Digitale Tools sind bei internen Untersuchungen nicht mehr wegzudenken. Noch mehr Effektivität und Effizienz verspricht der Einsatz künstlicher Intelligenz.
Warum es zu einer internen Untersuchung in einem Unternehmen kommt, kann unterschiedliche Gründe haben. Jedoch hat jede interne Untersuchung zum Ziel, einen bestimmten Sachverhalt objektiv und vollumfänglich aufzuklären, um dadurch Schaden vom Unternehmen abwenden und erforderliche Folgemaßnahmen ergreifen zu können. Auch wenn jeder Fall seine Besonderheiten und Fallstricke – sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht – aufweist, gibt es jedenfalls hinsichtlich des Ablaufs einer internen Untersuchung häufig Parallelen in der Vorgehensweise und den einzelnen Maßnahmen. Hierbei leisten digitale Tools – insbesondere bei der Datenauswertung – einen wesentlichen Beitrag, um die Masse an Informationen effektiv und effizient erfassen und bewerten zu können. Der Einsatz künstlicher Intelligenz verspricht nun weitere Vorteile wie die Beschleunigung des Untersuchungsprozesses, die Verbesserung des Ressourceneinsatzes und die Senkung von Kosten. Aber auch inhaltlich soll die KI die Genauigkeit der Ergebnisse durch die Reduzierung menschlicher Fehler verbessern sowie tiefere Analysen durch die Erkennung versteckter Muster oder Anomalien ermöglichen.
Datenauswertung im digitalen Zeitalter
Die Zeiten, in denen sich Anwältinnen und Anwälte wochenlang in finsteren Kellerräumen aufhalten und bergeweise Papier und Aktenordner durchwälzen mussten, sind schon lang vorbei. Die heutigen Herausforderungen haben sich dahingehend verschoben, dass sich die Menge an Daten, die im Rahmen einer internen Untersuchung auszuwerten sind, um ein Vielfaches erhöht hat. Dies ist zum einen auf die Vielzahl an Medien zur Kommunikation zurückzuführen: Zur klassischen E-Mail gesellen sich nun auch Chats über Microsoft Teams, Skype oder WhatsApp sowie Nachrichten bei LinkedIn, X etc. Auch wenn die Nutzung privater Kanäle für geschäftliche Zwecke in der Regel unzulässig ist, wird dies von Tatverdächtigen nicht beachtet, weshalb auch dort gewonnene Informationen immer wieder wesentlicher Bestandteil von Untersuchungen sind (z.B. bei der Auswertung von Diensthandys).
Daneben führen die steigenden Compliance-Vorgaben des Gesetzgebers zu erhöhten Dokumentationspflichten, wodurch das Datenaufkommen in Unternehmen weiter ansteigt. Auch Aspekte der Nachhaltigkeit und Transparenz fördern die Digitalisierung von Geschäfts- und Unternehmensinformationen.
Kommt es nunmehr zu einer internen Untersuchung sind die gesammelten Daten meist die wesentliche Quelle, um pflichtwidrige Verhaltensweisen von Personen des Unternehmens identifizieren oder mangelhafte Strukturen aufdecken zu können. Der Einsatz eines E-Discovery-Programms erweist sich hierbei sowohl in tatsächlicher als auch in (datenschutz-)rechtlicher Hinsicht als überaus effektive Lösung zur Sachverhaltsaufklärung.
Datenauswertung mittels künstlicher Intelligenz
Bereits jetzt können E-Discovery-Programme durch diverse Steuerungsmöglichkeiten, wie Filterungen nach Zeiträumen, Personen und Schlüsselbegriffen, die für den Sachverhalt relevanten Daten eingrenzen. Die letztliche Auswertung von Verträgen, E-Mail-Verläufen und sonstigen sachverhaltsrelevanten Dokumenten, die Beurteilung der erhaltenen Informationen und das Erkennen von Zusammenhängen verbleibt jedoch vollständig in menschlicher Hand – mit allen Vor- und Nachteilen.
Künstliche Intelligenz kann elektronische Datenauswertungen sowohl hinsichtlich Geschwindigkeit als auch hinsichtlich der Qualität der Ergebnisse auf eine neue Stufe heben:
- Überprüfung großer Datenmengen in kurzer Zeit: Künstliche Intelligenz kann größere Datenmengen in kürzerer Zeit auswerten und das ohne menschliche Fehler aufgrund von Übermüdung, Unaufmerksamkeiten oder sonstigen „menschlichen Schwächen″. Alle Daten können zudem sofort bestimmten Kategorien zugeordnet werden (z.B. betreffend die Relevanz oder Themen).
- Erkennung von Mustern, Trends und Anomalien in Datensätzen (u.a. Betriebs- und Finanzdaten): Die Analyse großer Datenmengen durch KI-Algorithmen ermöglicht die Identifikation verborgener Muster oder ungewöhnlicher Aktivitäten, die auf potenzielle Compliance-Verstöße hinweisen und für menschliche Analysten schwer erkennbar sind. Durch maschinelles Lernen kann KI zudem Trends in den Daten über Zeiträume hinweg erkennen und prognostizieren, was zu fundierteren Entscheidungen führen kann.
