26. Juli 2016
LKW-Kartell
Kartellrecht

Rekordgeldbuße gegen LKW-Kartell

EU-Kommission verhängt eine Rekordgeldbuße in Höhe von EUR 2,93 Mrd. gegen LKW-Kartell. Kunden stehen Schadensersatzansprüche zu.

Daimler, Volvo/Renault, MAN, DAF und Iveco haben nach den Feststellungen der EU-Kommission über 14 Jahre hinweg ihre Preise abgesprochen und die Einführung neuer Technologien abgestimmt. Gegen Scania läuft das Kartellverfahren weiter. Das schwedische Unternehmen war als einziger Hersteller nicht zu einer einvernehmlichen Verfahrensbeendigung bereit.

Die Ausmaße des Kartellverstoßes sind beispiellos. Neun von zehn LKW, die zwischen 1997 und 2011 in der EU verkauft wurden, waren von dem Kartell betroffen. Der Schaden für die Abnehmer und die Volkswirtschaft insgesamt dürfte gewaltig sein. Die Schwere des Kartellverstoßes wird dadurch belegt, dass die Bußgelder die bisherige Rekordgeldbuße gegen das Bildröhren-Kartell um mehr als das Doppelte übersteigen.

Für die Kartellanten stellen die Bußgelder dabei erst den Beginn der Aufarbeitung ihres verbotenen Verhaltens dar. Auf sie kommen nun Schadensersatzforderungen in Milliardenhöhe zu.

Die wettbewerbswidrigen Absprachen

Es war ein Kartell, wie es im Lehrbuch steht: Im Januar 1997 trafen sich Vertreter der höchsten Führungsebene der betroffenen LKW-Hersteller in einem Brüsseler Hotel und stimmten ihr künftiges Wettbewerbsverhalten ab. Die Absprachen setzten sich in den folgenden Jahren am Rande von Handelsmessen, per Telefon und E-Mail fort. Erst ein Kronzeugenantrag von MAN deckte das Kartell auf. Die Kommission durchsuchte daraufhin im Januar 2011 die Geschäftsräume der Kartellanten, um Beweismittel zu sichern.

Gegenstand der über 14 Jahre andauernden wettbewerbswidrigen Praktiken war der Absatz mittelschwerer LKW (6 bis 16 Tonnen) und schwerer LKW (über 16 Tonnen) im Europäischen Wirtschaftsraum. Dabei haben die Hersteller ihre Bruttolisten-Verkaufspreise abgesprochen und sich über die Einführung von Technologien zur Einhaltung der EU-Emissionsstandards abgestimmt. Sie einigten sich einerseits darauf, wann die Euro III bis Euro VI Standards umgesetzt werden sollten und vereinbarten andererseits, die dadurch verursachten Kosten an die Abnehmer durchzureichen.

MAN geht aufgrund des Kronzeugenantrags, der die Aufdeckung des Kartells erst ermöglicht hat, straffrei aus. Andernfalls hätte MAN wohl ein Bußgeld in Höhe von EUR 1,2 Mrd. zahlen müssen. Auch Daimler, Iveco und Volvo/Renault kamen aufgrund ihrer Kooperation mit den Kartellbehörden in den Genuss von erheblichen Bußgeldreduzierungen.

Dass die Strafzahlungen dennoch fast EUR 3 Mrd. erreichen, ist darauf zurückzuführen, dass es sich um einen besonders schwerwiegenden Kartellverstoß handelte, der über viele Jahre andauerte und ein erhebliches Umsatzvolumen betraf. Die Hersteller hatten in Erwartung von Rekordgeldbußen bereits entsprechende Rückstellungen gebildet.

Abnehmern stehen Schadensersatzansprüche zu

Empirische Untersuchungen belegen, dass Kartellabsprachen regelmäßig zu einer Preisüberhöhung von 10 – 15 Prozent führen. Abnehmer von mittelschweren und schweren LKW dürften durch das Kartell mithin einen erheblichen Schaden erlitten haben. Diesen können sie von den Kartellanten ersetzt verlangen.

