Die Ampel will strengere EU-Regulierung für Gatekeeper, das GWB überprüfen, das Kartellamt im Verbraucherschutz stärken und unfairen Handel bekämpfen.
Der Wettbewerb spielt im Koalitionsvertrag eine wichtige Rolle. Die Ampelkoalitionäre positionieren sich in der Diskussion um die (kartellrechtliche) Regulierung von digitalen Gatekeepern, wobei sie allerdings an der Linie der bisherigen Bundesregierung festhalten. Zudem wollen sie das Kartellgesetz (GWB) insgesamt im Hinblick auf „Innovation, Nachhaltigkeit, Verbraucherschutz und soziale Gerechtigkeit“ überprüfen.
Konkret kündigen sie Regelungen zur Interoperabilität und Datenportabilität an. Des Weiteren stehen strengere Regeln im Bereich des Lebensmittelkartellrechts und bei unfairen Handelspraktiken im Raum. Beim Verbraucherschutz, wo das Bundeskartellamt bislang nur über beschränkte Befugnisse verfügt, will die Ampel das Amt möglicherweise stärken. Auf EU-Ebene will sich die neue Koalition für strengere Fusionskontrolle bei „killer acquisitions“ und missbrauchsunabhängige Entflechtungen als letztes Mittel zur Reparatur verfestigter Märkte einsetzen – ambitionierte Forderungen mit Anklängen an Hipster Antitrust.
Keine Revolutionen plant die Ampel dagegen bei zwei im Vorfeld lebhaft diskutierten Themen: Die Koalitionäre lehnen sowohl eine Abschaffung der Ministererlaubnis als auch eine Aufspaltung der Deutschen Bahn AG ab.
Die kartellrechtlichen Pläne der Ampel im Koalitionsvertrag im Einzelnen:
Digitalkartellrecht
Im Fokus der Wettbewerbspolitik steht weltweit die (kartellrechtliche) Regulierung von digitalen Gatekeepern. Mit dem GWB-Digitalisierungsgesetz ist Deutschland im Januar 2021 vorgeprescht und hat mit § 19a GWB weitreichende Eingriffsmöglichkeiten gegenüber bedeutenden Digitalunternehmen für das Bundeskartellamt geschaffen. Auf EU-Ebene soll die Gatekeeper-Regulierung durch den Digital Markets Act (DMA) erfolgen, der im nächsten Jahr verabschiedet werden soll.
Die Ampel-Regierung möchte sich nun für „ambitionierte Regelungen“ im DMA einsetzen, die nicht hinter das GWB zurückfallen dürfen. Explizit genannt werden Interoperabilitätsverpflichtungen und Regelungen zur Fusionskontrolle. Forderungen nach strengeren Regeln im DMA hat allerdings bereits die aktuelle Bundesregierung erhoben. Auch die Ampel-Forderung, die Fusionskontrolle in den DMA einzubinden, um wettbewerblich problematische Transaktionen von großen Digitalunternehmen besser kontrollieren zu können, wurde von der Bundesregierung bereits in Brüssel vorgebracht. Ein Kurswechsel durch die neue Bundesregierung bei den in Kürze beginnenden Trilog-Verhandlungen zum DMA zwischen Europäischem Parlament, EU-Kommission und Mitgliedsstaaten ist daher im Hinblick auf den DMA nicht zu erwarten (die geschäftsführende Regierung hat auch die Forderungen aus dem Koalitionsvertrag bereits in einer Protokollerklärung zur Ratsposition zum DMA vom 25. November 2021 festgehalten).
Bei der Forderung, in die Durchsetzung des DMA die Wettbewerbsbehörden der Mitgliedsstaaten einzubinden, handelt es sich allerdings eher um ein Rückzugsgefecht. Deutschland hatte – gemeinsam mit Frankreich und den Niederlanden – bereits mehrfach auf stärkere Kompetenzen ihrer nationalen Wettbewerbsbehörden bei der Anwendung des DMA gedrungen, dabei aber sowohl im Europäischen Parlament als auch im Rat der Mitgliedsstaaten wenig Erfolg. Die Zeichen in Brüssel stehen klar auf eine zentrale Durchsetzung des DMA durch die EU-Kommission. Im Wesentlichen geht es nun noch darum, wie stark nationale Wettbewerbsbehörden wie das Bundeskartellamt durch den DMA bei der Anwendung ihres nationalen Kartellrechts eingeschränkt werden. Deutschland wehrt sich dabei gegen Überlegungen im Parlament, Konflikte zwischen DMA und nationalem Kartellrecht durch ein Veto-Recht der EU-Kommission zu Gunsten des DMA aufzulösen.
