Kann ein nicht mehr in der Gesellschafterliste eingetragener Geschäftsanteil nochmal eingezogen werden? Nach Ansicht des BGH ja – doppelt und dreifach hält besser!
Wenn ein Geschäftsanteil zwar nicht mehr in der Gesellschafterliste erscheint, aber materiell noch existiert, dann kann er sehr wohl erneut eingezogen werden.
Gesellschafter beschließen dreimal die Einziehung desselben Geschäftsanteils
Die beklagte GmbH hatte zwei Gesellschafter, die jeweils mit einem Geschäftsanteil in Höhe von EUR 12.500 an der Gesellschaft beteiligt waren. In einer Gesellschafterversammlung im Jahr 2015 wurde die Einziehung des einen Geschäftsanteils (mit der laufenden Nummer 2) beschlossen. In der beim Handelsregister eingereichten Gesellschafterliste erschien der Geschäftsanteil sodann als durchgestrichene Anteilsnummer mit dem Vermerk „nach Einziehung erloschen″. Im Jahr 2016 wurde erneut (also zum zweiten Mal) die Einziehung desselben Geschäftsanteils beschlossen und wieder eine Gesellschafterliste mit der gestrichenen Anteilsnummer 2 und dem Vermerk „nach Einziehung erloschen″ in den Registerordner eingestellt.
Im Jahr 2017 wurde in einer „Zwischenliste″ schließlich nur noch ein Geschäftsanteil im Nennbetrag von EUR 25.000 und der laufenden Nummer 1 in der Gesellschafterliste ausgewiesen; der Geschäftsanteil 2 war nun gar nicht mehr in der Liste enthalten. Dennoch wurde im Jahr 2017 nochmals (also zum dritten Mal) ein Einziehungsbeschluss zum (gar nicht mehr in der Gesellschafterliste enthaltenen) Geschäftsanteil 2 gefasst und dem betroffenen (ehemaligen) Gesellschafter bekannt gegeben.
Gegen diesen dritten Einziehungsbeschluss wendet sich der klagende ehemalige Gesellschafter. Die Vorinstanzen hatten dazu geurteilt, dass dieser dritte, im Jahr 2017 gefasste Einziehungsbeschluss ins Leere gegangen sei, weil die Einziehung einen nach der Gesellschafterliste gar nicht mehr existenten Geschäftsanteil betroffen habe.
BGH stellt auf materiellen Fortbestand des Geschäftsanteils nach den ersten beiden Einziehungsversuchen ab
Der BGH ist anderer Ansicht und hat das Berufungsurteil aufgehoben (Urteil vom 10. November 2020 – II ZR 211/19): Die negative Legitimationswirkung des § 16 Abs. 1 Satz 1 GmbHG hindere nicht die nochmalige Einziehung des (in der Gesellschafterliste gar nicht mehr geführten) Geschäftsanteils. Der Geschäftsanteil habe materiell noch fortbestanden und daher sehr wohl erneut eingezogen werden können.
Nach Ansicht des BGH habe der Geschäftsanteil noch fortbestanden, weil die Einziehungsbeschlüsse in den Jahren 2015 und 2016 aufgrund der Entscheidung des Berufungsgerichts nichtig waren. Nähere Angaben zu den Nichtigkeitsgründen macht der BGH indes nicht.
Einer erneuten Einziehung stehe nicht entgegen, dass die Nichtigkeit der vorangegangenen Einziehungsbeschlüsse bei der Fassung des dritten Einziehungsbeschlusses im Jahr 2017 noch nicht festgestanden habe. Vielmehr habe es ein berechtigtes Interesse daran gegeben, durch die erneute Einziehung die Zweifel an der Wirksamkeit der vorherigen beiden Einziehungsbeschlüsse auszuräumen.
Der dritte Einziehungsbeschluss sei auch nicht deshalb ins Leere gelaufen, weil der Geschäftsanteil mit der laufenden Nummer 2 nicht mehr seinem Inhaber zugeordnet, sondern längst gelöscht worden war. Der BGH stützt sich hier auf das materiell-rechtliche Fortbestehen des Geschäftsanteils, das auch durch eine Streichung oder Löschung aus der Gesellschafterliste nicht beendet werde. Vielmehr habe die Streichung des Geschäftsanteils aus der Gesellschafterliste nur Auswirkungen auf die formale Gesellschafterstellung.
Negative Legitimationswirkung des § 16 Abs. 1 Satz 1 GmbHG hindert die nochmalige Einziehung des zuvor schon aus der Gesellschafterliste gelöschten Geschäftsanteils nicht
§ 16 Abs. 1 Satz 1 GmbHG normiert die Legitimationswirkung der Gesellschafterliste, d.h. im Verhältnis zur Gesellschaft gilt derjenige als Gesellschafter, der als solcher in der im Handelsregister aufgenommenen Gesellschafterliste eingetragen ist (positive Legitimationswirkung), während derjenige, der nicht in der Gesellschafterliste eingetragen ist, nicht als Gesellschafter zu behandeln ist (negative Legitimationswirkung). Diese Legitimationswirkung des § 16 Abs. 1 Satz 1 GmbHG greift grundsätzlich auch bei eingezogenen Geschäftsanteilen (vgl. BGH, Urteil vom 20. November 2018 – II ZR 12/17, NJW 2019, 993).
Zur negativen Legitimationswirkung fällte der BGH erstmals im Jahr 2019 ein Urteil (vgl. BGH, Urteil vom 2. Juli 2019 – II ZR 406/17, ZIP 2019, 1521) und bildete Ausnahmen von § 16 Abs. 1 Satz 1 GmbHG (vgl. dazu auch Miller, ZIP 2020, 62).
In dem nun ergangenen aktuellen Urteil vom 10. November 2020 macht der BGH deutlich, dass die negative Legitimationswirkung des § 16 Abs. 1 Satz 1 GmbHG dort keine Wirkung entfaltet, wo ein Geschäftsanteil zwar nicht mehr in der Gesellschafterliste erscheint, aber materiell noch existiert. Dem ist zuzustimmen. Wie hätte die Gesellschaft den formell gar nicht mehr bestehenden Geschäftsanteil des klagenden Gesellschafters sonst überhaupt noch greifen können? Die ersten beiden Einziehungsbeschlüsse waren wegen Verstoßes gegen § 5 Abs. 1 GmbHG offensichtlich nichtig – das hätte sowohl dem verbleibenden Gesellschafter als auch der Gesellschaft klar sein müssen. Die bloße Streichung des vermeintlich eingezogenen Geschäftsanteils aus der Gesellschafterliste kann und darf nicht die Löschung des Geschäftsanteils bedeuten. Eine Berufung auf die negative Legitimationswirkung muss hier unzulässig sein.
Und noch eines lässt sich aus dem vorliegenden BGH-Urteil für die Praxis ableiten: In Zweifelsfällen sollten Beschlüsse lieber einmal mehr als einmal zu wenig gefasst werden – doppelt und dreifach hält eben besser!