13. Juli 2016
Brexit Sitzverlegung, Brexit Folgen
Corporate / M&A Brexit

Folgen des Brexit: Sitzverlegung für Unternehmen

Was passiert, wenn Firmen aus Großbritannien flüchten? Wir zeigen, welche Möglichkeiten es für dieses Szenario gibt und wann Aktivitäten gefordert sind!

Vodafone denkt laut über eine Verlegung seines Hauptsitzes in die Europäische Union nach. François Hollande bringt Paris als Nachfolger für den Finanzplatz London in Stellung. Zahlreiche weitere Unternehmen befassen sich intern mit den Folgen des Brexits und spielen eine Sitzverlegung in die Europäische Union durch.

Natürlich wird es nicht zur Massenabwanderung britischer Unternehmen kommen. Aber wenn der Zugang zum europäischen Binnenmarkt für britische Unternehmen deutlich erschwert würde, werden sich jedenfalls solche internationalen Konzerne Gedanken über Alternativen machen, die derzeit ihre Europa-Holding in Großbritannien unterhalten. Gleiches gilt sicherlich für die Unternehmen, die einen Großteil ihres Umsatzes in der Europäischen Union erwirtschaften, wie das Beispiel Vodafone belegt.

Timing

Tatsächlich hält das europäische Recht verschiedene Möglichkeiten für einen „Umzug″ bereit. Diese können die Unternehmen nutzen, solange Großbritannien noch Mitglied der Europäischen Union ist. Die Mitgliedschaft endet erst mit dem Austrittsabkommen bzw. mit Ablauf der Frist nach Art. 50 EUV. Bislang ist noch nicht einmal die Mitteilung über die Austrittsabsicht durch Großbritannien erfolgt. Mit einem förmlichen Austritt ist nicht vor Ende 2018 zu rechnen.

Also genügend Zeit, um derartige Umzugsüberlegungen hintanzustellen? Sicher nicht. Denn eine solche Maßnahme braucht schon aus rechtlichen Aspekten einen erheblichen Vorlauf. Und dies berücksichtigt noch nicht einmal die Zeit für die Standortsuche und die organisatorischen Planungen, die ein solches Unterfangen erfordert.

Die Sitzverlegung: Der Weg aus Großbritannien in andere EU-Mitgliedstaaten

Welche Möglichkeiten bestehen also, und für welches Unternehmen wäre welche Option zweckmäßig? Im Grundsatz kommen drei Varianten in Betracht:

Die grenzüberschreitende (Hinaus-)Verschmelzung, die formwechselnde Sitzverlegung und die Sitzverlegung einer SE.

Grenzüberschreitende Verschmelzung – nichts für börsennotierte Unternehmen

Wie alle anderen Mitglieder der Europäischen Union auch, hat Großbritannien die europäische Verschmelzungsrichtlinie umgesetzt, nach der es Kapitalgesellschaften möglich ist, über Landesgrenzen hinweg zu fusionieren. Da man für diese Zwecke auch eine „leere″ Gesellschaft, bspw. eine hierfür speziell gegründete sog. Vorratsgesellschaft, verwenden kann, ist dies ein Weg, um in andere Mitgliedsstaaten umzuziehen.

So könnte etwa eine britische Limited auf eine nicht operativ tätige deutsche GmbH verschmelzen und in dieser Form fortexistieren. Das Verfahren ist gesetzlich geregelt und erprobt. Erfahrungsgemäß sollten für einen solchen Prozess ca. acht bis zwölf Monate eingeplant werden. Hinzu kommt, dass zwischen dem letzten Geschäftsjahresende und der Anmeldung der Verschmelzung nicht mehr als acht Monate liegen dürfen – andernfalls wäre ein Zwischenabschluss zu erstellen und ggf. zu prüfen.

Die Verschmelzungslösung eignet sich allerdings nicht – jedenfalls nicht ohne weiteres – für in Großbritannien börsennotierte Unternehmen. Die Börsennotierung ginge durch die Verschmelzung verloren.

Formwechselnde Sitzverlegung – fehlender Rechtsrahmen

Nach der Rechtsprechung des EuGH (Rs. C-210/06) müssen die Mitgliedstaaten ihren eigenen Gesellschaften grundsätzlich gestatten, den (registrierten) Sitz in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen. Voraussetzung ist der Wechsel der Rechtsform in eine solche des Aufnahmestaates (sog. formwechselnde Sitzverlegung).