Bei der gerichtlichen Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen profitieren die geschädigten Kunden dabei von Erleichterungen der Anspruchsdurchsetzung, die in den letzten Jahren geschaffen wurden, um die zivilrechtliche Aufarbeitung von Kartellverstößen anzuregen. So bestimmt beispielsweise § 33 Abs. 4 GWB, dass die Bußgeldentscheidung der Kommission für deutsche Gerichte bindend ist.

Abnehmer von LKW können daher auf die Bußgeldentscheidung der Kommission aufbauen und sich auf den Nachweis eines Schadens konzentrieren. Dabei vermuten deutsche Gerichte zugunsten der Geschädigten im Allgemeinen, dass Kartelle zu überhöhten Preisen führen. Die Abnehmer müssen zwar beweisen, in welchem Umfang sie vom Kartell befangene Produkte bezogen haben. Wie hoch der tatsächliche kartellbedingte Preisaufschlag war, dürfen die Gerichte jedoch schätzen.

Neben die Schadensersatzansprüche treten Zinsansprüche. Sie dürften im vorliegenden Fall erheblich sein und Schadenspositionen aus der Anfangszeit des Kartells mehr als verdoppeln.

Handlungsempfehlungen für potentiell geschädigte Unternehmen

Abnehmer von LKW sollten prüfen, ob und in welchem Umfang sie im Kartellzeitraum LKW bezogen haben. Sofern sie zu den vom Kartell betroffenen Abnehmern gehören, sollten sie ihre Lieferanten mit Blick auf die laufenden Verjährungsfristen zur Abgabe einer Verjährungsverzichtserklärung auffordern.

Erste Schadensersatzansprüche könnten bereits verjährt sein. Da die weitere Verjährung für einen Zeitraum von sechs Monaten ab dem Verfahrensabschluss gehemmt ist, steht den betroffenen Unternehmen derzeit ein Zeitfenster zur Prüfung ihrer Ansprüche zur Verfügung, in dem keine weitere Verjährung droht.

Im Rahmen der Anspruchsprüfung sollten die betroffenen Unternehmen Unterlagen zusammenstellen und Datenbestände sichern, die für den Nachweis eines Schadens relevant sein könnten. Wichtig sind insoweit insbesondere Rechnungen von LKW-Käufen im Kartellzeitraum. Dabei ist zu berücksichtigen, dass auch im Hinblick auf LKW-Käufe bei Kartellaußenseitern Schadensersatzansprüche bestehen, sofern diese im Windschatten des Kartells ihre Preise anheben konnten.

Kartellgeschädigte Unternehmen können zunächst versuchen, sich außergerichtlich mit den Kartellanten über eine Wiedergutmachung des entstandenen Schadens zu einigen. Sofern ein Vergleich nicht zustande kommt, ist Klageerhebung geboten. Die Zahl sog. „Follow-on“-Klagen, also privater Schadensersatzklagen, die einer behördlichen Bußgeldentscheidung nachfolgen, ist in den letzten Jahren stark angestiegen, wobei Deutschland neben den Niederlanden und dem Vereinigten Königreich zu den beliebtesten Jurisdiktionen zählt.

Spätestens zur Vorbereitung einer Klage ist Akteneinsicht bei der Kommission zu nehmen. So können weitere Anhaltspunkte für die Bestimmung der Schadenshöhe gewonnen werden. Auch ist es in aller Regel erforderlich, zur Plausibilisierung des erlittenen Schadens ein ökonomisches Gutachten einzuholen, das sich mit der Bestimmung des kartellbedingten Preisaufschlags auseinandersetzt.

Im Hinblick auf die gerichtliche Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen ist im Blick zu behalten, dass die neue EU-Kartellschadensersatzrichtlinie bis zum 27. Dezember 2016 in deutsches Recht umgesetzt werden muss. Die Richtlinie trägt zu einer weiteren Stärkung der Rechte von Kartellgeschädigten bei.

Tags: Kartellrecht LKW-Kartell
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Jan-Christoph Rudowicz

Frédéric Crasemann