Das OLG Düsseldorf urteilte, dass eine juristische Person ihr Geschäftsführungsorgan nicht für Unternehmenskartellbußgelder in Regress nehmen kann.
Die Klägerinnen – eine Holding-AG sowie deren 100%ige Tochter-GmbH – sind Gesellschaften einer Unternehmensgruppe im Stahlsektor. Der Beklagte war Vorstandsvorsitzender der Holding-AG und Geschäftsführer der operativ tätigen GmbH. Er nahm von 2002 bis 2015 regelmäßig am Austausch wettbewerblich sensibler Informationen teil und traf mit Vertretern diverser anderer Stahlunternehmen wettbewerbswidrige Vereinbarungen.
Das Bundeskartellamt verhängte gegen die operativ tätige GmbH aufgrund dessen ein Bußgeld in Höhe von EUR 4,1 Mio. Die GmbH verlangt von dem Beklagten Schadensersatz in Höhe des gegen sie verhängten Bußgeldes. Die Holding-AG verlangt daneben Erstattung der in diesem Zusammenhang bei ihr angefallenen Aufklärungs- und Rechtsanwaltskosten in Höhe von mehr als EUR 1 Mio. Beide Klägerinnen begehren darüber hinaus die Feststellung, dass der Beklagte für alle Zukunftsschäden, die aus dem im Bußgeldbescheid dargestellten Wettbewerbsverstoß resultieren, hafte.
Unternehmenskartellbußgelder nicht regressfähig
In der ersten Instanz lehnte das LG Düsseldorf (Urteil v. 10. Dezember 2021 – Az. 37 O 66/20) die Regressfähigkeit des Unternehmenskartellbußgeldes sowie der geltend gemachten Aufklärungs- und Rechtsanwaltskosten ab. Im Übrigen stellte es fest, dass der Beklagte den Klägerinnen für Zukunftsschäden, die aus dem Wettbewerbsverstoß resultieren, hafte.
Das OLG Düsseldorf (Urteil v. 27. Juli 2023 – Az. 6 U 1/22) wies die Berufungen gegen das Urteil des LG Düsseldorf zurück und ließ die Revision zu.
Streit um die Regressfähigkeit von Unternehmenskartellbußgeldern
Ob die verantwortlichen Geschäftsführungsorgane für Unternehmenskartellbußgelder in Anspruch genommen werden können, ist umstritten und nicht höchstrichterlich entschieden. Weitgehende Einigkeit besteht darin, dass Bußgelder nicht vom verantwortlichen Geschäftsführungsorgan regressiert werden können, soweit sie der Gewinnabschöpfung dienen; dienen Bußgelder hingegen der Sanktionierung, wird die Regressfähigkeit aber von einer stark vertretenen Ansicht bejaht.
Auch das OLG Düsseldorf räumte ein, dass der Regress des Bußgeldes aufgrund seiner gravierenden Abschreckungswirkung geeignet erscheine, Geschäftsführungsorgane zu mehr Sorgfalt und der Vermeidung von Kartellrechtsverstößen anzuhalten. Unter Verweis auf die Besonderheiten des Kartellrechts sowie den Sinn und Zweck der Bußgeldvorschriften lehnte es die Möglichkeit eines Binnenregresses gleichwohl ab.
Teleologische Reduktion von § 93 Abs. 2 AktG bzw. § 43 Abs. 2 GmbHG
Nach § 93 Abs. 2 AktG bzw. § 43 Abs. 2 GmbHG ist Voraussetzung eines Organhaftungsanspruchs, dass ein Geschäftsführungsorgan eine ihm bei Ausübung seines Amtes obliegende Pflicht schuldhaft verletzt und der Gesellschaft dadurch ein ersatzfähiger Vermögensschaden entsteht. Der Beklagte hat nach Auffassung des OLG Düsseldorf zwar eine ihm bei Ausübung seines Amtes obliegende Pflicht schuldhaft verletzt, indem er vorsätzlich am Austausch der wettbewerblich sensiblen Informationen mitgewirkt habe. Das Unternehmenskartellbußgeld sei aber kein unter § 93 Abs. 2 AktG bzw. § 43 Abs. 2 GmbHG ersatzfähiger Schaden. Insoweit sei eine teleologische Reduktion angezeigt.
Dass im Kartellrecht getrennte Bußgelder gegen die handelnde Person und das Unternehmen festgesetzt werden, zeige, dass der Gesetzgeber sowohl die Geschäftsführungsorgane als auch die Gesellschaft als mögliche Haftungsadressaten vor Augen hatte. Beide sollen nach individuell abgestimmten Bemessungsfaktoren Bußgelder zahlen. Der Bußgeldrahmen für Unternehmen liegt dabei signifikant über dem für natürliche Personen. Durch die vom Gesetz vorgesehenen unterschiedlichen Rahmen und Zumessungsgesichtspunkte der Bemessung von Bußgeldern werde deutlich, dass der Gesetzgeber mit der Sanktionierung das rechtlich verselbständigte Vermögen des Unternehmens, nicht aber die natürliche Person nachhaltig belasten will. Daher könne es vom Gesetzgeber auch nicht gewollt sein, dass Bußgelder (nachträglich) auf das Geschäftsführungsorgan abgewälzt werden.
