Das Stimmverbot des „Richtens in eigener Sache“ gilt auch für GbR-Gesellschafter. Das Urteil des BGH bleibt auch nach Änderungen durch das MoPeG relevant.
Mit Stimmverboten haben sich Gesellschafter* und Organmitglieder von Gesellschaften in der Praxis häufig auseinanderzusetzen. Wann Stimmverbote einschlägig sind, hängt allerdings von der Gesellschaftsform ab sowie davon, ob es sich um Gesellschafterversammlungen oder Sitzungen von Organen der Gesellschaft, zum Beispiel Vorstands- oder Aufsichtsratssitzungen, handelt.
Gesellschaftsrechtliche Stimmverbote sind im Gesetz nicht einheitlich geregelt. Allgemeine Regelungen von gesetzlichen Stimmverboten hat der Gesetzgeber nur für Kapitalgesellschaften, also für die Rechtsformen der GmbH und der AG, geschaffen. Für Personengesellschaften fehlt es dagegen an allgemeinen gesetzlichen Regelungen.
Ein Urteil des BGH (vom 17. Januar 2023 – II ZR 76/21) beschäftigt sich mit der Frage des Stimmverbots eines GbR-Gesellschafters und bietet damit Anlass, sich einen Überblick über Stimmverbote bei Kapital- und Personengesellschaften zu verschaffen sowie auch einen Blick auf die gesetzlichen Änderungen durch das am 1. Januar 2024 in Kraft tretende Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (MoPeG) zu werfen.
Trennung zwischen Stimmrecht und Teilnahmerecht
Das Recht der Beteiligung an der Willensbildung der Gesellschaft ist ein grundlegendes Mitgliedschaftsrecht eines Gesellschafters. Es ist zwischen dem grundsätzlich unentziehbaren Teilnahmerecht an der Willensbildung der Gesellschaft und dem Stimmrecht des Gesellschafters zu unterscheiden.
Stimmverbote betreffen lediglich die Stimmabgabe des Gesellschafters und führen nicht automatisch zu einem Teilnahmeverbot an der Gesellschafterversammlung. Vielmehr geht das Teilnahmerecht über das Stimmrecht hinaus und ist daher auch dann zu gewährleisten, wenn der Gesellschafter einem Stimmverbot unterliegt.
Für die Praxis bedeutet das, dass der Gesellschafter, unabhängig vom Bestehen eines Stimmverbots, die Möglichkeit haben muss, Diskussionen zu verfolgen, mitzugestalten und Argumente und/oder die eigene Sichtweise vorzutragen.
Stimmverbote in der GmbH
Das Gesetz normiert in § 47 Abs. 4 GmbHG vier Fälle, in denen ein Stimmverbot des Gesellschafters bei der Beschlussfassung in der Gesellschafterversammlung einer GmbH existiert. Ein Stimmverbot besteht demnach, wenn es um
- die Entlastung des Gesellschafters,
- die Befreiung von einer Verbindlichkeit des Gesellschafters,
- die Vornahme eines Rechtsgeschäfts gegenüber dem Gesellschafter oder
- die Einleitung oder Erledigung eines Rechtsstreits gegenüber dem Gesellschafter geht.
§ 47 Abs. 4 GmbHG liegt insbesondere der Gedanke zugrunde, dass niemand „Richter in eigener Sache“ sein darf. Deshalb gehen Rechtsprechung und Lehre davon aus, dass auch dann für einen Gesellschafter ein Stimmverbot besteht, wenn über Maßnahmen aus wichtigem Grund gegen ihn entschieden wird, zum Beispiel, wenn der Gesellschafter als Geschäftsführer aus wichtigem Grund abberufen wird. Allerdings ist § 47 Abs. 4 GmbHG nicht das allgemeine Prinzip zu entnehmen, dass das Stimmrecht eines Gesellschafters ausgeschlossen ist, wenn er sich in einem irgendwie gearteten Interessenkonflikt befindet. Eine solche Ausdehnung des Stimmverbots würde sich nach der Rechtsprechung zulasten der Rechtssicherheit auswirken.
