3. August 2011
Kartellrecht

Verbandsklagen im Kartellrecht: Frankenstein-Monster oder Papiertiger?

Die class action des US-amerikanischen Zivilprozessrechts wurde schon als „Frankenstein monster″ bezeichnet (nach Miller, Of Frankenstein Monsters and Shining Knights: Myth, Reality, and the „Class Action Problem, 92 Harv. L.R. 664 (1979)). Droht dem ehrwürdigen deutschen Zivilprozess jetzt die Heimsuchung durch ein solches, aus Leichenbestandteilen zusammengeflickten Unwesens? Die gerade veröffentlichten Eckpunkte für eine 8. GWB-Novelle scheinen auf den ersten Blick darauf hinzudeuten. Doch was steckt praktisch dahinter? Eine kurze Analyse.

Private Kartellrechtsdurchsetzung in den Eckpunkten zur 8. GWB-Novelle

Nach den seit kurzem vorliegenden Eckpunkten des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie für eine 8. GWB-Novelle (wir berichteten) soll die Position der Verbraucherverbände verbessert werden, indem sie angemessen an der privaten Durchsetzung des Kartellrechts beteiligt werden. Es sollen also Verbraucherschutzverbandsklagen eingeführt werden.

Zur Erinnerung: Mit der 7. GWB-Novelle 2005 hatte der Gesetzgeber Maßnahmen zur Verstärkung des privaten Rechtsschutzes im Kartellrecht ergriffen. Dazu zählten auch Maßnahmen des kollektiven Rechtsschutzes, namentlich  die Einführung einer gegenüber dem kartellbehördlichen Vorgehen subsidiären Vorteilsabschöpfung durch Verbände (§ 34a GWB). Die Klagebefugnis wurde nur Verbänden zur Förderung gewerblicher und selbständiger beruflicher Interessen eingeräumt (§ 33 Abs. 2 GWB). Schon immer hatte es im GWB eine Befugnis solcher Verbände zur Erhebung von Unterlassungsklagen bei Kartellrechtsverstößen gegeben.

Nach den Eckpunkten für die 8. GWB-Novelle soll die Klagebefugnis für Unterlassungsklagen und für die subsidiäre Vorteilsabschöpfung nun auf Verbraucherschutzverbände und Verbände der Marktgegenseite ausgedehnt werden. Eine Sammelklage oder class action soll der Gesetzgeber nach den Vorstellungen des BMWi jedoch nicht einführen.

Was ist von diesen Plänen zu halten? Und: Ist die Verbandsklage nur eine verkappte Sammelklage?

Verbandsklage nur eine verkappte Sammelklage?

Der Vorschlag der Ausdehnung der schon immer bestehenden Unterlassungsklagebefugnis auf Verbraucherschutzverbände war schon 1978 im Rahmen der 4. GWB-Novelle ohne Erfolg gemacht worden. Zuletzt war er erneut 2005 im Rahmen der 7. GWB-Novelle gescheitert. Es bleibt abzuwarten, ob sich der Gesetzgeber diesmal überzeugen lässt. Große Impulse für die private Kartellrechtsdurchsetzung sind davon jedenfalls nicht zu erwarten. Die Unterlassungsklage ist kein attraktives Durchsetzungsinstrument.

Auch für die Einführung der subsidiären Vorteilsabschöpfung durch Verbraucherschutzverbände ergibt sich keine positive Prognose. Das den Wirtschaftsverbänden schon seit 2005 zur Verfügung stehende Instrument hat keine praktische Bedeutung erlangt. Soweit bekannt, ist nie davon Gebrauch gemacht worden. Wieso sich hieran etwas ändern soll, wenn jetzt auch Verbraucherschutzverbände anspruchsberechtigt sein sollen, ist nicht ersichtlich. Der Hintergrund dafür ist folgender:

Die Verbände haben keinen Anreiz, von dem Instrument Gebrauch zu machen – und hierin liegt der Unterscheid zur class action US-amerikanischer Provenienz. Sie belasten sich mit einem Prozessrisiko, müssen im Falle eines Obsiegens das Erstrittene aber an die Staatskasse abführen. Eine Verteilung an die durch den Kartellrechtsverstoß Geschädigten ist nicht vorgesehen. Durch diese Beschränkung soll verhindert werden, dass die Verbände zur Einnahmenerzielung tätig werden.

Verbraucherverbandsklage ein Papiertiger

Die Verbraucherverbandsklage wird also, wenn sie überhaupt eingeführt wird, ein Papiertiger sein. Wollte man dies ändern, müsste man finanzielle Anreize für die Verbände schaffen, z.B. durch eine Beteiligung am Erstrittenen. Dann würde aber schnell die Grenze zu den gefährlichen Formen des kollektiven Rechtsschutzes mit Missbrauchspotential überschritten, also den Frankenstein-Monstern, die sich in Europa keiner wünscht (vgl. näher zu Fragen des kollektiven Rechtsschutzes im Kartellrecht: mein gleichnamiger Beitrag in Möschel/Bien (Hrsg.), „Kartellrechtsdurchsetzung durch private Schadenersatzklagen?″, S. 71 ff., Nomos, Baden-Baden 2010).

Man kann nur spekulieren, was das BMWi mit dem Vorschlag bezweckt. Vielleicht will es das deutsche Kartellrecht mit einem Kollektivrechtsschutz-Feigenblatt versehen, um weitergehenden europäischen Initiativen (wir berichteten hier und  hier und hier) etwas entgegenzusetzen.

Abschließend sei im Übrigen noch klargestellt, dass Frankenstein keineswegs der Name des Monsters selbst, sondern des (unglücklichen) Schöpfers des Homunculus war (vgl. Mary Shelley: Frankenstein or The Modern Prometheus).

Tags: BMWi class action Frankenstein GWB-Novelle Kartellrecht Private Kartellrechtsdurchsetzung privater Rechtsschutz Prozessrecht Sammelklagen Vorteilsabschöpfung