Das BGH Urteil erweitert Prüfpflichten für Händler. Unsere Autoren haben sich kritisch mit dem Urteil auseinandergesetzt. Erfahren Sie hier mehr.
Nach Ansicht des BGH (Urteil v. 12.01.2017 – I ZR 258/15) seien Händler nach dem Produktsicherheitsgesetz verpflichtet, die von ihnen vertriebenen Verbraucherprodukte auf das Vorhandensein von Name und Kontaktanschrift des Herstellers zu überprüfen.
Verkauf von Motivkontaktlinsen ohne Angaben zum Hersteller auf der Verpackung
Der Kläger des streitgegenständlichen Verfahrens bestellte Motivkontaktlinsen im Online-Shop des Beklagten und erhielt ein Produkt, dem und dessen Verpackung sich weder der Name, noch die Adresse des Herstellers entnehmen ließ. In der Folge nahm der Kläger – ebenfalls ein Onlinehändler, mithin ein Konkurrent des Beklagten – den Beklagten auf Unterlassung nach §§ 8, 3, 3a UWG in Anspruch: Durch das Inverkehrbringen von Motivkontaktlinsen, ohne dabei den Namen bzw. die Firma und die Anschrift des Herstellers oder, wenn dieser nicht im Europäischen Wirtschaftsraum ansässig ist, dessen Bevollmächtigten anzugeben, habe der Beklagte insbesondere gegen Bestimmungen des Produktsicherheitsrechts verstoßen und damit wettbewerbswidrig gehandelt.
BGH: Verbraucherprodukte müssen mit dem Namen und der Kontaktanschrift des Herstellers versehen sein
Nachdem das angerufene LG Coburg die Klage erstinstanzlich abwies und auch die Berufung des Klägers vor dem OLG Bamberg erfolglos war, hatte auf die Revision des Klägers hin der BGH über die grundsätzliche Frage zu entscheiden, ob (Online-)Händler nach dem Produktsicherheitsgesetz verpflichtet sind, die von ihnen vertriebenen Verbraucherprodukte auf das Vorhandensein von Name und Kontaktanschrift des Herstellers zu überprüfen.
Die diesbezügliche Entscheidung dürfte den Handel aufhorchen lassen. Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen umfasse nach Ansicht des BGH
„[d]ie aus § 6 Abs. 5 Satz 1 ProdSG folgende Verpflichtung des Händlers, dazu beizutragen, dass nur sichere Verbraucherprodukte auf dem Markt bereitgestellt werden, […] auch die Verpflichtung, dafür zu sorgen, dass die von ihm angebotenen Verbraucherprodukte mit dem Namen und der Kontaktanschrift des Herstellers versehen sind.″
(Leitsatz 4 der Entscheidung)
Dieses Ergebnis und insbesondere dessen Begründung erscheinen bei näherer Betrachtung als durchaus zweifel- und lückenhaft.
Die vom BGH auferlegte Prüfpflicht findet sich nicht in § 6 Abs. 5 i.V.m. § 3 ProdSG
Auf den ersten Blick jedenfalls lässt sich die Schlussfolgerung des BGH den einschlägigen Vorgaben des Produktsicherheitsgesetzes nicht entnehmen.
Insbesondere enthält weder § 6 Abs. 5 Satz 1 ProdSG, noch § 6 Abs. 5 Satz 2 i.V.m. § 3 ProdSG eine explizite händlerseitige Verpflichtung, vertriebene Produkte auf das Vorhandensein von Name und Adresse des Herstellers zu überprüfen.
Vor diesem Hintergrund urteilte das OLG Köln (Urteil v. 20.02.2015 – I-6 U 118/14, Rn. 86) in einem ähnlichen Verfahren im Februar 2015:
„Es erschließt sich […] schon nicht, wie eine unvollständige oder fehlende Kontaktanschrift die Sicherheit des Produktes gefährden kann. […] Die Prüfungspflicht gemäß § 6 Abs. 5 ProdSG knüpfe zudem, wie im dortigen Satz 2 deutlich zum Ausdruck komme, an die in § 3 ProdSG genannten Sicherheitskriterien an, zu denen die in § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ProdSG eigenständig geregelte Angabe der Kontaktanschrift des Herstellers gerade nicht gehört.″
Dabei ist es nicht nur für den Handel als Adressat der Verpflichtung essentiell, den Umfang der von ihm zu erfüllenden Prüfpflichten anhand der rechtlichen Vorgaben zweifelsfrei identifizieren zu können. Auch der Bestimmtheitsgrundsatz aus Art. 20 Abs. 3 GG verlangt, dass
„die Betroffenen die Rechtslage erkennen und ihr Verhalten danach einrichten können″
(BVerfG, Beschluss v. 18.05.1988 – 2 BvR 579/84, Rn. 27).
