Mit dem Carbon Removal Certification Framework sollen nachhaltige Lösungen und innovative Technologien zur CO2-Entnahme und -Speicherung gefördert werden.
Die Europäische Kommission hat einen Vorschlag für einen ersten EU-weiten freiwilligen Rahmen zur zuverlässigen Zertifizierung hochwertiger CO2-Entnahmen (Carbon Removal Certification Framework, CRCF) vorgestellt (VO/EU 2022/0394/COD). Der am 30. November 2022 vorgelegte Entwurf soll regeln, in welchem Rahmen die Entnahme und Bindung von Kohlenstoff aus der Atmosphäre zertifiziert werden kann. Hiermit sollen Geschäftsmodelle in diesem Bereich gefördert sowie mehr Transparenz und Qualität geschaffen werden. Die Verordnung ist Bestandteil des European Green Deal.
Neben der Reduktion von Treibhausgasemissionen ist die Entnahme von Kohlenstoff aus der Atmosphäre (Carbon Removal) elementarer Bestandteil des europäischen Klimaschutzvorhabens, bis 2050 der erste klimaneutrale Kontinent zu werden. Denn es gibt CO2-Emissionen, die nicht gänzlich verhindert werden können. Insbesondere im Bereich der Luftfahrt und einzelner Industriebranchen wird die restlose Eliminierung von CO2-Emissionen nicht möglich sein. Um diese auszugleichen, setzt die EU nunmehr neben der CO2-Minderung auf Kohlenstoffentnahme und -speicherung.
Unternehmen und Staaten in der EU und weltweit nutzen bereits diverse Kompensationsverfahren, um ihre Emissionen auszugleichen. Mit der Zertifizierung von sog. Negativemissionen kommt nun ein neues Verfahren hinzu. Um für Betreiber* in der Land- und Forstwirtschaft sowie in der Industrie einen Anreiz für die CO2-Entnahme und -speicherung zu schaffen, sollen die geplanten Zertifikate als Nachweis für eine hochwertige CO2-Entnahme dienen und verkauft werden können. Dadurch soll eine neue Einkommensmöglichkeit für verschiedene Branchen geschaffen werden.
Zwar existieren bereits kleinere Märkte für freiwillige CO2-Entnahme-Zertifikate, z.B. in der Aufforstung. Es gibt jedoch kein EU-weit etabliertes, kontrolliertes und qualitätssicherndes System, mit dem überwacht und überprüft werden kann, ob die Zertifikate tatsächlich die aus der Atmosphäre entnommene Menge Kohlenstoff widerspiegeln. Zudem ist der Wert der Zertifikate durch die bisher nicht klaren Einsatzmöglichkeiten oftmals nicht bezifferbar. Währenddessen ist der CO2-Abbau durch natürliche Ökosysteme ausweislich des Verordnungsentwurfs in den letzten Jahren zurückgegangen und es findet auch keine nennenswerte Entnahme in der Industrie statt. Entsprechend niedrig ist der Anteil an entnommenem Kohlenstoff. Auf Seiten der Unternehmen steigt die Nachfrage nach Zertifikaten zum Zwecke des Ausgleichs von CO2-Emissionen jedoch kontinuierlich an.
Diesen Problemen tritt die Kommission nunmehr mit ihrem Vorschlag zur Harmonisierung der Zertifizierung von Negativemissionen entgegen. Das CRCF soll beständige Überwachungs-, Berichterstattungs- und Verifizierungsverfahren für verschiedene Entnahmetätigkeiten festlegen.
Zertifizierungsoption soll „Carbon Removals“ attraktiv machen
Der Begriff der CO2-Entnahme bedeutet nach Art. 2 (1) lit. a) CRCF
entweder die Speicherung von atmosphärischem oder biogenem CO2 in geologischen Kohlenstoffspeichern, langlebigen Produkten und Materialien und in der Meeresumwelt oder die Verringerung der CO2-Freisetzung aus einem biogenen Kohlenstoffspeicher in die Atmosphäre.
Der Verordnungsentwurf nennt und definiert in Art. 2 (1) lit. g – i CRCF drei verschiedene Arten des „Carbon Removal“: die dauerhafte Speicherung durch industrielle Verfahren, die klimaeffiziente Landwirtschaft und die CO2-Speicherung in Produkten.
Die Entnahmetätigkeit der dauerhaften Speicherung durch industrielle Verfahren meint insbesondere technologische Verfahren zur Langzeitspeicherung von CO2 wie etwa die direkte CO2-Abscheidung und -Speicherung aus der Luft (Direct Air Carbon Capture and Storage, DACCS) oder aus Bioenergie (Bioenergy with Carbon Capture and Storage, BECCS). Zudem kann CO2 auch in Produkten gespeichert werden, vor allem in langlebigen Baumaterialien wie Holz oder gebundenem Karbonat.
