Paritätisch mit Arbeitnehmervertretern besetzter Aufsichtsrat – ab 2.000 Arbeitnehmern und nach Durchführung eines Statusverfahrens
Der Reihe nach: Die Delivery Hero AG ging 2017 an die Börse und hat aktuell einen aus sechs Mitgliedern bestehenden Aufsichtsrat. Arbeitnehmervertreter sucht man dort vergeblich. Dabei hat Delivery Hero (inkl. Tochtergesellschaften) in Deutschland deutlich mehr als 2000 Arbeitnehmer. Das ist jedoch die Schwelle, ab der Kapitalgesellschaften deutschen Rechts grundsätzlich nach dem Mitbestimmungsgesetz einen paritätisch, d.h. zur Hälfte mit Arbeitnehmervertretern besetzten, Aufsichtsrat einreichten müssen (§ 1 Abs. 1 MitbestG).
Dazu kommt es aber nicht automatisch. Vielmehr muss vorher ein so genanntes Statusverfahren (§§ 96 ff. AktG) durchgeführt werden. Die Verpflichtung zur Durchführung liegt grundsätzlich beim Vorstand. Kommt er der Verpflichtung nicht nach, können verschiedene andere Beteiligte, insbesondere Arbeitnehmer(vertreter) und Gewerkschaften, eine gerichtliche Entscheidung herbeiführen. Genau um ein solches Verfahren handelte es sich bei dem vor dem LG Berlin geführten Streit.
Verfahren durch Einzelaktionär eingeleitet
Bemerkenswert ist dabei, dass das Verfahren nicht, wie man eigentlich hätte erwarten können, von Arbeitnehmer- bzw. Gewerkschaftsseite, sondern einem Einzelaktionär eingeleitet wurde. Da nach § 98 Abs. 2 Nr. 3 AktG aber auch jedem Aktionär das Recht dazu zusteht, war der Antrag zulässig.
Auf dem Weg in die SE
Auch in der Sache wies das Verfahren einige durchaus interessante Aspekte auf: Denn Delivery Hero hat bereits im Sommer 2017 das Verfahren zur Gründung einer Europäische Gesellschaft (SE) begonnen. Dabei handelt es sich um das europäische Gegenstück zur deutschen Aktiengesellschaft. Es soll aber nicht, wie man eigentlich hätte erwarten können, eine so genannte Umwandlungsgründung, wobei es sich um nichts anderes als einen bloßen Rechtsformwechsel handelt, vorgenommen werden. Vielmehr plant Delivery Hero eine so genannte Verschmelzungsgründung, bei der eine niederländische Tochtergesellschaft, die Delivery Hero N.V., auf die deutsche AG verschmolzen werden soll. Die deutsche AG wechselt dabei zugleich ihre Rechtsform in eine SE.
Fehlendes Rechtsschutzbedürfnis aufgrund der SE-Gründung
Die geplante Gründung einer SE war der maßgebliche Einwand, der von Seiten Delivery Hero gegen die Einführung eines mitbestimmten Aufsichtsrats vorgebracht wurde. Denn da, so der Vortrag, die Verhandlungen mit dem besonderen Verhandlungsgremium kurz vor dem Abschluss stünden und die SE-Gründung danach unmittelbar eingetragen werden würde, würde es nie einen mitbestimmten Aufsichtsrat in der Delivery Hero AG gegeben. Bis die Arbeitnehmervertreter für den Aufsichtsrat gewählt seien, sei die SE-Eintragung längst erfolgt. Für den beim LG Berlin eingereichten Antrag fehle das Rechtsschutzbedürfnis.
LG Berlin: Rechtsschutzbedürfnis mit Blick auf eine potentielle „Ausstrahlungswirkung″ für die SE
Das Gericht sah dies allerdings, genau wie die beigeladene Gewerkschaft, anders. Hintergrund ist eine der vielen offenen Fragen, die sich im Rahmen der SE-Gründung im Zusammenhang mit dem Arbeitnehmerverhandlungsverfahren stellen: Denn nicht zuletzt um den Arbeitnehmern im Rahmen der Verhandlungen eine bessere Position zu verschaffen, finden die Verhandlungen nicht im „luftleeren″ Raum statt. Einigen sich die Parteien in den Verhandlungen nämlich nicht, kommt die so genannte Auffangregelung zur Anwendung. Dabei setzt sich nach § 35 SEBG die (höchste) in den an der SE-Gründung beteiligten Gesellschaften bestehende Mitbestimmung auch in der SE fort.
