Angesichts unserer kolportierten (und gelegentlich tatsächlich existenten) langen Arbeitszeiten sind wir dann und wann nicht undankbar für ausgedehnte Ladenöffnungszeiten. Viele Bundesländer wenden seit der Novellierungswelle 2006/2007 die großzügige „6×24″-Regel an und lassen den Verkauf von Montag bis Samstag zwischen 0-24 Uhr zu; in einigen Ländern dürfen Verkaufsstellen erst ab 6 und nur bis 22 Uhr geöffnet sein. Restriktiv ist und bleibt aber die Ladenöffnung an Sonn- und Feiertagen. Genau hierüber tobt in der Hauptstadt ein Konflikt zwischen rechtlichen Vorgaben und „historisch gewachsener Kiezkultur″: Der „Späti″ ist in Gefahr!
Wenn sich sogar ein sattsam bekanntes Boulevardmedium in die Niederungen öffentlich-rechtlicher Vorschriften begibt (selbstverständlich unter der Überschrift „Irrsinn″), spricht dies für die Existenz eines publikumswirksamen Aufregerthemas. Es geht um die hauptstädtische Variante der wohnortnahen Kleinverkaufsstelle für Sofortbedarfsartikel – allgemein wohl als „Trinkhalle″ oder „Kiosk″, im Ruhrgebiet als „Bude″, im Rheinland als „Büdchen″ und in Berlin als „Spätverkauf″ oder kurz „Späti″ bezeichnet.
Respektable 1000 Exemplare soll es in Berlin geben, ein Großteil ist komfortabel über den „Spätifinder″ zu lokalisieren. Die offizielle Tourismuswebsite „visitBerlin″ bewirbt den Späti als „einzigartige Erfindung zur nächtlichen Notversorgung. Kein Wunsch bleibt offen – meist 24 Stunden, sieben Tage die Woche„. Über genau jenen siebten Tag (und die Späti-Öffnung an selbigem) schwelt seit geraumer Zeit ein Streit. Denn anders als die uns außerhalb Berlins bekannten Buden, Büdchen, Trinkhallen und Kioske nimmt der prototypische Späti offensichtlich für sich in Anspruch, auch an Sonn- und Feiertagen durchgehend spontane Konsumwünsche aus einem umfangreichen Sortiment erfüllen zu müssen.
Aktives Vollzugsdefizit
Bis ins vergangene Jahr konnten sich viele Spätis dabei auf ein mehr oder weniger aktiv aufrecht erhaltenes Vollzugsdefizit der Berliner Verwaltung verlassen. Namentlich der Bezirk Pankow, zu dem das späti-reiche In-Viertel Prenzlauer Berg zählt, soll die Einhaltung des Berliner Ladenöffnungsgesetz – vornehm gesagt – eher zurückhaltend kontrolliert haben (hier wurde es deshalb schon als „unbeachtetes Gesetz″ apostrophiert). Dabei ist die Vorschrift durchaus unzweideutig: An Sonn- und Feiertagen bleiben Verkaufsstellen geschlossen; zeitlich beschränkte Ausnahmen gibt es nach § 4 Abs. 1 BerlLadÖffG vor allem für „Verkaufsstellen, die für den Bedarf von Touristen ausschließlich Andenken, Straßenkarten, Stadtpläne, Reiseführer, Tabakwaren, Verbrauchsmaterial für Film- und Fotozwecke, Bedarfsartikel für den alsbaldigen Verbrauch sowie Lebens- und Genussmittel zum sofortigen Verzehr anbieten″ oder wenn das Angebot einer Verkaufsstelle „ausschließlich aus einer oder mehreren der Warengruppen Blumen und Pflanzen, Zeitungen und Zeitschriften, Back- und Konditorwaren, Milch und Milcherzeugnisse besteht„.
