25. Februar 2021
Liedtext Pippi Langstrumpf
Urheberrecht

Liedtext von „Hey, Pippi Langstrumpf″ eine unfreie Bearbeitung

Das LG Hamburg entschied, dass der deutschsprachige Text des Liedes "Hey, Pippi Langstrumpf" eine unfreie Bearbeitung der Figur "Pippi Langstrumpf" darstellt.

Das Urteil v. 9. Dezember 2020 – 308 O 431/17 befasst sich ausführlich mit der Schutzfähigkeit der Figur der Pippi Langstrumpf und mit der Frage, ob der deutschsprachige Liedtext des Pippi Langstrumpf-Liedes („Hey, Pippi Langstrumpf″) eine freie Benutzung (§ 24 UrhG) dieser Figur sowie des ursprünglichen schwedischen Liedtextes („Här kommer Pippi Långstrump″) darstellt.

In Anknüpfung an die Entscheidung des BGH, Urteil v. 30. April 2020 – I ZR 115/16 – Metall auf Metall IV beleuchtet das LG Hamburg die rechtliche Natur des § 24 UrhG und sein problematisches Verhältnis zur Richtlinie 2001/29/EG (InfoSoc.-Rl.).

Das Urteil stärkt den urheberrechtlichen Schutz von literarischen Figuren und differenziert dabei zwischen der Übernahme rein äußerlicher Gestaltungsmerkmale einerseits und der Verwendung eigenpersönlicher charakterlicher Merkmale einer Figur andererseits.

Textdichter hatte das Lied „Hey, Pippi Langstrumpf“ bei der GEMA registriert – ohne Rücksprache mit den Rechteinhabern an der Figur „Pippi Langstrumpf“

Die Klägerin des Rechtsstreits ist eine schwedische Gesellschaft, auf welche die Autorin der Pippi Langstrumpf-Bücher, Astrid Lindgren, im Jahr 1998 alle Nutzungs- und Leistungsschutzrechte bezüglich ihres gesamten Werkschaffens übertragen hatte. Beklagter zu 1 ist ein Musikverlag, Beklagte zu 2 die Ehefrau und Rechtsnachfolgerin des verstorbenen Textdichters Dr. Wolfgang Franke.

Jener Textdichter verfasste mehrere deutsche Textversionen für das Lied „Här kommer Pippi Långstrump″, welches vom schwedischen Komponisten Jan Johansson komponiert und als Titelmelodie in schwedischen und deutschen Pippi Langstrumpf-Filmen Verwendung fand.

Der Streit entzündete sich an der Tatsache, dass sich Dr. Wolfgang Franke für die von ihm verfasste Textversion des Titellieds mit dem Namen „Hey, Pippi Langstrumpf″ im Jahre 1987 als alleiniger Textdichter bei der GEMA registrieren ließ, wovon die Klägerin erst 2006 erfuhr und wofür weder die Klägerin noch Astrid Lindgren eine Erlaubnis erteilt hatten. Ferner wurde gegenüber der GEMA als Originalverlag für diesen Liedtext ausschließlich der Beklagte zu 1 angegeben. Die Beklagten hatten außerdem entweder selbst oder über die GEMA den Liedtext durch Einräumung von Nutzungsrechten an Dritte verwertet.

Die Klägerin ist der Ansicht, dass der streitgegenständliche Liedtext das ihr zustehende Urheberrecht an dem Charakter der Figur Pippi Langstrumpf bzw. am ursprünglichen schwedischen Liedtext verletze. Jedenfalls sei aber die Fabel aus den Pippi Langstrumpf-Romanen von Astrid Lindgren verletzt. In der Folge machte die Klägerin gegenüber den Beklagten Unterlassungs-, Auskunfts- sowie Schadensersatz- und Bereicherungsansprüche geltend.

Zur Verteidigung trugen die Beklagten unter anderem vor, dass der von Dr. Wolfgang Franke gedichtete Liedtext eine freie Benutzung i.S.d § 24 UrhG bzw. ein Pastiche i.S.d. Art. 5 Abs. 3 lit. k) der InfoSoc-Rl. sei. Ihrer Ansicht nach finde sich die von Dr. Wolfgang Franke geschaffene künstlerische Gestaltung der Pippi Langstrumpf weder in den Pippi Langstrumpf-Büchern noch in dem ursprünglichen schwedischen Liedtext „Här kommer Pippi Långstrump″ wieder.

Dieser Ansicht erteilte das LG Hamburg in seinem Urteil eine Absage. Es erblickte in dem streitgegenständlichen Liedtext eine Verletzung des Urheberrechts der Klägerin sowohl an der Figur der Pippi Langstrumpf als auch an dem ursprünglichen schwedischen Liedtext.

