Wer Lebensmittel als „Bio-“ oder „Öko-“ bezeichnet, muss die einschlägigen EU-Kennzeichnungspflichten einhalten – sonst drohen Unterlassungsklagen.
Bio-Produkte sind mittlerweile fester Bestandteil unseres Alltages. Die Güte solcher Produkte spielt für Verbraucher*, aber auch für den Verkehr im Allgemeinen, eine wichtige Rolle. Neben den primären Erwägungen des Gesundheitsschutzes der Verbraucher sowie dem Wohl der Tiere unterliegen die Bezeichnungen auch wegen der mit ihnen verbundenen hohen Zahlungsbereitschaft für „Bio“-Waren und des hierauf beruhenden starken Wettbewerbes einem umfangreichen Regelungsregime. Das Vertrauen der Verbraucher in den Markt für ökologische/biologische Produkte soll geschützt werden (vgl. Erwägungsgrund Nr. 15 der aktuellen Öko-Basis-Verordnung).
Wenig überraschend hatte sich daher der für Wettbewerbsrecht und gewerbliche Schutzrechte zuständige 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt in einem Beschluss vom 12. Mai 2021 (Az.: 6 W 23/21) mit diesem Thema zu beschäftigen. Der Senat musste die lauterkeitsrechtlichen Auswirkungen einer zunächst fehlenden, später allerdings nachgeholten „Bio-Zertifizierung“ klären.
„Bio“-Gummibärchen ohne Zertifizierung landen vor Gericht
Anlass des Verfahrens im einstweiligen Rechtsschutz waren Angebote von „Bio“-Artikeln wie Gummibärchen, Kaffee und Schokolade durch die Antragsgegnerin. Diese bot ihre Artikel mit der Bezeichnung „Bio-“ an, obwohl sie nicht über eine entsprechende Zertifizierung verfügte. Ein Wettbewerber mahnte sie deshalb ab – ohne Erfolg. Hierauf beantragte der Wettbewerber eine einstweilige Unterlassungsverfügung. Die Antragsgegnerin holte die Zertifizierung als Reaktion auf die Abmahnung allerdings nach.
Das Landgericht Darmstadt wies den Antrag auf eine einstweilige Unterlassungsverfügung hierauf mit Beschluss vom 11. März 2021 ab. Begründung: Da die Antragsgegnerin zwischenzeitlich die notwendige Zertifizierung erlangt habe, sei die Wiederholungsgefahr für einen Verstoß gegen §§ 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1, 3, 3a UWG i.V.m. Art. 28 ÖkoVO a.F. weggefallen. Da die Gefahr der Wiederholung eines gleichgearteten Verstoßes eine allgemeine Voraussetzung für Unterlassungsansprüche ist, sei damit gleichsam der Unterlassungsanspruch erloschen.
Der Wettbewerber zog hierauf vor das Oberlandesgericht Frankfurt a.M. – mit Erfolg.
Einhaltung der Produktions- und Kennzeichnungsvorschriften genügt nicht
Da die Entscheidung des OLG Frankfurt a.M. aus dem Jahr 2021 stammt, entschied das Gericht den Fall nach Maßgabe der damals gültigen Verordnung (EG) Nr. 834/2007 (ÖkoVO a.F.). Die ÖkoVO a.F. ist zum 1. Januar 2022 außer Kraft getreten und wurde durch die neue VO (EU) 2018/848 (nachfolgend: Öko-Basis-Verordnung) abgelöst.
Die Relevanz des Beschlusses dürfte hierdurch allerdings kaum geschmälert sein. Zwar enthält die neue Öko-Basis-Verordnung zahlreiche Neuerungen, u.a. Änderungen in den Bereichen der Vorsorge und der Kontrolle. Hinsichtlich der Kennzeichnungspflichten bleibt der Beschluss des OLG Frankfurt a.M. aber nach wie vor aktuell.
Die ÖkoVO a.F. bestimmte im Wesentlichen Folgendes: Wer landwirtschaftliche Erzeugnisse mit Bezeichnungen wie „Bio-“ oder „Öko-“ in Verkehr bringen wollte, musste sich an bestimmte Produktionsvorschriften halten. Diese Produktionsvorschriften galten u.a. für „verarbeitete landwirtschaftliche Erzeugnisse, die zur Verwendung als Lebensmittel bestimmt sind“. Hierzu zählen auch die Gummibärchen, die Anlass der Streitigkeit vor dem OLG Frankfurt a.M. waren.
