LG München zur Reichweite des Verfahrensschutzes und des derivativen Erzeugnisschutzes eines patentrechtlich geschützten Verfahrens für Gentests.
Das Landgericht München hatte sich in seiner Entscheidung mit der Reichweite des Verfahrensschutzes und des derivativen Erzeugnisschutzes nach § 9 Satz 2 Nr. 2 und 3 PatG im Falle eines patentrechtlich geschützten Verfahrens für Gentests auseinanderzusetzen (LG München I, Urteil vom 20. November 2014, 7 O 13161/14 – FLT3-Gentest).
Der Sachverhalt war dabei unter anderem dadurch gekennzeichnet, dass die Handlungen der Beklagten arbeitsteilig und überwiegend nicht in Deutschland stattfanden. Hier ist das Verfahren im Gegensatz zum Ausland patentrechtlich geschützt. Vor allem das Ergebnis des Gentests fand in Deutschland Verwendung.
Das Landgericht verneint eine Patentverletzung. Es stellt insbesondere darauf ab, dass das Ergebnis des Gentests als bloße Information nicht als „Erzeugnis“ im Sinne von § 9 Satz 2 Nr. 3 PatG anzusehen sei.
Arbeitsteiliges Vorgehen: eigentlicher Gentest in Tschechien durchgeführt
Der patentrechtlich geschützte Gegenstand betraf ein Verfahren zur Durchführung eines Gentests. Mit diesem kann eine Prognose über den schlechten Verlauf einer akuten myeloischen Leukämie erstellt werden. Hierfür wird eine bestimmte Nukleinsäure in der Serumprobe eines Patienten nachgewiesen. Die Nukleinsäure codiert eine Tandemverdopplungsmutation in einer Nukleotidsequenz der Juxtamembran eines Rezeptors, der eine Tyrosinkinase-Domäne enthält (im konkreten Fall die sog. „fms-ähnliche Tyrosinkinase 3″ oder kurz „FLT3“). Dem Rezeptor kommt eine wichtige Rolle bei der Steuerung der Zellteilung des blutbildenden Systems zu.
Das Verfahren zeichnet sich durch zwei Schritte aus. In einem ersten Schritt wird das aus der Serumprobe eines Patienten gewonnene Nukleinsäurefragment, dass das relevante FLT3-Gen umfasst, amplifiziert (= vervielfältigt). Den zweiten Schritt stellt der Nachweis der Anwesenheit der Tandemverdopplungsmutation in dem Nukleinsäurefragment dar.
Das Interessante war, dass die Beklagten die vorstehend beschriebenen Schritte nicht in Deutschland und damit im Schutzgebiet des geltend gemachten deutschen Teils des europäischen Patentes ausführten. Vielmehr gingen sie arbeitsteilig vor. Der eigentliche Gentest wurde von der Beklagten zu 2) im patentfreien Tschechien durchgeführt.
Die Beklagten zu 1) und 3) boten in enger Zusammenarbeit über ihre für den deutschen Markt bestimmten Webseiten allgemein die Durchführung von Gentests an. Sie entsandten Mitarbeiter an die Beklagte zu 2) zur Durchführung des patentrechtlich geschützten Gentests. Zudem nahm die Beklagte zu 3) die eingesandten Serumproben in Empfang und bereitete dieses in einem für molekulargenetische Untersuchungen im Allgemeinen üblichen Umfang auf. Sie führte hierzu eine Zellaufbereitung und eine Extraktion sämtlicher in den Proben enthaltener Nukleinsäuren durch.
Eine spezifische, auf den patentrechtlich geschützten Gentest abgestimmte, Aufbereitung fand nicht statt. Zwischen den Beklagten zu 2) und 3) bestand schließlich ein Kooperationsvertrag, der sich unter anderem auch auf die Untersuchung der Patientenproben mittels des patentrechtlich geschützten Verfahrens durch die Beklagte zu 2) bezog.
Die mit dem Gentest verbundenen Kosten der Beklagten zu 2) übernahm die Beklagte zu 3). Nach Durchführung des Gentests übermittelte die Beklagte zu 2) das Ergebnis direkt an den Auftraggeber. Zudem übersandte sie eine Kopie des Testberichts an die Beklagten zu 1) und 3). Gegenüber dem Auftraggeber rechneten die Beklagten nur die in Deutschland ausgeführten Leistungen ab.
