Die Restschuldbefreiung ermöglicht Schuldnern einen wirtschaftlichen Neuanfang. Für Gläubiger bedeutet sie, dass ihre Forderung nicht mehr durchsetzbar sind.
Die Restschuldbefreiung existiert im deutschen Recht seit 1999. Der deutsche Gesetzgeber orientierte sich bei ihrer Einführung an den Vorbildern anderer Länder, insbesondere an England und den USA. Dort ist die Restschuldbefreiung seit jeher Teil der Bemühungen, überschuldeten Privatpersonen einen „fresh start″ zu ermöglichen.
Restschuldbefreiung anfangs umstritten
Rechtspolitisch war die Einführung der Restschuldbefreiung in Deutschland lange Zeit sehr umstritten. Ursprünglich lehnte der Gesetzgeber sie ab, weil er folgende Gefahr sah: Verbraucher könnten, wenn sie die Möglichkeit hätten, sich ihrer Schulden auf einfache Art und Weise zu entledigen, der Versuchung erliegen, auf Kosten ihrer Gläubiger Verbindlichkeiten anzuhäufen, die sie nicht begleichen könnten.
Mit der Zeit jedoch wandelte sich die Haltung des Gesetzgebers, auch weil in Deutschland Ende des letzten Jahrhunderts die Zahl der überschuldeten Privathaushalte rapide zunahm. Die Verschuldung wurde als gesamtgesellschaftliches Problem erkannt, was den Gesetzgeber zum Handeln zwang.
Keine Restschuldbefreiung zum Nulltarif
1999 wurde ein Kompromiss Gesetz: Eine Restschuldbefreiung sollte es geben, aber zum einen nicht zum Nulltarif und zum anderen nicht für alle Schulden.
Bestimmte Verbindlichkeiten waren von Anfang an von der Restschuldbefreiung ausgenommen, etwa Forderungen aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung (§ 302 InsO). Außerdem muss der Schuldner zunächst sein gesamtes pfändbares Vermögen zur Schuldentilgung einsetzen. Dies geschieht dadurch, dass die Restschuldbefreiung ein Insolvenzverfahren voraussetzt und im Rahmen dieses Verfahrens alle Vermögensgegenstände, die pfändbar sind, verwertet werden. Der Verwertungserlös fließt nach Abzug der Verfahrenskosten den Gläubigern zu.
Ursprünglich sieben Jahre Wartezeit bis zur Restschuldbefreiung
Neben dem pfändbaren Vermögen muss der Schuldner auch sein derzeitiges und künftiges pfändbares Einkommen an die Gläubiger abführen. Zu diesem Zwecke tritt er vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens für die Dauer der sogenannten Wohlverhaltensperiode seine Ansprüche auf pfändbare Einkünfte an einen Treuhänder ab (§ 287 Abs. 2 InsO). Dieser nimmt die Gelder, etwa vom Arbeitgeber des Schuldners, entgegen und verteilt sie an die Gläubiger.
Die Wohlverhaltensperiode, in der der Schuldner eine Erwerbstätigkeit ausüben und, wenn er keine hat, sich um eine solche bemühen muss, dauerte ursprünglich sieben Jahre. Für die Schuldner bedeutete dies, dass sie sieben Jahre lang ein Leben an den Pfändungsfreigrenzen führen mussten, ehe sie von ihren restlichen Verbindlichkeiten befreit wurden.
2014: Verkürzung der Wartezeit bis zur Restschuldbefreiung auf drei bis sechs Jahre
Die Wartefrist wurde 2014 verkürzt: Für alle Schuldner auf sechs Jahre und für die, deren pfändbare Einkünfte ausreichten, um die Kosten des Insolvenzverfahrens zu bestreiten, auf fünf Jahre.
Schuldner, die in der Lage waren, innerhalb von drei Jahren alle Verbindlichkeiten zu 35 % zu befriedigen, kamen bereits nach drei Jahren in den Genuss der Restschuldbefreiung (§ 300 InsO). Der Gesetzgeber wollte damit Anreize für Schuldner schaffen, auch überobligatorische Anstrengungen zu unternehmen, um möglichst schnell die Restschuldbefreiung zu erlangen.
