26. Juli 2018
Preisalgorithmus vertikale Preisbindung
Kartellrecht

EU-Kommission: Auswirkungen von Preisalgorithmen bei vertikaler Preisbindung

Algorithmen stehen im Fokus der Kartellbehörden. Dies verdeutlichen auch die Bußgeldentscheidungen der EU-Kommission gegen vier Elektronikhersteller.

Am 24. Juli 2018 hat die Europäische Kommission Geldbußen gegen vier Elektronikhersteller wegen kartellrechtlich unzulässiger Preisbindung ihrer Online-Einzelhändler verhängt. Bei der Bewertung der Auswirkungen der vertikalen Preisbindung berücksichtigte die Kommission auch den Einsatz von Preisalgorithmen durch die Händler. Die Entscheidung ist ein weiteres Indiz dafür, dass Algorithmen auf der Prioritätenliste der Wettbewerbshüter weit oben stehen.

Die Bußgeldentscheidungen ergingen gegen vier Elektronikhersteller aus Japan, Taiwan und den Niederlanden. Die Kommission ist zu der Feststellung gelangt, dass die Hersteller ihre Online-Einzelhändler in der Festlegung ihrer Wiederverkaufspreise für Elektronikprodukte (z. B. Notebooks, Kopfhörer, Lautsprecher, Küchengeräte, Staubsauger oder Haartrockner) beschränkt und auf diese Weise gegen das Kartellverbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV verstoßen haben.

Festsetzung von Fest- oder Mindestweiterverkaufspreisen kartellrechtlich unzulässig

Art. 101 Abs. 1 AEUV verbietet wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen zwischen Unternehmen und nennt ganz ausdrücklich die unmittelbare oder mittelbare Festsetzung von Verkaufspreisen. Das Verbot gilt auch zwischen Lieferanten und Händlern, d. h. in der vertikalen Beziehung zwischen Unternehmen unterschiedlicher Marktstufen. Vertikale Preisbindung stellt eine sog. Kernbeschränkung (Art. 4 lit. a) Vertikal-GVO) dar, die im Regelfall nicht vom Kartellverbot freigestellt werden kann.

Zulässig sind die Vorgabe von Höchstverkaufspreisen und die Abgabe von Preisempfehlungen. Unzulässig ist die Festsetzung von Fest- oder Mindestweiterverkaufspreisen. Eine solche Festsetzung kann auch mittels Druckausübung oder Sanktionsandrohungen erfolgen. Besonders wirksam sind solche Maßnahmen, wenn sie mit Preisüberwachungssystemen kombiniert werden.

Drohungen, Sanktionen und Monitoring durch die Elektronikhersteller

Entsprechend sind die bebußten Elektronikhersteller laut Kommission vorgegangen. Insbesondere dann, wenn die Online-Einzelhändler die Produkte aus Sicht der Hersteller zu niedrig anboten, reagierten die Hersteller mit Drohungen oder Sanktionen, etwa einem Belieferungsstopp. Daneben bestand ein hochentwickelter Überwachungsmechanismus, mit dessen Hilfe die Hersteller die Preise nachverfolgen und im Falle von Preissenkungen zügig reagieren konnten.

Die Kommission hat die Geldbußen auf insgesamt über 111 Mio. Euro festgesetzt. Aufgrund einer umfassenden Zusammenarbeit der Hersteller mit der Kommission fiel der Betrag nicht noch höher aus. Es handelt sich um die ersten Bußgeld-Entscheidungen der Kommission bei vertikaler Preisbindung seit Jahren.

Wegen Preisalgorithmen wirkt sich Preisbindung auf die gesamten Onlinepreise aus

Beachtenswert sind die Entscheidungen aber vor allem, weil die Kommission ausdrücklich die Bedeutung von Preisalgorithmen hervorhebt. Sie hält fest, dass viele Online-Einzelhändler Preisalgorithmen einsetzen und auf diese Weise ihre Einzelhandelspreise automatisch an die Preise ihrer Wettbewerber anpassen würden. Nach Auffassung der Kommission wirken sich daher die Preisbeschränkungen für die einzelnen Online-Händler des Niedrigpreissegments auf die gesamten Online-Preise für die jeweiligen Elektronikprodukte aus.

Die Preisalgorithmen haben das allgemeine Preisniveau im Online-Markt also hoch gehalten. Letztlich wirkt sich die vertikale Preisbindung im Verhältnis Lieferant und Händler somit auch horizontal zwischen den Händlern aus.

