Die neue Koalition aus CDU/CSU und SPD möchte beim Thema nachhaltiges Wirtschaften Bürokratie abbauen – national und in Brüssel.
Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz soll abgeschafft werden
Der Bürokratierückbau (Kapitel 2.2 des Koalitionsvertrags) ist ein Kernanliegen der neuen Koalition. Hierzu ist ein Sofortprogramm geplant, mit dem noch im Jahr 2025 vor allem kleinere und mittlere Unternehmen entlastet werden sollen. Eine der ersten Maßnahmen dieses Programms soll die Abschaffung des deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG) sein.
Eine wesentliche Entlastung für die Unternehmen steht hierdurch allerdings nicht zu erwarten. Denn die Abschaffung soll nicht ersatzlos erfolgen – was unionsrechtlich wohl auch nicht zulässig wäre. Vielmehr soll an die Stelle des bisherigen Gesetzes ein neues Gesetz treten, mit dem das europäische Pendant zum LkSG, die Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD), umgesetzt wird. Die CSDDD geht in mancherlei Hinsicht noch über das LkSG hinaus. Allerdings soll die CSDDD im Rahmen des sogenannten Omnibus-Prozesses (dazu noch sogleich) „entschlackt“ werden, sodass sich ihr finaler Regelungsgehalt noch nicht verlässlich abschätzen lässt.
Derweil kündigt die neue Koalition eine bürokratiearme und vollzugsfreundliche Umsetzung an. Dies wird wenig später im Koalitionsvertrag in einen allgemeineren Kontext gestellt: Eine „bürokratische Übererfüllung″ bei der Umsetzung von EU-Recht in nationales Recht wird allgemein ausgeschlossen. Parallelregulierungen auf europäischer und nationaler Ebene werden abgelehnt. Wann allerdings die Nutzung von nationalen Umsetzungsspielräumen eine „bürokratische Übererfüllung″ ist und wann ein aus Sachgründen begrüßenswertes Gold-Plating, könnte auch in Zukunft noch für Diskussionen sorgen.
Noch bevor das LkSG durch das neue Umsetzungsgesetz ersetzt wird, soll die spezielle Berichtspflicht nach § 10 Abs. 2 LkSG abgeschafft werden – und zwar tatsächlich ersatzlos. Allerdings sehen auch Art. 16 CSDDD und die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) ähnliche Berichtspflichten vor. Auch hier sollten die Unternehmen sich also nicht zu viel Entlastung erhoffen.
Schließlich sollen die geltenden Sorgfaltspflichten unter dem LkSG bis zum Inkrafttreten des neuen Gesetzes grundsätzlich nicht sanktioniert werden, es sei denn, es handelt sich um massive Menschenrechtsverletzungen. Hier erscheint Vorsicht geboten: Was eine massive Menschenrechtsverletzung ist, ist offen. Wer diesen Passus des Koalitionsvertrags also als Einladung versteht, seine Sorgfaltspflichten schlicht zu ignorieren, könnte also unangenehm überrascht werden.
Viele Unternehmen haben mittlerweile ein LkSG-konformes und vielleicht sogar bereits CSDDD-konformes Lieferketten-Management-System entwickelt. Sie stehen nun vor der schwierigen Frage, wie sie sich verhalten, solange nicht sicher ist, welche Pflichten künftig für sie gelten werden. Dies ist auch eine Frage der Glaubwürdigkeit. Oft wird es ratsam sein, die gewonnene Zeit dazu zu nutzen, die bestehenden Prozesse weiter zu optimieren und das Lieferketten-Management losgelöst von der reinen Compliance-Aufgabe in der spezifischen Unternehmensstrategie zu verankern. Denn dass die Sicherung der Lieferketten künftig weiter an Bedeutung gewinnen wird, hält auch der Koalitionsvertrag fest.
Unterstützung des „Omnibus″ der Europäischen Kommission
Bereits im Februar hatte die Europäische Kommission das sogenannte „Omnibus I″-Paket veröffentlicht, das weitreichende Vereinfachungen und zeitliche Verschiebungen in der Nachhaltigkeitsberichterstattung, bei den Sorgfaltspflichten im Bereich Nachhaltigkeit und bei der sogenannten Taxonomie beinhaltet (siehe dazu etwa hier und hier). Konsequenterweise unterstützt die neue Koalition dieses Vorhaben ausdrücklich und kündigt an, sich hierbei für eine bürokratiearme Lösung insbesondere für kleine und mittelständische Unternehmen einzusetzen. Außerdem möchte sie dabei Rechts- und Planungssicherheit schaffen und die Unternehmen bei einer guten Rechtsumsetzung unterstützen.
