Ein Wirtschaftsverband, der eigene Mitglieder gezielt und planmäßig von seiner Abmahntätigkeit ausspart, handelt laut OLG Rostock rechtsmissbräuchlich.
Das OLG Rostock hatte jüngst eine Berufung eines bekannten Wettbewerbsverbands auf seinem Tisch. Dieser hatte wettbewerbsrechtliche Unterlassungsansprüche gegen einen Marktteilnehmer geltend gemacht, da dieser nach Ansicht des Verbandes Garantieangaben in unzulässiger Weise darstellte. Dabei stand gegen den Verband der Vorwurf im Raum, eigene Mitglieder ähnlicher Branchen und Produkte bei gleichartigen Verstößen nicht zu verfolgen.
Bereits die Vorinstanz (LG Rostock, Urteil v. 29. Oktober 2019 – 6 HKO 2/19) gab der Klage nicht statt. Das OLG Rostock hat die anschließend eingelegte Berufung ohne mündliche Verhandlung abgewiesen (OLG Rostock, Beschluss v. 17. November 2020 – 2 U 16/19).
Rechtsmissbrauch einer Abmahnung bei sachfremden, nicht schutzwürdigen Interessen anzunehmen
Das Gericht sah in dem Vorgehen des Verbandes ein rechtsmissbräuchliches Verhalten. Dieses war bis vor kurzem – wie noch vom OLG Rostock zitiert – im früheren § 8 Absatz 4 UWG geregelt. Mit dem „Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs“, das seit 2. Dezember 2020 gilt, ist diese Regelung nunmehr in § 8c UWG (neue Fassung) geändert und inhaltlich erweitert worden.
Sowohl nach dem früheren als auch aktuellen Gesetzeswortlaut ist die Geltendmachung von wettbewerbsrechtlichen Unterlassungs- und Beseitigungsansprüchen unzulässig, wenn es unter Berücksichtigung der gesamten Umstände missbräuchlich ist.
Ein solcher Missbrauch wird angenommen – so auch der Ausgangspunkt des OLG Rostock –, wenn das beherrschende Motiv und die eigentliche Triebfeder für die Geltendmachung des Anspruchs in sachfremden, für sich genommen nicht schutzwürdigen Interessen und Zielen liegen.
Dulden der Verletzungen eigener Mitglieder im Grundsatz zulässig
Für sich genommen noch nicht missbräuchlich sei in dieser Hinsicht, wenn
ein Verband gegen außenstehende Dritte vorgeht, den unlauteren Wettbewerb durch gleichartige Verletzungshandlungen der eigenen Mitglieder jedoch duldet.
In einem solchen Fall stünde es den Dritten ihrerseits frei, gegen gleichartige Handlungen der Verbandsmitglieder ebenfalls vorzugehen („vice versa“). Dies hat auch der BGH in einigen seiner Entscheidungen bereits klargestellt (BGH, Urteil v. 17. August 2011 – I ZR 148/10; BGH, Urteil v. 5. Oktober 2017 – I ZR 172/16).
Das OLG Rostock betonte zudem, dass es insbesondere grundsätzlich zulässig sei, als Verband die höchstrichterliche Klärung einer Rechtsfrage anzustreben und zu diesem Zweck zunächst gegen einen Dritten statt gegen ein eigenes Mitglied vorzugehen (so bereits BGH, Urteil v. 12. Dezember 1996 – I ZR 7/94).
Systematik und Zielgerichtetheit – der kleine, aber feine Unterschied
Allerdings – und das ist hier der Punkt – begründet sich das rechtsmissbräuchliche Verhalten im vorliegenden Fall darin, dass gezielt und systematisch keine eigenen Verbandsmitglieder abgemahnt worden sind.
Das OLG Rostock spricht vom „zielgerichteten Aussparen“ und „systematischen Verschonen“ eigener Mitglieder. Der Verband würde zielgerichtet zur Gewinnung neuer Mitglieder handeln, da er unter einer Mitgliedschaft Schutz vor Abmahnungen biete bzw. bei nachträglichem Beitritt vor weiterer wettbewerbsrechtlicher Verfolgung bewahren würde. Gegen diesen Vorwurf und generell „mit zweierlei Maß zu messen“, trug der Verband nichts Konkretes vor, sodass das OLG Rostock es als gegeben annahm.
Die gleiche Vorhaltung war bereits Gegenstand eines anderen Verfahrens gegen den besagten Verband, auch dort widerlegte er das unterstellte Vorgehen nicht.
Fazit: Selektives Vorgehen eines Verbandes ist missbräuchlich
Insgesamt bestätigte und erneuerte das OLG Rostock mit dieser aktuellen Entscheidung die Ansicht des BGH (BGH, Urteil v. 17. August 2011 – I ZR 148/10), wonach das selektive Vorgehen eines Verbandes ausschließlich gegen Nichtmitglieder rechtsmissbräuchlich ist, wenn es bezweckt, neue Mitglieder zu werben, denen nach einem Beitritt Schutz vor Verfolgung versprochen wird.
Festzuhalten bleibt, dass die Triebfeder für das Vorgehen des Verbandes im vom OLG Rostock zu entscheidenden Fall im Anwerben neuer Mitglieder gesehen wurde. Die wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsansprüche, die das UWG bietet, sollen jedoch derartigen Zwecken selbstverständlich nicht dienen, sondern vielmehr der Abwehr unlauterer geschäftlicher Handlungen.