"Sandbagging": Der Käufer kann sich auf eine Garantie zu berufen, obwohl ihm bekannt war, dass eine Erklärung unzutreffend und die Garantie verletzt ist.
Ist dem Käufer schon bei Vertragsschluss (Signing) oder dessen Vollzug (Closing) bekannt , dass die Erklärung unzutreffend und die Garantie daher verletzt ist, bleibt ihm die Möglichkeit des Sandbagging.
Gesetzliche Ausgangslage des Sandbagging
Die Regelung in § 442 I des deutschen BGB sieht als Regelfall anderes vor: Danach kann ein Käufer die gesetzlichen Gewährleistungsrechte nicht wegen eines Mangels geltend machen, den er bei Vertragsschluss kannte oder der ihm aufgrund grober Fahrlässigkeit verborgen blieb.
Allerdings ist § 442 I BGB abdingbar, das heißt die Parteien können etwas anderes vereinbaren. Da das Gewährleistungsregime in SPAs (Share Purchase Agreement) ohnehin zwischen den Parteien autonom verhandelt wird, finden sich in Unternehmenskaufverträgen in den allermeisten Fällen auch Klauseln zu der Frage, ob (und ggf. wie) die Kenntnis des Käufers von Mängeln die Geltendmachung von Garantieansprüchen ausschließen soll.
Die unterschiedlichen Sichtweisen zum Sandbagging
Verkäufer und Käufer beantworten diese Frage naturgemäß völlig unterschiedlich. Der Verkäufer hat ein Interesse daran, dass jegliche Kenntnis und grob fahrlässige Unkenntnis des Käufers von Mängeln die Garantieansprüche ausschließt (Anti-Sandbagging). Der Käufer wird das genaue Gegenteil wollen (Pro-Sandbagging). Sowohl die Pro-Sandbagging- als auch die Anti-Sandbagging-Clause in Reinkultur sind in SPAs die seltene Ausnahme.
Welche Motivation steht also möglicherweise hinter den Verhandlungen über Sandbagging-Clauses?
Der Vorteil einer Pro-Sandbagging-Clause liegt aus Sicht des Käufers darin, dass sich Garantieansprüche leichter durchsetzen lassen, da Streitigkeiten über das Vorliegen von Kenntnis entfallen. Da eine Pro-Sandbagging-Clause meist nicht durchsetzbar ist, wird es bei den Verhandlungen häufig darum gehen, welche „Kenntnis″ und welches „Wissen″ des Käufers für dessen Ansprüche schädlich ist und welchen Anforderungen die durch den Verkäufer erteilte Information gerecht werden muss.
Der Verkäufer wird häufig versuchen, den gesamten Inhalt des Datenraums und alle sonst erteilten Informationen als dem Verkäufer bekannt vorauszusetzen. Ziel des Käufers ist es, seine Kenntnis auf einzelne ihm gegenüber positiv offengelegte Umstände, zum Beispiel in Disclosure Schedules, zu begrenzen. Er kann zudem verhandeln, dass offengelegte Umstände jeweils nur spezifisch in Bezug auf die Garantie wirken, für die sie offengelegt wurden (specific disclosure) und nicht auf andere Garantien ausstrahlen (general disclosure). Außerdem können die Parteien das Konzept der zurechenbaren Kenntnis dadurch feinjustieren, dass sie festlegen, auf wessen Kenntnis (etwa nur die der Geschäftsführer) es ankommt und ob es sich um positive Kenntnis handeln muss oder ob eine abstrakte Kenntnis der den Mangel begründenden Umstände ausreicht.
Ohne „Pro-Sandbagging″-Klausel sieht sich der Käufer zudem dem Zwiespalt ausgesetzt, dass er bei einer sorgfältigen Due Diligence ggf. Risiken entdeckt, aus denen er dann keine Ansprüche mehr herleiten kann. Eine „Vogel-Strauß-Taktik″ nach dem Motto: „Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß″ wäre allerdings die falsche Reaktion, weil der Käufer die gefundenen Risiken bei der Kaufpreisbemessung berücksichtigen oder durch spezielle Garantien abdecken kann, die insoweit mit „Pro-Sandbagging″-Schutz ausgestattet sind.
Allerdings ist es auf den ersten Blick ein befremdliches Ergebnis, wenn ein Käufer einen ihm bekannten Umstand, der dem Verkäufer womöglich verborgen geblieben ist, frei nach dem Prinzip „Ich sehe was, was Du nicht siehst″, sowohl (verdeckt) in die Kaufpreisermittlung einbezieht als auch nach Signing oder Closing als Gewährleistungsfall geltend macht. Erschwerend kommt hinzu, dass der Käufer diese Kenntnis häufig nur deshalb haben wird, weil der Verkäufer ihm seine Bücher geöffnet und die Due Diligence überhaupt erst ermöglicht hat.
Der Verkäufer hingegen sollte sein Unternehmen gut genug kennen, um Risiken und Schwachstellen zum Gegenstand der Verhandlungen über die Reichweite der einzelnen Reps & Warranties zu machen. Bekannte Risiken können aus dem Anwendungsbereich von Garantien durch Disclosures ausgenommen werden. Bis zu einem gewissen Grad ist der Verkäufer ohnehin gesetzlich zur Offenlegung verpflichtet: Bekannte Mängel darf er nicht arglistig verschweigen, wenn er hierfür nicht in die Haftung geraten will. Fehlt dem Verkäufer eine ausreichende eigene Kenntnis, bietet sich für ihn im Regelfall die Durchführung einer (zumindest auf einzelne Bereiche fokussierten) Vendor Due Diligence an. So kann er den durch die Due Diligence des Käufers eventuell entstehenden Informationsasymmetrien entgegenwirken.
Sandbagging ist Verhandlungssache
Die offene Diskussion über bekannte (oder in der Due Diligence bekannt gewordene) Mängel ist im Regelfall die angemessene Vorgehensweise. Die sich daran anschließende klare Risikoallokation ist dem „was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß″-Ansatz des Käufers meist vorzuziehen. Ansonsten kann man im Vertrag nur sehr generische Regelungen treffen, die sich, wenn später ein Problem auftaucht, nicht selten als „knapp neben der Sache″ herausstellen.
Wie das Tauziehen um diese Fragen ausgeht, ist naturgemäß Verhandlungssache und von Fall zu Fall unterschiedlich. Aus anwaltlicher Sicht ist auf die genaue Formulierung des gesamten vertraglichen Kenntniskonzepts besonderes Augenmerk zu legen.