Der Entwurf für ein neues Zustimmungsgesetz zum Übereinkommen über die Schaffung des europäischen Einheitlichen Patentgerichts wurde in den Bundestag eingebracht und beraten.
Im März 2020 hat das Bundesverfassungsgericht das Zustimmungsgesetz zu dem Übereinkommen vom 19. Februar 2013 über ein Einheitliches Patentgericht (EPGÜ) aus formellen Gründen für nichtig erklärt. Nur wenige Tage später erklärte die Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz Christine Lambrecht, dass noch in der laufenden Legislaturperiode ein neues Zustimmungsgesetz formal einwandfrei erlassen werden soll und so auch die Ratifikation des Übereinkommens durch Deutschland im Jahr 2021 erfolgen soll.
Ein neuer Gesetzentwurf wurde am 28. September 2020 zur parlamentarischen Abstimmung in den Bundestag eingebracht. Am 8. Oktober 2020 fand die erste Lesung statt und der Gesetzentwurf wurde zur Diskussion in die zuständigen Ausschüsse überwiesen.
Ausscheiden des Vereinigten Königreichs soll das Inkrafttreten des EPGÜ nicht beeinträchtigen
Durch erneute Abstimmung über den Gesetzentwurf im Bundestag und Bundesrat soll der vom BVerfG festgestellte Formmangel überwunden werden. Auf die Tatsache, dass zwischenzeitlich das Vereinigte Königreich aus der EU ausgeschieden ist und im Nachgang zum Brexit auch bereits bekannt gegeben hat, an dem europäischen Einheitspatentsystem nicht mehr teilnehmen zu wollen, wird in der Einleitung des Gesetzentwurfs kurz eingegangen. Diese kurzen Bemerkungen haben einigen Zündstoff in sich, der selbst bei einem Gesetzesbeschluss mit der erforderlichen qualifizierten Mehrheit noch für erhebliche Diskussionen sorgen kann.
Der Gesetzentwurf führt aus, dass der aufgrund des Brexits erfolgende Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU und auch dem EPGÜ der Durchführung des Übereinkommens nicht entgegenstehen. Die Regelungen zum Inkrafttreten im EPGÜ sollten sicherstellen, dass die drei patentaktivsten am Übereinkommen beteiligten Staaten, die Bundesrepublik Deutschland, Frankreich und Großbritannien, zum Start des europäischen Einheitlichen Patentgerichts am Gerichtssystem teilnehmen können. Die Regelungen zum Inkrafttreten seien dahingehend auszulegen, dass ein von niemanden vorhersehbares Ausscheiden eines der drei Staaten das Inkrafttreten des EPGÜ für die verbleibenden Staaten nicht beeinträchtige.
Tatsächlich benennt Art. 89 Abs. 1 EPGÜ nicht explizit das Vereinigte Königreich als Mitgliedstaat, sondern knüpft dessen Inkrafttreten unter anderem an die Ratifizierung
durch die drei Mitgliedstaaten, in denen es im Jahr vor dem Jahr der Unterzeichnung des Übereinkommens die meisten geltenden europäischen Patente gab.
Scheidet das Vereinigte Königreich aus dem EPGÜ aus, so verliert es seinen Status als Mitgliedstaat des EPGÜ. Dadurch soll automatisch Italien als patentaktivstes Land unter den Verbleibenden nachrücken.
Vereinigtes Königreich bereits rechtskonform aus dem EPGÜ ausgeschieden?
Das Vereinigte Königreich ist bereits aus der EU ausgeschieden. Zudem hat das Vereinigte Königreich am 20. Juli 2020 offiziell seine Ratifikationsurkunde zum EPGÜ zurückgenommen.
Bislang uneinheitlich wird beurteilt, ob diese Rücknahme allein für das rechtskonforme Ausscheiden aus dem EPGÜ genügt, oder eine weitere Aufkündigung seitens des Vereinigten Königreichs notwendig ist. Das EPGÜ selbst enthält keine Regelung zum Rücktritt oder der Kündigung durch einen Mitgliedstaat. Die anwendbare Wiener Vertragsrechtskonvention sieht die Möglichkeit eines Rücktritts / einer Kündigung lediglich dann vor, wenn das entsprechende Übereinkommen entweder vorläufig angewendet wird (Art. 25) oder bereits in Kraft steht (Art. 54 und 56). Auf das EPGÜ treffen beide Voraussetzungen allerdings noch nicht zu.
Sollte das Vereinigte Königreich noch nicht rechtskonform aus dem EPGÜ ausgeschieden sein, ergibt sich aufgrund des bereits erfolgten Austritts aus der EU eine Schwebelage. Mit Blick hierauf hat das Mitglied des Europäischen Parlaments Patrick Breyer in zwei Anfragen zur schriftlichen Beantwortung an die Europäische Kommission und an den Rat im Mai und Juni 2020 die Frage aufgeworfen, ob Deutschland derzeit überhaupt das EPGÜ ratifizieren darf. Gemäß der Rechtsprechung der EU (EuGH, Urteil v. 31. März 1971 – 22/70) dürfen Mitgliedstaaten keine Übereinkommen mit Drittländern eingehen, die die Rechtvorschriften der EU beeinträchtigen oder ihren Geltungsbereich ändern.
