9. Januar 2017
Verjährung Kartellschadensersatz
Kartellrecht

Das OLG Karlsruhe im Dickicht des Verjährungsrechts

Das OLG Karlsruhe und die Anwendung der Verjährungsregelungen für Kartellschadensersatzansprüche für die Zeit bis zum 30. Juni 2005.

Wenn Unternehmen gegen das Kartellverbot verstoßen, können die von diesem Kartell Geschädigten Schadensersatz verlangen. Dabei sind alle am Kartellverstoß beteiligten Unternehmen verpflichtet, den Geschädigten den gesamten durch das Kartell entstandenen Schaden zu ersetzen. Der Geschädigte darf den Schaden jedoch nur einmal ersetzt verlangen.

Das Problem der meisten Gläubiger eines kartellrechtlichen Schadensersatzanspruchs ist, dass sie eine sehr lange Zeit von ihrem Anspruch nichts wissen. So können kartellrechtliche Schadensersatzansprüche, die wegen Verstößen gegen das Kartellverbot bis zum 30. Juni 2005 entstanden sind, bereits verjährt sein.

Der Gesetzgeber versuchte dieser Problematik zu begegnen und nahm zum 01. Juli 2005 eine Norm in das GWB auf, nach der Verfahren von Kartellbehörden eines Mitgliedstaats der Europäischen Union oder der Europäischen Kommission wegen eines Kartellverstoßes den Lauf der Verjährungsfrist eines kartellrechtlichen Schadensersatzanspruchs hemmen.

Diese Hemmungsvorschrift soll nach Ansicht des OLG Karlsruhe auf alle Ansprüche auf Kartellschadensersatz für die Zeit bis zum 30. Juni 2005 nicht anwendbar sein. Diese Rechtsfrage ist aktuell von überragender praktischer Bedeutung, da in vielen kartellrechtlichen Schadensersatzprozessen solche Ansprüche für die Zeit bis zum 30. Juni 2005 verhandelt werden.

Bußgeld gegen Zementhersteller

Im Jahr 2003 verhängte das Bundeskartellamt (BKartA) Bußgelder gegen mehrere Zementhersteller wegen in der Vergangenheit liegender Vereinbarungen von Quotenkartellen für Zement. Nach den Beschwerden der betroffenen Zementhersteller verhängte das OLG Düsseldorf 2009 gegen mehrere dieser Zementhersteller Bußgelder. Auf die Rechtsbeschwerde wurde das Bußgeldverfahren durch Beschluss des BGH im Jahr 2013 rechtskräftig abgeschlossen. Einer dieser Zementhersteller wurde vor dem OLG Karlsruhe auf kartellrechtlichen Schadensersatz in Anspruch genommen.

Entscheidung des OLG Karlsruhe: Kartellschadensersatz verjährt

Das OLG Karlsruhe hat vor Kurzem über einen kartellrechtlichen Schadensersatzanspruch zu entscheiden, den eine Betroffene wegen des Quotenkartells für Zement in der Zeit von Januar 1993 bis Ende 2002 geltend machte.

Die Klägerin konnte im Zeitpunkt der Klageerhebung mangels Sachverständigengutachtens die Schadenshöhe nicht konkret beziffern und wollte mit der Feststellungsklage ihren kartellrechtlichen Schadensersatzanspruch für die Zukunft sichern. Rechtskräftig durch ein Gericht festgestellte Ansprüche verjähren erst 30 Jahre nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens.

Das OLG Karlsruhe hat entschieden, dass die Beklagte verpflichtet sei, der Klägerin den kartellbedingten Mehrerlös aus Zementverkäufen an die Klägerin für die Zeit von Januar 1993 bis Ende 2002 herauszugeben.

OLG Karlsruhe: Anspruch „nur″ auf Herausgabe der ungerechtfertigten Bereicherung

Das OLG Karlsruhe hat entschieden, dass der Klägerin lediglich ein Anspruch auf Herausgabe der ungerechtfertigten Bereicherung der kartellbedingt überhöhten Preise für die Zementverkäufe in der Zeit von Januar 1993 bis Ende 2002 zustehe. Die von der Klägerin darüber hinaus begehrte Feststellung, dass die Beklagte auf Ersatz des vollen Schadens hafte, wurde wegen Verjährung des kartellrechtlichen Schadensersatzanspruchs abgewiesen.