Die bloße Einhaltung der Produktions- und Kennzeichnungsvorschriften genügte jedoch nicht: Nach Art. 28 ÖkoVO a.F. war
(j)eder Unternehmer, der Erzeugnisse im Sinne des Artikels 1 Absatz 2 erzeugt, aufbereitet, lagert, aus einem Drittland einführt oder in Verkehr bringt, (…) verpflichtet, vor dem Inverkehrbringen von jeglichen Erzeugnissen als ökologische/biologische Erzeugnisse (…) a) seine Tätigkeit den zuständigen Behörden des Mitgliedstaats, in dem diese Tätigkeit ausgeübt wird, zu melden; b) sein Unternehmen dem Kontrollsystem nach Artikel 27 zu unterstellen.
Sofern der Unternehmer die Anforderungen der ÖkoVO a.F. erfüllte, stellte die Kontrollbehörde oder -stelle eine entsprechende Bescheinigung aus (Art. 29 ÖkoVO a.F.). Zweck waren die nachhaltige Entwicklung der ökologischen/biologischen Produktion und der Schutz des Vertrauens der Verbraucher in Bezeichnungen wie „Bio-“ oder „Öko-“.
Der Beschluss: Verstoß gegen Kontrollunterwerfungspflicht
Die Beurteilung des Falls nach den Normen der ÖkoVO a.F. gestaltete sich entsprechend einfach: Dadurch dass die Antragsgegnerin im Dezember 2020 „Bio“-Lebensmittel zum Verkauf angeboten hat, hat sie Erzeugnisse i.S.d. Art. 1 Abs. 2 ÖkoVO a.F. in Verkehr gebracht und diese als ökologische/biologische Erzeugnisse offeriert.
Hierfür hätte sie sich dem Kontrollsystem nach Art. 27 ÖkoVO a.F. unterstellen müssen. Von dieser Pflicht war sie auch nicht etwa nach Art. 28 Abs. 2 ÖkoVO a.F. befreit, weil sie die Gummibärchen in ihrem Online-Shop zur Bestellung – auch durch Verbraucher – anbot. Gem. Art. 28 Abs. 2 ÖkoVO a.F. konnten die Mitgliedstaaten Unternehmer, die Erzeugnisse direkt an Endverbraucher oder -nutzer verkaufen, unter bestimmten weiteren Bedingungen von der Verpflichtung zur Unterstellung unter das Kontrollsystem befreien.
Indem die Antragsgegnerin ihre Gummibärchen in ihrem Online-Shop feilbot, verkaufte sie die Gummibärchen nach Ansicht des OLG Frankfurt a.M. aber nicht „direkt“ i.S.d. Art. 28 Abs. 2 ÖkoVO a.F. an Endverbraucher. Das OLG Frankfurt a.M. verwies insoweit auf eine Vorabentscheidung des EuGH aus dem Jahr 2017 (EuGH, Urt. v. 12. Oktober 2017 – C-289/16 – GRUR 2017, 1277 – Wettbewerbszentrale/Kamin- und Grill-Shop [Bio-Gewürze]). Mit dieser Vorabentscheidung hatte der EuGH klargestellt, dass Erzeugnisse nur dann i.S.d. Bestimmung „direkt“ an den Endverbraucher oder -nutzer verkauft werden, wenn der Verkauf unter gleichzeitiger Anwesenheit des Unternehmers oder seines Verkaufspersonals und des Endverbrauchers erfolgt. Diese Voraussetzungen liegen beim Online-Versandhandel nicht vor.
UWG-Relevanz aufgrund von Verstoß gegen Marktverhaltensregelungen
Wettbewerber der Antragsgegnerin konnten deshalb nach §§ 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1, 3, 3a UWG i.V.m. Art. 28 Abs. 1 S. 1b ÖkoVO verlangen, dass diese ihre Gummibärchen nicht mehr als „Bio-“ bezeichnet.
„Wieso nach dem UWG?“ könnte eine berechtigte Frage lauten. Die ÖkoVO a.F. selbst sah keinen subjektivrechtlichen Anspruch der Verbraucher oder der Wettbewerber des Unternehmers auf Unterlassung von Verstößen gegen die ÖkoVO a.F. vor.