Das Vereinigte Königreich gilt seit dem Brexit als „Drittland“. Die EU könne zwar gemeinsam mit dem Vereinigten Königreich Verpflichtungen in Bezug auf Patentgerichtsverfahren eingehen, doch die Mitgliedstaaten hätten nicht mehr das Recht dazu.
Die Kommission hat am 15. Juli 2020 geantwortet, dass sie eine rasche Ratifizierung des EPGÜ durch Deutschland begrüßen würde. Sie stellt darüber hinaus fest, dass das Vereinigte Königreich nach dem Ende des Übergangszeitraums nach dem Brexit nicht am Einheitspatentsystem beteiligt sein wird, da dies nur EU Mitgliedstaaten offenstehe. Dies impliziert freilich, dass es keiner formalen Aufkündigung des EPGÜ durch das Vereinigte Königreich mehr bedarf.
Übergangslösung: Kammerstandorte München und Paris übernehmen Zuständigkeit der Londoner Abteilung
Das EPGÜ sieht in Art. 7 Abs. 2 weiterhin ausdrücklich vor, dass die erstinstanzliche Zentralkammer des europäischen Einheitlichen Patentgerichts ihren Sitz in Paris sowie weitere Abteilungen in München und London hat. Nach den Ausführungen im Gesetzentwurf soll das Übereinkommen aber nicht so ausgelegt werden können, dass ein Kammerstandort in einem ursprünglichen Mitgliedstaat, der aus dem EPGÜ ausgestiegen ist, errichtet bzw. belassen werden soll.
Nach Art. 65 Abs. 1, 7 Abs. 2 in Verbindung mit Anhang 2 zum EPGÜ ist die Londoner Zentralkammer-Abteilung für Patentstreitverfahren in den wichtigen Bereichen Täglicher Lebensbedarf, Chemie und Hüttenwesen zuständig. Deren Fortfall durch den Ausstieg des Vereinigten Königreichs aus dem EPGÜ führe deshalb zu einem zumindest übergangsweisen Anwachsen dieser Zuständigkeiten bei der fortbestehenden Pariser Zentralkammer und der Münchener Abteilung.
Derzeit ist aber noch unklar, wie die in die Zuständigkeit der Londoner Abteilung fallenden Bereiche vorübergehend auf die beiden verbleibenden Einheiten in Paris und München verteilt werden. Mit einer solchen Übergangslösung haben sich aber angeblich alle EPGÜ-Mitgliedstaaten einverstanden erklärt. Dadurch soll eine weitere Verzögerung, die durch die Einigung darüber, wo eine neue, die Londoner Abteilung ersetzende Einheit lokalisiert wird, vermieden werden.
Bislang haben angeblich Italien (Mailand), Frankreich und die Niederlande Interesse an einer Abteilung gezeigt. Es ist aber davon auszugehen, dass weitere Interessenten sich melden und dann auch die Zuständigkeitsverteilung grundsätzlich nochmals neu zwischen den EPGÜ-Mitgliedstaaten verhandelt und dadurch letztendlich das EPGÜ entsprechend geändert wird.
Der weite Weg zum europäischen Einheitspatentsystem
Durch das Einbringen des Gesetzentwurfs in den Bundestag ist ein weiterer Schritt auf dem Weg zum Einheitlichen Patentgericht und dem europäischen Patent mit einheitlicher Wirkung vollzogen worden. Es bleibt aber abzuwarten, ob die Beschlussfassung durch Bundestag und Bundesrat über den Gesetzentwurf für das neue Zustimmungsgesetz – diesmal jeweils mit der erforderlichen Zwei-Drittel-Mehrheit der Mitglieder – wirklich so reibungslos erfolgt, wie geplant.
Die durch den Brexit verursachte Schwebelage und die Frage des rechtskonformen Ausscheidens des Vereinigten Königreichs aus dem EPGÜ mag zudem noch zu rechtlichen Diskussionen führen. Durch den Austritt des Vereinigten Königreichs aus dem EPGÜ verliert dieses jedenfalls einen der patentaktivsten Mitgliedstaaten und das europäische Einheitspatentsystem somit an Attraktivität für die Wirtschaft. Daneben ist aufgrund des Wegfalls der Londoner Abteilung der Zentralkammer in Zukunft zwischen den Mitgliedstaaten des EPGÜ zu bestimmen, wer deren Kompetenzen dauerhaft übernehmen wird. Die Verhandlungen darüber könnten sich langwierig und schwierig gestalten. Schließlich ist nicht auszuschließen, dass gegen das neue Zustimmungsgesetz erneut eine Verfassungsbeschwerde beim BVerfG eingelegt und dadurch nochmals für eine erhebliche Verzögerung gesorgt wird.
Bis zur Einführung des europäischen Patents mit einheitlicher Wirkung sowie des europäischen Einheitlichen Patentgerichts und der Klärung damit einhergehender Konflikte scheint insofern weiterhin noch ein steiniger Weg vor Deutschland und den anderen Mitgliedstaaten des EPGÜ zu liegen. Allerdings wurden in der Geschichte der Bestrebungen zur Reformierung des europäischen Patentsystems bereits verschiedene andere rechtliche und politische Schwierigkeiten überwunden.