Der am 16. März 2020 angekündigte Entwurf eines Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht ist am 25. März 2020 durch den Bundestag verabschiedet und am 27. März 2020 im Bundesrat angenommen und verkündet worden. Wir erläutern die wichtigsten Punkte.
Der mit Spannung erwartete Gesetzesentwurf zur Aussetzung der Insolvenzantragspflicht infolge der Ausbreitung der Infektionen mit dem SARS-CoV-2 (COVID-19-Pandemie) ist am 25. März 2020 entsprechend der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses durch den Bundestag einstimmig angenommen worden. Der Bundesrat hat am 27. März zugestimmt. Das Gesetz ist noch am gleichen Tag im Bundesgesetzblatt verkündet worden und in Kraft getreten.
+++ Update +++ 27. März 2020 +++ Update +++
Neben den Änderungen zur Insolvenzantragspflicht und der Haftung für verbotene Auszahlungen nach Eintritt der Insolvenzreife sowie dem Schutz bestimmter Transaktionen vor Insolvenzanfechtung, enthält das Gesetz auch Erleichterungen bei der Corporate Governance von Aktiengesellschaften (unter anderem „virtuelle″ Hauptverhandlung), Genossenschaften und Vereinen, den verstärkten Schutz von Schuldnern im Rahmen von Miet- und Darlehensverträgen sowie Leistungsverweigerungsrechte für Verbraucher und Kleinstunternehmen, wenn diese infolge der Covid-19-Pandemie nicht mehr leisten können oder ihnen die Leistung unzumutbar geworden ist.
Der Gesetzesentwurf enthält auch Änderungen zur Strafprozessordnung (StPO) hinsichtlich der Hemmung von Hauptverhandlung während der Dauer von Schutzmaßnahmen gegen die COVID-19-Pandemie. Dieser Beitrag konzentriert sich auf die insolvenzrechtlichen Auswirkungen.
Insolvenzantragspflicht wird mit dem COVInsAG mindestens bis zum 30. September 2020 ausgesetzt
Die zentrale Vorschrift in Artikel 1 § 1 des COVInsAG lautet:
Die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags nach § 15a InsO und nach § 42 Absatz 2 BGB ist bis zum 30. September 2020 ausgesetzt. Dies gilt nicht, wenn die Insolvenzreife nicht auf den Folgen der Ausbreitung des SARS-CoV-2 (COVID-19-Pandemie) beruht oder wenn keine Aussichten darauf bestehen, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen. War der Schuldner am 31. Dezember 2019 nicht zahlungsunfähig, wird vermutet, dass die Insolvenzreife auf den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beruht.
Die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bis zum 30. September 2020 ist demnach der Regelfall. Sie greift nur dann nicht, wenn die Insolvenzreife nicht auf den Folgen der COVID-19-Pandemie beruht oder generell keine Aussichten auf Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit bestehen. Dabei wird eine Vermutungsregel aufgestellt, dass die Insolvenzreife auf den Auswirkungen der Pandemie beruht.
Von der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht sind Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung umfasst. Die Vermutung des Beruhens der Insolvenzreife auf der COVID-19-Pandemie knüpft allerdings nur an die Zahlungsunfähigkeit an. Diese ist als Anknüpfungspunkt auch besser geeignet, da sie im Vergleich zur insolvenzrechtlichen Überschuldung relativ leicht (auch rückblickend) dargelegt werden kann.
In manchen Fällen wird nicht eindeutig sein, ob eine Insolvenzreife auf der COVID-19-Pandemie beruht. Der Gesetzesentwurf umfasst direkte und indirekte Folgen. Ergibt sich nicht auf den ersten Blick, dass etwa ein Umsatzrückgang, Zahlungsausfall oder Auftragsabbruch Folge der Pandemie ist (und etwa auch allgemein oder branchenbedingt sein könnte, vgl. Automotive), sollte dies dokumentiert und gegebenenfalls Feedback eingeholt werden („Warum hat der Kunde den Auftrag nicht erteilt? Warum hat der Kunde die Forderung nicht beglichen?″). Hier hilft jedoch im Fall einer späteren Auseinandersetzung die Vermutungsregelung weiter. Insoweit ist allerdings noch nicht eindeutig geregelt, wen die Beweislast im Falle einer späteren Streitigkeit hierüber – etwa mit einem Insolvenzverwalter – trifft.
Auch Insolvenzanträge von Gläubigern werden durch die Änderungen eingeschränkt. Für Gläubigeranträge, die innerhalb von drei Monaten ab Inkrafttreten des Gesetzes (voraussichtlich 24. März 2020) gestellt werden, wird vorausgesetzt, dass der Insolvenzgrund bereits am 1. März 2020 vorlag.