„Carbon Farming“ als Bestandteil der Landwirtschaft der Zukunft
Daneben birgt insbesondere eine klimaeffiziente Landwirtschaft (Carbon Farming) erhebliches Potenzial zur wirksamen Kohlenstoffentnahme. Dies meint grds. zielgerichtete landwirtschaftliche Maßnahmen zur Kohlenstoffentnahme und -bindung. Der Verordnungsentwurf definiert klimaeffiziente Landwirtschaft in Art. 2 Nr. 1 lit. (h) CRCF als
eine CO2-Entnahmetätigkeit im Zusammenhang mit Landbewirtschaftung, die zu einer erhöhten CO2-Speicherung in lebender Biomasse, toter organischer Substanz und Böden führt, indem die CO2-Abscheidung verbessert und/oder die Freisetzung von CO2 in die Atmosphäre verringert wird.
Ein Abbau von CO2 erfolgt häufig durch die Natur, die als Teil des natürlichen Kohlenstoffkreislaufs CO2 absorbiert. So binden Wälder, Moore und Äcker CO2. Diese natürlichen Prozesse lassen sich durch entsprechende Maßnahmen fördern. Mithilfe von Tätigkeiten, die die CO2-Speicherung in Böden und Wäldern ermöglichen und verbessern, wie der Wiederherstellung von Wäldern oder besserer Bodenbewirtschaftung, sowie durch die Verringerung der CO2-Freisetzung aus den Böden, bspw. durch die Wiederherstellung von speicherfähigen Torfflächen, kann auf natürliche Weise CO2 entnommen und gespeichert werden. Eine klimaeffiziente Landwirtschaft soll aufgrund ihres erheblichen Potenzials fester Bestandteil der EU-Landwirtschaft werden. Sie wird in dem Vorschlag als wesentliche Entnahmemöglichkeit behandelt. Da sich die EU im Sektor Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft (Land Use, Land Use Change and Forestry, LULUCF) das ambitionierte Ziel gesetzt hat, bis 2030 eine Nettomenge von 310 Mio. t CO2 abzubauen, sind die Einführung und der Ausbau einer klimaeffizienten Landwirtschaft für die Mitgliedstaaten unvermeidbar.
„QU.A.L.ITY“ – europäischer Qualitätsstandard der CO2-Entnahme
Hauptziele der Verordnung sind die Gewährleistung hochwertiger CO2-Entnahmen und die Einrichtung eines EU-Governance-Systems für deren Zertifizierung. Zur Qualitätssicherung bedient sich die EU in Art. 4–7 CRCF vierer Qualitätskriterien, die für eine Zertifizierung erfüllt sein müssen:
- Die Maßnahme muss quantifizierbar und vorteilhaft sein, also einen Nettonutzen der CO2-Entnahme bieten.
- Sie muss über ein Standardverfahren hinausgehen, d.h. additiv sein.
- Die Maßnahme muss CO2 langfristig binden.
- Die Maßnahme muss umfänglich nachhaltig sein, also auch andere Umweltziele wie die biologische Vielfalt, die Anpassung an den Klimawandel, die Verringerung der Treibhausgasemissionen, die Wasserqualität und die Kreislaufwirtschaft berücksichtigen oder einen positiven Nebeneffekt in Bezug auf diese Nachhaltigkeitsziele haben (Sustainability).
Die CO2-Entnahme muss im Ergebnis eindeutige Vorteile für das Klima mit sich bringen und andere Umweltziele wie die Biodiversität wahren oder im besten Fall stärken. Die Einhaltung dieser Kriterien (Quantifizierbarkeit, Additionalität, Langfristigkeit und Nachhaltigkeit) soll in der Praxis regelmäßig durch anerkannte unabhängige Zertifizierungsstellen geprüft und – bei einem positiven Ergebnis – zertifiziert werden. Die Bescheinigung der Zertifizierungsstelle über die Konformität wird im Zertifizierungssystem registriert und der Nettonutzen der CO2 -Entnahme in einem öffentlich einsehbaren Register zertifiziert.
