4. Juni 2021
Unternehmerische Mitbestimmung
Konzernrecht

Unternehmerische Mitbestimmung im Konzern: Mitbestimmungsgesetz und Drittelbeteiligungsgesetz

Die Regelungen zur unternehmerischen Mitbestimmung sind über ein halbes Jahrhundert alt. Bei Konzernsachverhalten ist aber vieles bis heute ungeklärt.

Überschreiten Unternehmen eine bestimmte Anzahl an Arbeitnehmer/innen (AN), sieht das Gesetz zwingend die Einrichtung eines durch AN-Vertreter mitbestimmten Aufsichtsrats sowie weitere, die Unternehmensleitung betreffenden Pflichten vor. Man spricht daher von der unternehmerischen Mitbestimmung (oft auch „Unternehmensmitbestimmung“ genannt), die neben die Mitbestimmung auf Betriebsebene (betriebliche Mitbestimmung) tritt. 

Im Konzern, also einem Verbund von mindestens zwei rechtlich selbständigen Unternehmen, gelten darüber hinaus Sonderregelungen für die unternehmerische Mitbestimmung: Aufgrund von Zurechnungstatbeständen werden AN der einzelnen Konzerngesellschaften grundsätzlich der Konzernspitze zugerechnet. Dadurch kann ein mitbestimmter Aufsichtsrat in der Konzernspitze einzurichten sein, obwohl sie selbst die relevanten AN-Schwellen nicht überschreitet. Einer solchen Konzernzurechnung liegt der Befund zu Grunde, dass die Unternehmensleitung im Konzern typischerweise einheitlich durch die Konzernspitze ausgeübt wird. Die unternehmerische Mitbestimmung soll daher grundsätzlich ebenfalls auf dieser Ebene bestehen. In bestimmten Fallkonstellationen erfolgt die Zurechnung (auch) an andere Konzerngesellschaften. 

Der vorliegende Beitrag gibt einen Überblick über die Voraussetzungen für die unternehmerische Mitbestimmung im Konzern und über in diesem Zusammenhang immer wiederkehrende Fragestellungen aus der Praxis, wie der Konzernzurechnung nach dem Drittelbeteiligungsgesetz oder dem Mitbestimmungsgesetz.

Konzernzurechnung nach dem DrittelbG

Nach dem Drittelbeteiligungsgesetz (DrittelbG) ist in einer AG, KGaA, GmbH, Genossenschaft und einem VVaG grundsätzlich ein mitbestimmter Aufsichtsrat, der zu einem Drittel aus AN-Vertretern besteht, einzurichten, wenn das Unternehmen in der Regel mehr als 500 AN beschäftigt.

Eine (Kapitalgesellschaft & Co.) KG ist vom DrittelbG nicht erfasst. Ebenso wenig sind die Europäische Aktiengesellschaft (SE) und die Europäische Genossenschaft erfasst, da für diese ein eigenes, europäisches Mitbestimmungsregime aufgrund von EU-Richtlinien gilt. Ausnahmen gelten unter anderem auch für sog. Familienunternehmen, für Unternehmen, die politische, erzieherische, wissenschaftliche oder künstlerische Zwecke verfolgen sowie für Unternehmen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie; auf diese Sonderkonstellationen soll hier nicht weiter eingegangen werden.

Die AN eines Konzernunternehmens gelten nach § 2 Abs. 2 DrittelbG als solche des herrschenden Unternehmens, wenn zwischen den Unternehmen ein Beherrschungsvertrag besteht oder das abhängige Unternehmen in das herrschende Unternehmen eingegliedert ist. Das Bestehen eines reinen Ergebnisabführungsvertrags reicht für eine solche Konzernzurechnung nicht aus.

Durch die Rechtsprechung noch nicht geklärt ist die Frage, ob und bejahendenfalls unter welchen Voraussetzungen AN auch einer Teilkonzernspitze nach § 2 Abs. 2 DrittelbG zugerechnet werden können. Bestehen zum Beispiel zwischen einer GmbH und ihren Tochtergesellschaften Beherrschungsverträge und kommen diese Gesellschaften auf insgesamt über 500 AN, ist die Zurechnung fraglich, wenn die GmbH ihrerseits von einer anderen Gesellschaft (faktisch) beherrscht wird, die GmbH also nicht die Konzernspitze bildet. Der ganz überwiegende Teil der juristischen Literatur lehnt eine Zurechnung auf die Teilkonzernspitze ab, sofern nicht ausnahmsweise die Konstellation des Konzerns im Konzern vorliegt (dazu sogleich).