- Erkennung von Verbindungen zwischen Personen und Vorgängen: Die Analyse von Kommunikationsdaten sowie das Erkennen persönlicher Verbindungen zwischen Personen innerhalb und außerhalb des Unternehmens können durch den Einsatz künstlicher Intelligenz deutlich erleichtert werden. Die fortschrittliche Verarbeitungs- und Analysefähigkeit beschränkt sich dabei nicht nur auf die Ermittlung der Häufigkeit etwaiger E-Mail-Korrespondenzen oder sonstiger Interaktionen, sondern erkennt hierbei auch, ob diese für den Sachverhalt relevant sind oder nicht. Da kriminelle Machenschaften in der Regel nicht offen kommuniziert werden, besteht die Kunst darin, „zwischen den Zeilen″ zu lesen und auf Basis einer großen Datenmenge Zusammenhänge bestimmter Abläufe, Begrifflichkeiten und Personen zu erkennen.
- Sprach-, format- und quellenunabhängige Auswertung: KI-gestützte Systeme sind in der Lage, Daten aus verschiedenen Quellen (Social Media, E-Mail, Betriebs- und Finanzdaten) in verschiedenen Sprachen und Formaten zu verarbeiten. Die Möglichkeit einer umfassenderen und vollumfänglicheren Auswertung reduziert den Aufwand für abgestufte Prüfungen, Formatangleichungen oder Übersetzungen erheblich.
- Neben vielen weiteren Vorteilen wie der Selbstoptimierung der KI-Systeme, die der Einsatz künstlicher Intelligenz bei Datenauswertungen im Rahmen von internen Untersuchungen mit sich bringt, sind auch noch die Möglichkeiten der Aufdeckung unbekannter Sachverhalte oder Risikoprognosen auf Basis der Datensätze nicht zu unterschätzen.
Veränderte Prozesse durch künstliche Intelligenz
Der Einsatz künstlicher Intelligenz sorgt jedoch auch außerhalb der Datenauswertung für eine Veränderung der Prozesse im Rahmen einer internen Untersuchung und damit für eine Beschleunigung des Verfahrens:
- Hintergrundrecherchen: Der Einsatz künstlicher Intelligenz kann dazu beitragen, häufig im Rahmen interner Untersuchungen erforderliche Hintergrundrecherchen erleichtern. Dazu werden öffentlich zugängliche Quellen durchsucht. Insbesondere Informationen aus Datenbanken oder der Presse zu bestimmten Personen oder Unternehmen sowie beispielsweise auch in der Vergangenheit liegende Wetter- und Verkehrslagen können die Ermittlungsergebnisse präzisieren und verbessern.
- Interviews: Im Rahmen interner Untersuchungen ist die Durchführung von Interviews mit den involvierten Personen eine regelmäßig erforderliche Maßnahme, um etwaige Lücken zu schließen und Unklarheiten zu beseitigen. In diesem Kontext kann künstliche Intelligenz unterstützend eingesetzt werden, indem sie auf Basis der Datenlage schnell erkennt, welche Fragen an welche Person zu richten sind, um eine bestimmte Sachverhaltslücke schließen oder Annahmen verifizieren zu können. Neben der Interviewvorbereitung können KI-Tools auch eingesetzt werden, um die Interviews schriftlich zu protokollieren, was eine enorme Zeitersparnis bedeutet. Zudem erleichtert dies den Gesprächsfluss, da keine Diktiergeräte oder ähnliche Hilfsmittel eingesetzt werden müssen. Darüber hinaus kann künstliche Intelligenz eingesetzt werden, um Inkonsistenzen und Widersprüche hinsichtlich der Aussagen der befragten Personen zu erkennen. Zukünftig wird sich möglicherweise auch die Frage stellen, ob und inwiefern künstliche Intelligenz dafür eingesetzt werden kann, das Aussageverhalten einer Person oder sogar den Wahrheitsgehalt einer Aussage zu bewerten.
- Untersuchungsberichte: Abschließend zu einer internen Untersuchung erfolgt in der Regel die Erstellung ausführlicher Berichte, welche die getroffenen Feststellungen, die erzielten Ergebnisse sowie die daraus resultierenden rechtlichen Konsequenzen dokumentieren. Abschlussberichte bilden regelmäßig die Grundlage für weitere Folgemaßnahmen, beispielsweise in Form einer Zusammenarbeit mit den Ermittlungsbehörden, der Einleitung von Schadensersatzprozessen, der Abwehr von Ansprüchen oder von Selbstreinigungsmaßnahmen. Demgemäß kommt der ordnungsgemäßen und detaillierten Dokumentation eine wesentliche Bedeutung zu. Der Einsatz von künstlicher Intelligenz könnte hier zukünftig zu einer gesteigerten Zeit- und Kosteneffizienz führen, insbesondere durch die Zusammenführung der gesammelten Sachverhaltsfeststellungen auf Basis der relevanten Unterlagen sowie der Interviewprotokolle. Hiervon auszuklammern sind die rechtlichen Bewertungen und Schlussfolgerungen die als Kernaufgabe bei den Anwältinnen und Anwälten verbleiben.
