Die arbeitsrechtlichen Auswirkungen eines Brexit sind vielfältig und tiefgreifend. Wir geben einen Überblick.
Der „Brexit″ kommt: Im Referendum am 23. Juni 2016 sprachen sich 51,9 Prozent der Briten für einen Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union (EU) aus. Zwar stellt das Ergebnis des Referendums noch keinen formalen Schritt in Richtung Austritt dar und es wird spekuliert, ob das Austrittsverfahren nach Art. 50 des Vertrages über die Europäische Union (EUV), kurzfristig eingeleitet werden wird oder nicht.
Unabhängig davon möchten viele Unternehmen wissen, was auf sie zukommen kann. Allein in den ca. 2.500 Niederlassungen deutscher Unternehmen in Großbritannien und den ca. 3.000 britischen Niederlassungen in der Bundesrepublik würden für tausende Unternehmen und Arbeitnehmer die Karten im Hinblick auf arbeits- und immigrationsrechtliche Regelungen neu gemischt. Ändert sich zudem das britische Arbeitsrecht und die Möglichkeit zum Datenaustausch? Welche Auswirkungen hat der Brexit auf europäische Betriebsräte? Sie finden im Folgenden einen ersten Überblick über die arbeitsrechtlichen Auswirkungen eines Brexit. Einen allgemeinen Überblick zu der Brexit-Debatte finden Sie ebenfalls bei uns.
Bedeutet der „Brexit″ das Ende der Arbeitnehmerfreizügigkeit?
Eine der wichtigsten Errungenschaften der europäischen Einigung ist die Arbeitnehmerfreizügigkeit. Sie ist eine der vier Grundfreiheiten der EU und in Art. 45 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) verankert. Jeder Unionsbürger hat hiernach die Möglichkeit, in jedem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er nicht besitzt, unter den gleichen Voraussetzungen eine Arbeit aufzunehmen und auszuüben wie ein Angehöriger dieses Staates. Im Falle eines „Brexits″ würde dieses Privileg für beide Seiten wegfallen. In Deutschland leben und arbeiten insgesamt ca. 115.000 Briten; im Vereinigten Königreich haben sich ca. 262.000 Deutsche niedergelassen. Ihnen könnten in Zukunft erhebliche Beschränkungen hinsichtlich der Aufnahme einer Beschäftigung auferlegt werden.
Beschränkungen beim grenzüberschreitenden Mitarbeitereinsatz
Arbeitgeber wären im Hinblick auf den grenzüberschreitenden Mitarbeitereinsatz deutlich beschränkter als vorher und müssten erhebliche bürokratische Hürden überwinden (bspw. Beantragung Arbeitserlaubnis oder eine (langwierige) Vorrangprüfung). Ob es dazu tatsächlich kommt, hängt jedoch – neben dem tatsächlichen Eintritt des „Brexits″ selbst – davon ab, ob sich Großbritannien dazu entscheidet, Freizügigkeitsabkommen mit den einzelnen EU-Staaten abzuschließen oder ob ein undurchlässiges Visasystem implementiert wird.
Arbeitsplatzverlust im Vereinigten Königreich zu erwarten
Der vollständige Wegfall der Arbeitnehmerfreizügigkeit würde jedenfalls auf beiden Seiten des Kanals erhebliche Auswirkungen auf multinationale Unternehmen haben. Jüngst hat eine Studie der Bertelsmann-Stiftung gezeigt: 29% der befragten Unternehmen würden im Falle eines „Brexits″ entweder ihre Kapazitäten im Vereinigten Königreich verringern oder diese ganz auf einen Standort außerhalb verlagern. Ein Arbeitsplatzverlust im Vereinigten Königreich wäre vorprogrammiert.
Mögliche Optionen für künftigen Mitarbeiteraustausch
Jenseits dieser „Drohgebärden″ scheinen sich die Experten auf drei mögliche Szenarien vorzubereiten:
- Option 1 – Das „Norwegen″-Szenario: Das Vereinigte Königreich bleibt Mitglied im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR), einem bestehenden Wirtschaftsabkommen zwischen der EU, Norwegen, Island und Liechtenstein. In diesem für Arbeitgeber wie Arbeitnehmer günstigsten Fall würden die meisten bestehenden Regelungen zur Freizügigkeit in Europa weiterhin Geltung behalten.
