Werden die Rechte am geistigen Eigentum von in der EU ansässigen KMU durch den KMU-Fonds und IP-Voucher hinreichend gefördert?
Rechte des geistigen Eigentums (z.B. Patente, Marken, Urheberrechte und verwandte Schutzrechte, geografische Angaben und Sortenschutzrechte) sind nicht nur für Großunternehmen, sondern auch für kleinere und mittlere Unternehmen (KMU) von herausragender Bedeutung. Sie tragen dazu bei, dass immaterielle Vermögenswerte (z.B. Erfindungen, Software, Know-how, künstlerische und kulturelle Schöpfungen, Forschung und Entwicklung, Geschäftsprozesse und Daten) nutzbringend verwertet werden können.
++ Update ++ April 2022 ++ Update ++
Schutzrechtsintensive Wirtschaftszweige haben derzeit einen Anteil von fast 45 % am europäischen BIP und tragen direkt zur Schaffung von fast 30 % aller Arbeitsplätze bei.
EU Action Plan IP (COM/2020/760 final), Punkt 1/Einleitung, S. 1 unter Verweis auf Schutzrechtsintensive Industrien und Wirtschaftsleistung in der Europäischen Union, EUIPO-EPA, 2019
Der Schutz der Rechte des geistigen Eigentums ist nicht nur Bestandteil erfolgreicher Geschäftsstrategien, sondern auch zentrales Element für die globale Wettbewerbsfähigkeit eines jeden Unternehmens. Umso erschreckender ist es, dass KMU ihre Rechte am geistigen Eigentum nicht hinreichend schützen.
Nur 9 % der KMU in der EU verfügen über eingetragene Rechte des geistigen Eigentums.
EU Action Plan IP (COM/2020/760 final), Punkt 1/Zweitens, S. 2
Dies liegt vor allem daran, dass KMU nicht über die notwendigen Kenntnisse im Hinblick auf den Schutz ihrer Rechte am geistigen Eigentum verfügen. Zudem ist das System zum Schutz dieser Rechte für viele KMU zu kostspielig, komplex und wenig nutzerfreundlich. Dadurch fehlt es vielen KMU in der Folge auch an der Möglichkeit, ihre immateriellen Vermögenswerte kommerziell umfassend zu nutzen und zu verwerten.
Dieser Trend wurde nach den Feststellungen der EU-Kommission im Jahre 2020 durch die COVID-19-Pandemie weiter verstärkt, die zu einem weitergehenden Rücklauf von Schutzrechtseintragungen führte, was die Wettbewerbsfähigkeit und Widerstandsfähigkeit der KMU in der EU zusätzlich einschränken könnte. Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, rief die EU-Kommission den sog. „Ideas Powered for Business SME Fund“ (KMU-Fonds) als Teil des EU Action Plan IP ins Leben und unterstützt damit u.a. auch betroffene KMU finanziell.
Inhalt des KMU-Fonds – das System der IP-Voucher
Die EU-Kommission sah im Zuge des EU Action Plan IP verschiedene Maßnahmen zur Unterstützung von KMU bei der Prüfung und Planung des Schutzes des im Unternehmen erschaffenen geistigen Eigentums vor, einschließlich der Anmeldung von Rechten des geistigen Eigentums.
Im Rahmen des KMU-Fonds konnten – zunächst zeitlich befristet auf das Jahr 2021 – bspw. sog. IP-Voucher (Gutscheine) beantragt werden. Mit diesen konnten KMU sodann zwei verschiedene Dienstleistungen (einzeln oder zusammen) in Anspruch nehmen.