Die Ausführungen des OLG Karlsruhe zur Verjährung verdienen besonderer Aufmerksamkeit und können – hinsichtlich der Hemmungswirkung – als spektakulär eingeschätzt werden. Andere (ebenfalls erwähnenswerte) zivilprozessuale und materiellrechtliche Ausführungen des OLG Karlsruhe werden hier ausgeblendet.

Verjährung von Kartellschadensersatzansprüchen

Im Ausgangspunkt liegt das OLG Karlsruhe voll auf der Linie der bisherigen Rechtsprechung zur Verjährung von kartellrechtlichen Schadensersatzansprüchen. So hat es zum Beginn der Verjährungsfrist und zur Verjährungsdauer festgestellt, dass

  1. aufgrund fehlender positiver Kenntnis der Klägerin von ihrem kartellrechtlichen Schadensersatzanspruch für die Zeit bis zum 31. Dezember 2001 das Verjährungsrecht ab Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes (01. Januar 2002) gelte, und
  2. der Beginn der regelmäßigen dreijährigen Verjährungsfrist die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis der Klägerin von den anspruchsbegründenden Umständen voraussetze.

Beginn der regelmäßigen Verjährungsfrist

Das OLG Karlsruhe führt zum Verjährungsbeginn aus:

Positive Kenntnis

Die für den Verjährungsbeginn erforderliche positive Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen des Kartellschadensersatzes setze voraus, dass der Gläubiger des kartellrechtlichen Schadensersatzanspruchs entweder den Bußgeldbescheid des BKartA oder die Akten des BKartA eingesehen habe.

Nach Ansicht des OLG Karlsruhe waren in der Presseberichterstattung (sowohl des BKartA als auch der allgemeinen Presse) die Erkenntnisse des BKartA und die verfügbaren Beweismittel „nur in stark zusammengefasster und allgemeiner Form bezeichnet„. Auf dieser Grundlage sei es der Klägerin nicht möglich gewesen, auf zumutbare Art und Weise eine erfolgversprechende Feststellungsklage zu erheben.

Auf grober Fahrlässigkeit beruhende Unkenntnis

Das OLG Karlsruhe ist der Ansicht, es hätte sich der Klägerin durch die Presseberichterstattung aufdrängen müssen, dass die Beklagte wegen ihrer Beteiligung am Quotenkartell Schuldnerin eines kartellrechtlichen Schadensersatzanspruchs sei. Daher hätte die Klägerin Einsicht in die Verfahrensakten des BKartA nehmen müssen.

Die Unkenntnis der Klägerin über die Umstände des kartellrechtlichen Schadensersatzanspruchs beruhe auf grober Fahrlässigkeit, da die Klägerin keine Akteneinsicht genommen habe. Die grob fahrlässige Unkenntnis der Klägerin lag jedoch erst im Jahr 2004 vor, da ein Akteneinsichtsbegehren nach der Presseberichterstattung im Jahr 2003 erst im Jahr 2004 erfolgreich gewesen wäre. Die Verjährungsfrist begann damit – nach Ansicht des OLG Karlsruhe – am 31. Dezember 2004 zu laufen.

Ablauf der Verjährungsfrist des Kartellschadensersatzanspruchs

Die dreijährige regelmäßige Verjährungsfrist lief also am 31. Dezember 2007 ab; die Verjährung trat damit am 01. Januar 2008 ein.

Das OLG Karlsruhe verneinte eine verjährungshemmende Wirkung des Bußgeldverfahrens, welches durch die Verfahrenseröffnung des BKartA (vor 2003) begann und erst mit Beschluss des BGH im Jahr 2013 rechtskräftig endete.

