Nur "Distressed" oder schon insolvent? – Damit eine Distressed M&A-Transaktion erfolgreich ist, sollte ein Augenmerk auf bestimmte Haftungsrisiken gelegt werden.
Derzeit vollzieht sich ein Wandel durch die Automobilbranche, an den es sich anzupassen gilt. Der steigende wirtschaftliche Druck auf Automobilhersteller und Zulieferer zwingt viele Unternehmen zu aktivem Handeln und dazu, sich neu aufzustellen. Dies führt dazu, dass es vermehrt zu Unternehmens-Transaktionen kommt.
Viele dieser Transaktionen sind dadurch gekennzeichnet, dass entweder der Verkäufer, der Käufer oder die Target-Gesellschaft ohne die Transaktion in Liquiditätsschwierigkeiten kommt. Man spricht dann von „Distressed M&A″.
Der Unterschied zwischen „Distressed″ und insolvent
Im Rahmen einer solchen „Distressed M&A″-Transaktion ist es entscheidend, genau zu definieren, in welchem Stadium sich die Unternehmen befinden, die an der Transaktion beteiligt sind. Hier ist zwischen Krise, insbesondere Liquiditätskrise, und Insolvenzreife zu unterscheiden.
Insolvenzreife liegt vor, wenn mindestens einer der Insolvenzgründe (Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung) gegeben ist. Die Insolvenzreife löst die Pflicht zur sofortigen Stellung eines Antrags auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens aus, die bei Nichteinhaltung straf- und zivilrechtliche Haftungsrisiken nach sich zieht.
Das Stadium der Krise ist der Insolvenzreife unmittelbar vorgelagert. Im Stadium der Krise hat sich die Liquiditätssituation der Gesellschaft bereits spürbar verschlechtert, wenngleich noch kein Insolvenzgrund vorliegt. Sobald sich aus Sicht der Geschäftsleitung eine Krise konkret abzeichnet, muss die finanzielle Situation überwacht werden, um eine eintretende Insolvenzreife rechtzeitig erkennen und entsprechend reagieren zu können.
Für „Distressed M&A″-Transaktionen bedeutet dies, dass die potentielle Gefahr der Insolvenz immer über dem Deal schwebt. Die sich daraus ergebenden zahlreichen Haftungsrisiken beeinflussen maßgeblich die Verhandlungen und den zeitlichen Rahmen, der für den Abschluss der Transaktion zur Verfügung steht.
Das Risiko der Insolvenzanfechtung bei „Distressed M&A″
Einer der entscheidendsten Aspekte im Rahmen einer „Distressed M&A″-Transaktion ist die Vermeidung möglicher Anfechtungsrisiken durch einen späteren Insolvenzverwalter. Das Insolvenzanfechtungsrecht ermöglicht dem Insolvenzverwalter die Rückforderung von Leistungen der insolventen Gesellschaft, ohne dass der Vertragspartner wiederum seine Gegenleistung zurückerhält.
Bei einer „Distressed M&A″-Transaktion wird das Thema der Anfechtung in drei Konstellationen relevant: Insolvenz des Käufers, Insolvenz des Verkäufers und Insolvenz des Targets. Während bei der Insolvenz des Käufers die Situation droht, dass der Kaufpreis zurückgewährt werden muss, ohne dass die Sache zurückgewährt wird, müssen bei der Insolvenz des Verkäufers oder des Targets gegebenenfalls Assets oder Anteile zurückgewährt werden, ohne dass der Käufer den Kaufpreis zurückerhält.
Diesen Risiken kann insbesondere dadurch entgegengewirkt werden, dass bereits bei Signing eine so genannte „Fairness Opinion″, eine Stellungnahme eines neutralen Dritten über die Angemessenheit des Kaufpreises, eingeholt wird. Auch Gutachten über das Nichtvorliegen einer (drohenden) Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung oder über das Bestehen eines ernsthaften und erfolgsversprechenden Sanierungskonzepts können das Anfechtungsrisiko minimieren. Hierzu zählt insbesondere das so genannte „IDW S6 Gutachten″, das nach einem einheitlichen Standard des Instituts der Wirtschaftsprüfer erstellt wird und eine positive Fortbestehensprognose attestieren kann.