Das Förderprogramm wird nun bis Ende 2024 fortgesetzt. Aufgrund der hohen Nachfrage richteten die EU-Kommission und das Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) am 10. Januar 2022 einen neuen KMU-Fonds i.H.v. EUR 47 Mio. ein. Dieser Fonds stellt für KMU weitere IP-Voucher für den Schutz ihrer Rechte des geistigen Eigentums bereit. Nach dem ersten KMU-Fonds i.H.v. EUR 20 Mio. im Jahr 2021 ist dies nun der zweite KMU-Fonds, durch den KMU in den nächsten drei Jahren (2022–2024) unterstützt werden sollen. Folgende erweiterte Dienstleistungen werden durch den neuen KMU-Fonds gefördert bzw. angeboten:
- KMU können künftig eine Erstattung i.H.v. 90 % (2021: 75 %) der Kosten einer Vorabdiagnose von Rechten des geistigen Eigentums durch die nationalen Ämter für geistiges Eigentum beantragen, sog. „Horizon Intellectual Property Scan“ (IP-Scan) (Dienstleistung 1).
- KMU können eine Erstattung i.H.v. 75 % (2021: 50 %) der von Ämtern des geistigen Eigentums für die Eintragung von Marken und Geschmacksmustern erhobenen Gebühren verlangen (Dienstleistung 2).
- Mittels des KMU-Fonds erhalten KMU erstmals seit dem Jahr 2022 50 % der von der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) für die Erlangung des internationalen Marken- und Geschmacksmusterschutzes erhobenen Gebühren erstattet (Dienstleistung 3).
- Zunächst befristet auf das Jahr 2022 werden auch 50 % der von den nationalen Patentämtern für die Eintragung von Patenten im Jahr 2022 erhobenen Gebühren kompensiert (Dienstleistung 4).
Ab dem Jahr 2023 können u.U. noch weitere Dienstleistungen durch den neuen KMU-Fonds abgedeckt werden (z.B. die Teilerstattung der Kosten für die Neuheitsrecherche in Bezug auf Patente, private Beratungsleistungen im Bereich des geistigen Eigentums durch Rechtsanwälte).
Dienstleistung 1: IP-Scan
Im Rahmen des IP-Scans unterstützen Sachverständige für das geistige Eigentum KMU bei der Prüfung ihrer Geschäftsmodelle, Produkte und/oder Dienstleistungen sowie Wachstumspläne in Bezug auf ihr geistiges Eigentum. Sie entwickeln zusammen mit den KMU eine Strategie für den wirksamen Schutz ihres geistigen Eigentums, insbesondere auch im Hinblick auf eine kommerziell vernünftige Nutzung und Verwertung.
Diese Dienstleistung richtet sich nicht nur an diejenigen KMU, die noch nicht Inhaber von Rechten des geistigen Eigentums sind, sondern auch an Rechteinhaber*, die ihre Geschäftsstrategien im Hinblick auf in ihren Unternehmen erschaffenes geistiges Eigentum weiter ausbauen wollen.
Von dem IP-Scan sind neben den „klassischen“ Rechten des geistigen Eigentums (z.B. Patente, Marken, Gebrauchsmuster) auch nicht eintragungsfähige Rechte (z.B. Geschäftsgeheimnisse und Domain-Namen) erfasst.
Der IP-Scan von Rechten des geistigen Eigentums wird von den folgenden nationalen Ämtern für geistiges Eigentum oder von einem externen Partner des jeweils national zuständigen Amtes für geistiges Eigentum angeboten und durch den KMU-Fonds abgedeckt:
- Belgien
- Bulgarien
- Deutschland
- Finnland
- Irland
- Kroatien
- Lettland
- Litauen
- Schweden
- Spanien
- Tschechien
Dienstleistungen 2 und 3: Anmeldung von Marken und Geschmacksmustern
Ist für ein KMU die Anmeldung einer (nicht internationalen) Marke oder eines (nicht internationalen) Geschmacksmusters von Interesse, so kann es sich 75 % der Grundgebühr für die Anmeldung erstatten lassen. Die Gebühren können auch dann erstattet werden, wenn eine Anmeldung nicht zur Eintragung zugelassen wird.
Ein deutsches KMU kann die Marke oder das Geschmacksmuster z.B. bei dem Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) oder beim EUIPO anmelden.
