5. Mai 2021
Organhaftung Konzern
Konzernrecht

Organhaftung im internationalen Konzern

Persönliche Haftung – der Albtraum eines jeden Geschäftsleiters! Wie beugt man gerade im internationalen Konzern persönlicher Haftung vor?

Haftungsfragen sind für Geschäftsleiter traditionell von hoher Bedeutung. Schon nach deutschem Recht sind die Pflichten von Geschäftsleitern und die daran anknüpfenden Haftungsrisiken umfangreich. Wie schätzt man als Geschäftsleiter in einem internationalen Konzern das eigene Haftungsrisiko richtig ein und wie beugt man einer Haftung vor? 

Business Judgement Rule als wichtige Ausnahme einer Organhaftung

Dieser Beitrag befasst sich mit der sogenannten Innenhaftung von Geschäftsleitern. Dabei handelt es sich um die Haftung eines Geschäftsleiters gegenüber „seiner“ Gesellschaft. Die daneben teilweise bestehende Außenhaftung eines Geschäftsleiters gegenüber Dritten, zum Beispiel gegenüber Gläubigern der Gesellschaft, ist nicht Thema dieses Beitrags.

Für die verschiedenen Organmitglieder in Kapitalgesellschaften sieht das deutsche Recht jeweils Haftungsregime vor, die eine Haftung des Organmitglieds gegenüber der Gesellschaft für Schäden vorsehen, die der Gesellschaft aufgrund schuldhafter Pflichtverletzungen der Organmitglieds entstehen. Gemeinsam haben diese Haftungsregime einerseits, dass sie die Geschäftsleiter zum sorgfältigen Handeln im Interesse der Gesellschaft verpflichten und Schäden, die einer Gesellschaft durch sorgfaltswidriges Verhalten eines Geschäftsleiters entstehen, ausgeglichen werden sollen. Andererseits erkennt das deutsche Recht aber auch die Notwendigkeit an, unternehmerische Entscheidungen zu treffen. Unternehmerischen Entscheidungen ist es aber immanent, dass sie nicht immer den erhofften wirtschaftlichen Erfolg nach sich ziehen.

Diesem Umstand trägt das deutsche Recht mittels der sogenannten Business Judgement Rule Rechnung. Diese schon vom Reichsgericht in Deutschland anerkannte Doktrin eröffnet Geschäftsleitern einen haftungsfreien Handlungsspielraum. Sie haften der Gesellschaft gegenüber nicht, wenn sie im Rahmen der geltenden Gesetze eine unternehmerische Entscheidung auf der Grundlage angemessener Information treffen und sie bei der Entscheidung in dem Glauben sind, ausschließlich im Interesse und zum Wohle der Gesellschaft zu handeln. 

In einem eventuellen Haftungsprozess zwischen dem Geschäftsleiter und der Gesellschaft liegt die Beweislast dafür, dass das Verhalten des Geschäftsleiters von der Business Judgement Rule gedeckt war, beim Geschäftsleiter selbst. Schon aufgrund dieser Beweislastverteilung sollte jeder Geschäftsleiter wesentliche Entscheidungsprozesse dokumentieren, um sich im Fall der Fälle entlasten zu können.

Organhaftung im (internationalen) Konzern

Aufgrund der rechtlichen Selbstständigkeit der einzelnen Konzerngesellschaften ist jedes Organmitglied nur der Gesellschaft verpflichtet, dessen Organen es angehört. Eine Konzernleitungspflicht, welche die Geschäftsleitung der Muttergesellschaft eines Konzerns dazu verpflichten würde, die Tochtergesellschaften aktiv zu leiten, besteht nach herrschender Auffassung nicht. Auch im Vertragskonzern, der durch den Abschluss von Beherrschungsverträgen zwischen den einzelnen Konzerngesellschaften geprägt ist und ein „Durchregieren“ in untere Konzernebenen ermöglicht, wird keine allgemeine Konzernleitungspflicht angenommen. 