Die Anwendbarkeit des klassischen lauterkeitsrechtlichen Unterlassungsanspruchs nach §§ 3 und 8 UWG ergibt sich aus § 3a UWG: Nach dieser Norm handelt unlauter i.S.d. § 3 UWG, wer einer gesetzlichen Vorschrift zuwiderhandelt, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln, sofern der Verstoß geeignet ist, die Interessen von Verbrauchern, sonstigen Marktteilnehmern oder Mitbewerbern spürbar zu beeinträchtigen. Art. 28 Abs. 1 S. 1b ÖkoVO a.F. ist eine solche Marktverhaltensregelung.
Diese sollte laut dem OLG
unter anderem gewährleisten, dass die von der Verordnung erfassten ökologischen/biologischen Erzeugnisse der menschlichen Gesundheit nicht abträglich sind (vgl. Art. 3 lit. c ÖkoVO). Art. 28 I 1 lit. b ÖkoVO dient damit auch dem Schutz der Gesundheit der Verbraucher.
Wiederholungsgefahr: Kein Wegfall durch spätere Zertifizierung
Durch den erfolgten Verstoß gegen die Marktverhaltensregel wurde die Wiederholungsgefahr begründet, die Voraussetzung für jeden Unterlassungsanspruch ist.
Indem die Antragsgegnerin nach der Abmahnung die notwendige Zertifizierung erwarb, beseitigte sie die Wiederholungsgefahr auch nicht. Denn: Die Wiederholungsgefahr entfällt im Regelfall nur dadurch, dass der Verletzer gegenüber dem Verletzten eine bedingungslose, unwiderrufliche und strafbewehrte Unterlassungsverpflichtungserklärung (sog. Unterwerfungserklärung) abgibt. Das bloße Abstellen der Verletzungshandlung ist grds. nicht geeignet, die einmal begründete Wiederholungsgefahr wieder entfallen zu lassen. Eine Veränderung der tatsächlichen Umstände reicht nur dann aus, wenn sie künftige Normverstöße dauerhaft ausschließt.
Die Vorinstanz, das Landgericht Darmstadt, hatte hier noch argumentiert, dass die Wiederholungsgefahr bereits deswegen entfallen sei, weil die Antragsgegnerin sich dem Kontrollsystem nicht einseitig entziehen könne. Dieser recht undifferenziert anmutenden Begründung stand indes in tatsächlicher Hinsicht bereits der Umstand entgegen, dass das streitgegenständliche Zertifikat bis zum 31. August 2021 gültig war.
Entsprechend erteilte auch das OLG Frankfurt a.M. der Ansicht des Landgerichts Darmstadt eine Absage: Es sei zunächst „schlechterdings undenkbar“, dass die Antragsgegnerin „in alle Ewigkeit an die Zertifizierung gebunden“ sei. Ein Dauerschuldverhältnis ohne Kündigungsmöglichkeit sei dem deutschen Schuldrecht fremd. Die Antragstellerin habe in der Beschwerdeschrift schließlich zu Recht darauf hingewiesen, dass jedenfalls eine Aufhebung der Vereinbarung zwischen der Antragsgegnerin und der Zertifizierungsstelle möglich sei.
Die nachgeholte Zertifizierung ist mithin aus mehreren Gründen nicht geeignet, eine dauerhafteVeränderung der tatsächlichen Umstände zu bewirken.
Massenabmahnung allein noch kein Rechtsmissbrauch
Auch mit dem Einwand, dass die Abmahnung nach § 8c UWG rechtsmissbräuchlich sei, drang die Antragsgegnerin nicht durch.
Nach § 8c Abs. 2 Nr. 2 UWG ist die Geltendmachung eines Unterlassungsanspruchs rechtsmissbräuchlich (und damit verboten), wenn ein Mitbewerber eine erhebliche Anzahl von Verstößen gegen die gleiche Rechtsvorschrift durch Abmahnungen geltend macht, wenn die Anzahl der geltend gemachten Verstöße außer Verhältnis zum Umfang der eigenen Geschäftstätigkeit steht oder wenn anzunehmen ist, dass der Mitbewerber das wirtschaftliche Risiko seines außergerichtlichen oder gerichtlichen Vorgehens nicht selbst trägt. Die Norm soll verhindern, dass die lauterkeitsrechtlichen Vorschriften des UWG dazu missbraucht werden, unliebsame Wettbewerber durch fremdfinanzierte Massenabmahnungen zu torpedieren. Im Streitfall hatte der Wettbewerber immerhin 51 Konkurrenten wegen unrechtmäßiger „Bio“-Bezeichnungen abgemahnt.