Handelt es sich bei der Konzernspitze um eine der oben erwähnten Rechtsformen und überschreitet sie (gegebenenfalls unter Zurechnung nach § 2 Abs. 2 DrittelbG) die Schwelle von 500 AN, ordnet § 2 Abs. 1 DrittelbG an, dass an der Wahl der Aufsichtsratsmitglieder der AN der Konzernspitze auch die AN der übrigen Konzernunternehmen teilnehmen. Auf das Vorliegen eines Beherrschungsvertrags oder eine Eingliederung kommt es insoweit nicht an.

Konzernzurechnung nach dem MitbestG

Der große Bruder des DrittelbG ist das Mitbestimmungsgesetz (MitbestG), das die Einrichtung eines paritätisch mitbestimmten Aufsichtsrats vorsieht. Erfasst werden Unternehmen in den Rechtsformen der AG, KGaA, GmbH und Genossenschaft, die in der Regel mehr als 2.000 AN beschäftigen. Ist ein solches Unternehmen persönlich haftender Gesellschafter einer KG und hat die Mehrheit der Kommanditisten auch in der Komplementärgesellschaft die Mehrheit oder handelt es sich um eine Einheits-KG, werden die AN der KG dem persönlich haftenden Gesellschafter gemäß § 4 Abs. 1 MitbestG zugerechnet, sofern nicht der persönlich haftende Gesellschafter einen eigenen Geschäftsbetrieb mit in der Regel mehr als 500 AN hat. Nicht erfasst sind wiederum die SE und SCE.

Je nach Anzahl der AN ist der Aufsichtsrat dann aus je sechs bis zehn Anteilseigner- und AN-Vertretern zusammenzusetzen. Der paritätisch mitbestimme Aufsichtsrat ist in der GmbH zwingend für die Bestellung und Abberufung der Geschäftsführer zuständig. Für die AG gilt diese Zuständigkeit ohnehin. Außerdem ist ein Vorstandmitglied bzw. Geschäftsführer zum Arbeitsdirektor zu bestellen. In der KGaA ist weder der Aufsichtsrat für die Bestellung/Abberufung der Geschäftsführung zuständig noch muss ein Arbeitsdirektor bestellt werden.

Fragen der Konzernzurechnung regelt § 5 MitbestG. Danach werden in einem Konzern im Sinne des § 18 Abs. 1 AktG zum einen AN von Konzernunternehmen dem herrschenden Unternehmen des Konzerns zugerechnet. Ein Beherrschungsvertrag oder eine Eingliederung ist also anders als nach dem DrittelbG nicht unbedingt erforderlich. Es reicht vielmehr grundsätzlich aus, wenn eine Abhängigkeit aufgrund Mehrheitsbesitz besteht (§ 17 Abs. 2 AktG).

Aufgrund des eindeutigen Wortlauts („herrschendes Unternehmen eines Konzerns″) findet die Zurechnung dabei grundsätzlich auf die Konzernspitze statt. Bildet eine KG die Konzernspitze, werden die AN der Konzerngesellschaften entsprechend den oben genannten Voraussetzungen dem persönlich haftenden Gesellschafter der KG zugerechnet, wenn dieser die Rechtsform der AG, KGaA, GmbH oder Genossenschaft hat.

Ist die Konzernspitze allerdings in einer nicht vom MitbestG erfassten Rechtsform organisiert (handelt es sich insbesondere um eine ausländische Gesellschaft), geht die Zurechnung auf die Konzernspitze ins Leere. Ebenso geht die Zurechnung ins Leere, wenn der persönlich haftende Gesellschafter der KG eine nicht vom MitbestG erfasste Rechtsform hat. Für diese Fälle sieht § 5 Abs. 3 MitbestG vor, dass das der Konzernspitze am nächsten stehende Unternehmen in einer der erfassten Rechtsformen als herrschendes Unternehmen des Konzerns gilt (sog. Zurechnung auf die Teilkonzernspitze). Ist die Konzernspitze in der Rechtsform der SE oder SCE organisiert, findet richtigerweise keine Zurechnung auf eine vom MitbestG erfasste Teilkonzernspitze auf der nächsthöheren Ebene statt. Zweck des § 5 Abs. 3 MitbestG ist, Lücken bei der 