Im Rahmen des Closings sollte sichergestellt werden, dass Erfüllung Zug um Zug erfolgt und der Kaufpreis im Zeitpunkt der Erfüllung noch immer angemessen ist. So können die Anforderungen an das sogenannte „Bargeschäftsprivileg″ (= unmittelbarer Austausch von gleichwertiger Leistung und Gegenleistung in engem zeitlichem Zusammenhang) eingehalten werden, was das Risiko der Anfechtung erheblich minimiert.
Geringfügige Lockerungen hiervon sieht das COVInsAG bei Transaktionen im Aussetzungszeitraum vom 1. März 2020 bis vorerst 30. September 2020 vor, in dem sowohl Finanzierungen erleichtert als auch Insolvenzanfechtungen etwas erschwert werden.
Haftungsrisiken für Geschäftsführer bei Distressed M&A-Transaktionen
Die Altgeschäftsführer (= bisherige Geschäftsführer des zu verkaufenden Unternehmens) waren in der Regel längere Zeit mit der Führung eines kriselnden Unternehmens betraut. Die Neugeschäftsführer (= neu bestellte Geschäftsführer nach dem Verkauf) hingegen sehen sich gegebenenfalls der Lage ausgesetzt, dass die finanzielle Situation noch nicht nachhaltig verbessert werden konnte, weil beispielsweise Maßnahmen aus einem etwaigen Sanierungskonzept noch nicht vollständig umgesetzt werden konnten oder die Synergieeffekte aus der Zusammenlegung der Unternehmen erst zeitlich verzögert eintreten werden.
Für beide besteht das Risiko, dass eine Insolvenzreife der Gesellschaft nicht rechtzeitig erkannt worden ist, was unter Umständen zur Verletzung der Insolvenzantragspflicht führt. Gerade zur Beseitigung einer rechnerischen Überschuldung kommt es darauf an, dass für die betreffende Gesellschaft eine positive Fortbestehensprognose besteht. Der Altgeschäftsführer muss hier das neue Konzept des Erwerbers in seine Betrachtung einbeziehen, während der Neugeschäftsführer ein eigenes tragfähiges Konzept erstellen muss.
Wurden die Insolvenzantragspflichten tatsächlich verletzt, so kann diese eine straf- und zivilrechtliche Haftung wegen Insolvenzverschleppung nach sich ziehen. Dieser Haftung können sich insbesondere die Altgeschäftsführer auch durch ihre Abberufung im Rahmen des Verkaufs des Unternehmens nicht entziehen.
Haftungsrisiken für Gesellschafter bei Distressed M&A-Transaktionen
Die Altgesellschafter (= Verkäufer) haben möglicherweise Haftungsrisiken aus vorheriger Finanzierung zu befürchten. Auch ist aus Sicht der Alt- und Neugesellschafter (= Käufer) die Haftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs relevant. Diese kommt in Betracht, wenn durch die Transaktion der Gesellschaft Vermögen entzogen wird oder negatives Vermögen hinzukommt und dies ihre Existenz ernsthaft bedroht.
Darüber hinaus droht eine Haftung wegen Beihilfe zur Insolvenzverschleppung, wenngleich die Insolvenzantragspflicht vorrangig die Geschäftsführung trifft. Gesellschafter, die trotz Antragspflicht den Beschluss fassen, keinen Insolvenzantrag zu stellen oder eine entsprechende Weisung erteilen, leisten einen eigenen, haftungsrechtlich relevanten Beitrag.
In den folgenden Beiträgen werden wir auf die einzelnen Themenkomplexe zu „Distressed M&A″-Transaktionen weiter eingehen und die einzelnen Fallstricke, insbesondere die Haftung sowie dies sonstigen Besonderheiten des Kaufs vor und aus der Insolvenz näher beleuchten.
Nach dem Auftakt zu unserer Blog-Serie „Distressed M&A im Automobilbereich“ haben wir anschließen gezeigt, warum der wesentliche Teil des Kapitals nicht vom Neu- an den Altgesellschafter fließt. Anschließend unser Beitrag zur Gesellschaftervereinbarung zum Interessenausgleich zwischen Altgesellschafter und Investor.