Überlegungen zur Restschuldbefreiung in Europa
Auch auf Ebene der Europäischen Union gibt es seit Jahren vermehrt Bestrebungen, finanziell Gestrauchelten möglichst rasch einen wirtschaftlichen Neuanfang, die sogenannte zweite Chance, zu ermöglichen. Die lange Wartezeit bis zur Erteilung der Restschuldbefreiung in manchen Ländern und die Tatsache, dass in einigen Mitgliedstaaten (etwa Spanien) überhaupt keine Restschuldbefreiung existierte, wurde als Wirtschaftshemmnis angesehen, weil fähigen Unternehmern, die durch widrige Umstände Schulden angehäuft hatten, für immer oder für lange Zeit eine wirtschaftliche Betätigung versperrt wurde. Eine weitere Rolle spielte das als problematisch empfundene Phänomen, dass viele Schuldner, insbesondere Deutsche, für einen überschaubaren Zeitraum nach England zogen, weil dort die Restschuldbefreiung deutlich schneller als hierzulande, mitunter binnen eines Jahres, zu erhalten ist (bekannt als Restschuldbefreiungs-Tourismus oder „bankruptcy tourism″).
Nun Verkürzung der Wartezeit bis zur Restschuldbefreiung auf drei Jahre für alle Schuldner
2019 verabschiedeten das Europäische Parlament und der Rat die Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz. Sie verpflichtet alle Mitgliedstaaten, bis spätestens Juli 2022 in ihrem nationalen Recht ein Verfahren vorzusehen, dass Unternehmern eine volle Entschuldung nach spätestens drei Jahren ermöglicht.
Zur Begründung heißt es in Erwägungsgrund 5, dass ein Entschuldungsverfahren, das länger als drei Jahre dauere, einen wirtschaftlichen Neuanfang innerhalb eines angemessenen Zeitraums unmöglich mache, was sowohl für den Schuldner als auch für seine Gläubiger nachteilig sei. In ihrem Erwägungsgrund 21 enthält die Richtlinie die Empfehlung an die Mitgliedstaaten, eine solche Entschuldung binnen drei Jahren auch für Verbraucher vorzusehen, weil die Überschuldung von Verbrauchern wirtschaftlich und sozial äußerst bedenklich sei.
Deutscher Gesetzgeber beabsichtigt rasche Umsetzung
Der deutsche Gesetzgeber beabsichtigt die rasche Umsetzung der Richtlinie. Der Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz liegt seit dem 13. Februar 2020 vor. Er sieht eine komplexe Übergangsregelung mit Rückwirkung vor:
Wurde der Insolvenzeröffnungsantrag zwischen dem 17. Dezember 2019 und dem 16. Juli 2022 gestellt, verkürzt sich die Wartezeit für die Erteilung der Restschuldbefreiung kontinuierlich um einen Monat. Sie beträgt beispielsweise
- bei zwischen dem 17. Dezember 2019 und dem 16. Januar 2020 gestellten Insolvenzanträgen fünf Jahre und sieben Monate,
- bei zwischen dem 17. Mai 2021 und dem 16. Juni 2021 gestellten Anträgen vier Jahre und zwei Monate und
- bei zwischen dem 17. Juni 2022 und dem 16. Juli 2022 gestellten Anträgen drei Jahre und einen Monat.
Für alle vom 17. Juli 2022 an gestellten Anträge beträgt die Wartezeit nur noch drei Jahre, weil von diesem Zeitpunkt an die Richtlinie für die Mitgliedstaaten verbindlich ist.
Handlungsbedarf für Gläubiger?
Für Gläubiger wird sich voraussichtlich wenig ändern. Zwar befürchten Wirtschaftsverbände, dass die Verkürzung der Wartezeit negative Auswirkungen auf die Zahlungsmoral haben wird. Allerdings wird man hier unterscheiden müssen: Schuldner, die unverschuldet in eine Notlage geraten, werden weiterhin bemüht sein, ihre Verbindlichkeiten zu tilgen.
Und gegen diejenigen, die geradezu leichtfertig Schulden machen, hilft schon nach geltendem Recht die Sperrfrist: Wem einmal die Restschuldbefreiung erteilt worden ist, der kann einen neuen Restschuldbefreiungsantrag frühestens nach zehn Jahren stellen (§ 287a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 InsO). Ohnehin ist das Mittel der Wahl, sich Sicherheiten geben zu lassen, weil diese von der Erteilung der Restschuldbefreiung unberührt bleiben (§ 301 Abs. 2 InsO).