Auch für den Aufsichtsrat einer GmbH gelten Stimmverbote. Bei der Beschlussfassung im Aufsichtsrat gelten jedoch lediglich § 34 BGB und § 47 Abs. 4 GmbHG analog; nach diesen Vorschriften ist ein Mitglied nicht stimmberechtigt, wenn sich die Beschlussfassung auf die Vornahme eines Rechtsgeschäfts mit ihm oder die Einleitung oder Erledigung eines Rechtsstreits ihm gegenüber bezieht. Weiter ist das Stimmrecht eines Aufsichtsratsmitgliedes ausgeschlossen, wenn ein schwerwiegender persönlicher Interessenkonflikt vorliegt. In welchen konkreten Fällen ein schwerwiegender persönlicher Interessenkonflikt vorliegt, ist noch nicht abschließend geklärt.
Stimmverbote in der AG
Eine Regelung für ein allgemeines Stimmverbot in der Hauptversammlung einer AG ist in § 136 Abs. 1 AktG normiert und umfasst drei Fälle, in denen ein Stimmverbot eines Aktionärs existiert. Ein Stimmverbot besteht demnach bei der Entscheidung der Hauptversammlung über
- die Entlastung,
- die Befreiung von einer Verbindlichkeit des Aktionärs oder
- die Geltendmachung eines Anspruchs gegen den Aktionär.
In Abweichung von § 47 Abs. 4 S. 2 Alt. 1 GmbHG gibt es jedoch im AktG kein Stimmverbot, wenn es um die Vornahme eines Rechtsgeschäfts mit dem Aktionär geht. Hierbei handelt es sich um eine bewusste gesetzgeberische Entscheidung bei der Schaffung des § 136 Abs. 1 AktG, denn die zuvor gültige Norm im AktG hatte einen solchen Tatbestand noch vorgesehen. Eine analoge Anwendung des Stimmverbotsfalls nach § 47 Abs. 4 S. 2 Alt. 1 GmbHG bei der Vornahme eines Rechtsgeschäfts mit dem Aktionär kommt demnach nicht in Betracht.
Stimmverbote können auch bei Beschlussfassungen in Sitzungen des Aufsichtsrats oder des Vorstands Anwendung finden.
Ein Aufsichtsratsmitglied unterliegt einem Stimmverbot nach § 34 BGB analog und nach § 111b Abs. 2 AktG
- bei Abstimmungen über den Abschluss eines Rechtsgeschäfts der AG mit dem Aufsichtsratsmitglied oder einer ihm nahestehenden Person,
- bei der Einleitung oder Erledigung eines Rechtsstreits gegenüber dem Aufsichtsratsmitglied,
- bei dessen Abberufung aus wichtigem Grund oder
- bei Beschlussfassungen über dessen Kandidatur zum Mitglied des Vorstands.
Vorbehaltlich des Stimmverbots des „Richtens in eigener Sache“ und der vorgenannten Tatbestände sind darüberhinausgehende Stimmverbote nach herrschender Ansicht nicht anerkannt, insbesondere gilt kein genereller Stimmrechtsausschluss beim Vorliegen von Interessenkollisionen. In welchem Fall das Aufsichtsratsmitglied einem Stimmverbot bei Aufsichtsratssitzungen unterliegt, entscheidet grundsätzlich der Vorsitzende des Aufsichtsrats, vorbehaltlich weiterer Bestimmungen in der Satzung.
Für Vorstandsmitglieder existiert für den Fall von Interessen- oder Pflichtenkollision ebenfalls kein generelles Stimmverbot in Vorstandssitzungen. Dies gilt insbesondere für Vorstandsdoppelmandate in Mutter- und Tochtergesellschaften. Jedoch besteht für Vorstandsmitglieder das Verbot des Selbstkontrahierens (§ 112 AktG) und ein Stimmverbot bei Abstimmungen über die eigene Entlastung (§ 136 Abs. 1 AktG). Darüber hinaus kann auch eine analoge Anwendung des § 136 Abs. 1 AktG in Betracht gezogen werden. Insbesondere bei Vorstandsdoppelmandaten soll das Vorstandsmitglied bei der Beschlussfassung im Vorstand über die Stimmabgabe in der Hauptversammlung der Tochtergesellschaft hinsichtlich der Entlastung des Vorstands ausgeschlossen sein. Ein solches Stimmverbot kann allerdings nur insoweit gelten, wie das Stimmverbot nicht zur Handlungsunfähigkeit des Vorstands führt. Ein solcher Fall liegt insbesondere bei einem einköpfigen Vorstand vor.
