25. Juni 2020
Bundeskartellamt Facebook
Kartellrecht

Facebook – Dritter Akt: Oberwasser für das Bundeskartellamt

Der Bundesgerichtshof bestätigt im Eilverfahren die Entscheidung des Bundeskartellamts. Facebook muss seine Nutzungsbedingungen vorläufig anpassen.

Das Bundeskartellamt hat im Eilverfahren die Schlussetappe vor dem Bundesgerichtshof gewonnen und damit den vorläufigen Sieg eingefahren. Im August 2019 mussten die Bonner Wettbewerbshüter noch einen erheblichen Dämpfer einstecken, als das Oberlandesgericht Düsseldorf den Eilanträgen des Tech-Giganten stattgegeben und die aufschiebende Wirkung seiner Beschwerde angeordnet hat.

Auf die Rechtsbeschwerde des Bundeskartellamts hin hat der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs den Beschluss des Bundeskartellamts aus Februar 2019 nun bestätigt (Beschluss vom 23. Juni 2020, KVR 69/19). Facebook muss den Beschluss bis zur endgültigen Hauptsacheentscheidung umsetzen und seine Nutzungsbedingungen insbesondere so anpassen, dass eine Zusammenführung der Daten von Facebook-Diensten und Drittseiten nur bei einer freiwilligen Einwilligung des Nutzers erfolgt. Hierzu muss Facebook dem Bundeskartellamt zunächst einen Umsetzungsplan vorlegen, der im Einzelnen darstellt, welche Änderungen in welchen Schritten und zu welchen Zeitpunkten erfolgen.

Bislang hat der Bundesgerichtshof nur eine Pressemitteilung zum Ausgang des Verfahrens veröffentlicht. Inwieweit der Beschluss aus Karlsruhe die Hauptsacheentscheidung präjudiziert, hängt davon ab, in welcher Tiefe sich der Bundesgerichtshof inhaltlich mit den rechtlichen Fragen des Verfahrens auseinandergesetzt hat.

Facebooks Nutzungsbedingungen ermöglichen Zusammenführung zu Nutzerprofil

Das im März 2016 initiierte Kartellverfahren richtet sich gegen die Nutzungsbedingungen von Facebook zur Sammlung und Verarbeitung von Daten aus „Drittquellen″. Danach können Nutzer das soziale Netzwerk nur nutzen, wenn Facebook auch außerhalb der Facebook-Seite Daten über den Nutzer im Internet oder auf Smartphone-Apps sammeln und dem Facebook-Nutzerkonto zuordnen darf. Außerhalb des eigentlichen sozialen Netzwerks sammelt Facebook Daten über konzerneigene Diensten (z.B. WhatsApp und Instagram) sowie auf Dritt-Webseiten/-Apps mittels sog. „Facebook Business Tools″ (z.B. mittels eines Facebook „Like-Buttons″, eines „Facebook Logins″ oder „Facebook Analytics″). Durch die Zusammenführung von Eigen- und Drittdaten kann Facebook für jeden Nutzer ein genaues Profil erstellen.

Bundeskartellamt hat „innere Entflechtung″ angeordnet

Das Bundeskartellamt hat Facebook in seinem Beschluss vom 6. Februar 2019 (B6 – 22/16) als Marktbeherrscher auf dem Markt für soziale Medien in Deutschland eingestuft und die Nutzungsbedingungen als einen Marktmachtmissbrauch bewertet. Die Bonner Wettbewerbshüter haben Facebook dazu verpflichtet, seine Nutzungsbedingungen anzupassen und sein Geschäftsmodell in Bezug auf Datensammlung und -verarbeitung zu ändern. Hinsichtlich der Daten sei eine „innere Entflechtung″ notwendig (zu den Einzelheiten auch das Hintergrundpapier des Bundeskartellamts).

Beschwerde und einstweiliger Rechtsschutz vor dem OLG Düsseldorf

Gegen den Beschluss des Bundeskartellamts hat Facebook Beschwerde beim OLG Düsseldorf eingelegt (VI-Kart 2/19 (V)). Weil die Beschwerde aber von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung hat, d.h. Facebook trotz Rechtsmittels verpflichtet gewesen wäre, die Entscheidung aus Bonn innerhalb der vom Amt gesetzten Zwölf-Monats-Frist umzusetzen, hat Facebook im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes beantragt, die aufschiebende Wirkung der Beschwerde anzuordnen. Ein solcher Antrag ist u.a. begründet, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verfügung bestehen (§ 65 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GWB). Im Rahmen einer summarischen Überprüfung muss die Aufhebung der Entscheidung überwiegend wahrscheinlich sein. Diese Voraussetzungen lagen nach Auffassung des Düsseldorfer Senats vor (Beschluss vom 26. August 2019, VI-Kart 1/19 (V)); die Richter gaben den Eilanträgen von Facebook aus verschiedenen Gründen und unter deutlicher Kritik am Bundeskartellamt statt und ordneten die aufschiebende Wirkung der Beschwerde Facebooks an.

Kartellsenat des BGH folgt dem Bundeskartellamt

Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat die Entscheidung des OLG Düsseldorf auf die Rechtsbeschwerde (§ 74 Abs. 1 GWB) des Bundeskartellamts hin aufgehoben. Nach Auffassung der Karlsruher Richter bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Bundeskartellamts. Die Beschwerde Facebooks hat daher keine aufschiebende Wirkung mehr und das Bundeskartellamt kann das von ihm ausgesprochene Verbot der Zusammenführung von Nutzerdaten aus verschiedenen Quellen ohne weitere Einwilligung der Nutzer durchsetzen.