Soweit das KMU sich unsicher ist, ob und wo es seine Marke bzw. sein Geschmacksmuster anmelden sollte, um den für seine Bedürfnisse bestmöglichen Schutzumfang zu erlangen, kann es mittels vorgeschalteten IP-Scans (siehe oben) eine strategische Vorauskunft erlangen und erst im Anschluss die Marke oder das Geschmacksmuster anmelden.
Ferner werden auch die von der WIPO für die Erlangung internationaler Marken und Geschmacksmuster erhobenen Gebühren i.H.v. 50 % erstattet. Ausgeschlossen sind jedoch die Gebühren für die Benennung von EU-Ländern sowie die Inlandsgebühren.
Dienstleistung 4: Eintragung von Patenten
Erstmals werden künftig 50 % der von nationalen Patentämtern für die Eintragung von Patenten im Jahr 2022 erhobenen Gebühren erstattet.
KMU mit Sitz in der EU haben Anspruch auf die Förderung
Der KMU-Fonds richtet sich an KMU, die ihren Sitz in der Europäischen Union haben. Die maßgebenden Bemessungsfaktoren für die Einordnung als KMU richten sich nach der Empfehlung der Kommission vom 6. Mai 2003 betreffend die Definition der Kleinstunternehmen sowie der kleinen und mittleren Unternehmen (2003/361/EG) und lassen sich im Wesentlichen wie folgt zusammenfassen:
Unternehmensklasse | Mitarbeiterzahl | Jahresumsatz | Jahresbilanzsumme |
Mittlere Unternehmen | < 250 | ≤ EUR 50 Mio. | ≤ EUR 43 Mio. |
Kleinunternehmen | < 50 | ≤ EUR 10 Mio | ≤ EUR 10 Mio. |
Kleinstunternehmen | < 10 | ≤ EUR 2 Mio. | ≤ EUR 2 Mio. |
Orientiert an der Darstellung – abrufbar unter SME Fund (europa.eu)
KMU können bis 2024 Anträge einreichen
Der erste KMU-Fonds wurde im Jahre 2021 in insgesamt fünf Phasen ausgezahlt. Aufgrund der großen Nachfrage hatte das EUIPO die ursprünglich geplanten Zeitfenster zur Beantragung von Fördermitteln sogar erweitert.
Um eine effiziente Verwaltung des Vorhabens sowie eine faire und gleiche Behandlung der potenziellen Begünstigten sicherzustellen, wird die Beantragung von Finanzierungshilfen für den neuen KMU-Fonds während des gesamten Zeitraums 2022–2024 möglich sein. Es gibt demnach keine einzelnen Phasen mit Teilbudgets und zeitlichen Antragsfristen mehr. Die Prüfung und Bewertung der Anträge erfolgen anhand des First-in-first-out-Kriteriums.
KMU können sich bis zu EUR 2.250 erstatten lassen
Das KMU kann die bei ihm angefallenen Kosten für die durchgeführte(n) Dienstleistung(en) erst dann geltend machen, wenn es diese zunächst vollumfänglich verauslagt hat. Der Gesamtbetrag, der jedem KMU gewährt wird, ist unabhängig von der oder den beantragten Dienstleistungen und beläuft sich auf einen Betrag von max. EUR 2.250. Hierbei stehen den KMU EUR 1.500 für Gebühren im Hinblick auf IP-Scans, Marken und Geschmacksmuster (Dienstleistungen 1–3) sowie EUR 750 für Gebühren für die Eintragung von Patenten (Dienstleistung 4) zur Verfügung.
- Für den Fall, dass ein KMU einen IP-Scan durchführen lassen will, der EUR 1.000 kostet, und das KMU diese Kosten in voller Höhe verauslagt, kann das KMU sich einen Betrag von 90 % der verauslagten Kosten, also EUR 900, erstatten lassen.
- Beabsichtigt das KMU hingegen die Inanspruchnahme der Dienstleistung 2, die Gebühren i.H.v. z.B. EUR 2.000 vorsieht, kann das KMU eine 75%ige Rückerstattung i.H.v. EUR 1.500 verlangen, wenn es diese in der vollen Höhe tatsächlich verauslagt.