- Option 2 – Das „Schweizer″ Szenario: Es wird eine Einzelfalllösung zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU geben, die die Themen der Freizügigkeit in Europa regelt. Dies würde wohl bedeuten, dass die Vereinbarungen weniger liberal wären als unter EWR-Staaten und dass sich folglich zumindest bürokratische Hürden für den grenzüberschreitenden Mitarbeitereinsatz ergeben würden.
- Option 3- Das „Drittstaat″-Szenario: Im dritten Szenario gäbe es keine (kurz- oder mittelfristige) Einigung zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU. In diesem Fall würde das Vereinigte Königreich zu einem „Drittstaat″, d.h. britische Arbeitnehmer würden den gleichen Restriktionen unterliegen wie bspw. Arbeitnehmer aus dem afrikanischen oder südamerikanischen Raum.
Arbeitnehmer, die jenseits der Grenze eine Tätigkeit aufnehmen wollen, müssten möglicherweise ein (befristetes) Visum beantragen und im Zuge dessen Angaben zur Rückkehrabsicht und zur Einkommenshöhe machen. Hochqualifizierte britische Arbeitnehmer könnten nicht einfach in einen anderen Mitgliedsstaat ziehen und eine Arbeit aufnehmen, sondern müssten eine im EU-Recht vorgesehene „Blaue Karte/Blue Card″ beantragen oder die Kriterien einer Mitarbeiterentsendung innerhalb eines Konzerns erfüllen; für beide Optionen gelten viel strengere Regeln als für EU-Bürger. Geringer qualifizierte Arbeitnehmer und Selbständige unterfielen vollständig den strikten nationalen Rechtsvorschriften für eine Tätigkeit in der EU.
Kommen auf Unternehmen, die Arbeitnehmer im Vereinigten Königreich beschäftigen, arbeitsrechtliche Änderungen zu?
Kurzfristige tiefgreifende Änderungen des britischen Arbeitsrechts sind wohl nicht zu befürchten. Dies liegt zum einen daran, dass weite Teile des britischen Arbeitsrechts (wie auch des deutschen Arbeitsrechts) nicht auf EU-Recht basieren, sondern der rein nationalen Gesetzgebung unterliegen, bspw. das Kündigungsrecht oder das Arbeitskampfrecht.
Europäische Regelungen wie die „Betriebsübergangs„-Richtlinie, die Datenschutzrichtlinie oder die Arbeitszeitrichtlinie sind jedoch vielen britischen Arbeitgebern seit je her ein „Dorn im Auge″. Die Motivation von Arbeitgeberverbänden, solche meist arbeitnehmerfreundlichen Regelungen als „verkommenes Relikt″ der britischen EU-Ära loszuwerden, dürfte entsprechend groß sein. Ohne die EU-Mitgliedschaft könnten diese Gesetze in Zukunft ohne Zustimmung der anderen Mitgliedsstaaten geändert werden.
Anderseits dürfte mit erheblichem Widerstand von Seiten der Gewerkschaften und Arbeitnehmervertretungen zu rechnen sein, sollte sich die Regierung in Zukunft eine Absenkung der Arbeitnehmerschutzstandards vornehmen. Zudem haben viele der auf EU-Recht basierenden Gesetze Eingang in britische Arbeitsverträge und Corporate Policies gefunden, bspw. Regelungen zum Mutterschutz, Urlaub und Datenschutz. Den Arbeitnehmern diese erworbenen Rechte wieder abzusprechen, dürfte eine erhebliche Herausforderung werden. Die detaillierte Umsetzung durch die britische Gesetzgebung bleibt abzuwarten.
Wird man auch in Zukunft Arbeitnehmerdaten austauschen können?
