Bei Produkten die „auf Sicht“ gekauft werden gelten strengere Maßstäbe für die Verwechslungsgefahr.
Das OLG Frankfurt (Urteil v. 6. Februar 2025 – 6 U 277/21) hat entscheiden, dass trotz Zeichenähnlichkeit und (geringer) Warenähnlichkeit bei durchschnittlicher Kennzeichnungskraft der Marke eine Verwechslungsgefahr ausscheiden kann, wenn das Produkt „auf Sicht“ gekauft wird und ein unterschiedliches „Look & Feel“ aufweist
Markenrechtsstreit um ähnliche Zeichen für Fleisch und Teigwaren
Die Klägerin, eine Teigwarenherstellerin, nahm die Beklagte wegen einer Abnehmerverwarnung auf Unterlassung, Auskunft und Erstattung der Kosten eines Abschlussschreibens in Anspruch. Die Beklagte ist Inhaberin der seit 20. Juli 20219 eingetragenen Unionsmarke (UM) 18024381

mit Schutz für
Fleisch; Molkereiprodukte und deren Ersatzprodukte; Natürliche oder künstliche Wursthäute; Nicht lebende Fische, Meeresfrüchte und Weichtiere; Speiseöle und -fette; Suppen und Brühen, Fleischextrakte; Verarbeitetes Obst und Gemüse [einschließlich Nüsse, Hülsenfrüchte] sowie verarbeitete Pilze; Vogeleier und Eierprodukte; Zubereitete Insekten und Larven
in Klasse 29. Die Beklagte stellte selbst keine Teigwaren her, vertrieb aber welche.
Die Klägerin meldete die UM 18236425

an, die seit dem 28. August 2020 für
Teigwaren; Makkaroni; Nudeln; Cannelloni; Lasagne; Spaghetti; Gnocchi; Ravioli; Tortellini; Vollkornteigwaren; Frische Teigwaren; Getrocknete Nudeln; Gefüllte Nudeln; Teigwaren aus Reis; Quinoa-Nudeln; Linsennudeln; Zubereitete Teigwaren; Teigwaren für Suppen; Fertiggerichte, die vorwiegend Teigwaren enthalten; Getrocknete und frische Teigwaren, Nudeln und Klöße
in Klasse 30 eingetragen ist
Die Beklagte erwarb am 19. Oktober 2020 von einem Abnehmer der Klägerin Pasta, die mit der UM 18236425 der Klägerin gekennzeichnet war. Die Beklagte mahnte den Abnehmer daraufhin ab. Hiergegen ging die Klägerin vor.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Im Rahmen der Berufung hat der Senat die Klage mit Urteil vom 17. November 2022 aber zunächst abgewiesen. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin hat der Bundesgerichtshof das Senatsurteil vom 17. November 2022 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Trotz Waren- und Zeichenähnlichkeit keine Verwechslungsgefahr: Unterscheidung durch „Look & Feel“ beim Kauf „auf Sicht“
Die Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg. Der Unterlassungsantrag der Klägerin wegen eines Eingriffs in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb aus §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 S. 2 (analog) BGB sei begründet. Die Abnehmerverwarnung sei mangels Begründetheit der geltend gemachten Ansprüche der Beklagten unberechtigt gewesen. Zwischen den eingetragenen Zeichen bestehe keine Verwechslungsgefahr nach Art. 9 Abs. 2 lit. b UMV. Die sich gegenüberstehenden Zeichen seien zwar aufgrund des übereinstimmenden Wortbestandteils klanglich als auch begrifflich identisch sowie bildlich ähnlich und es bestehe zudem eine (geringe) Warenähnlichkeit bei durchschnittlicher Kennzeichnungskraft der Marke der Beklagten.
Eine Verwechslungsgefahr sei anhand aller Umstände des konkreten Einzelfalls dennoch ausnahmsweise zu verneinen. Denn die wechselseitig in Rede stehenden Lebensmittel, insbesondere die von der Beklagten mit der Abnehmerverwarnung angegriffenen Penne-Nudeln, würden üblicherweise „auf Sicht“ gekauft werden und gerade nicht auf Grund von Empfehlungen, Nachfragen oder telefonischen Bestellungen. Somit stünde das „Look & Feel“ einer Verwechslungsgefahr entgegen. Der angesprochene Adressatenkreis, orientiere sich bei einem „Kauf auf Sicht“ nämlich zuvorderst am Grundstoff (Weizenmehl, etc.), an der Form der Pasta oder der Umverpackung. Hinzu komme, dass sich die jeweils gegenüberstehenden Bildbestandteile einschließlich der grafischen Gestaltung der Schriftzüge deutlich unterscheiden. Für den Verkehr bestehe daher kein Anlass zu der Annahme, dass die fraglichen Waren vom selben oder jedenfalls von wirtschaftlich miteinander verbundenen Unternehmen stammen. Bei anderer Bewertung würde dem nur gering kennzeichnungskräftigen Wortbestandteil der Bildmarke der Beklagten faktisch isoliert Schutz beigemessen werden.
Auch die von der Beklagten geltend gemachten Wettbewerbsverstöße nach §§ 3, 4 Nr. 3 Buchst. a und b, Nr. 4 UWG seien nicht begründet. Eine vermeidbare Täuschung der Abnehmer über die betriebliche Herkunft scheitere bereits daran, dass aus der Rückseite der Umverpackung klar hervor ginge, wer Hersteller (die Klägerin) und Vertreiber der Nudeln war.Ferner sei für eine Rufbeeinträchtigung weder dargetan noch ersichtlich, dass die Ware der Beklagten über eine entsprechende Wertschätzung verfügt. Allein aus einer Verwässerungsgefahr für die Marke folge noch keine gezielte Mitbewerberbehinderung.
Umsetzung der europäischen Rechtsprechung
Der Senat ist mit dem vorliegenden Urteil der europäischen Rechtsprechung gefolgt, wonach die Zeichenähnlichkeit bei der Beurteilung der Verwechslungsgefahr in den Hintergrund treten kann, wenn Produkte auf Sicht gekauft werden. Der BGH und die überwiegende Rechtsprechung der Senate waren dem bislang nicht gefolgt.