Das OLG Frankfurt a.M. sah die Voraussetzungen des § 8c Abs. 2 Nr. 2 UWG hierdurch nicht erfüllt: Das Gericht sprach dem Vorliegen einer großen Anzahl von Abmahnungen in diesem Fall bereits den indiziellen Charakter für die Eröffnung des Zweifelsgrundsatzes nach § 8c Abs. 2 Nr. 2 UWG ab. Ein Mitbewerber müsse gegen alle Mitbewerber vorgehen können, die sich durch einen Wettbewerbsverstoß einen spürbaren Vorteil verschaffen. Auch die Zweifelsregelung des Abs. 2 entbinde das Gericht nicht von der für die Feststellung des Rechtsmissbrauchs erforderlichen Gesamtwürdigung aller Einzelfallumstände. Im Gesetzgebungsverfahren sei klargestellt worden, dass es sich bei den Fällen des Abs. 2 nicht um eine Vermutung i.S.v. § 299 ZPO handele, sondern lediglich um die Anordnung einer Indizwirkung. Der Senat meinte hier offensichtlich § 292 ZPO, also die widerlegliche gesetzliche Vermutung.
Auch im Hinblick auf die mit den vielen Abmahnungen verbundenen Kostenrisiken vermochte der Senat keine Indizwirkung für einen Rechtsmissbrauch zu erkennen. Das Kostenrisiko sei – entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin – nicht in Relation zu demjenigen Umsatz zu setzen, den die Antragstellerin lediglich mit dem Vertrieb von Bio-Produkten erzielt. Bei der Frage, ob das Kostenrisiko durch die Abmahnungen irgendeine Auswirkung auf die finanzielle Leistungsfähigkeit der Antragstellerin habe, sei vielmehr auf die wirtschaftlichen Umstände bei der Antragstellerin insgesamt abzustellen.
Urteil zur Pflicht einer Bio-Zertifizierung bleibt auch nach neuer Rechtslage (ÖkoVO 2018) aktuell
Die Ausführungen des OLG Frankfurt a.M. zu den Fragen der rechtsmissbräuchlichen Abmahnung und des fehlenden Wegfalls der Wiederholungsgefahr durch nachträgliche Zertifizierung behalten uneingeschränkt ihre Aktualität – zumal es sich hierbei nicht um „bio-spezifische“ Rechtsfragen handelt. Auch die ÖkoVO 2018 normiert keinen Individualanspruch für Verbraucher oder Wettbewerber auf Unterlassung fälschlicher „Bio“-Kennzeichnungen; der Anspruch bemisst sich also weiterhin nach §§ 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1, 3, 3 a UWG. Für jedes Unternehmen, das sich mit Abmahnungen von Wettbewerbern auf einer lauterkeitsrechtlichen Grundlage konfrontiert sieht, können die Feststellungen des OLG nützlich sein.
Insbesondere ist die Erkenntnis wertvoll, dass selbst bei 51 Parallelabmahnungen nicht reflexartig von Rechtsmissbrauch ausgegangen – und die Abmahnung damit abgetan – werden kann.
Schließlich hat der Beschluss auch für das sog. „Greenwashing“ eine erhebliche Bedeutung. Der Beschluss ist Teil einer Reihe verschiedener neuerer Entscheidungen von Landes- und Oberlandesgerichten in Deutschland, die irreführende Werbungen von Produkten zum Gegenstand haben, die den Verbrauchern den – unzutreffenden – Eindruck vermitteln sollten, dass das betreffende Produkt besonders umweltfreundlich bzw. nachhaltig sei. Mehr und mehr wird das UWG damit zu einem Vehikel, mithilfe dessen irreführenden Werbeaussagen zur Nachhaltigkeit und Umweltfreundlichkeit verschiedenster Produkte Einhalt geboten wird.
Da Nachhaltigkeitswerbung somit aktuell im Fokus von Justiz und Marktteilnehmern steht, sollten Unternehmen ihre eigenen produktbezogenen Werbeaussagen, die in einem Umwelt- bzw. Nachhaltigkeitszusammenhang stehen, daraufhin überprüfen, ob diese den Tatsachen sowie etwaigen regulatorischen Anforderungen entsprechen.
Für weitere Informationen zu Umweltaussagen und potentiellen Risiken des Greenwashing siehe CMS Green Globe.
*Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.