Der Streit um die tatsächlich gelebte oder rechtlich anwendbare Mitbestimmung
Worum es sich bei der bestehende Mitbestimmung in diesem Sinne allerdings handelt, ist gerade für Fälle wie Delivery Hero nicht geklärt und umstritten. Denn zur Erinnerung: Überschreitet eine deutsche Gesellschaft einen mitbestimmungsrelevanten Schwellenwert, verändert sich die Zusammensetzung nicht automatisch. Erforderlich ist vielmehr ein Statusverfahren.
Was nun, wenn ein Schwellenwert überschritten, die Zusammensetzung des Aufsichtsrats aber (noch) nicht geändert wurde? Man könnte einerseits auf diejenige Mitbestimmung abstellen, die vor der SE-Gründung tatsächlich gelebt wird. Im Falle Delivery Hero hieße das (ohne das Verfahren beim LG Berlin): Da eine Mitbestimmung im Aufsichtsrat tatsächlich bislang nicht gelebt wird, wäre auch die Delivery Hero SE mitbestimmungsfrei.
Andere stellen dagegen darauf ab, welches Mitbestimmungsregime richtigerweise Anwendung finden würde, wenn der Aufsichtsrat den rechtlichen Voraussetzungen entsprechend zusammengesetzt wäre. Bei Delivery Hero wäre daher auch in der SE ein paritätisch mitbestimmter Aufsichtsrat einzurichten. Denn dass der Schwellenwert von 2000 Arbeitnehmern in Deutschland bei Delivery Hero überschritten ist, wurde – entgegen anderslautender Presseberichte – auch von Delivery Hero selbst nicht bestritten. Bei der Bestimmung der Arbeitnehmerzahl sind nämlich z. B. auch auf 450 Euro Basis beschäftigte Fahrradkuriere zu berücksichtigen.
Eine vermittelnde Auffassung unterscheidet schließlich unter Verweis auf den Wortlaut des § 35 SEBG zwischen den verschiedenen Arten der SE-Gründung. Nur bei der Umwandlungsgründung soll demnach die rechtliche, bei den anderen Gründungsvarianten die tatsächliche Mitbestimmungslage maßgeblich sein.
Delivery Hero geht wohl von einer Maßgeblichkeit der tatsächlichen Verhältnisse aus
Ausweislich des im Handelsregister veröffentlichen Verschmelzungsplans gehen die Vorstände der Delivery Hero AG sowie der niederländischen N.V. offenbar davon aus, dass bei Delivery Hero auch in der SE keine Mitbestimmung im Aufsichtsrat zur Anwendung kommt. Da bereits zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Verschmelzungsplans die 2000-er Schwelle überschritten gewesen sein dürfte, gehen sie daher – jedenfalls für ihren Fall – von der Maßgeblichkeit der tatsächlich anwendbaren Mitbestimmungslage aus. Das dürfte auch das vorliegende Verfahren erklären.
LG Berlin entscheidet Streit nicht und bejaht das Rechtsschutzbedürfnis
Das LG Berlin führt den dargestellten Streitstand in seinem Beschluss ebenfalls aus, braucht ihn allerdings nicht zu entscheiden. Denn es bestehe aufgrund der Auffassungen, nach denen die tatsächlich gelebte Mitbestimmung maßgeblich sei, die Möglichkeit, dass sich das Verfahren jedenfalls auf die Zusammensetzung des Aufsichtsrats der SE auswirke. Dies selbst dann, wenn in der AG möglicherweise kein mitbestimmter Aufsichtsrat mehr eingerichtet werden könne. Ein Rechtsschutzbedürfnis bestehe daher.
Da in der Sache die Voraussetzungen des Mitbestimmungsgesetzes erfüllt waren, hat das Gericht dem Antrag auch stattgegeben und festgestellt, dass bei der Delivery Hero AG ein paritätisch mitbestimmter Aufsichtsrat zu bilden ist.
Delivery Hero kündigt Rechtsmittel an
Delivery Hero hat der einschlägigen Presseberichterstattung zufolge Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Landgerichts eingelegt. Ob das Verfahren allerdings tatsächlich fortgeführt wird, erscheint fraglich. Nach der Presseberichterstattung hat sich Delivery Hero nunmehr mit den Arbeitnehmern im Zuge der Verhandlungen zur SE-Gründung auf die künftige Mitbestimmung geeinigt: Delivery Hero bekommt demnach einen zur Hälfte aus Arbeitnehmern bestehenden Aufsichtsrat, was nach der Entscheidung des LG Berlin nicht überraschend erscheint. Eines konnte durch die SE-Gründung allerdings in jedem Fall erreicht werden, denn der Aufsichtsrat besteht demnach aus insgesamt lediglich sechs Mitgliedern. Das deutsche Mitbestimmungsgesetz hätte dagegen einen Aufsichtsrat von mindestens zwölf Mitgliedern vorgesehen.