Diese Anforderungen sind vorliegend, auch unter Heranziehung der unionalen produktsicherheitsrechtlichen Regelungen – wie im Folgenden gezeigt wird – nicht erfüllt.
Herleitung des BGH aus Art. 5 Abs. 1 UAbs. 3 und 4 sowie Abs. 2 Richtlinie 2001/95/EG fragwürdig
Dass Händler zur Überprüfung der vertriebenen Produkte auf das Vorhandensein des Namens und der Kontaktanschrift des Herstellers verpflichtet sind, leitet der BGH aus einer Zusammenschau sowohl der händler-, wie auch der herstellerseitigen Pflichten der Produktsicherheitsrichtlinie her.
Art. 5 Abs. 1 UAbs. 3 Richtlinie 2001/95/EG verpflichtet die Hersteller insofern,
„im Rahmen ihrer jeweiligen Geschäftstätigkeit Maßnahmen zu treffen, die den Eigenschaften der von ihnen gelieferten Produkte angemessen sind, damit sie imstande sind,
a) die etwaigen von diesen Produkten ausgehenden Gefahren zu erkennen,
b) zu deren Vermeidung zweckmäßige Vorkehrungen treffen zu können, erforderlichenfalls einschließlich der Rücknahme vom Markt, der angemessenen und wirksamen Warnung der Verbraucher und des Rückrufs beim Verbraucher.″
Art. 5 Abs. 1 UAbs. 4 lit. a) Richtlinie 2001/95/EG konkretisiert diese Verpflichtungen exemplarisch und verpflichtet die Hersteller zu Folgendem:
„Die in Unterabsatz 3 genannten Maßnahmen umfassen beispielsweise:
a) die Angabe des Herstellers und seiner Adresse auf dem Produkt oder auf dessen Verpackung sowie die Kennzeichnung des Produkts oder gegebenenfalls des Produktpostens, zu dem es gehört, es sei denn, die Weglassung dieser Angabe ist gerechtfertigt″.
Art. 5 Abs. 2 Richtlinie 2001/95/EG nimmt sodann die Händler in den Blick und verpflichtet diese,
„mit der gebotenen Umsicht zur Einhaltung der anwendbaren Sicherheitsanforderungen beizutragen, indem sie insbesondere keine Produkte liefern, von denen sie wissen oder bei denen sie anhand der ihnen vorliegenden Informationen und als Gewerbetreibende hätten davon ausgehen müssen, dass sie diesen Anforderungen nicht genügen.″
Nach Ansicht des BGH ergebe sich aus diesen Normen, dass die Angabe des Herstellers und der Adresse auf dem Produkt oder dessen Verpackung zu den Sicherheitsanforderungen zählen, zu deren Einhaltung die Händler mit der gebotenen Umsicht beizutragen haben (Rn. 35 der Urteilsbegründung).
Auch diese Schlussfolgerung ist aus mehreren Gründen kritikwürdig.
Bereits Verpflichtung der Hersteller zur Angabe der Adresse zweifelhaft
Zum einen ergibt sich – abweichend von der deutschsprachigen Fassung der Richtlinie – aus dessen englischer Fassung nicht zwingend, dass der Hersteller neben der Firma seine Adresse auf dem Produkt oder dessen Verpackung anzugeben hat. In der englischen Fassung ist in Art. 5 Abs. 1 UAbs. 4 Richtlinie 2001/95/EG von „identity and details of the producer″ die Rede.
Dass es sich bei „details of the producer″ um die Adresse des Herstellers handeln muss, resultiert weder aus dem Wortlaut, noch aus dem Zweck der Regelung, die Kommunikation des Herstellers mit Händlern, Behörden und Verbrauchern im Fall des Vorliegens von Sicherheitsverstößen zu vereinfachen (siehe Art. 5 Abs. 1 UAbs. 3 lit. b) Richtlinie 2001/95/EG). Gleich wirksame oder gar wirksamere Kontaktmöglichkeiten könnten beispielsweise durch die Angabe einer Telefonnummer oder einer E-Mail-Adresse eröffnet werden.