Keine Hemmungswirkung für Anspruch auf Kartellschadensersatz

Womöglich der spektakulärste Punkt in den Entscheidungsgründen des OLG Karlsruhe ist die ausdrückliche Verneinung der Anwendbarkeit der verjährungshemmenden Vorschrift des GWB auf den kartellrechtlichen Schadensersatzanspruch bei sog. „Altfällen″:

Das OLG Karlsruhe hat – in ausdrücklicher Ablehnung der Rechtsauffassung des OLG Düsseldorf (Urteil v. 18.02.2015 – VI-U (Kart) 3/14) – entschieden, dass kartellbehördliche Verfahren wegen eines Kartellrechtsverstoßes keine verjährungshemmende Wirkung zukomme, wenn der kartellrechtliche Schadensersatzanspruch für eine Zeit bis zum 30. Juni 2005 geltend gemacht wird. Dies ergäbe sich aus dem „eindeutigen″ Wortlaut der Norm. In der verjährungshemmenden Norm wird auf die Verjährung des Schadensersatzanspruchs nach Absatz 3 Bezug genommen.

Nach Ansicht des OLG Karlsruhe können kartellbehördliche Verfahren den Lauf der Verjährungsfrist somit nur für solche kartellrechtlichen Schadensersatzansprüche hemmen, die sich auf die Fassung des Gesetzes stützen lassen, wie sie seit dem 01. Juli 2005 geltendes Recht ist. Eine analoge Anwendung der verjährungshemmenden Norm komme mangels planwidriger Regelungslücke – einer der Voraussetzungen einer Analogie – nicht in Betracht.

Verjährungshemmung von Kartellschadensersatz: OLG Karlsruhe vs. OLG Düsseldorf

Die Rechtsausführungen des OLG Karlsruhe zur Nichtanwendbarkeit der verjährungshemmenden Norm stehen im Widerspruch zur Rechtsprechung des OLG Düsseldorf:

Das OLG Karlsruhe belässt es bei der Wortlautauslegung der verjährungshemmenden Norm. Durch den „eindeutigen″ Wortlaut der Norm sieht sich das OLG Karlsruhe gehindert, die Norm auf die Verjährungsfrist für kartellrechtliche Schadensersatzansprüche für die Zeit bis zum 30. Juni 2005 anzuwenden.

Dem hält das OLG Düsseldorf entgegen, dass der Wortlaut der verjährungshemmenden Norm gerade offen sei und mehr als ein Auslegungsergebnis zulasse. Die Norm könne „zwanglos″ dahin verstanden werden, dass sie auf alle kartellrechtlichen Schadensersatzansprüche anwendbar sei, die auf einem Kartellverstoß des Anspruchsgegners basieren. Ob dieser Kartellverstoß vor oder nach dem 01. Juli 2005 begangen wurde, sei dabei gleichgültig. Die Norm könne also „ohne Weiteres dahin verstanden werden„, dass sie auf alle Schadensersatzansprüche wegen Verstoßes gegen das GWB oder die europarechtlichen Kartellvorschriften anwendbar sei.

Weiter führt das OLG Düsseldorf aus, dass gerade die Auslegung nach Sinn und Zweck die Anwendung der verjährungshemmenden Vorschrift gebiete. Nach Ansicht des OLG Düsseldorf sollte die private Rechtsdurchsetzung bei kartellrechtlichen Schadensersatzansprüchen durch die zum 01. Juli 2005 aufgenommen Regelungen verbessert werden.

Die verjährungshemmende Norm sei zudem vor dem Hintergrund der Tatbestandswirkung von Entscheidungen in Kartellverwaltungs- bzw. Kartellbußgeldverfahren zu sehen. Das OLG Düsseldorf führt dazu aus:

Um den Kartellgeschädigten in den Genuss dieser Tatbestandswirkung kommen zu lassen […], hat der Gesetzgeber zudem in § 33 Abs. 5 GWB 2005 die Hemmung der Anspruchsverjährung während des kartellbehördlichen Verfahrens eingeführt.

Zudem sei – nach Ansicht des OLG Düsseldorf – eine Differenzierung für kartellrechtliche Schadensersatzansprüche für die Zeit vor und nach dem 01. Juli 2005 nicht ersichtlich.

