13. Juni 2018
Verjährung Kartellschadensersatz
Kartellrecht

BGH löst Verjährungsstreit im Kartellschadensersatzrecht

Der BGH bejaht eine verjährungshemmende Wirkung für kartellrechtliche Ansprüche vor dem 1. Juli 2005.

Der BGH hat mit Urteil vom 12. Juni 2018 (Az.: KZR 56/16) im Grauzementkartell II-Fall entschieden, dass eine verjährungshemmende Wirkung des § 33 Abs. 5 GWB a.F. (jetzt § 33h Abs. 6 GWB) auch für vor dem 1. Juli 2005 entstandene Kartellschadensersatzansprüche (sog. „Altfälle“) besteht, sofern an jenem Tag die Ansprüche nicht bereits verjährt waren.

Durch das mit Spannung erwartete Urteil hat der BGH damit eine seit Jahren umstrittene Frage des Kartellschadensersatzrechts zugunsten von Kartellgeschädigten entschieden.

Kartellrechtliche Altfälle nicht verjährt

Während die Entscheidung für die Beklagten im Zementkartell, aber auch für die Beklagten im Lkw-Kartell (vgl. LG Hannover, Urt. v. 18. Dezember 2017 – 18 O 8/17), Zuckerkartell (BKartA, B. v. 18. Februar 2014 – B2 36/09) oder Schienenkartell (vgl. OLG Jena, Urt. v. 22. Februar 2017 − 2 U 583/15 Kart), um nur einige zu nennen, einen herben Rückschlag bedeutet, werden die (vermeintlich) geschädigten Kläger aufatmen. Ihre Ansprüche sind nicht verjährt und können weiter verfolgt werden.

Der Hintergrund des Rechtsstreits ist folgender: Geschädigte eines Kartells können von den Teilnehmern eines Kartells ihren Schaden ersetzt verlangen, etwa den kartellbedingten Mehrpreis eines Produkts (sog. „Overcharge“). Das Problem der Geschädigten: Kartelle werden typischerweise im Geheimen vereinbart und teilweise erst Jahre oder Jahrzehnte später aufgedeckt. Wer nichts von seinem Anspruch weiß, kann diesen auch nicht (verjährungshemmend) geltend machen. Es drohte die kenntnisunabhängige Verjährung, die in Deutschland (für Altfälle) 10 Jahre nach Entstehung des Anspruchs eintritt (§ 199 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 BGB).

Der Gesetzgeber kam den Geschädigten mit der zum 1. Juli 2005 eingeführten Vorschrift des § 33 Abs. 5 GWB a.F. im Rahmen der 7. GWB-Novelle zur Hilfe. Hierdurch wird der Lauf der Verjährungsfrist durch Ermittlungen einer Kartellbehörde, wie dem Bundeskartellamt oder der Europäischen Kommission, gehemmt. Dies diente dem Ziel, Kartellgeschädigten zu ihrem Recht und damit gleichzeitig dem Kartellverbot auf privatrechtlichem Weg zur Durchsetzung zu verhelfen (sog. „private enforcement“). Leider erklärte sich der Gesetzgeber nicht (explizit) zu einem wesentlichen Punkt: Gilt die Vorschrift nur für in der Zukunft, d.h. für nach dem 1. Juli 2005 entstehende Ansprüche (so der häufige Einwand der Beklagten), oder sollen auch schon zuvor entstandene Ansprüche von der Hemmung der Verjährung profitieren (so die häufige Meinung der Kläger)?

BGH stärkt Rechte der Kartellgeschädigten

Der BGH hat zugunsten der Kartellgeschädigten entschieden und eine verjährungshemmende Wirkung für vor dem 1. Juli 2005 entstandene Kartellschadensersatzansprüche anerkannt. Dies hatte bereits die Mehrheit der Stimmen in der obergerichtlichen Rechtsprechung (u.a. OLG Düsseldorf, Urt. v. 18. Februar 2015 – VI-U (Kart) 3/14) ebenso gesehen. Hierfür sprechen die Systematik des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) und der Sinn und Zweck der Vorschrift.

Die insbesondere durch die Vorinstanz vertretene Gegenmeinung stützte sich auf den Wortlaut der Vorschrift. Dieser könne sich nur auf zukünftige Ansprüche beziehen, so die Richter der Vorinstanz (OLG Karlsruhe, Urt. v. 9. November 2016 – 6 U 204/15 Kart (2)). Diese Meinung teilt der BGH nicht.

Der BGH verweist in seiner Entscheidung sowohl auf Art. 169 EGBGB als auch auf Art. 231 § 6 Abs. 1 S. 1 und 2 EGBGB sowie Art. 229 § 6 Abs. 1 S. 1 und 2 EGBGB. In diesen Normen hätte ein bereits vom Reichsgericht entwickelter Grundsatz Niederschlag gefunden. Das Reichsgericht formulierte demnach einen allgemeinen Rechtsgedanken, wonach bei einer Änderung der gesetzlichen Bestimmungen über die Verjährung eines Anspruchs das neue Gesetz ab dem Zeitpunkt seines Inkrafttretens auf zuvor bereits entstandene, zu diesem Zeitpunkt noch nicht verjährte Ansprüche Anwendung finde. Im konkreten Fall bedeutet dies, dass eine verjährungshemmende Wirkung des § 33 Abs. 5 GWB a.F. (jetzt § 33h Abs. 6 GWB) auch für vor dem 1. Juli 2005 entstandene Kartellschadensersatzansprüche besteht, sofern an jenem Tag die Ansprüche nicht bereits verjährt waren.

Anders – so der BGH – würde sich die Rechtslage nur darstellen, wenn die Neufassung der Verjährungsregelung mit grundlegenden Änderungen im materiellen Recht einherginge oder wenn der Gesetzgeber ausdrücklich eine abweichende Regelung getroffen hätte. Beides verneint der BGH in diesem Fall jedoch.

Fazit: Urteil mit großen wirtschaftlichen Auswirkungen in Kartellrechtsstreitigkeiten

Die Frage der Verjährung von Altfällen war ein maßgeblicher Streitpunkt zwischen Kartellgeschädigten und Kartellbeteiligten, über die große Uneinigkeit herrschte. Die Entscheidung in dieser Rechtsfrage wirkt sich in der Praxis auf eine Vielzahl von millionenschweren Ansprüchen und Klagen aus.

Der BGH hat daher mit seinem Urteil vom 12. Juni 2018 eine wichtige Entscheidung für das Kartellschadensersatzrecht getroffen und klägerfreundlich entschieden.

Die Rückwirkung der Verjährungshemmung hat große wirtschaftliche Auswirkungen auf laufende Verfahren. Die Frage betrifft jedoch ausschließlich länger zurückliegende Kartelle. Für Kartellschadensersatzansprüche, die nach dem 1. Juli 2005 entstanden sind, hatte der Rechtsstreit keine Bedeutung. Den Gesetzgeber hat die seit Jahren schwelende Diskussion allerdings bewogen, die im vergangenen Jahr umgesetzte 9. GWB-Novelle mit expliziten Übergangsbestimmungen zu versehen (§ 186 GWB).

Ob es dem Gesetzgeber damit gelungen ist, ähnliche Rechtstreitigkeiten rund um die rückwirkende Anwendbarkeit neuer Vorschriften auszuschließen, bleibt abzuwarten.

Tags: Kartellschadensersatz Verjährung

Frédéric Crasemann