Überprüfung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB)
Die Ampel kündigt auch eine (allgemeine) Evaluierung des GWB an. Aspekte bei dieser Prüfung sollen „Innovation, Nachhaltigkeit, Verbraucherschutz und soziale Gerechtigkeit“ sein. Gerade das Thema Nachhaltigkeit und Verhältnis zum Kartellrecht hat das Bundeskartellamt in den letzten Jahren intensiv beschäftigt. Allerdings ist im Bereich des Kartellverbots bei Sachverhalten mit Zwischenstaatsbezug der Vorrang des EU-Rechts zu beachten, sodass mögliche Lösungen zur Vereinbarkeit von Sustainability und Kartellrecht im GWB auf rein nationale Sachverhalte beschränkt sein müssten (so wie es Österreich mit einer nationalen „grünen Ausnahme“ im Kartellgesetz vorgemacht hat).
Stärkung des Bundeskartellamts im Verbraucherschutz
Einen konkreten Prüfauftrag enthält der Koalitionsvertrag für eine mögliche Stärkung des Bundeskartellamts im Verbraucherschutz, um dem Amt zu ermöglichen, bei erheblichen, dauerhaften und wiederholten Verstößen gegen Normen des wirtschaftlichen Verbraucherrechts (insbesondere Lauterkeitsrecht und das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen) wie im Kartellrecht zu ermitteln und Verstöße abzustellen.
Mit der 9. GWB-Novelle 2017 wurden dem Bundeskartellamt erstmals Befugnisse im wirtschaftlichen Verbraucherschutz übertragen, um Defiziten bei der Durchsetzung von Verbraucherrechten insbesondere in der digitalen Wirtschaft zu begegnen. Allerdings kann das Amt bislang nur Sektoruntersuchungen durchführen und amicus curiae-Stellungnahmen abgeben. Es verfügt nicht über Eingriffsbefugnisse, sodass die Abteilung V (für Verbraucherschutz) eher als zahnloser Papiertiger wahrgenommen wird. Das Bundeskartellamt fordert deshalb bereits seit längerem die Einräumung zusätzlicher Entscheidungs- und Sanktionskompetenzen; eine Professorenstudie im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie, die solche Kompetenzen stützt, wurde bereits 2018 veröffentlicht.
Ministererlaubnisverfahren soll (nur) reformiert werden
Die Ampelparteien wollen wieder angemessene Klagemöglichkeiten gegen eine Ministererlaubnis schaffen und darauf hinarbeiten, dass der Deutsche Bundestag am Verfahren beteiligt wird. Diese Ankündigung hat folgenden Hintergrund: Anders als in der EU-Fusionskontrolle gibt es in der deutschen Fusionskontrolle die Möglichkeit, als Wirtschaftsminister eine Untersagungsverfügung des Bundeskartellamts gegen einen Unternehmenszusammenschluss zu „overrulen“. Damit können und sollen auch außerwettbewerbliche Gesichtspunkte berücksichtigt werden, um z.B. Technologieabflüsse aus Deutschland zu verhindern und Arbeitsplätze zu erhalten.
Mit der 9. GWB-Novelle 2017 hat die Große Koalition das Recht dritter Unternehmen, gegen eine Ministererlaubnis gerichtlich vorzugehen, stark beschnitten. Genügte für deren Beschwerdebefugnis vorher, dass ihre wirtschaftlichen Interessen beeinträchtigt waren, müssen sie seitdem geltend machen, durch die Entscheidung in ihren Rechten verletzt zu sein. Eine solche Rechtsverletzung lässt sich bei Konkurrenten der am Zusammenschluss beteiligten Unternehmen in aller Regel nicht feststellen. Diese Verkürzung des Rechtsschutzes (resultierend aus der gerichtlichen Schelte an der Vorgehensweise des seinerzeitigen Ministers bei der Edeka/Kaiser’s-Tengelmann-Ministererlaubnis) soll jetzt wieder rückgängig gemacht werden.