Stimmverbote in Personengesellschaften
Für Personengesellschaften wie beispielsweise die GbR, die OHG oder die KG finden sich im Gesetz keine Regelungen für Stimmverbote. Es sind lediglich einzelne Fälle des ungeschriebenen Stimmverbots des „Richtens in eigener Sache“ aus dem Gesetz ablesbar. Dieser Grundsatz ist gesetzlich in den Vorschriften der §§ 712 Abs. 1, 715, 737 S. 2 BGB, § 34 BGB, § 47 Abs. 4 S. 1 Fall 1 Satz 2, Fall 2 GmbHG, § 43 Abs. 6 GenG und § 136 Abs. 1 S. 1 AktG verankert und findet sowohl bei Kapitalgesellschaften als auch bei Personengesellschaften Anwendung.
Nun hat der BGH mit Urteil vom 17. Januar 2023 zur Thematik der Stimmverbote in der GbR Stellung bezogen. Im konkreten Fall entschied der BGH, dass der Gesellschafter einem Stimmverbot unterlag, weil in der Gesellschafterversammlung einer GbR über die Kündigung eines Vertrags abgestimmt wurde und der Beschluss darauf abzielte, ein Verhalten des Gesellschafters zu missbilligen.
Der BGH hat in seinem Urteil anerkannt, dass das Stimmverbot des „Richtens in eigener Sache“ in einem solchen Fall auch für Gesellschafter einer GbR Anwendung findet. Dem Urteil ist nicht zu entnehmen, dass die Maßstäbe des Stimmverbots nur für die GbR und nicht auch für andere Personengesellschaften Anwendung finden sollen. Die vom BGH dargelegten Grundsätze hinsichtlich des Stimmverbots bei der GbR sind daher auch auf andere Personengesellschaften, wie beispielsweise die OHG oder die KG, anzuwenden. Darüber hinaus hat der BGH ausdrücklich dargelegt, dass ein betroffener Gesellschafter auch im Personengesellschaftsrecht grundlegend einem Stimmverbot unterliegt, wenn es um die Beschlussfassung über
- die Entlastung des Gesellschafters,
- die Einleitung eines Rechtsstreits oder die außergerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen gegen den Gesellschafter oder
- die Befreiung des Gesellschafters von einer Verbindlichkeit geht.
Dies begründet der BGH damit, dass in diesen Fällen ebenfalls der allgemein geltende Grundsatz, dass niemand „Richter in eigener Sache“ sein darf, einschlägig sei.
Weiter hat der BGH in seinem Urteil hervorgehoben, dass auch die Trennung zwischen dem Stimmrecht und dem Teilnahmerecht bei der GbR Anwendung findet. Folglich ist dies auch im Rahmen von Gesellschafterversammlungen bei Personengesellschaften zu beachten.
Ausblick und Auswirkungen des MoPeG auf Stimmverbote in Personengesellschaften
Der BGH hat das dargestellte Urteil auf der Grundlage des noch aktuell geltenden Rechts getroffen. Das ab dem 1. Januar 2024 geltende MoPeG ändert an dieser Rechtsprechung des BGH jedoch nichts. Darüber hinaus wird es auch nach Inkrafttreten des MoPeG keine allgemeinen gesetzlichen Regelungen für Stimmverbote in Personengesellschaften geben.
Der Gesetzgeber hat bei der Konzeption des MoPeG von einer gesetzlichen Regelung zum Stimmverbot in Personengesellschaften abgesehen. In der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 19/27635, 150) heißt es hierzu, dass eine gesetzliche Regelung „zu einer misslichen Kasuistik führen würde“ und deshalb hiervon abgesehen wurde. Der Gesetzgeber begründet dies auch damit, dass im Hinblick
auf das neue Beschlussmängelrecht der Personenhandelsgesellschaften abzuwarten [ist], ob nicht der Anfechtbarkeit eines Beschlusses wegen Verletzung der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht der Vorzug vor einer starren gesetzlichen Regelung eines Stimmverbots zu geben ist.
So bleibt es auch nach dem Inkrafttreten des MoPeG Aufgabe der Rechtsprechung zu klären,
ob für einen Beschluss über den Abschluss eines Rechtsgeschäfts mit dem betroffenen Gesellschafter das Stimmverbot nach § 34 BGB, § 47 Abs. 4 GmbHG entsprechend gilt.
Die Entscheidung des BGH vom 17. Januar 2023 bleibt somit ungeachtet der Änderungen durch das MoPeG auch in Zukunft relevant.
Praxistipp: Um gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten zu vermeiden und Klarheit zu schaffen, empfiehlt es sich weiterhin, bei Personengesellschaften konkrete Regelungen zu Stimmverboten in den Gesellschaftsverträgen aufzunehmen.
* Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.