Exemplarisch würde daher eine britische Limited mit Sitz in London durch die Verlegung ihres Sitzes nach Berlin gleichzeitig zur deutschen GmbH werden. Die rechtliche Identität der Gesellschaft bleibt dabei mit sämtlichen Rechten und Pflichten grundsätzlich unberührt – ein Vorteil gegenüber der grenzüberschreitenden Verschmelzung. Bildlich gesprochen gäbe die Gesellschaft lediglich ihr „Rechtskleid“ einer britischen Limited an der Grenze ab und streifte sich das einer deutschen GmbH bei Ankunft in Deutschland über.

Für diesen Vorgang gibt es allerdings noch keinen europäischen oder nationalen kodifizierten Rechtsrahmen. Es ist auch nicht damit zu rechnen, dass die ohnehin schon seit Jahrzehnten geplante europäische Sitzverlegungsrichtlinie noch vor dem Brexit Realität werden könnte.

Die technische Ausgestaltung des Verfahrens bleibt daher vorerst weiter der Wissenschaft und den Registergerichten im Einzelfall überlassen. Für die praktische Durchführung bestehen deshalb noch Rechtsunsicherheiten, wenngleich wir aus anderen EU Staaten heraus bereits solche grenzüberschreitenden Sitzverlegungen nach Deutschland erfolgreich begleitet haben.

Sitzverlegung einer SE – Renaissance durch den Brexit?

Schließlich besteht auch in Großbritannien die Möglichkeit, eine Europäische Gesellschaft (Societas Europaea – SE) zu gründen. Diese Rechtsform hatte in Großbritannien bisher bei weitem nicht die Popularität, die ihr in Deutschland zukommt.

Zum Vergleich: Während in Großbritannien laut der SE-Datenbank des European Trade Union Institute (Stand: 30.06.2016) 34 SE existieren, unter denen sich auch inaktive Gesellschaften befinden können, gibt es in Deutschland schon alleine 350 SE.

Im Hinblick auf den Brexit könnte die SE auch in Großbritannien mehr in den Fokus rücken. Denn ein Vorteil der SE als supranationaler Rechtsform besteht darin, dass für sie ein gesetzliches Verfahren zur grenzüberschreitenden Sitzverlegung existiert. Eine britische Gesellschaft könnte sich daher in eine SE mit Sitz in Großbritannien umwandeln und anschließend ihren Sitz rechtssicher in einen anderen Mitgliedstaat verlegen.

Dabei hat die SE allerdings gleichzeitig die Hauptverwaltung in den Aufnahmestaat überzusiedeln – das ist bei der grenzüberschreitenden formwechselnden Sitzverlegung nationaler Rechtsformen nicht zwingend. Eine (jedenfalls zeitliche) Hürde für die Sitzverlegung einer SE kann darin liegen, dass britische Behörden – insbesondere die Finanzbehörden – aus Gründen des öffentlichen Interesses gegen die Sitzverlegung Einspruch erheben. In zeitlicher Hinsicht ist bis zum Abschluss der SE-Gründung mit mindestens 10 Monaten zu rechnen.

Exkurs: „Deutsche“ Limited

Nur am Rande sei bemerkt: Handlungsbedarf könnte auch für Unternehmer aus Deutschland bestehen, die ihre Tätigkeit zwar ausschließlich oder hauptsächlich im Inland ausüben, allerdings als britische Limited, PLC etc. organisiert sind. Denn nach dem Brexit genießen solche Gesellschaften – vorbehaltlich anderslautender Vereinbarungen zwischen Großbritannien und der EU – keine Niederlassungsfreiheit mehr. Sie wären in Deutschland dann – entsprechend der Behandlung von Schweizer Gesellschaften – möglicherweise nicht mehr als solche anzuerkennen mit der Folge, dass die Haftungsbeschränkung entfallen könnte. Ein Umstand, den es in jedem Fall zu vermeiden gilt.

Fazit: die europäischen Freiheiten zum Umzug nutzen

Es ist eine Ironie der Geschichte, dass in Großbritannien die Instrumente zur Mobilität von Gesellschaften innerhalb der EU erst nach einem beschlossenen Brexit besonders in den Fokus rücken.

Noch können britische Unternehmen die europäischen Freiheiten zum Umzug nutzen, solange der Brexit nicht vollzogen ist. Wichtig ist vor allem, sich jetzt schon vorzubereiten und die weitere Entwicklung des Brexit-Prozesses sowie die Verhandlungen zwischen Großbritannien und der EU genau zu beobachten und einen Plan in der Schublade zu haben, um dann ggf. schnell zu handeln.

Weitere rechtliche Aspekte sowie eine „Checkliste Brexit″ finden Sie in unserem internationalen Angebot Law-Now. Hier im Blog gibt es weitere Informationen zum Datenschutz, zu den Folgen für die europäischen Schutzrechte des geistigen Eigentums, Informationen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer und was mit den Limiteds geschieht.

Tags: Brexit Sitzverlegung