Neu ist die weitere Ankündigung, auch den Deutschen Bundestag am Verfahren zu beteiligen. Nach geltendem Recht hat das Bundesministerium für Wirtschaft eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen, wobei mit Einverständnis der Beteiligten auch ohne mündliche Verhandlung entschieden werden kann. Den Bundestag (mit über 700 Mitgliedern) darüber hinaus am Verfahren zu beteiligen, erscheint schwierig umsetzbar, insbesondere im Hinblick auf zu wahrende Geschäftsgeheimnisse der beteiligten Unternehmen.
Interoperabilität und Datenportabilität im Kartellrecht
Für marktbeherrschende Unternehmen will die Ampel eine Verpflichtung zur Interoperabilität in das GWB aufnehmen und sich für eine entsprechende Verpflichtung auch auf europäischer Ebene einsetzen. Die Datenportabilität soll ebenfalls gestärkt werden. Bislang kann das Bundeskartellamt über den durch die 10. GWB-Novelle im Januar 2021 eingeführten § 19a GWB Unternehmen, die eine – vom Bundeskartellamt ausdrücklich festgestellte – „überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb haben“, die Verweigerung oder Erschwerung der Interoperabilität von Produkten/Services oder der Portabilität von Daten durch Verfügung untersagen. Mit der Aufnahme in das Missbrauchsverbot würde der Anwendungsbereich der Verpflichtungen daher erweitert. Es stellen sich dabei allerdings noch praktische und rechtliche Fragen, u.a. zum Datenschutz, zur IT-Sicherheit und zu möglichen Einschränkungen und Ausnahmen.
Fairer Wettbewerb online wie offline
Allgemein will sich die Ampel weiter um fairen Wettbewerb zwischen Geschäftsmodellen digitaler Großunternehmen und den lokal verwurzelten Unternehmen bemühen. Dies kann auch die Durchsetzung des Kartellrechts im Online-Handel betreffen.
Fokus auf Lebensmittelkartellrecht und Bekämpfung unlauterer Handelspraktiken
Auch im Bereich des Lebensmittelkartellrechts und der unlauteren Handelspraktiken („unfair trading practices“, UTP) will die Ampelkoalition handeln. Dazu sollen Missbrauchsaufsicht und Fusionskontrolle durch das Bundeskartellamt gestärkt werden. Die Missbrauchsregeln, gerade Lieferbeziehungen betreffend, sind erst zuletzt durch die 9. GWB-Novelle (2017) und 10. GWB-Novelle (2021) neu geregelt und teilweise straffer gezogen worden. Möglicherweise müssen sich nun marktstarke Nachfrager auf weitere Verschärfungen einstellen.
Im Bereich der deutschen Fusionskontrolle könnte eine stärkere Berücksichtigung von Nachfragemacht vorgesehen werden. Auch wenn der materielle Test der deutschen Fusionskontrolle dem materiellen Standard der EU-Fusionskontrolle nachgebildet ist, besteht in diesem Bereich keine Bindung an europäisches Recht, sodass abweichende und strengere Regelungen möglich wären.
Geprüft werden soll weiter ein Verbot des „Verkaufs von Lebensmitteln unter Produktionskosten“. Ein solches Verbot dürfte allerdings nur in wenigen Bereichen praktisch anwendbar sein, da eine Feststellung von Stückproduktionskosten mit höchst aufwendigen und mit Unsicherheiten belasteten Kostenberechnungen (Stichwort: Zuweisung von Gemeinkosten) verbunden wäre – das Verbot des Verkaufs unter Einstandspreis war genau aus solchen Praktikabilitätserwägungen vor Jahren abgeschafft worden.
Bei den unlauteren Handelspraktiken hat Deutschland mit dem Agrar-Organisationen-und-Lieferketten-Gesetz (AgrarOLkG) im Juni 2021 die UTP-Richtlinie umgesetzt und dabei das EU-weite Mindestniveau überschritten. Nun werden weitergehende Regelungen erwogen. Schließlich will die Ampel den Milchmarkt „weiter beobachten“ – dieser war allerdings schon Gegenstand verschiedener kartellrechtlicher Untersuchungen, einschließlich einer Sektoruntersuchung durch das Bundeskartellamt.