Pippi Langstrumpf-Figur ist als Sprachwerk urheberrechtlich geschützt

Das LG Hamburg stellt zunächst fest, dass die Figur der Pippi Langstrumpf bereits als solche Urheberrechtsschutz als Sprachwerk gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG genießt. 

Urheberrechtsschutz kann grundsätzlich nur eine konkrete Formgestaltung genießen, also beispielsweise ein gesprochener oder geschriebener Text, ein komponiertes Lied oder ein aufgenommenes Foto. Bloße Ideen oder Konzepte sind als solche demgegenüber nicht schutzfähig. Von diesem Grundsatz hat der BGH eine bedeutende Ausnahme mit Blick auf das Handlungs- und Beziehungsgeflecht (die sog. „Fabel″) sowie hinsichtlich der Figuren von Romanen geschaffen. Unter bestimmten Umständen können die Fabel und die Figuren eines Romans auch als solche Urheberrechtsschutz genießen.

Das LG Hamburg führt hierzu aus, dass Romanfiguren urheberrechtlich geschützt sein können, sofern sie

sich durch eine unverwechselbare Kombination äußerer Merkmale, Charaktereigenschaften, Fähigkeiten und typischen Verhaltensweisen auszeichnen, somit zu besonders ausgeprägten Persönlichkeiten geformt sind und jeweils in einer bestimmten charakteristischen Weise auftreten.

Dabei beschränkt sich dieser Schutz keinesfalls nur auf die bildliche Darstellung einer Figur, sondern kann auch aufgrund der „lediglich″ textlichen Darstellung des Charakters entstehen. Denn auch eine literarische Beschreibung eines Charakters kann „im geistigen Auge des Lesers″ ein Bild von einer Figur erschaffen, welches ebenso deutlich ist wie eine bildhafte Charakterbeschreibung (BGH, Urteil v. 17. Juli 2013 – I ZR 52/12 – Pippi-Langstrumpf-Kostüm).

Auf das soeben Bezug genommene BGH-Urteil verweist schließlich auch das LG Hamburg, indem es hervorhebt, dass die Hürde für einen solchen Figurenschutz verhältnismäßig hoch ist. Der BGH hatte in seinem Urteil den Urheberrechtsschutz der Pippi Langstrumpf-Figur bejaht und führte in diesem Zusammenhang aus, dass an den Figurenschutz ein „strenger Maßstab″ anzulegen sei und die bloße Beschreibung der äußeren Gestalt eines Romancharakters grundsätzlich nicht genüge.

Die Figur der Pippi Langstrumpf erfülle jedoch die Schutzvoraussetzungen, da sie eine 

beachtliche Schöpfungshöhe […] aufgrund der besonderen eigenschöpferischen Kombination der charakteristischen Merkmale 

aufweise. Auch das LG Hamburg nahm an, dass die Pippi Langstrumpf eine Figur darstelle, welche ihre charakteristischen Wesenszüge über alle Geschichten hinweg beibehalte.

Die Nutzung der Pippi Langstrumpf im Lied „Hey, Pippi Langstrumpf“ stellt keine freie Benutzung gemäß § 24 Abs. 1 UrhG dar

§ 24 UrhG basiert auf dem Gedanken, dass das Werkschaffen grundsätzlich nicht im luftleeren Raum stattfindet, sondern in gewissem Maße auf bereits existierenden Schöpfungen aufbaut. Sofern das alte Werk in dem neuen hinreichend verblasst, also einen genügenden Abstand hierzu aufweist, kann der Urheber des alten Werks die Verwertung des neuen nicht untersagen.

Unter Bezugnahme auf das Urteil Pippi-Langstrumpf-Kostüm des BGH stellte das LG Hamburg fest, dass der Abstand im Sinne des § 24 Abs. 1 UrhG bei Übernahme einer Figur dann nicht mehr gewahrt ist, wenn zusätzlich zu den äußeren Merkmalen auch charakterliche, eigenpersönliche Merkmale der Figur übernommen werden, sodass für den durchschnittlichen Betrachter erkennbar wird, dass die geschützte Figur in dem neuen Werk beschrieben wird.