Dennoch hat die Geschäftsleitung der Muttergesellschaft die Beteiligung an der Tochtergesellschaft dem Gesellschaftszweck bzw. dem Gewinnziel der Muttergesellschaft entsprechend zu verwalten. In Konzernen ist es deshalb üblich, dass Entscheidungen je nach Wichtigkeit auf höheren Konzernebenen getroffen werden und das Handeln aller Konzerngesellschaften am Konzerninteresse ausgerichtet wird. Das bedeutet, dass für Geschäftsleiter in Tochtergesellschaften zusätzliche Haftungsrisiken durch von oben vorgegebene Entscheidungen entstehen können. Eine „blinde“ Umsetzung kann für den Geschäftsleiter einer Tochtergesellschaft erhebliche Konsequenzen haben, sollte sich die Maßnahme als für die Tochtergesellschaft nachteilig bzw. als rechtswidrig herausstellen. Gerade auf unteren Konzernebenen können Konflikte der Geschäftsleiter zwischen der rechtlich bestehenden Pflicht, im Interesse der „eigenen“ Gesellschaft zu handeln, und den „Konzernerwartungen“ zur Berücksichtigung von Konzerninteressen entstehen. Die Geschäftsleiter einer Tochtergesellschaft sollten daher sicherstellen, dass die Maßnahmen der Muttergesellschaft einer Zulässigkeitsprüfung unterzogen werden, bevor diese auf Ebene der Tochtergesellschaft umgesetzt werden.

Andersherum können sich aber auch die Organmitglieder auf höheren Konzernebenen nicht völlig von der Geschäftsführung auf unteren Konzernebenen distanzieren. Schäden auf unteren Konzernebenen können zu mittelbaren Schäden auf höheren Konzernebenen führen und fallen damit auch in deren Verantwortungsbereich. Je größer und internationaler der Konzern ist, desto eher tendiert die Rechtsprechung dazu, ein sogenanntes Compliance Management System zu fordern. Geschäftsleiter auf höheren Konzernebenen implementieren deshalb üblicherweise durch den gesamten Konzern Überwachungs- und Reportingstrukturen, die sicherstellen, dass auf keiner Konzernebene gegen Gesetze oder gegen interne Verhaltensrichtlinien verstoßen wird. 

Organhaftung: Matrixstrukturen können Haftungsfalle darstellen

Eine Besonderheit in der Haftungsthematik im Konzern stellt das Thema Matrixstrukturen dar. Eine Matrix dient dazu, die Entscheidungsprozesse von den gesellschaftsrechtlichen Einheiten (den einzelnen Gesellschaften) zu entkoppeln und stattdessen die Entscheidungsprozesse den betriebswirtschaftlichen Organisationseinheiten (z. B. Funktions- oder Produktmanagern) zuzuordnen. Eine Matrixstruktur soll es den betriebswirtschaftlichen Führungskräften (sog. Matrixmanagern) ermöglichen, in ihrem Bereich durch alle Ebenen des Konzerns „hindurchregieren“ zu können. 

Die Implementierung und Umsetzung einer Matrixstruktur im Konzern ist sowohl gesellschaftsrechtlich als auch arbeitsrechtlich komplex und birgt haftungsrechtliche Risiken, soweit die Implementierung der Matrixstruktur im Konzern nicht durch entsprechende Compliance-Maßnahmen flankiert wird. Wird durch Vollmachten die Entscheidungsbefugnis gesellschafts- und arbeitsrechtlich wirksam auf außerhalb der Gesellschaft stehende Führungskräfte delegiert, haben die jeweiligen Organmitglieder der beteiligten Gesellschaften sicherzustellen, dass allein rechtlich zulässige Maßnahmen der Matrixmanager umgesetzt werden. Ansonsten können sie sich gegenüber ihrer Gesellschaft schadensersatzpflichtig machen. Da eine Matrixstruktur darauf hinausläuft, den Entscheidungen der betriebswirtschaftlich vorgesehenen Führungskräfte mehr Gewicht als den gesetzlich vorgesehen Leitungsorganen einzuräumen, verschärft eine Matrixstruktur den im Konzern ohnehin bestehenden Konflikt des Geschäftsleiters einer Konzerngesellschaft, zu entscheiden, inwieweit er den Interessen und Weisungen der betriebswirtschaftlich vorgesehenen Führungskräften Vorzug geben oder Entscheidungen ignorieren darf, ohne sich gegenüber seiner Gesellschaft schadensersatzpflichtig zu machen. Für betroffene Geschäftsleiter ist es deshalb zentral, dass sie sich über alle relevanten Entscheidungen informieren lassen und sicherstellen, dass die Informations- und Entscheidungswege nicht an ihnen vorbeilaufen.