Mindestens ein Verfahrensschritt muss im Inland durchgeführt werden um Anspruch zu begründen
Nach Ansicht des Landgerichtes stellt das arbeitsteilige Vorgehen der Beklagten keine Verletzung des deutschen Teils des europäischen Patents dar.
Ein Anwenden des patentrechtlich geschützten Verfahrens oder ein Anbieten einer entsprechenden Anwendung im Geltungsbereich des PatG im Sinne von § 9 Satz 2 Nr. 2 PatG läge nicht vor. Die beiden Schritte, die Bestandteil des geschützten Gentests seien, nämlich die Amplifizierung der relevanten Nukleotidsequenz und der Nachweis der Tandemverdopplungsmutation, würden nicht in Deutschland, sondern in Tschechien erfolgen.
Die von den Beklagten zu 1) und 3) vorgenommenen unspezifischen molekularbiologischen Vorbereitungshandlungen seien zwar eine notwendige Bedingung. Dies alleine genüge indes nicht. Vielmehr sei zu verlangen, dass zumindest ein anspruchsgemäßer Verfahrensschritt im Inland durchgeführt werde (vgl. insoweit auch OLG Düsseldorf, Urteil vom 10. Dezember 2009, I-2 U 51/08 – Prepaid-Telefonkarte).
Ergebnis eines Gentests als Information kein Erzeugnis
Zudem sei auch eine Patentverletzung im Sinne des sog. derivativen Erzeugnisschutzes nicht gegeben. Gemäß § 9 Satz 2 Nr. 3 PatG liegt die Verletzung eines Verfahrenspatentes vor, wenn ein Erzeugnis ohne Zustimmung des Patentinhabers in den Verkehr gebracht oder gebraucht oder zu diesen Zwecken eingeführt oder besessen wird. Es muss unmittelbar durch das patentgemäße Verfahren hergestellt worden sein.
Nach Ansicht des Landgerichtes sei in dem Ergebnis des Gentests indes kein Erzeugnis in diesem Sinne sondern lediglich eine bloße Information zu sehen. Zwar könnten grundsätzlich auch unkörperliche Gegenstände als Erzeugnis im Sinne von § 9 Satz 2 Nr. 3 PatG in Betracht kommen. Hierfür müssten jedoch drei Voraussetzungen erfüllt sein.
Erstens müsse der unkörperliche Gegenstand in gleichem Maße wie ein körperlicher Gegenstand handelbar sowie mit Hilfe von Speicher- und ggf. auch Wiedergabemedien immer wieder benutzbar sein. Zweitens müsse ihm wegen der Handel- und Wiederbenutzbarkeit ein Marktwert zukommen, der sich nicht allein in der einmaligen Informationsübermittlung erschöpfe. Schließlich sei zu verlangen, dass der unkörperliche Gegenstand eine Prägung durch die erfindungswesentlichen Merkmale des geschützten Verfahrens erfahren habe.
Diese Voraussetzungen seien etwa in dem vom BGH entschiedenen Fall „MPEG-2-Videosignaldecodierung“ erfüllt gewesen (BGH, Urteil vom 21. August 2012, X ZR 33/10). Die mittels des MPEG-2-Verfahren decodierten Videosignale könnten immer wieder aufs Neue veräußert und mittels dafür vorgesehener Geräte abgespielt werden, weshalb sie ihren wirtschaftlichen Wert behielten. Die Videodaten seien in ihrem Inhalt und ihrer Zusammenstellung auch durch das Kodierverfahren geprägt. Im Gegensatz dazu verliere jedoch das Ergebnis des Gentest mit der Übermittlung der Information an den behandelnden Arzt bzw. Patienten seinen wirtschaftlichen Wert. Das Testergebnis, also die Antwort zu der Frage, ob die besagte Genmutation vorliege oder nicht, weise zudem keinerlei Eigenschaften auf, die es spezifisch gerade durch das patentgemäße Verfahren erhalten habe. Im Gegenteil könne man der entsprechenden Erkenntnis nicht ansehen, durch welches Verfahren sie gewonnen sei.