Der reibungslose Transfer von Arbeitnehmerdaten von und nach Großbritannien wird auch in Zukunft unumgänglich sein. Insofern dürften die Verhandlungspartner auf beiden Seiten daran interessiert sein, entsprechende Abkommen in Anlehnung an die geltenden EU-Richtlinien zu schaffen. Die derzeit noch gültige Datenschutzrichtlinie (Richtlinie 95/46/EG vom 24.10.1995), die einen Transfer von Arbeitnehmerdaten innerhalb der Mitgliedsstaaten ermöglicht, wäre dann aber nicht mehr anwendbar. Großbritannien wird nicht mehr vom Anwendungsbereich des EU-Datenschutzrechts erfasst sein, sondern – im schlimmsten Fall – zunächst als „unsicherer Drittstaat″ klassifiziert. In diesem Fall müsste Großbritannien ein „angemessenes Datenschutzniveau″ nachweisen. Was dies bedeutet, ist jedoch nach der „Safe-Harbor″-Entscheidung des EuGH (EuGH v. 06.10.2015- C-362/14) fraglich geworden.
Perspektivisch ist außerdem festzuhalten, dass die neue Datenschutzgrundverordnung, die ab Ende Mai 2018 unmittelbar in den Mitgliedstaaten der EU gelten wird, für Großbritannien keine Wirkung mehr entfalten wird. Unternehmen mit Sitz in der EU, die Daten in das Vereinigte Königreich übermitteln, werden mit hoher Wahrscheinlichkeit zudem ihre bereits abgeschlossenen Datentransferabkommen mit britischen (Konzern-)Unternehmen überarbeiten müssen.
Welche Auswirkung sind für die europäische Aktiengesellschaft (SE) und den europäischen Betriebsrat (EBR) zu befürchten?
Die europäische Aktiengesellschaft (SE) hat ihr Fundament im europäischen Recht. Im Rahmen der Austrittsverhandlungen wird man Regelungen schaffen müssen, damit die SE in Großbritannien künftig nicht ohne Rechtsgrundlage besteht und Beteiligungsrechte britischer Arbeitnehmer einer SE gewahrt bleiben.
Für die Arbeitnehmerbeteiligung nach dem europäischen Betriebsrätegesetz (EBRG) gilt: Für den (unwahrscheinlichen) Fall, dass mit dem Vereinigten Königreich keine neue rechtliche Grundlage vereinbart werden kann, könnten britische Arbeitnehmer nicht mehr im EBR mitarbeiten. Spiegelbildlich bedeutet dies, dass die übrigen Mitglieder des EBR keinen Anspruch auf Beteiligung hinsichtlich solcher Maßnahmen hätten, die durch die Konzernleitung eines britischen Mutterunternehmens durchgeführt würden.
Was sind die sozialversicherungsrechtlichen Folgen (bspw. bei Auslandsentsendungen)?
Die künftige sozialversicherungsrechtliche Behandlung von Auslandsentsendungen wird sehr wahrscheinlich ebenfalls auf der Tagesordnung der anstehenden Austrittsverhandlungen stehen. Bis zum Vollzug des Austritts gilt für Mitarbeiterentsendungen nach Großbritannien die EU-Verordnung VO (EG) 883/2004 vom 1. Mai 2010. Danach könnte jedoch das aufgrund der EU-Mitgliedschaft der beiden Staaten zwischenzeitlich (nahezu) bedeutungslos gewordenen deutsch-britische Sozialversicherungsabkommen wieder an Bedeutung gewinnen. Das Sozialversicherungsabkommen ist bis heute gültig und wurde fortlaufend für solche Ausnahmen genutzt, die mittels der EU-Verordnung nicht regelbar waren. Unternehmen müssen sich darauf einstellen, dass Entsendungen künftig mit komplexen rechtlichen Fragestellungen verbunden sein werden, sollte mit Großbritannien wie mit einem Drittstaat zu verfahren sein.
Weitere rechtliche Aspekte sowie eine „Checkliste Brexit″ finden Sie in unserem internationalen Angebot Law-Now. Hier im Blog gibt es weitere Informationen zum Datenschutz, zu den Folgen für die europäischen Schutzrechte des geistigen Eigentums, was mit den Limiteds geschieht und was bei einer Sitzverlegung von Unternehmen zu beachten ist.