Das Augenmerk der neuen Koalition wird dabei darauf liegen, unnötige Belastungen zu verhindern. Dafür nennt sie zwei konkrete Beispiele: Zum einen soll die Entwaldungsverordnung (EUDR) durch die Einführung der „Null-Risiko-Variante″ in Deutschland de facto keine Anwendung finden. Zum anderen wird das geplante EU-Bodengesetz abgelehnt.
Zum CO2-Grenzausgleichsmechanismus (CBAM) äußert sich der Koalitionsvertrag ausführlicher: Hier möchte man sich für einen Ausgleich für Exporte bei den von CBAM erfassten Produkten einsetzen. Sollte der Carbon Leakage-Schutz über den CBAM effektiv nicht gelingen, möchte die neue Koalition allerdings die Wettbewerbsfähigkeit der exportorientierten Branchen über Zertifikate schützen.
Im Koalitionsvertrag heißt es im Hinblick auf die EU-Nachhaltigkeitsberichterstattung zudem, dass der „Omnibus″ der Europäischen Kommission Unterstützung erfahren soll, um nicht nur die diversen inhaltlichen Vorgaben der EU-Nachhaltigkeitsberichterstattung deutlich zu verringern, sondern diese auch in zeitlicher Hinsicht zu verschieben. Vor diesem Hintergrund ist insbesondere davon auszugehen, dass die am 3. April 2025 vom Europäischen Parlament und am 14. April 2025 vom Rat der Europäischen Union formell genehmigte sogenannte „Stop-the-Clock″-Richtlinie, die als Teil des Omnibus I-Pakets durch die Europäische Kommission Ende Februar 2025 vorgelegt wurde, innerhalb der Umsetzungsfrist, d.h. bis zum 31. Dezember 2025, in deutsches Recht umgesetzt werden wird. Die sogenannte „Stop-the-Clock″-Richtlinie sieht vor, das Inkrafttreten der Pflicht zur Nachhaltigkeitsberichterstattung gemäß der CSRD für Unternehmen, die gemäß dem ursprünglichen (und aktuell noch geltenden) Richtlinientext für das Geschäftsjahr 2025 (zweite Welle) oder 2026 (dritte Welle) berichtspflichtig sind, um jeweils zwei Jahre zu verschieben (Berichtspflicht für das Geschäftsjahr 2027 bzw. 2028).
Was allerdings darüber hinaus eine „unnötige Belastung″ oder „überbordende Regulierung″ ist, insbesondere bei der Regulierung für nachhaltige Investitionen (Taxonomie), bei der CSDDD und bei Konfliktmineralien, lässt der Koalitionsvertrag im Ungefähren. Offensichtlich werden die diesbezüglichen Rechtsakte (wie auch andere, im Koalitionsvertrag überhaupt nicht erwähnte, wie etwa die EU-Zwangsarbeitsverordnung) weder per se abgelehnt noch wird eine inhaltliche Deregulierung gefordert – schon gar nicht für große Unternehmen. Hintergrund ist hierbei sicherlich auch das Bewusstsein der Koalitionäre dafür, dass es bei einer weitgehenden Deregulierung – ungeachtet der Vereinbarungen in anderen Kapiteln des Koalitionsvertrags – immer schwieriger wird, die ausdrücklich anerkannten Nachhaltigkeitsziele zu erreichen.
Im Detail kann dies noch viel Stoff für Streit liefern. Die Unternehmen sollten deshalb auch hier den weiteren Gesetzgebungsprozess genau verfolgen und nicht verfrüht von wesentlichen Entlastungen ausgehen.
Entscheidend wird die europäische Gesetzgebung
Mit nationalen Gesetzesvorhaben in den genannten Bereichen ist in dieser Legislaturperiode also nicht zu rechnen. Entscheidend wird sein, was auf der Ebene der europäischen Gesetzgebung geschieht. Wie Deutschland seinen Einfluss dabei nutzen wird, verrät der Koalitionsvertrag immerhin andeutungsweise. Hier haben allerdings auch viele andere Akteure ein Wörtchen mitzureden; mit überraschenden Wendungen ist weiterhin zu rechnen.
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