Das Landgericht verneint im Übrigen auch eine mittelbare Patentverletzung. Denn den Handlungen der Beklagten fehle es an dem insoweit erforderlichen doppelten Inlandsbezug. Die Beklagten hätten die Patientenproben insbesondere nicht im Sinne von § 10 Abs. 1 PatG zur Benutzung des patentgeschützten Verfahrens in Deutschland angeboten oder dorthin geliefert. Die Proben seien nur für die Durchführung des patentgemäßen Gentests im patentfreien Ausland gedacht gewesen.
Entscheidung kein Beleg für unzureichenden Patentschutz gentechnischer Verfahren
Manch einer mag die Entscheidung des Landgerichtes München bedauern und sie als einen weiteren Beleg für einen unzureichenden Schutz biotechnologischer Verfahren werten. Biotechnologische Verfahren unterliegen bereits aufgrund der sich insbesondere aus § 2a Abs. 1 PatG sowie Art. 53 lit. b) und c) EPÜ ergebenden Patentierungsausschlüsse deutlichen Einschränkungen. Es scheint zudem, als sei das Vorgehen der Beklagten bewusst darauf angelegt zu sein, eine Patentverletzung in Deutschland zu umgehen.
Indes kann das Urteil sowohl im Ergebnis als auch in seiner Begründung überzeugen. Die bloße Patentumgehung ist als solche nicht zu beanstanden, sondern Folge der grundsätzlich geltenden Nachahmungsfreiheit und des Territorialitätsprinzips gewerblicher Schutzrechte. Das Fehlen einer Patentverletzung im konkreten Fall hat seine Ursache nicht in dem biotechnologischen Verfahren als solchem. Körperliche Gegenstände als Ergebnis eines biotechnologischen Verfahren sind durchaus dem derivativen Erzeugnisschutz zugänglich.
Als ausschlaggebend stellt sich in erster Linie die Qualität des Ergebnisses des Gentests als bloße Erkenntnis dar. Damit teilt es indes als unkörperlicher Gegenstand das Schicksal mit anderen unkörperlichen Verfahrensergebnissen wie etwas Licht, Wärme, elektrischer Energie oder Schall. Diese können nach der ganz herrschenden Meinung ebenfalls nicht als Erzeugnis im Sinne von § 9 Satz 2 Nr. 3 PatG angesehen werden.
Zudem ist das Fehlen einer Patentverletzung letztlich Folge des relativ engen Schutzbereichs des Klagepatents. Deren Hauptanspruch umfasst etwaige Vorbereitungshandlungen des eigentlichen Gentest nicht. Der Sachverhalt wäre unter Berücksichtigung der „Prepaid-Telefonkarte“-Entscheidung des OLG Düsseldorf vermutlich anders zu entscheiden gewesen, hätte der Hauptanspruch auch diese Handlungen als Verfahrensschritte umfasst.
Darüber hinaus erstreckte sich der Schutz des Verfahrens in territorialer Hinsicht nicht auf Tschechien. Hätte die Patentinhaberin ihr europäisches Patent auch für Tschechien validiert, hätte man im konkreten Fall zumindest in Tschechien wegen der dortigen Patentverletzung mit Erfolg klagen können (freilich wäre die Beklagte zu 2) in diesem Fall aber vermutlich einfach auf ein anderes Land ausgewichen).
Die unzureichende territoriale Erstreckung des Schutzes der patentgemäßen Erfindung, die aus einer bewusst getroffenen Entscheidung der Patentinhaberin resultiert, durch eine extensive und sowohl Wortlaut als auch Sinn und Zweck des derivativen Erzeugnisschutzes außer Acht lassende Auslegung von § 9 Satz 2 Nr. 3 PatG korrigieren zu wollen, kann jedoch nicht überzeugen.
Bleibt noch zu erwähnen, dass die Entscheidung des Landgerichtes nicht rechtskräftig ist. Eventuell vertreten das OLG München oder gar der BGH doch noch eine andere Meinung. Angezeigt wäre dies aus den dargelegten Gründen indes nicht.