Darüber hinaus sieht der Senat die Gefahr, dass die beabsichtigte Sanktionswirkung des Unternehmensbußgeldes im Falle eines Rückgriffs leerlaufe. So könnten sich Unternehmen durch die Inanspruchnahme von Geschäftsführern und Vorständen faktisch ihrer kartellrechtlichen Bußgeldverantwortung entziehen. Das gelte erst recht, wenn Vorstand bzw. Geschäftsführer über eine „D&O-Versicherung″ haftpflichtversichert seien und die Deckungssumme weit über dem gegen das Unternehmen verhängte Bußgeld liege.
Im Hinblick auf den Regress von Unternehmenskartellbußgeldern sei § 93 Abs. 2 AktG bzw. § 43 Abs. 2 GmbHG daher teleologisch zu reduzieren, weil ansonsten der Sanktionszweck der Verbandsbuße unterlaufen würde.
Aufklärungs- und Verteidigungskosten
Auch die im unmittelbaren Zusammenhang zum Bußgeldverfahren stehenden Aufklärungs- und Verteidigungskosten nähmen als zusammenhängende Nebenforderungen an der teleologischen Reduktion teil.
Zukunftsschäden sind zu ersetzen
Der Senat hielt die auf Zukunftsschäden gerichteten Feststellungsklagen demgegenüber für begründet. Die Voraussetzungen des Organhaftungsanspruchs seien dem Grunde nach erfüllt. Die Schäden, die aus dem im Bußgeldbescheid dargestellten Wettbewerbsverstoß resultieren, sind also nicht von der teleologischen Reduktion erfasst.
Dies scheint folgerichtig, da insoweit der Sanktionszweck der Verbandsbuße von vornherein nicht betroffen ist. Denn bei diesen Schäden handelt es sich insbesondere um Schadensersatzansprüche von Kunden, die aufgrund des Wettbewerbsverstoßes geschädigt worden sind und die Gesellschaft diesbezüglich in Anspruch nehmen. Der Schaden tritt insoweit unabhängig vom Unternehmenskartellbußgeld ein.
Anspruchssicherung durch betroffene Unternehmen weiterhin geboten
Das OLG Düsseldorf hat im Ergebnis lediglich den ersatzfähigen Schaden in Gestalt des Unternehmenskartellbußgeldes verneint. Die übrigen Voraussetzungen des Organhaftungsanspruchs nach § 93 Abs. 2 AktG bzw. § 43 Abs. 2 GmbHG sah es als erfüllt an.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Eine höchstrichterliche Entscheidung der umstrittenen Rechtsfrage steht weiterhin aus, weshalb das Urteil keinesfalls Entwarnung für Geschäftsführungsorgane und D&O-Versicherer bedeutet. Dies zeigt auch eine erst vor kurzem ergangene Entscheidung der Kartellkammer des LG Dortmund (Urteil vom 21. Juni 2023 – Az. 8 O 5/22 (Kart)). Nach der vorläufigen Rechtsaufassung des LG Dortmund haftet ein ehemaliger Geschäftsführer auch für ein Unternehmenskartellbußgeld, wenn er an einem der Gesellschaft zurechenbaren Kartellrechtsverstoß mitgewirkt hat. Dies stelle keineswegs ein Unterlaufen der ordnungsrechtlichen Sanktionen dar, insbesondere würde die primäre Zahlungspflicht des bebußten Unternehmens nicht in Frage gestellt. Denn bekanntlich könnten die Unternehmenskartellbußgelder oftmals aufgrund ihrer Höhe ohnehin nicht in vollem Umfang vom Geschäftsführungsorgan zurückerlangt werden; außerdem dürfte die Deckungssummen von D&O-Versicherungen regelmäßig überschritten sein, sofern diese überhaupt in solchen Fällen zum Tragen kämen.
Es bleibt mithin abzuwarten, ob sich der BGH der Wertungsentscheidung des OLG Düsseldorf zur Ersatzfähigkeit des Schadens in Gestalt von Unternehmenskartellbußgeldern anschließt. Auch wenn die erste obergerichtliche Entscheidung zu dieser Frage als richtungsweisend betrachtet werden kann, sind die betroffenen Unternehmen weiterhin angehalten, etwaige Regressansprüche gegen die Geschäftsführungsorgane durch verjährungshemmende Maßnahmen zu sichern. Dies gilt erst recht im Hinblick auf die auch vom OLG Düsseldorf bejahten Ansprüche für etwaige Zukunftsschäden.