8. November 2024
internationale Zuständigkeit UPC
Patentrecht & Gebrauchsmusterrecht

UPC: (Internationale) Zuständigkeit und Begriff des Vertragsmitgliedsstaats des EPGÜ

Die Lokalkammer Den Haag hat in einer Anordnung u.a. zum Begriff des Vertragsmitgliedsstaats und zur internationalen Zuständigkeit Stellung genommen.

Die Anordnung der Lokalkammer Den Haag vom 19. Juni 2024 (UPC_CFI_130/2024, ACT_14944/2024) setzt sich mit einer Reihe komplexer (Verfahrens-)Fragen auseinander: Der Auslegung von Klageanträgen, dem Begriff des Vertragsmitgliedsstaats im Sinne des Übereinkommens über ein Einheitliches Patentgericht (EPGÜ), der internationalen Zuständigkeit des Einheitlichen Patentgerichts (Unified Patent Court, UPC) und der Dringlichkeit von Klagen auf Erlass einstweiliger Maßnahmen.

In einer Anordnung vom 19. August 2024 bzgl. des Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Berufung hat auch das Berufungsgericht des UPC bereits zu einigen der o.g. Punkte Stellung genommen.

Verfahrensablauf

Die Klage auf Erlass von einstweiligen Maßnahmen stützt sich auf eine vermeintliche Verletzung des Verfügungspatents EP 2 713 879 B1 (Titel: „Analytsensorvorrichtungen, Verbindungen damit und Verfahren dafür“). Das Verfügungspatent steht in Deutschland, Frankreich, den Niederlanden und Irland in Kraft, welche nach Ansicht der Klägerin und Patentinhaberin (Abbott Diabetes Care, Inc.) sämtlich Vertragsmitgliedsstaaten des EPGÜ sind. Zunächst wurde das Verfügungspatent der Zuständigkeit des UPC entzogen (sog. „Opt-Out“), doch die Klägerin erklärte vor Einreichung der Klage auf Erlass einstweiliger Maßnahmen den Rücktritt vom Opt-Out (vgl. dazu Regel 5.7 der Verfahrensordnung (VerfO)). Die Beklagten brachten das vermeintlich patentverletzende Produkt Ende 2023 auf den europäischen Markt, die Erhebung der Klage auf Erlass einstweiliger Maßnahmen erfolgte am 20. März 2024. Betreffend das Verfügungspatent war eine Schutzschrift (vgl. dazu Regel 207 VerfO) hinterlegt, die der Klägerin nach Einreichung der Klage zugeleitet wurde. Trotz der Schutzschrift hielt die Klägerin an ihrer Klage fest. In ihrer Klage beantragte die Klägerin u.a. Unterlassung der patentverletzenden Handlungen der Beklagten in allen Vertragsmitgliedsstaaten des EPGÜ, in denen das Verfügungspatent in Kraft steht.

Die Beklagten nahmen zur Klage Stellung und übermittelten eine einseitige Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung, die u.a. das Entfernen des vermeintlich patentverletzenden Produkts von den Märkten in Deutschland, Frankreich und den Niederlanden vorsah. Vor diesem Hintergrund argumentieren die Beklagten, dass die Klage sich erledigt habe, weshalb diese nach Regel 360 VerfO abzuweisen sei.

Die Entscheidung der Lokalkammer Den Haag – Auslegung des Klageantrags

Zunächst setzt sich die Lokalkammer mit der Frage auseinander, ob sich ihre Zuständigkeit auch auf Irland erstreckt. Dies sei nur dann der Fall, wenn es sich bei Irland um einen Vertragsmitgliedsstaat des EPGÜ handelt. Nach Art. 2 lit. c) EPGÜ ist Vertragsmitgliedsstaat ein Mitgliedstaat, der Vertragspartei des EPGÜ ist. Irland hat das EPGÜ unterzeichnet, eine Ratifikation des EPGÜ steht noch aus. Nach Auffassung der Lokalkammer reiche die Unterzeichnung des EPGÜ indes aus und sie sieht Irland daher als Vertragsmitgliedsstaat des EPGÜ an, weshalb der Klageantrag so auszulegen sei, dass er sich auch auf Irland erstrecke. 

Internationale Zuständigkeit des UPC

Diesbezüglich stellt die Lokalkammer Den Haag lediglich fest, dass die Beklagten die (internationale) Zuständigkeit des UPC für Irland nicht bestritten hätten. Daher folge die internationale Zuständigkeit des UPC aus Art. 31 EPGÜ und Art. 26, 35, 71, 71a und 71b VO Nr. 1215/2012 (Brüssel-Ia-Verordnung). Zudem sei Art. 24 (Nr. 4) Brüssel-Ia-Verordnung nicht anwendbar, da die Beklagten keinen Nichtigkeitseinwand erhoben hätten.

Keine Erledigung der Klage durch die Abgabe der Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung

Nach der Lokalkammer Den Haag habe die Klägerin trotz der Abgabe der Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung ein Interesse am Erlass der einstweiligen Maßnahmen, u.a. deshalb, da die Beklagten gegen die Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung verstoßen haben. Dies entspricht der deutschen Rechtsauffassung, nach der (erneut) Unterlassung beantragt werden kann, wenn gegen eine abgegebene Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung verstoßen wird.