Keine Patentlösung für alle CO2-Entnahmetätigkeiten
Um Qualität und Vergleichbarkeit der CO2-Entnahmen zu harmonisieren, sieht die EU-Kommission in Art. 9–13 CRCF Vorschriften für diese unabhängige Überprüfung der CO2-Entnahmen und Regeln für die Anerkennung von Zertifizierungssystemen vor. Die Methoden zur Zertifizierung müssen von der Europäischen Kommission im Rahmen eines delegierten Rechtsaktes jedoch noch erarbeitet werden. Da die unterschiedlichen Entnahmetätigkeiten jeweils unterschiedliche Vor- und Nachteile mit sich bringen, muss es mehrere Zertifizierungsmethoden geben. Um diese angepasst etablieren zu können, wird die Kommission die Zertifizierungsmethoden schrittweise entwickeln und auf die einzelnen Tätigkeiten unter Berücksichtigung verschiedener klimabezogener Faktoren zuschneiden. Der Entwicklungsprozess basiert auf Erfahrungen mit bestehenden Zertifizierungsprotokollen und der Konsultation einer Expertengruppe für die CO2-Entnahme. Diese wird zwei Mal jährlich zusammentreten. Eine erste Sitzung steht noch im ersten Quartal dieses Jahres an.
Im Anschluss ist es Aufgabe der Mitgliedstaaten, die Verordnungsvorgaben umzusetzen. Für eine Teilnahme an der EU-weiten Zertifizierung müssen sie öffentliche Zertifizierungssysteme einführen, die durch Beschluss von der Kommission anerkannt werden müssen. Die Zertifizierungssysteme benennen die für die Prüfung und Ausstellung zuständigen Zertifizierungsstellen, die von einer nationalen Akkreditierungsbehörde akkreditiert sein müssen. Diese Zertifizierungsstellen sind sodann zuständig für die Bewertung der Konformität der mit dem Antrag eingereichten CO2-Entnahmetätigkeit mit den Qualitätskriterien.
Vielseitige Einsatzmöglichkeiten der Zertifikate
Die Einsatzmöglichkeiten der Zertifikate sind vielseitig. Neben dem Verkauf auf freiwilligen Entnahmezertifikatsmärkten bieten sich bspw. folgende Einsatz- und Verwendungsmöglichkeiten:
- Lebensmittelunternehmen können Landwirte für den zusätzlichen CO2-Abbau aus einer Bodenspeicherung oder klimafreundlichen Verfahren wie der Agroforstwirtschaft belohnen und ihre Produkte im Gegenzug entsprechend werbend kennzeichnen.
- Betreiber einer klimaeffizienten Landwirtschaft können ihren CO2-Fußabdruck für verschiedenste Zwecke sicher dokumentieren.
- Behörden und private Investoren, die innovative Entnahmeprojekte fördern, können die Regelungen zur Zertifizierung nutzen, um Angebote besser zu vergleichen und die jeweiligen Projekte auf Grundlage der Menge der zertifizierten Entnahmen zu fördern.
- Die Einrichtung oder Erweiterung von Naturparks kann durch den Verkauf von CO2-Entnahmezertifikaten finanziert werden.
- Bauunternehmen oder Immobilieneigentümer, die in nachhaltige Baustoffe investieren, durch die CO2 entfernt und gespeichert wird, können zusätzliche Einnahmen durch den Verkauf von CO2-Entnahmegutschriften erzielen.
- Die Zertifikate können als Nachweise für eine ergebnisbasierte Finanzierung im Rahmen von EU-Programmen, wie der Gemeinsamen Agrarpolitik oder dem Innovationsfonds, verwendet werden.
- Auf dem privaten Markt, bspw. bei der Verrechnung und Reduzierung von CO2 für die internationale Luftfahrt, können die Zertifikate in transparenter Weise als Nachweise für den Ausgleich von Luftverkehrsemissionen dienen.
Einzelheiten der Zertifizierung bleiben offen
Regelungen zur Umsetzung des in dem Verordnungsentwurf geplanten Zertifizierungsrahmens müssen erst noch erarbeitet und als sekundärrechtliche Vorschriften erlassen werden. Zunächst muss der Vorschlag der Europäischen Kommission jedoch im europäischen Gesetzgebungsverfahren verabschiedet werden. Ein Einsatz der Zertifizierung kann also erst stattfinden, sobald die Kommission die erste Zertifizierungsmethode angenommen und das erste mitgliedstaatliche Zertifizierungssystem anerkannt hat. Ob sich daraus ein neuer Markt des Negativemissionshandels entwickelt, bleibt – auch angesichts der Freiwilligkeit der Zertifizierung – abzuwarten. Am EU-Emissionshandelssystem sollen die Zertifikate jedenfalls nicht teilnehmen können.
Land- und Forstwirte sowie einzelne Industriezweige sollten die weitere Entwicklung und das Gesetzgebungsverfahren im Blick behalten und sich frühzeitig über ihre individuellen Möglichkeiten und Potenziale zur CO2-Entnahme sowie über eventuell damit verbundene Kosten informieren. CMS hat sich in der Vergangenheit erfolgreich im Zusammenhang mit CO2-Zertifikaten und Carbon Farming engagiert und bietet diesbezüglich umfassende Beratung an.
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*Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.