Ernüchternde Nachricht für Unternehmen: Das Vorhalten eines Compliance-Programms wirkt sich bei einem Verstoß gegen das europäische Kartellrecht nach Auffassung der EU Kommission nicht bußgeldmindernd aus. Diese Praxis hat der EU Kommissar für Wettbewerb, Joaquín Almunia, am 25. Oktober 2010 in einer Rede anlässlich der Businesseurope & US Chamber of Commerce Konferenz in Brüssel nochmals bekräftigt.
Unter dem Titel „Compliance and Competition policy″ referierte Almunia über die Schwerpunkte der EU Kommission bei der Kartellrechtsdurchsetzung. Zu der kontrovers diskutierten Frage, ob ein Unternehmen im Falle eines Kartellrechtsverstoßes auf eine Bußgeldreduzierung hoffen könne, weil es ein Compliance-System eingerichtet habe, nahm der EU Kommissar wie folgt Stellung:
„Our fining structure sends out a three-point message to the business community: “Don’t enter into a cartel; if you did, get out of it as fast as you can; and when you’re out, don’t do it again”. I am convinced that this clear message encourages companies to comply with EU antitrust and cartel rules. […]
When I talk about these things, I am often asked whether companies should be rewarded for operating compliance programmes when they are found to be involved in illegal commercial practices. The answer is no. There should be no reduction of fines or other preferential treatment for these companies.
As already mentioned, we reward cooperation in discovering the cartel, we reward cooperation during the proceedings before the Commission, we reward companies that have had a limited participation in the cartel, but that, I think is enough.
To those who ask us to lower our fines where companies have a compliance programme, I say this: if we are discussing a fine, then you have been involved in a cartel; why should I reward a compliance programme that has failed? The benefit of a compliance programme is that your company reduces the risk that it is involved in a cartel in the first place. That is where you earn your reward.″ (Hervorhebung hinzugefügt).
Im Klartext: Ein Compliance-Programm, das einen Kartellrechtsverstoß nicht verhindern konnte, ist es nicht wert, im Rahmen der Bußgeldbemessung auch noch belohnt zu werden.
Das Bundeskartellamt steht im Kern auf demselben Standpunkt. Ein Compliance-Programm habe die Funktion, Kartellrechtsverstöße zu vermeiden und sei auf Prävention ausgerichtet. Wenn es trotzdem zu einem Verstoß komme, gebe es keinen triftigen Grund, ein – offensichtlich nicht funktionierendes – Compliance-System bußgeldmindernd zu berücksichtigen. Letztlich handele es sich um einen Bestandteil der ohnehin bestehenden gesetzlichen Aufsichtspflicht.
Diese strenge Sichtweise erscheint aus Unternehmenssicht wenig überzeugend. Denn die Aussicht auf eine Minderung der Buße für den Fall eines Kartellverstoßes, der trotz Durchführung von Schulungen, Überprüfung von Mitarbeitern, Herausgabe von Leitfäden etc. festgestellt wird, würde einen zusätzlichen Anreiz schaffen, ein funktionierendes Compliance-System einzurichten.
Doch sollte dies alles nicht zu dem Schluss verleiten, dass sich kartellrechtliche Compliance letztlich – im wahrsten Sinne des Wortes – nicht auszahle. Das Gegenteil ist der Fall. Angesichts der erheblichen Konsequenzen, die bei einem Verstoß gegen das Kartellrecht drohen – genannt seien nur empfindliche Bußgelder, Schadensersatzforderungen von Kunden, Ansehensverlust, Bindung von Ressourcen –, ist jedes Unternehmen gut beraten, ein auf die jeweiligen Bedürfnisse individuell zugeschnittenes kartellrechtliches Compliance-Programm einzurichten. Auch daran hat Almunia in seiner Rede keinen Zweifel gelassen:
„I strongly encourage companies to build their own compliance programmes and training on the basis of the information we publish. I understand that more and more companies invest time and resources in these programmes and this is excellent news. I am also aware that ensuring compliance represents a cost to business. It is a worthwhile investment – preventing participation in just one cartel leading to high fines upon discovery would more than cover the cost of compliance.″ (Hervorhebung hinzugefügt).
So sieht es auch die britische Kartellbehörde, das Office of Fair Trading (OFT). Dieses hat am 19. Oktober 2010 einen umfangreichen Konsultationsprozess zur Optimierung von Kartellrechts-Compliance-Maßnahmen in Unternehmen eingeleitet. Dazu hat die Behörde zwei Papiere veröffentlicht, in denen sie zum einen darlegt, wie ein effektives Compliance-Programm ihrer Meinung nach aussehen sollte, und zum anderen darstellt, welche Anforderungen an die Aufsichtspflichten der Geschäftsführung zu stellen sind.
Auch zu den Auswirkungen eines Compliance-Programms auf die Höhe eines Bußgeldes äußert sich das OFT in dem Papier „How Your Business Can Achieve Compliance″ (vgl. Ziff. 7.1 ff.):
„The key benefit of compliance activities for a business is through avoiding any breaches of competition law in the first place. Accordingly, the OFT’s starting point in relation to penalty setting for businesses that have undertaken compliance activities is neutral: there are no automatic discounts or increases in the level of financial penalty if the business has undertaken compliance activities.
However, the amount of a financial penalty imposed for a competition law infringement may be reduced where adequate steps have been taken with a view to ensuring compliance with the Chapter I and Chapter II prohibitions and Article 101 and 102 TFEU. […]
Each case will be assessed on its own merits. Where the OFT considers that adequate steps have been taken and that a discount from the financial penalty is justified, the OFT will consider reducing the amount of the financial penalty by up to 10 per cent.
The OFT will not, subject to some exceptions, ordinarily regard the existence of a competition law compliance programme as a factor to warrant an increase in the amount of the fine to be imposed against that undertaking for a competition law infringement. The exceptions include situations where the compliance programme had been used to facilitate the infringement, to mislead the OFT as to the existence or nature of the infringement, or had been used in an attempt to conceal the infringement.″
Im Ergebnis behält sich das OFT also eine flexible Bewertung von Compliance-Maßnahmen vor – ein Ansatz, der zumindest die Chance bietet, bei konsequenter Befolgung den vielschichtigen Gestaltungen in der Praxis gerecht zu werden.