Welche Rechtsansicht sich schließlich durchsetzen wird, wird der BGH zu entscheiden haben. Ob der BGH bereits im Verfahren des OLG Karlsruhe Gelegenheit bekommt, diese Rechtsfrage zu klären, ist ungewiss. Derzeit haben – soweit ersichtlich – die Parteien des Verfahrens vor dem OLG Karlsruhe noch keine Rechtsmittel eingelegt.

(Wenigstens) Anspruch auf Restschadensersatz

Die Klägerin steht jedoch nicht mit leeren Händen da. Das OLG Karlsruhe spricht der Klägerin einen Anspruch auf Restschadensersatz zu. Dieser sog. Restschadensersatz gewährt Gläubigern deliktischer Schadensersatzansprüche einen Anspruch auf Herausgabe eines Mehrerlöses beim Schädiger.

Das OLG Karlsruhe stellt fest, dass die Beklagte verpflichtet sei, den kartellbedingten Mehrerlös aus den Beschaffungsvorgängen der Klägerin für die Zeit von Januar 1993 bis Ende 2002 an die Klägerin herauszugeben. Der Anspruch auf Restschadensersatz sei am 01. Januar 2008 wegen Verjährung des kartellrechtlichen Schadensersatzanspruchs entstanden. Dieser Anspruch soll erst zehn Jahren nach seiner Entstehung verjähren. Der am 01. Januar 2008 entstandene Restschadensersatzanspruch war am Tag der Klageerhebung (26. Februar 2015) noch nicht verjährt.

Rechtsauffassung des OLG Karlsruhe zweifelhaft

Die Rechtsauffassung zur Verjährung des Restschadensersatzanspruchs erscheint schwer mit dem geltenden Recht in Einklang zu bringen. Die Anspruchsgrundlage des Restschadensersatzes, den das OLG Karlsruhe anwendet, meint mit der Entstehung des Anspruchs, den Zeitpunkt, zu dem der (bereits verjährte) kartellrechtliche Schadensersatzanspruch entstanden ist.

Der Anspruch auf Restschadensersatz begründet nämlich keine neue Pflicht eines Kartellbeteiligten. Der Restschadensersatzanspruch begrenzt lediglich den Inhalt des Ersatzanspruchs auf die beim Schädiger verbliebene ungerechtfertigte Bereicherung. Die kartellrechtlichen Schadensersatzansprüche der Klägerin sind jedoch in der Zeit von Januar 1993 bis Ende 2002 sukzessive entstanden. Der letzte Teil des Restschadensersatzanspruchs ist damit am 31. Dezember 2012 verjährt.

So heißt es in der Regierungsbegründung zur Novellierung des § 852 BGB:

Er [gemeint ist der Restschadensersatzanspruch; Anm. d. Verf.] greift ein, wenn der „normale“ Schadensersatzanspruch gemäß den §§ 195, 199 RE drei Jahre nach Fälligkeit und Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners verjährt ist. Entsprechend der in Satz 2 bestimmten Verjährungsfrist von zehn Jahren kann der Berechtigte damit noch maximal sieben Jahre den deliktischen Bereicherungsanspruch geltend machen.

Bei konsequenter Gesetzesauslegung hätte das OLG Karlsruhe die Klage vollständig abweisen müssen.

Fazit: BGH muss zur Hemmung der Verjährung eines Kartellschadensersatzes entscheiden

Durch die Nichtanwendbarkeit der verjährungshemmenden Vorschrift auf kartellrechtliche Schadensersatzansprüche dürften die meisten Ansprüche für die Zeit bis zum 30. Juni 2005 wegen Verjährung nicht mehr durchsetzbar sein. Lediglich der Restschadensersatzanspruch könnte – folgt man dem OLG Karlsruhe – noch durchsetzbar sein. Man wird eine Entscheidung des BGH zu dieser Rechtsfrage abwarten müssen. Bis dahin besteht bei dieser Rechtsfrage Rechtsunsicherheit.

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