COVInsAG: Zahlungsverbote gelockert, wenn Insolvenzantragspflicht ausgesetzt ist
Die Zahlungsverbote, nach denen Geschäftsführer für Zahlungen nach Eintritt der Insolvenzreife persönlich haften, sind nicht grundsätzlich suspendiert. Liegen jedoch die Voraussetzungen der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht vor, werden auch die Zahlungsverbote gelockert. Zahlungen, die im ordnungsgemäßen Geschäftsgang erfolgen, insbesondere solche Zahlungen, die der Aufrechterhaltung oder Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebes oder der Umsetzung eines Sanierungskonzepts dienen, gelten dann als mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar und lösen keine Haftung aus.
Insolvenzanfechtung wird ebenfalls weitgehend ausgeschlossen
Liegen die Voraussetzungen der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht vor, wird auch das Risiko einer künftigen Insolvenzanfechtung weitgehend ausgeschlossen. Die bis zum 30. September 2023 erfolgende Rückgewähr eines im Aussetzungszeitraum gewährten neuen Kredits sowie die im Aussetzungszeitraum erfolgte Bestellung von Sicherheiten zur Absicherung solcher Kredite gelten als nicht gläubigerbenachteiligend und können nicht angefochten werden. Kreditgewährung und Besicherung sind dann auch nicht als sittenwidrig anzusehen.
Kongruente Rechtshandlungen sind dann in einem späteren Insolvenzverfahren nicht anfechtbar; es sei denn der Anfechtungsgegner wusste, dass die Sanierungs- und Finanzierungsbemühungen des Schuldners nicht zur Beseitigung einer eingetretenen Zahlungsunfähigkeit geeignet gewesen sind. Umfasst sind auch Leistungen an Erfüllung statt oder erfüllungshalber, Zahlungen durch einen Dritten auf Anweisung des Schuldners, die Bestellung einer anderen als der ursprünglich vereinbarten Sicherheit, wenn diese nicht werthaltiger ist sowie die Verkürzung von Zahlungszielen und die Gewährung von Zahlungserleichterungen.
Selbst die Rückführung von Gesellschafterdarlehen genießt Schutz vor späterer Anfechtung. § 39 Absatz 1 Nummer 5 und § 44a InsO finden insoweit in Insolvenzverfahren, die bis zum 30. September 2023 beantragt wurden, keine Anwendung.
Änderungen auch im Zivilrecht durch das COVInsAG
In Artikel 240 EGBGB wird ein Moratorium für Verbraucher und Kleinstunternehmer geschaffen. Diese erhalten ein Leistungsverweigerungsrecht, wenn ihre Leistung durch Umstände der COVID-19-Pandemie nicht erbracht werden kann oder die Leistungserbringung für sie unzumutbar wäre.
Miet- und Pachtverhältnisse über Grundstücke oder über Räume können durch Vermieter nicht mehr gekündigt werden, soweit der Mieter im Zeitraum vom 1. April 2020 bis 30. Juni 2020 trotz Fälligkeit die Miete nicht leistet und die Nichtleistung auf den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beruht. Der Zusammenhang zwischen COVID-19-Pandemie und Nichtleistung ist glaubhaft zu machen. Schuldner haben also die Möglichkeit, bei Umsatzausfällen auch die durch Miete entstehenden Fixkosten faktisch anzupassen. Die Forderungen entstehen trotzdem und sollten in die zwischen dem Schuldner und seinen Stakeholdern zu führenden Sanierungsverhandlungen einbezogen werden. Klar ist, dass eine Sanierung auf Kosten der Vermieter nicht gewollt sein kann.
Für Darlehensverträge mit Verbrauchern, die vor dem 15. März 2020 abgeschlossen wurden, gilt, dass Ansprüche des Darlehensgebers auf Rückzahlung, Zins- oder Tilgungsleistungen, die zwischen dem 1. April 2020 und dem 30. Juni 2020 fällig werden, mit Eintritt der Fälligkeit für die Dauer von drei Monaten gestundet werden, wenn der Darlehensnehmer infolge der COVID-19-Pandemie Einnahmeausfälle hat, die dazu führen, dass ihm die Erbringung der geschuldeten Leistung nicht zumutbar ist. Kündigungen des Darlehensgebers wegen Zahlungsverzugs oder wesentlicher Verschlechterung der Vermögensverhältnisse des Darlehensnehmers sind solange ausgeschlossen.
COVInsAG: Änderungen auch im Gesellschaftsrecht
Aktiengesellschaften, auch KGaA und SE erhalten Erleichterungen bei der Durchführung der Hauptversammlung. Nach der Neuregelung kann der Vorstand mit Zustimmung des Aufsichtsrats auch ohne Ermächtigung durch Satzung oder Geschäftsordnung Entscheidungen über die Teilnahme der Aktionäre an der Hauptversammlung im Wege elektronischer Kommunikation, die Stimmabgabe im Wege elektronischer Kommunikation und die Zulassung der Bild- und Tonübertragung treffen (Änderung des § 118 AktG). Der Vorstand kann auch mit Zustimmung des Aufsichtsrats entscheiden, dass eine virtuelle Hauptversammlung abgehalten wird. Ferner kann der Vorstand mit Zustimmung des Aufsichtsrats abweichend von § 123 AktG entscheiden, die Hauptversammlung spätestens am 21. Tag vor dem Tag der Versammlung einzuberufen. Weitere Formvorschriften werden ebenfalls gelockert.