Verhinderung von „Killer acquisitions″
Im Bereich der EU-Fusionskontrolle will sich die neue Bundesregierung für Anpassungen einsetzen, die innovationshemmende strategische Aufkäufe potenzieller Wettbewerber (sogenannte „killer acquisitions“) verhindern. Das betrifft zum einen die Möglichkeit der EU-Kommission, solche Transaktionen überhaupt mit der Fusionskontrolle aufzugreifen, wenn das Zielunternehmen (noch) geringe Umsätze aufweist und so die Umsatzschwellen der EU-Fusionskontrolle nicht erreicht. Insofern hat die EU-Kommission sich jedoch gerade erst bewusst gegen die Einführung neuer – z.B. transaktionswertbezogener – Aufgreifschwellen entschieden und arbeitet stattdessen mit dem Verweisungsmechanismus des Art. 22 Fusionskontrollverordnung. Sie akzeptiert dabei die Verweisung möglicherweise problematischer Transaktionen auch in Fällen, in denen weder der Anwendungsbereich der Fusionskontrolle des verweisenden Mitgliedsstaats noch der EU-Fusionskontrolle eröffnet ist – eine Politik, die für scharfe Kritik von Seiten des Bundeskartellamts gesorgt hat.
Zum anderen ist die Frage zu beantworten, wie „killer acquisitions“ in der materiellen Fusionskontrolle zu bewerten sind. Hier werden schon von der geschäftsführenden Bundesregierung Verschärfungen im Hinblick auf Beweisanforderungen und Prüfungsmaßstab gefordert. Solche Verschärfungen stehen allerdings in gewissem Widerspruch zu den Vorhaben der Ampel, die Start-up-Szene in Deutschland stärker zu fördern. Verschärfte Fusionskontrollregeln, z.B. im Digitalbereich, würden nämlich Exit-Möglichkeiten durch Veräußerung an große Digitalunternehmen einschränken.
Zerschlagung von superdominanten Unternehmen als Ultima Ratio
Auf verfestigten Märkten halten die Ampelkoalitionäre auch eine missbrauchsunabhängige Entflechtungsmöglichkeit als Ultima Ratio für sinnvoll und wollen sich auf europäischer Ebene dafür einsetzen. Sie greifen damit eine Idee auf, die im deutschen Kartellrecht vor etwa zehn Jahren diskutiert wurde, sich aber nicht durchsetzen konnte.
Während allerdings in der aktuellen kartellrechtlichen Diskussion in den USA auch Zerschlagungen von Digitalgiganten in Betracht gezogen werden, ist die EU hier sehr zurückhaltend, zumal sie mit dem DMA gerade eine umfassende Regulierung des Sektors vorantreibt. Es ist daher eher unwahrscheinlich, dass sich die neue Bundesregierung mit ihrem Vorschlag in der EU durchsetzt.
Wenig Neues bei den regulierten Industrien
In den regulierten Industrien will die Ampel das Postgesetz novellieren und dabei den fairen Wettbewerb stärken, wobei gleichzeitig sozialökologische Standards weiterentwickelt werden sollen. Konkrete Ausführungen dazu enthält der Koalitionsvertrag nicht. Überlegungen zur Aufspaltung der Deutschen Bahn AG, wie sie die Monopolkommission zur Stärkung des Wettbewerbs im Schienenverkehr vorgeschlagen hatte, erteilt die Ampel eine klare Absage:
Wir werden die Deutsche Bahn AG als integrierten Konzern inklusive des konzerninternen Arbeitsmarktes im öffentlichen Eigentum erhalten.
EU-Wettbewerbsrecht zur Abwehr unfairer Wettbewerbspraktiken
Auf Ebene des EU-Wettbewerbsrechts (im weiteren Sinne) will die Ampel „das europäische Wettbewerbsrecht und die Stärke des europäischen Binnenmarktes“ gegen unfaire Wettbewerbspraktiken autoritärer Regime einsetzen – damit wird wohl der EU-Vorschlag für eine neue Verordnung gegen Verzerrungen im Binnenmarkt durch Subventionen aus Drittstaaten unterstützt (wobei sich dieser allerdings nicht auf „autoritäre Regime“ beschränkt). Weiter unterstützt die neue Koalition die Schaffung und Weiterentwicklung der autonomen handelspolitischen Instrumente gegen unfaire Handelspraktiken auf europäischer Ebene.
In unserer Blog-Serie zu den Auswirkungen des Koalitionsvertrags informieren wir Sie vertieft über die genannten und weitere spannende Themen, die uns in den nächsten vier Jahren beschäftigen werden.