Verhaltenstipps für Geschäftsleiter: Informieren und dokumentieren

Geschäftsleiter im internationalen Konzern sollten aufgrund der dargestellten Haftungsrisiken die folgenden Punkte beachten:

  1. Information: Jeder Geschäftsleiter sollte sich zu Beginn seiner Tätigkeit über die ihn treffenden rechtlichen Pflichten und die Strukturen innerhalb des eigenen Konzerns informieren. Nur wer seine Pflichten kennt, kann haftungsträchtige Situationen identifizieren und entsprechende Vorkehrungen treffen. Gerade in großen, schon lange bestehenden Konzernen kann es sehr riskant sein, auf bewährte Abläufe im Sinne von „das haben wir schon immer so gemacht“ zu vertrauen bzw. auf neue Organisationsformen, wie die Matrixstruktur, nicht unverzüglich durch ein angepasstes Informationsmanagement zu reagieren. Gegebenenfalls bietet es sich auch an, Informationsordnungen aufzustellen, in welchen das Reporting geregelt wird.
  • Dokumentation: Wichtige, insbesondere risikoreiche Entscheidungsprozesse sollten unbedingt dokumentiert werden. In Haftungsprozessen, die häufig erst viele Jahre nach dem angeblich sorgfaltswidrigen Verhalten geführt werden, verbessert eine sorgfältige Dokumentation die Erfolgsaussichten des Geschäftsleiters angesichts der den Geschäftsleiter treffenden Beweislast erheblich. Hierzu können beispielsweise kurze Aktennotizen verfasst und relevante E-Mails oder Dokumente gesondert gespeichert werden.
  • Zustimmung: Jedenfalls in der GmbH gibt es darüber hinaus die Möglichkeit, bei kritischen Entscheidungen vorab einen entsprechenden zustimmenden Gesellschafterbeschluss einzuholen (z.B. in Gestalt einer Weisung oder eines Zustimmungsbeschlusses der Gesellschafter zu der geplanten Entscheidung). Alternativ kann die Entscheidung nachträglich explizit in einen Entlastungsbeschluss zugunsten des Geschäftsführers aufgenommen werden. Dadurch kann sich der Geschäftsführer einer GmbH bei besonders kritischen Entscheidungen zusätzlich absichern.
  • Klare Abgrenzung: Bei seinen Entscheidungen sollte sich jeder Geschäftsleiter bewusst machen, dass er zunächst der „eigenen“ Gesellschaft und erst nachrangig einem etwaigen Konzerninteresse verpflichtet ist. Von oben vorgegebene Entscheidungen sollten im Zweifelsfall darauf überprüft werden, ob sie nach den Grundsätzen der Business Judgement Rule umgesetzt werden können. In Matrix- oder sonstigen Leitungsstrukturen sollte der Geschäftsleiter überprüfen, wie weitreichend außerhalb der Gesellschaft stehende Führungskräfte Entscheidungen tatsächlich durchsetzen können und inwieweit eine eigene Verantwortung bei ihm selbst verbleibt. Entsprechende Überlegungen sollten in Zweifelsfällen unbedingt dokumentiert werden, da diese ein fehlendes Verschulden des Geschäftsleiters belegen können.
  • Compliance Management System: Insbesondere in Konzernen sollte ein Compliance Management System entwickelt werden, mit dem eine effiziente Überwachung unterer Konzernebenen sichergestellt wird. Gibt es ein solches System bereits, sollte es regelmäßig auf seine Funktionsfähigkeit hin überprüft und gegebenenfalls erweitert werden. Aufgrund der Komplexität dieses Themas sollte es jedenfalls in Konzernsituationen einen darauf spezialisierten Geschäftsleiter mit einem eigenen Team geben. Gerade im internationalen Kontext sollte es für jede beteiligte Rechtsordnung einen Compliance Officer geben, der aktuelle Entwicklungen in der jeweiligen Rechtsordnung im Auge behält und erforderliche Anpassungen des Compliance Management Systems umsetzt. Setzt ein Geschäftsleiter andere Personen zur Überprüfung von Weisungen von Konzerngesellschaften bzw. von Matrixmanagern ein, hat der Geschäftsleiter zu überwachen, dass diese Personen die Überprüfung ordnungsgemäß durchführen.

In unserem Blog informieren wir Sie mit Beiträgen über das „Konzernrecht aus der Praxis″, angefangen mit einem Überblick. Weiter geht es mit den Matrixstrukturen zur Konzernleitung, den Compliance-Strukturen im internationalen Konzern. sowie der nachhaltigen Unternehmensführung.

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