Algorithmen im Fadenkreuz der Kartellbehörden

Algorithmen stehen bei den Kartellbehörden schon länger weit oben auf der Prioritätenliste, wenngleich in einem anderen Zusammenhang als dem der aktuellen Kommissions-Entscheidungen. Diese behandeln – in einem Vertikalfall zwischen Lieferanten und Händlern – die verstärkenden Auswirkungen einer Preisbindung durch die von den gebundenen Händlern selbst eingesetzten Preisalgorithmen.

Algorithmenbasierte Monitoring-Systeme

Die kartellrechtliche Diskussion bei Vertikalfällen dreht sich aber vor allem um algorithmenbasierte Monitoring-Systeme, mittels der der Lieferant die Weiterverkaufspreise seiner Händler überwachen kann. Werden solche Überwachungssysteme genutzt, um zügig mit Druck oder Sanktionsdrohungen auf zu niedrige Preissetzung zu reagieren, ist die Schwelle zur faktischen vertikalen Preisbindung schnell überschritten.

Algorithmen als Gehilfen eines Kartellverstoßes zwischen Wettbewerbern

Weiter stehen solche Algorithmen im Fokus, die von Wettbewerbern als „Gehilfe″ einer horizontalen Preisabsprache eingesetzt werden. Denkbare Konstellationen sind insbesondere die folgenden:

  • Unternehmen setzen Algorithmen zur Übermittlung strategischer Informationen an Wettbewerber oder zur Analyse der von Wettbewerbern erhaltenen strategischen Informationen ein.
  • Unternehmen sprechen Preise ab und einigen sich zur Implementierung dieser Absprache auf den Einsatz eines bestimmten Algorithmus.
  • Unternehmen vereinbaren, jeweils ein bestimmtes IT-Unternehmen zu beauftragen, das ihnen vereinbarungsgemäß denselben Algorithmus programmieren soll.

In eine der beiden letzten Kategorien scheint auch das in den Medien erwähnte mutmaßliche Ersatzteil-Kartell zu fallen. Zwei französische Autobauer sollen vereinbarungsgemäß und unter Einbeziehung des IT-Dienstleisters denselben Preisalgorithmus genutzt haben, um ihre Preise für Ersatzteile anzupassen.

EU-Wettbewerbskommissarin: Unternehmen können sich nicht hinter Computerprogrammen verstecken

Die viel beachtete Aussage der EU-Wettbewerbskommissarin Vestager, wonach Unternehmen der Verantwortung für Kollusion nicht entfliehen können, indem sie sich hinter einem Computerprogramm verstecken, beansprucht für die angeführten Konstellationen jedenfalls Gültigkeit. Solchermaßen eingesetzte Algorithmen können die Wettbewerbshüter mit dem bewährten kartellrechtlichen Instrumentarium bewältigen.

Künstliche Intelligenz und selbstlernende Algorithmen im Kartellrecht

Ob dies jedoch auch für Künstliche Intelligenz (KI) und sog. selbstlernende Algorithmen gilt, die gewissermaßen selbst als „Täter″ die Preise abstimmen könnten, wird derzeit kontrovers diskutiert.

Selbstlernende Algorithmen sind Computerprogramme, die Informationen verarbeiten und kontinuierlich dazulernen. Würden solche Algorithmen autonom, d. h. ohne weitere Interaktion der Unternehmen lernen, dass es wirtschaftlich sinnvoll ist, sich den online veröffentlichten Preisen der Wettbewerber anzupassen, stünde das Vorliegen einer Vereinbarung bzw. eines abgestimmten Verhaltens zwischen Unternehmen infrage – und damit die Anwendung des Kartellverbots als solche. Die im Ergebnis abgestimmten Preise könnten lediglich das Ergebnis kartellrechtlich zulässigen Parallelverhaltens sein.

Monopolkommission empfiehlt Sektoruntersuchungen zu Algorithmen

Ob und inwiefern das geltende Recht hier angepasst werden muss, ist Gegenstand aktueller Debatten. Die Monopolkommission jedenfalls hat in ihrem jüngsten Gutachten aus Juli 2018 auf Gefahren durch Preisalgorithmen hingewiesen und zunächst insbesondere nur für eine verstärkte Marktbeobachtung durch kartellbehördliche Sektoruntersuchungen plädiert.

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