BGH setzt einen genuin kartellrechtlichen Schwerpunkt

Die Karlsruher Richter stellen in ihrer Bewertung aber anders als das Bundeskartellamt laut Pressemitteilung nicht auf den Einklang der Nutzungsbedingungen mit der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) ab. Diese datenschutzrechtliche Frage hält der Bundesgerichtshof für nicht entscheidend. Maßgeblich sei vielmehr die Missbräuchlichkeit der Nutzungsbedingungen, die den privaten Facebook-Nutzern keine Wahlmöglichkeit hinsichtlich des potentiell unbeschränkten Zugriff auf Charakteristika auch ihrer „Off-Facebook″-Internetnutzung durch Facebook ließen. Diese Aussage deutet – ohne Einsicht in den noch unveröffentlichten Beschluss – auf einen genuin kartellrechtlichen Fokus ohne datenschutzrechtlichen Einschlag hin.

BGH betont ökonomische Perspektive des Datenzugriffs

Ein genuin kartellrechtlicher Fokus zeigt sich auch, wenn der Bundesgerichtshof in der Pressemitteilung – neben der mit der fehlenden Wahlmöglichkeit einhergehenden Beeinträchtigung der persönlichen Autonomie und des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung – die ökonomische Perspektive des Datenzugriffs betont. Aus dieser Perspektive stelle die fehlende Wahlmöglichkeit aufgrund der sog. Lock-in-Effekte, d.h. der hohen Wechselhürden für die Netzwerknutzer, eine kartellrechtlich relevante Ausbeutung der Nutzer dar. Weil nach den Feststellungen des Bundeskartellamts erhebliche Teile der Facebook-Nutzer einen geringeren Umfang der Preisgabe persönlicher Daten wünschen würden, sei bei funktionierendem Wettbewerb auf dem Markt sozialer Netzwerke ein entsprechendes Angebot zu erwarten, auf das Nutzer mit entsprechenden Präferenzen ausweichen könnten.

Das OLG Düsseldorf hatte demgegenüber eine wettbewerbsschädliche Ausbeutung verneint, u.a. weil der Nutzer die duplizierbaren Daten beliebig oft jedem Dritten (z.B. auch Wettbewerbern von Facebook) zur Verfügung stellen könne und der Nutzer aufgrund seiner Einwilligung, die er aus Gleichgültigkeit oder Bequemlichkeit in Unkenntnis des Inhalts der Nutzungsbedingungen erteile, auch nicht den vom Bundeskartellamt propagierten Kontrollverlust erleide.

Facebook Nutzungsbedingungen mit Eignung zur Wettbewerbsbehinderung

Die Karlsruher Richter halten die Nutzungsbedingungen für geeignet, den Wettbewerb zu behindern.

Zwar könne ein Konkurrent die Marktposition Facebooks aufgrund von Netzwerkeffekten nur mit einem Zugewinn einer für die Attraktivität des Netzes ausreichenden Zahl von Nutzern in überschaubarer Zeit erfolgreich angreifen. Der Zugang von Facebook zu einer erheblich größeren Datenbasis verstärke aber die ohnehin schon ausgeprägten Lock-in-Effekte auf dem Markt sozialer Netzwerke.

Zudem hängen, so der Bundesgerichtshof, die Erlöse aus Werbeverträgen von Umfang und Qualität der zur Verfügung stehenden Daten ab. In der Folge verbessere die größere Datenbasis die Möglichkeiten der Finanzierung Facebooks.

Wegen der negativen Auswirkungen auf den Wettbewerb um Werbeverträge schließt der Kartellsenat im Übrigen auch eine Beeinträchtigung des Marktes für Online-Werbung i.S.e. Drittmarktbehinderung, also einer Behinderung auf einem Markt, auf dem Facebook ggf. nicht marktbeherrschend ist, nicht aus.

Präjudiz für das Hauptsacheverfahren?

Inwieweit der Beschluss aus Karlsruhe einen echten Ausblick auf die Hauptsache gibt, bleibt abzuwarten. Das hängt davon ab, in welcher Tiefe sich der Bundesgerichtshof in dem bislang noch unveröffentlichten Beschluss inhaltlich mit den rechtlichen Fragen des Verfahrens auseinandergesetzt hat. Grundsätzlich ist der Prüfungsmaßstab des Bundesgerichtshofs in Eilverfahren beschränkt, die Richter nehmen nur eine Plausibilitäts- bzw. Vertretbarkeitskontrolle vor. Es soll gerade kein Präjudiz für die Hauptsache auf unsicherer Basis erfolgen (MüKo/Nothdurft, 3. Aufl. 2020, § 76 GWB, Rn. 34).

Vor diesem Hintergrund geht das kartellrechtliche Drama um Facebook weiter. Der vierte Akt folgt im Hauptsacheverfahren vor dem OLG Düsseldorf, ein fünfter Akt vor dem Bundesgerichtshof ist nicht ausgeschlossen. Gegebenenfalls folgt gar eine Zugabe vor dem EuGH.

Tags: Bundeskartellamt Facebook Nutzungsbedingungen