unternehmerischen Mitbestimmung im Konzern zu schließen, die dadurch entstehen, dass das MitbestG nur bestimmte nationale Rechtsformen erfasst. Die SE und SCE verfügen aber jeweils über ein eigenes, europarechtlich vorgegebenes Mitbestimmungsregime, das seinerseits AN aus allen EU-/EWR-Konzerntochtergesellschaften (und damit auch aus Deutschland) im Rahmen des Arbeitnehmerbeteiligungsverfahrens berücksichtigt. Auch sonst stellen die Gesetze über die AN-Beteiligung in der SE und SCE (SEBG und SCEBG) jeweils ein in sich geschlossenes Regelwerk zur Mitbestimmung dar. Eine Lücke bei der Konzernmitbestimmung liegt daher schlicht nicht vor und es besteht daher auch kein Bedürfnis, eine solche Lücke durch § 5 Abs. 3 MitbestG zu schließen. Dies ist allerdings nicht unumstritten und in der Rechtsprechung nicht geklärt.

Arbeitnehmerbegriff und Prognosezeitraum

Wie gezeigt, stellen das DrittelbG und das MitbestG darauf ab, ob ein Unternehmen in der Regel mehr als 500 bzw. 2.000 AN beschäftigt. Gemeint sind nur die in Deutschland beschäftigten AN. Insbesondere gebieten die EU-Grundfreiheiten etwa nicht, dass im EU-Ausland beschäftigte AN des Konzerns mitzuzählen sind. Das hat der EuGH im Fall Erzberger ./. TUI entschieden. 

„In der Regel″ heißt, dass es nicht allein darauf ankommt, ob die maßgebliche Schwelle zum Beurteilungszeitpunkt überschritten ist. Vielmehr sind nach obergerichtlicher Rechtsprechung auch die künftigen Entwicklungen der AN-Zahlen in einem Prognosezeitraum von ca. 17 bis 20 Monaten zu berücksichtigen. Liegt zum Beispiel die AN-Zahl zum Beurteilungszeitpunkt noch unter 2.000, ist aber nach einer gesicherten und verbindlichen Personalplanung des Unternehmens ein Wachstum auf über 2.000 AN in den nächsten 17 bis 20 Monaten vorgesehen, greift das MitbestG bereits zum Beurteilungszeitpunkt. Ebenso sind geplante Reduzierungen der AN-Zahl zu berücksichtigen.

Konzern im Konzern – Eine Ausnahme

Die Zurechnung von AN aus Konzerngesellschaften findet wie dargestellt grundsätzlich auf die Konzernspitze statt, nach § 5 Abs. 3 MitbestG ausnahmsweise auf die Teilkonzernspitze, die keine eigene Leitungsmacht hat. Eine in der Rechtsprechung sowohl für das DrittelbG als auch das MitbestG anerkannte weitere Ausnahme bildet die Figur des Konzerns im Konzern. 

Hat im Konzern die Konzernspitze ihre zentrale Leitungsbefugnis in vollem Umfang an eine Konzernzwischengesellschaft abgegeben mit der Folge, dass die Konzernzwischengesellschaft den ihr zugeordneten Geschäftsbereich eigenverantwortlich leitet, werden ihr die AN aus nachgeordneten Konzerngesellschaften im Rahmen der Ermittlung der Schwellenwerte zugerechnet. Für das DrittelbG gilt das nur, soweit die weiteren Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 DrittelbG erfüllt sind.

Obwohl die Figur im Grundsatz schon lange anerkannt ist, war bis vor kurzem kein Fall aus der Rechtsprechung bekannt, in dem ein Konzern im Konzern tatsächlich angenommen wurde. Denn im Zweifel wird man annehmen müssen, dass der Pflichtenkreis der Geschäftsleitung der Konzernspitze stets auch die Leitung sämtlicher Konzerngesellschaften umfasst und damit eigenverantwortliche Leitung durch eine Konzernzwischengesellschaft ausschließt. In einem Fall hat das LG Frankfurt (Beschluss vom 24. Oktober 2019 – 3-05 O 43/19) einen Konzern im Konzern für den Fall angenommen, dass der Konzernzwischengesellschaft durch die BaFin gemäß § 10a Abs. 2 Satz 4 KWG vorgegeben ist, alle gruppenbezogenen Pflichten eines übergeordneten Unternehmens zu erfüllen.