- Ruft das KMU einen IP-Scan sowie die Dienstleistung 2 ab, so werden die verauslagten Beträge beider Dienstleistungen getrennt voneinander berechnet und dann addiert. Übersteigt der resultierende Erstattungsbetrag einen Gesamtbetrag von EUR 1.500, so hat das KMU die diesen Betrag übersteigenden Kosten selbst zu tragen.
- Beabsichtigt das KMU die Inanspruchnahme der Dienstleistung 4, kann es 50 % der Gebühren erstattet bekommen. Bei verauslagten Patenteintragungsgebühren i.H.v. EUR 1.000 könnte das KMU so eine Erstattung von EUR 500 verlangen.
KMU sollten Chancen der IP-Voucher nutzen
Durch den KMU-Fonds sollen KMU finanziell bei ihrer Erholung von der COVID-19-Pandemie unterstützt werden. Im ersten Jahr seines Bestehens (2021) wurden insgesamt 28.065 Dienstleistungen genutzt. 12.989 KMU aus allen 27 Mitgliedstaaten nahmen insgesamt EUR 6,8 Mio. von insgesamt verfügbaren EUR 20 Mio. aus dem KMU-Fonds in Anspruch. Obwohl die KMU im Jahr 2021 weniger als 35 % der verfügbaren Mittel in Anspruch nahmen, wertet die EU-Kommission den KMU-Fonds wegen der Vielzahl der in Anspruch genommenen Dienstleistungen als großen Erfolg.
KMU sollten im Jahre 2022 ihre Chance ergreifen, die Dienstleistungen aus dem KMU-Fonds zu nutzen. Die Förderung trägt dazu bei, die Widerstands- und Wettbewerbsfähigkeit der in der EU ansässigen KMU international zu stärken. Insbesondere durch die Einbeziehung eines Sachverständigen im Rahmen des IP-Scans haben KMU die Möglichkeit, nachhaltig ihre Geschäftsstrategie betreffend ihr geistiges Eigentum zu entwickeln. Dadurch erwerben KMU das erforderliche Know-how, das sie zum Schutz ihrer Rechte am geistigen Eigentum und für eine wirtschaftliche Nutzung und Vermarktung ihrer immateriellen Vermögenswerte benötigen. Die strategische Beratung der KMU im Rahmen des IP-Scans führt dabei nicht nur zu einem besseren eigenen Verständnis der Eintragungs- und Anmeldeprozesse für Rechte des geistigen Eigentums, sondern schafft zugleich die oft noch fehlende Transparenz und Akzeptanz für den Schutz der Rechte am geistigen Eigentum auf Seiten der KMU.
Um eine langfristige Sicherung der Rechte am geistigen Eigentum von KMU zu erzielen, ist es zwingend notwendig, KMU nicht nur in finanzieller Hinsicht zu unterstützen, sondern das System zum Schutz dieser Rechte insgesamt nutzerfreundlicher und transparenter zu gestalten. Die Erhöhung der Transparenz und die Vereinheitlichung der Systeme der verschiedenen Schutzrechte sowie die Vereinfachung des Zugangs zu ihnen sind weitere Hauptaspekte, die im EU Action Plan IP verfolgt werden. Nur so kann gewährleistet werden, dass auch KMU unter Einsatz ihrer oft limitierten fachlichen und personellen Ressourcen ein Problembewusstsein betreffend ihre Rechte am geistigen Eigentum erlangen. Die Erstattung der Kosten für die Inanspruchnahme der Dienstleistungen im Rahmen des KMU-Fonds ist ein erster wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Es bleibt jedoch abzuwarten, welche Effekte langfristig erzielt werden können, insbesondere im Zusammenspiel mit den anderen Maßnahmen nach dem EU Action Plan IP.
Mit dem EU Action Plan IP möchte die EU die Rechte des geistigen Eigentums auch in Zukunft gesichert wissen. In unserer Blogreihe gehen wir auf die einzelnen Inhalte ein, begonnen mit dem Geschäftsgeheimnisschutz und der Produktpirateriebekämpfung.