22. Juni 2011
Jetzt wird's ernst
Kartellrecht

Iudex non calculat – Die Europäische Kommission will helfen

Ruhiger war es geworden um die Initiative zur Stärkung kartellrechtlicher Schadensersatzansprüche – bis gestern:

Die Europäische Kommission hatte sich ursprünglich im Rahmen einer Initiative zur Dezentralisierung der Kartellrechtsdurchsetzung einmal vorgenommen, auch die betroffenen Unternehmen einzubinden und den privaten Kläger zum kartellrechtlichen Hilfssheriff zu machen. Sie hatte diese Pläne bis zur offiziellen Veröffentlichung eines Weißbuchs zu privaten Schadensersatzklagen im Kartellrecht vorangetrieben.

Auch konkrete, allerdings inoffizielle Entwürfe für eine EU-Richtlinie kursierten schon in den Fachkreisen. Insbesondere mit ihren Vorstellungen zur kollektiven Rechtsdurchsetzung war die Kommission aber in den heftigen Gegenwind der Kritik aus den EU-Mitgliedstaaten geraten, den sie durch eine ebenfalls dieses Jahr durchgeführte Konsultation kanalisiert hat (wir berichteten,  vgl. auch die Stellungnahme von CMS).

Mit der jetzt eröffneten Konsultation zum Entwurf eines Leitfadens zur Quantifizierung des Schadens in Schadensersatzklagen wegen Verletzung des Artikels 101 oder 102 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union vom 21. Juni 2011 kommt neuer Schwung in die ursprünglichen Pläne der Kommission für eine Förderung privater Schadensersatzklagen im Kartellrecht. Sie möchte den Gerichten der EU-Mitgliedstaaten, die über die Schadensersatzklagen durch Kartellrechtsverstöße Geschädigter zu entscheiden und dabei auch die Höhe der jeweils eingetreten Schäden feststellen müssen, im zuletzt genannten Punkt unter die Arme greifen.

Die Ermittlung von Schäden, die durch verbotene Wettbewerbsbeschränkungen verursacht wurden, ist per definitionem nicht einfach: Nach der aus dem deutschen Recht als Differenzhypothese bekannten Methode muss die bestehende Vermögenslage des Geschädigten mit der verglichen werden, die hypothetisch ohne den Kartellrechtsverstoß bestünde. Der Wettbewerb ist – um es mit von Hayek zu sagen – ein Entdeckungsverfahren. In ihm wirkt die unsichtbare Hand des Marktes (Adam Smith). Wettbewerbsergebnisse können also grundsätzlich nicht vorhergesagt werden. Für den Richter ist es dann nicht damit getan, zum Taschenrechner zu greifen und eine einfache Subtraktion durchzuführen. Die Kommission fasst in die in der Praxis und Wissenschaft verwendeten und diskutierten Möglichkeiten zur Schadensquantifizierung in ihrem Leitfaden zusammen. Es sind dies die bereits lange bekannten Vergleichsmarktkonzepte, für die auch komplexere Techniken wie die Regressionsanalyse behandelt werden, sowie Simulationsmodelle und kostenbasierte Ansätze.

Das Vorhaben der Kommission, der Schadensberechnung bzw. -abschätzung durch die Gerichte einen Orientierungsrahmen zu geben, ist sehr zu begrüßen. Die grundsätzliche Problematik, dass die für die Vornahme einer Schadensermittlung nach den beschriebenen Methoden erforderlichen Daten oft nicht zur Verfügung stehen, wird dadurch freilich nicht behoben.

Die interessierten Kreise sind aufgefordert, bis 30.09.2011 zu dem Entwurf Stellung zu nehmen.

Tags: Kartellrecht Kartellrechtsdurchsetzung Kommission private enforcement Schadensersatz Schadensquantifizierung