Weitere Zurechnungstatbestände

Daneben sind weitere Sachverhalte im Blick zu behalten, die eine Zurechnung von AN im Konzern begründen können:

Bilden zwei oder mehrere Konzernunternehmen einen Gemeinschaftsbetrieb, sind die AN des Gemeinschaftsbetriebs nach wohl überwiegender Auffassung wegen der einheitlichen Leitung des Gemeinschaftsbetriebs allen Trägerunternehmen dieses Gemeinschaftsbetriebs zuzurechnen, soweit es um die Ermittlung des Schwellenwerts nach dem MitbestG geht. Das Bundesarbeitsgericht hat zudem eine wechselseitige Zurechnung bejaht, soweit es im Rahmen des DrittelbG um die Frage geht, welche AN bei der Wahl der AN-Vertreter in den Aufsichtsrat aktiv wahlberechtigt sind. Bei Gemeinschaftsbetrieben kann also eine Zurechnung nicht nur „nach oben″ auf die (Teil-)Konzernspitze oder eine Konzernzwischengesellschaft in Betracht kommen, sondern gegebenenfalls auch „seitlich″ oder „nach unten″, und zwar mehrfach. Einzelheiten sind insoweit umstritten. Fraglich wird es vom Ergebnis her insbesondere dann, wenn der AN-Anteil der einzelnen Trägerunternehmen im Gemeinschaftsbetrieb sehr unterschiedlich ist.

Von der Zurechnung innerhalb eines Gemeinschaftsbetriebs ist der Fall der Zurechnung bei einem Gemeinschaftsunternehmen zu unterscheiden. Sind an einem Unternehmen mehrere Gesellschafter jeweils nichtmehrheitlich beteiligt, kann eine Zurechnung der AN des Gemeinschaftsunternehmens unter Umständen an alle solche Gesellschafter erfolgen. Die genauen Voraussetzungen für eine solche mehrfache Konzernzugehörigkeit sind umstritten. Überwiegend wird gefordert, dass alle Gesellschafter das abhängige Unternehmen gemeinschaftlich leiten und ihm gegenüber koordiniert/einheitlich auftreten. Dabei wird teilweise angenommen, dass etwa bei einem 50/50 Gemeinschaftsunternehmen schon aufgrund der Pattsituation ein Kooperationszwang bestehe, der faktisch dazu führe, dass die Gesellschafter dauerhaft einheitlich auf das Gemeinschaftsunternehmen einwirkten. Andere verlangen zusätzlich entsprechende Koordinierungs- oder Stimmbindungsverträge unter den Gesellschaftern. In der Rechtsprechung ist bisher keine einheitliche Linie zu erkennen. 

Mitbestimmungsrechtliche Implikationen bei Konzernstrukturierungen und Personalplanungen sorgfältig prüfen

Unternehmerische Mitbestimmung im Konzern ist ein komplexes Thema. Zentral ist die Frage nach der Zurechnung von AN zur Konzernspitze (§ 2 Abs. 2 DrittelbG, § 5 Abs. 1 MitbestG), Teilkonzernspitze (§ 5 Abs. 3 MitbestG) oder Konzernzwischengesellschaft (Konzern im Konzern) für die Zwecke der Ermittlung der relevanten Schwellen im Drittelbeteiligungsgesetz und Mitbestimmungsgesetz. 

Bei Gemeinschaftsbetrieben innerhalb eines Konzerns kommt daneben eine Zurechnung „seitlich″ oder „nach unten″, bei Gemeinschaftsunternehmen eine mehrfache Konzernzugehörigkeit und damit eine mehrfache Zurechnung in Betracht. Zahlreiche Fragen in diesem Zusammenhang sind umstritten und durch die Rechtsprechung nicht endgültig geklärt. In der Praxis sollten mitbestimmungsrechtliche Implikationen bei dem Aufbau, der Erweiterung und der Umgestaltung von Konzernstrukturen und Betrieben sorgfältig geprüft werden. Zudem sollten bei Personalplanungen die Auswirkungen auf die unternehmerische Mitbestimmung stets im Blick behalten werden. 

In unserem Blog informieren wir Sie mit Beiträgen über das „Konzernrecht aus der Praxis″, angefangen mit einem Überblick. Weiter geht es mit den Matrixstrukturen zur Konzernleitung, den Compliance-Strukturen im internationalen Konzern, der nachhaltigen Unternehmensführung und der Organhaftung im internationalen Konzern sowie den Mitteilungspflichten.

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