Rolle der Händler nicht die der vollumfänglichen Aufsicht über die Hersteller
Des Weiteren sind die Ausführungen des BGH in sich widersprüchlich und widersprechen der europäischen Systematik der abgestuften Verantwortlichkeiten der Wirtschaftsakteure. Obwohl der BGH auf nationaler Ebene den Schluss von der Herstellerpflicht auf die Händlerprüfpflicht noch ablehnte (siehe Rn. 21 der Urteilsbegründung), wandte er diesen im Rahmen der Auslegung der Richtlinienvorgaben über die Beitragspflicht des Händlers an. Insoweit ist das Urteil in sich widersprüchlich.
Folgte man der unionsrechtlichen Argumentation des BGH, so wären Händler für die vollumfängliche Überprüfung der herstellerseitigen Sicherheitsverpflichtungen zuständig. Dass diese Rollenzuschreibung nicht gewollt ist, zeigt die klare Trennung und die unterschiedliche Ausgestaltung der Hersteller- und Händlerpflichten in der Produktsicherheitsrichtlinie.
Noch deutlicher wird diese Trennung in der von der EU als Blaupause für produktbezogene Vorschriften vorgesehenen und mit Beschluss Nr. 768/2008/EG verabschiedeten Musterrichtlinie. Die unterschiedlichen Pflichten der Wirtschaftsakteure Hersteller, Bevollmächtigter, Einführer und Händler sind hier klar bestimmt. Die seitdem in diesem Zusammenhang erlassenen produktbezogenen Richtlinien, wie z.B. die Niederspannungsrichtlinie, folgen dieser Systematik.
Stillschweigende Verschärfung der Beitragspflicht zu einer Prüfpflicht
Nicht zuletzt fehlt der Argumentation des BGH ein entscheidender Baustein: In der Urteilsbegründung finden sich keine Ausführungen dazu, aus welchen Gründen sich die Pflicht,
„dazu beizutragen, dass nur sichere Verbraucherprodukte auf dem Markt bereitgestellt werden″,
zu einer ausnahmslosen und umfassenden aktiven Prüfpflicht verdichtet.
Das OLG Köln (Urteil vom 20.02.2015 – I-6 U 118/14, Rn. 86) urteilte zu dieser Frage noch in nachvollziehbarer Art und Weise, dass
„aus der unbestimmten Formulierung, der Händler habe ‚dazu beizutragen‘, keine Pflicht des Händlers zur umfassenden aktiven Überwachung der Elektroprodukte hergeleitet werden [kann]. Anderes mag gelten, wenn der Händler positive Kenntnis von unterlassenen sicherheitsrelevanten Maßnahmen seitens der Hersteller hat.″
Diese Einordnung des VG Köln entspricht der Rechtsstellung, die Intermediären in vergleichbaren Situationen zugesprochen wird. So haftet beispielsweise der Betreiber einer Internet-Handelsplattform für fehlende Pflichtangaben der Händler grundsätzlich erst ab Kenntnis der Rechtsverletzung (OLG Köln, Urteil v. 20.12.2013 – I-6 U 56/13). Gleiches gilt für fremde Informationen, die Diensteanbieter nach § 10 TMG für ihre Nutzer speichern.
Unbestimmtheit der Pflichten führt zu Rechtsunsicherheit der Händler
Schließlich führt die Auffassung des BGH zu einer unzumutbaren Rechtsunsicherheit der Händler. Allein aufgrund der Formulierung „dafür zu sorgen“ muss er nunmehr selbst beurteilen, inwieweit er das gehandelte Produkt zu prüfen hat.
Geht es hier nur um eine „Sichtprüfung“ im Hinblick auf offensichtliche formale Fehler (Stichwort: Kennzeichnung) oder muss der Händler z.B. auch die mitgelieferte Gebrauchsanleitung inhaltlich beurteilen oder gar in eine technische Prüfung einsteigen? Dies ist mit dem Bestimmtheitsgrundsatz aus Art. 20 Abs. 3 GG nicht vereinbar.
Praktische Umsetzungsprobleme
Im Ergebnis führt das Urteil des BGH zu einer nicht hinnehmbaren Auferlegung umfangreicher und nicht hinreichend bestimmter Prüfpflichten. Es stellt sich die Frage, wie z.B. nicht auf eine bestimmte Produktkategorie beschränkte Händler den Prüfpflichten in der Praxis nachkommen können sollen.