Dies war hier der Fall. In dem angegriffenen Liedtext der Beklagten wird auf eine Vielzahl charakterlicher, eigenpersönlicher Merkmale von Pippi Langstrumpf Bezug genommen, wozu insbesondere die ungewöhnlichen Lebensumstände, die für ein Kind überdurchschnittlichen Vermögensverhältnisse (Besitz eines kunterbunten Hauses sowie eines Äffchens und eines Pferdes), die „mit Fantasie und Wortwitz gepaarte Furcht- und Respektlosigkeit″, die unkonventionelle Art der Lebensführung sowie der eigenwillige Umgang mit mathematischen Regeln („zwei mal drei macht vier″) der Figur gehören. All dies findet sich im streitgegenständlichen Liedtext wieder, sodass das LG Hamburg hier eine unfreie Bearbeitung gemäß § 23 UrhG annahm.

Auch keine Ausnahme nach Auslegung der InfoSoc.-Rl., da der deutsche Gesetzgeber die entsprechende Schrankenregelung bisher nicht in nationales Recht überführt hat

Einen anderen Maßstab zur Prüfung der Rechtsverletzung legte das Gericht allerdings an Nutzungshandlungen der Beklagten an, die diese ab dem 22. Dezember 2002 vornahm. Für Nutzungshandlungen ab diesem Tag gilt die InfoSoc.-Rl., welche einen abschließenden Katalog an urheberrechtlichen Schranken vorsieht. Ein unmittelbares Äquivalent für § 24 UrhG ist darin jedoch nicht enthalten. Lediglich Art. 5 Abs. 3 lit. k) der Richtlinie sieht eine Schranke für die Parodie, Karikatur und das Pastiche vor. So beriefen sich die Beklagten zur Rechtfertigung ihrer Nutzung auch auf diese Pastiche-Schranke, jedoch ohne Erfolg, da der deutsche Gesetzgeber diese Schranke bisher nicht in nationales Recht überführt hatte.

In europarechtskonformer Auslegung kommt die in § 24 UrhG geregelte freie Benutzung allenfalls noch als Schutzbereichsbegrenzung des Vervielfältigungs- und Veröffentlichungsrechts des Urhebers zur Anwendung (BGH, Urteil v. 30. April 2020 – I ZR 115/16 – Metall auf Metall IV, EuGH, Urt. v. 29.07.2019 – C-476/17 – Pelham). Danach fallen solche Übernahmen nicht in das Vervielfältigungs- bzw. Veröffentlichungsrecht des Urhebers, welche in Ausübung der Kunstfreiheit sowie in geänderter und beim Betrachten nicht wiedererkennbarer Form erfolgen.

Auch eine solche Wiedererkennbarkeit der Pippi Langstrumpf-Figur in dem angegriffenen Liedtext nahm das LG Hamburg hier an. Nach dem Verständnis des durchschnittlichen Rezipienten handle es sich bei der im Liedtext beschriebenen Figur um diejenige Pippi Langstrumpf, welche der Hörer bereits aus den Werken von Astrid Lindgren kennt.

Starker urheberrechtlicher Figurenschutz, auch nach Umsetzung der DSM-Richtlinie in deutsches Recht

Das Urteil des LG Hamburg setzt die Rechtsprechung des BGH zum Figurenschutz fort und stärkt diesen weiter. Andererseits stellt das LG Hamburg allerdings auch noch einmal klar, dass die bloße Übernahme äußerlicher Gestaltungsmerkmale einer Figur nicht bereits eine freie Benutzung ausschließt. Vielmehr kommt es maßgeblich darauf an, dass auch charakterliche, eigenpersönliche Merkmale der Figur in die neue Schöpfung übernommen werden und damit der Bezug zur Figur umfassend und unmittelbar erkennbar wird. Es genügt nicht, wenn die Figur lediglich angedeutet wird und das vollständige Bild der Figur erst im Kopf des Betrachters, also durch eine Assoziation entsteht.

Zu beachten ist, dass nach dem aktuellen Regierungsentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz vom 3. Februar 2021 § 24 UrhG im Rahmen der Umsetzung der Digital Single Market-Richtlinie vom 17. April 2019 ersatzlos gestrichen und als Schutzbereichsbegrenzung in einen neu gefassten § 23 UrhG aufgenommen werden soll.

Eine solche Gesetzesänderung dürfte jedoch am urheberrechtlichen Schutz von Figuren nicht viel ändern. Die Bewertung verschiebt sich lediglich von der Ebene der Rechtfertigung in die Ebene des Schutzbereichs. Für die Frage, ob eine neue Schöpfung künftig einen ausreichenden Abstand zu einem vorbestehenden Werk wahrt, werden mit hoher Wahrscheinlichkeit dieselben rechtlichen Grundsätze heranzuziehen sein wie bisher auch, nur eben in einem neuen Gewand.

Tags: Bearbeitung freie Benutzung Liedtext Pippi Langstrumpf Sprachwerk