Der Vorstand kann auch mit Zustimmung des Aufsichtsrats abweichend von § 59 AktG selbst ohne Satzungsermächtigung entscheiden, einen Abschlag auf den Bilanzgewinn an die Aktionäre zu zahlen, oder dass die Hauptversammlung innerhalb des Geschäftsjahres stattfindet. Die Beschlussanfechtung von oben genannten Beschlüssen ist weitgehend ausgeschlossen, außer bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit.
In Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbH) können Gesellschafterbeschlusse in Textform oder durch schriftliche Stimmabgabe gefasst werden.
Genossenschaften, Vereine und Stiftungen erhalten ebenfalls weitere Corporate Governance Erleichterungen.
Im Umwandlungsrecht genügt es für die Zulässigkeit der Eintragung abweichend von § 17 Abs. 2 UmwG nun, wenn die Bilanz auf einen höchstens zwölf Monate (bisher: acht Monate) vor der Anmeldung liegenden Stichtag aufgestellt worden ist.
Bei Wohnungseigentümergemeinschaften bleibt der zuletzt bestellte Verwalter bis zu seiner Abberufung oder bis zur Bestellung eines neuen Verwalters im Amt und der zuletzt beschlossene Wirtschaftsplan gilt bis zum Beschluss eines neuen Wirtschaftsplans fort.
Inkrafttreten größtenteils sofort – teilweise mit Rückwirkung zum 1. März 2020
Die Änderungen im Insolvenzrecht treten mit (Rück-)Wirkung vom 1. März 2020 in Kraft und mit Ablauf des 31. März 2021 außer Kraft. Die Änderungen im Gesellschaftsrecht treten am Tag nach der Verkündung in Kraft und treten mit Ablauf des 31. Dezember 2021 außer Kraft. Die Änderungen im Zivilrecht treten am 1. April 2020 in Kraft. Artikel 240 EGBGB tritt am 30. September 2022 außer Kraft.
Fazit: COVInsAG mit umfassendem Paket an Änderungen, um Unternehmen Luft zu verschaffen
Die vom Gesetzgeber schnell angekündigten und umgesetzten Änderungen, insbesondere die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und damit korrespondierend auch die Lockerung der Zahlungsverbote nach Eintritt der Insolvenzreife sowie der Schutz vor Insolvenzanfechtung sind richtig und wichtig. Allerdings soll und kann das COVInsAG den betroffenen Unternehmen lediglich Zeit geben, um eine Sanierungslösung zu finden. Sanierungsmaßnahmen (operative Maßnahmen, Stakeholder-Beiträge, Förderdarlehen oder Staatshilfen) müssen individuell erarbeitet werden. Jedes Unternehmen wird nun ein Sanierungskonzept erarbeiten und dieses bis spätestens zum 30. September 2020 finalisieren müssen. Sollte die Zeit nicht ausreichen, können die Maßnahmen verlängert werden.
Mit den Folgen der COVID-19-Pandemie werden Unternehmen noch lange zu kämpfen haben. Entscheidend wird deshalb auch sein, ob und wie der Gesetzgeber die EU-Initiative zum präventiven Restrukturierungsrahmen in nationales Recht umsetzt.
In unserer Blogreihe „Coronavirus: Schutzschirm für die deutsche Wirtschaft″ informieren wir Sie über die getroffenen Hilfsmaßnahmen, deren Wirksamkeit und die sonst zu berücksichtigenden unternehmerischen „Stolpersteine″, die das Coronavirus mit sich gebracht hat. Bisher erfolgt sind Beiträge zur Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und wie dies bei M&A-Transaktionen hilft, zum CoVInsAG, zum Kurzarbeitergeld und der Kurzarbeitergeldverordnung sowie den Auswirkungen auf Kreditverträge. Es folgten Beiträge zu den steuerlichen Auswirkungen, zur EU-Beihilfemöglichkeiten, zum Schutz vor Kündigungen von Wohn- und Geschäftsräumen und Mietverhältnissen allgemein sowie zum Wirtschaftsstabilisierungsfond und damit verbundenen, offenen Fragen zum WSF. Weiter beschäftigten wir uns mit dem Erlass des BMI zu bauvertraglichen Fragen, mit Finanzhilfen für Unternehmen, den Fördermöglichkeiten und mit den steuerliche Maßnahmen, mit Cash-Pooling und dem Gesetz zum Darlehensnehmerschutz sowie den alternativen Wegen zur Abhaltung von Gesellschafterversammlungen und Aufsichtsratssitzungen.
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