Tatsächliche und rechtliche Risiken durch den KI-Einsatz
Obgleich das Potenzial der künstlichen Intelligenz für interne Untersuchungen als erheblich zu erachten ist, sind Einschränkungen hinsichtlich ihres Einsatzes zu berücksichtigen:
- Qualitätssicherung: Ein entscheidender Faktor ist und bleibt die Qualität der Daten bzw. der Texteingaben und “Arbeitsaufträge“ an die KI, auch Prompts genannt, die weiter von Menschen vorzunehmen sind. Sind diese unvollständig, missverständlich oder fehlerhaft bzw. die Systemeingaben ungenau oder nicht zielgerichtet genug, werden mit hoher Wahrscheinlichkeit auch die Ergebnisse mangelhaft ausfallen oder gar unbrauchbar sein. Je komplexer und unstrukturierter der Sachverhalt ist, desto eher werden KI-Systeme an ihre Grenzen stoßen. Hier sind weiterhin die analytischen und konzeptionellen Fähigkeiten der Fallbearbeiter gefragt, um den Einsatz von KI richtig einzuschätzen und zu steuern.
- Verlässlichkeit der Ergebnisse: Des Weiteren stellt die Nachvollziehbarkeit der Ergebnisse, und damit die Transparenz, eine große Herausforderung beim Einsatz künstlicher Intelligenz dar. Eine nachträgliche vollständige manuelle Überprüfung bzw. Validierung der Ergebnisse, beispielsweise im Rahmen der Datenauswertung, wäre kontraproduktiv, da sie die vorgenannten Vorteile hinsichtlich Effektivität und Effizienz wieder aufheben würde. Offen bleibt insofern die Frage nach der Überprüfung der Qualität und Richtigkeit der Ergebnisse, um potenzielle Fehlerquellen wie das Übersehen von Untersuchungsdetails, Fehlschlüsse oder Halluzinationen zu vermeiden. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass künstliche Intelligenz bisher nur begrenzt in der Lage ist, menschliche Schlussfolgerungen oder Interpretationen zu generieren sowie Kontextinformationen und Spezialwissen in bestimmten Bereichen zu verarbeiten. Dies führt dazu, dass menschliche Denkarbeit (noch) nicht ersetzt werden kann und eine Ergebniskontrolle unvermeidlich bleibt.
- Echtheit von Beweismitteln: Ein weiteres Thema, das es zukünftig im Rahmen von internen Untersuchungen zu berücksichtigen gilt, ist die Bewertung der Echtheit etwaiger Beweismittel. Sowohl Bilder und Videos als auch Sprachaufnahmen sowie Chat- und E-Mail-Verläufe können über künstliche Intelligenz generiert und verbreitet werden. Solche manipulierten Inhalte können wesentliche Auswirkungen auf den Sachverhalt und damit auch auf das juristische Ergebnis haben, weshalb gefälschte Beweismittel von vornhinein erkannt und ausgeschlossen werden müssen. Hierbei kann bestenfalls ebenfalls der Einsatz künstlicher Intelligenz unterstützen und sich selbst „überführen″.
- Einhaltung rechtlicher Vorschriften: Im Rahmen interner Untersuchungen sind bereits jetzt eine Vielzahl an datenschutzrechtlichen sowie arbeitsrechtlichen Vorgaben zu beachten. Interessen abwägen, Informationspflichten erfüllen, Beteiligungsrechte wahren – der Schutz der persönlichen Rechte der betroffenen Personen ist stets zu gewährleisten. Der Einsatz künstlicher Intelligenz führt nicht zu einer Verringerung der rechtlichen Anforderungen. Vielmehr sind die Vorgaben des Arbeits-, Zivil- und Straf-(Prozess-)Rechts sowie des Datenschutzes zu berücksichtigen, was zusätzliche Herausforderungen mit sich bringt. In diesem Zusammenhang sind auch etwaige Auswirkungen der am 12. Juli 2024 im Amtsblatt der europäischen Union veröffentlichten „Verordnung zur Festlegung harmonisierter Vorschriften für Künstliche Intelligenz“ (KI-VO) und die eventuelle Einstufung von eDiscovery-Tools als Hochrisiko-KI-Systeme zu prüfen.
Künstliche Intelligenz als Chance und Herausforderung für Interne Untersuchungen
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Integration von KI in interne Untersuchungen einen signifikanten Fortschritt darstellt, sowohl hinsichtlich der Effizienz als auch der Kosten. Es gilt nun, sich den Herausforderungen zu stellen und ein umfassendes Verständnis der KI-Fähigkeiten und Grenzen sowie der relevanten rechtlichen Rahmenbedingungen zu entwickeln. Hierbei wird sich auch die Rolle der Compliance und des Risikomanagements mit der wachsenden Bedeutung künstlicher Intelligenz weiterentwickeln müssen.