Aus Sicht der Späti-Betreiber besonders schmerzhaft ist die ladenöffnungsrechtliche Privilegierung bestimmter anderer Verkaufsstellen: Denn Tankstellen und Verkaufsstellen auf Personenbahnhöfen, Verkehrsflughäfen und in Reisebusterminals dürfen Reisebedarf auch an Sonn- und Feiertagen anbieten. Über die konkrete Auslegung des Begriffs „Reisebedarf″ (namentlich über die noch zum Reisebedarf zählende Menge Alkohol und die Abgabe nur an „Reisende″) durch die bayerische Verwaltung war im letzten Jahr bereits ein Konflikt im Späti-freien Süden der Republik aufgeflammt. Nordrhein-westfälische Gerichte mussten sich mit dem für den Sonntagsverkauf in Gartencentern relevanten Verhältnis des Rasenmähers zur Warengruppe „Blumen und Pflanzen″ befassen.
Einmal Späti, immer Späti
Einem kreativen Umgang mit den Ausnahmetatbeständen nach § 4 Abs. 1 BerlLadÖffG hatte das OVG Berlin-Brandenburg zuletzt im Frühjahr 2012 eine Absage erteilt: Es helfe einem Späti-Betreiber nicht, wenn er an Sonn- und Feiertagen nur einen beschränkten Teil seines Warenportfolios anbiete, ansonsten aber das späti-typische „Vollsortiment″ feilgehalten wird: „Die Vorstellung des Antragstellers, er brauche nur das Warenangebot seiner Verkaufsstelle entsprechend zu beschränken, in dem er nur die auch von entsprechend ausgerichteten Verkaufsstellen zulässigerweise am Sonntag angebotenen Waren vertreibe, verkennt, dass das Gesetz insoweit auf bestimmte Typen von Verkaufsstellen abstellt, deren prägende Merkmale immer vorliegen müssen.″ Kurz gesagt: Einmal Späti, immer Späti.
Es hagelte Kritik aus dem Kreis der Betroffenen, die auf eine Gleichstellung mit den Tankstellen drängten. Nicht unwesentlichen Schub bekam die Debatte auch durch einen privaten Wächter über die Ladenöffnungszeiten, der zahlreiche Spätis im Prenzlauer Berg wegen rechtswidriger Öffnungszeiten bei der Ordnungsbehörde anzeigte. Die musste – entgegen ihrer sonstigen Übung – in jedem angezeigten Fall aktiv werden und die Rechtsverstöße verfolgen. Goutiert wird so etwas nicht – schnell fiel aus Verwaltungskreisen das Wort von der „Blockwart-Mentalität″.
Verwaltung und Gesetzgeber in Berlin wurden trotz anfänglicher Sympathie für die vermeintlichen Ikonen der Kiezkultur dann doch nicht grundsätzlicher aktiv – eine Initiative zur weiteren Liberalisierung der Ladenöffnungs-Vorschriften scheiterte. Eine gewisse Rolle dabei mag auch ein verfassungsrechtliches Stoppschild aus Karlruhe gespielt haben: Im Jahre 2009 hatte das Bundesverfassungsgericht eine Regelung zu den Ladenöffnungszeiten an Adventssonntagen teilweise für verfassungswidrig erklärt und dabei auch allgemeingültige Aussagen zur Bedeutung der Sonn- und Feiertagsruhe gemacht.
Weniger beeindruckt zeigte sich allerdings jetzt die Verwaltung des Bezirks Pankow. Aus einem Antrag der Bezirksverordnetenversammlung mit dem Titel „Kiezkultur erhalten – Spätverkaufsstellen dauerhaft sichern″ leitet die Bezirksverwaltung in bemerkenswerter Kreativität eine erstaunlichen Auftrag ab: Der zuständige Ordnungsstadtrat erwägt den Erlass von Ausführungsvorschriften und wird mit den Worten zitiert: „Wir werden versuchen, eine Grauzone zu schaffen, in der den Spätis wieder mehr Spielraum gewährt wird.„
War da nicht mal etwas mit der Bindung der Verwaltung an Recht und Gesetz?