Nach der Lokalkammer Den Haag bestünde das Interesse der Klägerin am Erlass der beantragten einstweiligen Maßnahmen aber auch ungeachtet der Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung fort. Insoweit führt die Lokalkammer aus, dass der Erlass einstweiliger Maßnahmen als Gerichtsentscheidung bei einem Verstoß hiergegen einfach vollstreckt werden kann, während die Geltendmachung des Verstoßes gegen eine Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung ein neues Gerichtsverfahren erfordern würde. Diese Ansicht steht in Widerspruch zur derjenigen, die die Lokalkammer München in ihrer Anordnung vom 19. Dezember 2023 vertreten hat (Abgabe einer Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung als erledigendes Ereignis im Sinne der Regel 360 VerfO).

Zudem ist die Vollstreckung aus einer einstweiligen Maßnahme mindestens genauso aufwendig wie die Vollstreckung einer Vertragsstrafe, da Entscheidungen und Anordnungen des UPC zwar nach Art. 82 Abs. 1 EPGÜ in allen Vertragsmitgliedsstaaten vollstreckbar sind, das Vollstreckungsverfahren aber dem Recht des Vertragsmitgliedsstaats unterliegt, in dem die Vollstreckung erfolgt, s. Art. 82 Abs. 3 EPGÜ.

Einwand der fehlenden Dringlichkeit unsubstantiiert und verspätet vorgebracht

Erst in der mündlichen Verhandlung haben die Beklagten vorgetragen, es fehle an der erforderlichen Dringlichkeit, da die Klägerin erst mehr als sechs Monate nach Kenntnis des Verletzungsgegenstands und der (möglichen) Verletzer die Klage auf Erlass der einstweiligen Maßnahmen eingereicht habe. Zunächst stellt die Lokalkammer Den Haag insoweit fest, dass die Behauptung unschlüssig und zudem nicht mit Beweisantritten versehen und allein deshalb zurückzuweisen sei. Zudem sei der Vortrag zu spät ins Verfahren eingeführt worden und daher nicht zu berücksichtigen. Wäre der Vortrag zugelassen worden und begründet gewesen, hätte das Verhalten der Klägerin ggf. dringlichkeitsschädlich sein können, da nach der Anordnung der Lokalkammer Hamburg vom 3. Juni 2024 jedenfalls ein Zeitraum von drei Monaten ab Kenntnis ohne das Einleiten von (gerichtlichen) Maßnahmen dringlichkeitsschädlich ist.

Die Anordnung des Berufungsgerichts bzgl. des Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Berufung

Die Beklagten legten gegen die Anordnung der Lokalkammer Den Haag Berufung ein. Grds. hat die Einlegung der Berufung keine aufschiebende Wirkung und hindert daher die Vollstreckbarkeit der erstinstanzlichen Entscheidung nicht, vgl. Art. 74 Abs. 1 EPGÜ. Das Berufungsgericht kann aber die aufschiebende Wirkung auf begründeten Antrag hin anordnen. Dies ist etwa dann möglich, wenn die Entscheidung, gegen die die Berufung eingelegt wurde, offensichtlich fehlerhaft ist. Nach dem Berufungsgericht ist die Anordnung der Lokalkammer Den Haag offensichtlich fehlerhaft, soweit sie sich auch auf Irland erstreckt. Denn nach dem Berufungsgericht ist Irland kein Vertragsmitgliedsstaat des EPGÜ, da es bislang das EPGÜ zwar unterzeichnet, aber noch nicht ratifiziert hat. Aus Art. 84 Abs. 2 EPGÜ ergebe sich das Erfordernis der Ratifikation des EPGÜ, um als Vertragsmitgliedsstaat behandelt werden zu können. Daher sei Irland schon nicht vom Klageantrag umfasst gewesen, weshalb die Lokalkammer mehr zugesprochen habe als beantragt, was einen Verstoß gegen Art. 76 EPGÜ darstelle. Daher hat das Berufungsgericht die aufschiebende Wirkung angeordnet, soweit sich die Anordnung der Lokalkammer Den Haag auch auf Irland erstreckt. Im Übrigen hat das Berufungsgericht den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung zurückgewiesen.

Praktische Konsequenzen der Anordnung der Lokalkammer Den Haag

Um von vornherein keine Zweifel an der (territorialen) Reichweite des Klageantrags aufkommen zu lassen, empfiehlt es sich, in den (Unterlassungs-)Antrag diejenigen Vertragsmitgliedsstaaten aufzunehmen, in denen Unterlassung begehrt wird.

Klägern auf Erlass einstweiliger Maßnahmen ist zudem dazu zu raten, jedenfalls innerhalb von drei Monaten nach Kenntnis des Verletzungsgegenstands und des Verletzers (gerichtliche) Maßnahmen in die Wege zu leiten, da ansonsten die für den Erlass einstweiliger Maßnahmen erforderliche Dringlichkeit fehlen dürfte.

Zu beachten ist schließlich, dass entsprechend der deutschen Handhabung der Verstoß gegen eine Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung die Dringlichkeit erneut in Gang setzt und ein neues Klagerecht bzgl. einstweiliger Maßnahmen begründet.

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