16. Dezember 2022
Healthcare Metaverse Krankenhaus
Metaverse

Das Healthcare Metaverse: Neue Gesundheitsversorgung, neues Recht?

Virtuelle Kliniken, digitale Therapien, Avatar Marketing: Das Metaverse dürfte auch den Gesundheitssektor nachhaltig verändern. Was rechtlich dabei zu beachten ist.

Das Metaverse wird die Möglichkeiten des Internets auf ein neues Niveau heben. Wesentliche Schlagworte sind Virtual Reality (VR), Augmented Reality (AR) sowie der Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI). Dem Metaverse wird zugetraut, zahlreiche Wirtschaftszweige umfassend zu verändern und neu zu prägen

Doch gilt dies auch für den stark regulierten Gesundheitsbereich? Und welche rechtlichen Rahmenbedingungen gelten hier?

Gesundheitssektor als wichtiger Anwendungsbereich im Metaverse

In der Umfrage Accenture Digital Health Technology Vision von Juni 2022 geben 81 % der Befragten aus dem Gesundheitssektor an, das Metaverse werde sich positiv auf die Zukunft auswirken. Einer Studie des Bundesverbands Digitale Wirtschaft (BVDW) e.V. von Juni 2022 zufolge gaben 17 % der Befragten an, der Healthcare-Sektor sei die Branche, die am meisten vom Metaverse profitieren werde. 

Zugleich kam eine repräsentative Umfrage von YouGov im Auftrag der Technologieberatung BearingPoint im August 2022 zu dem Ergebnis, dass 80 % der Verbraucher* in Deutschland noch nie etwas vom Healthcare Metaverse gehört haben (die gesamte Studie ist hier einsehbar). 

Zugang für Patienten zu virtuellen Krankenhäusern im Metaverse

Welche Möglichkeiten immersive digitale Plattformen bieten könnten, lassen virtuelle Krankenhäuser erahnen: So baut das Unternehmen Aimedis mit Sitz u.a. in den Niederlanden mit seinem Alpha Hospital an einem digitalen Krankenhaus im Metaverse. Zwar werden auch weiterhin Operationen nicht ohne physischen Kontakt von Arzt und Patient stattfinden können. Jedoch ließen sich Beratungs- und Aufklärungsgespräche durch realitätsnahe VR-Technologie noch besser und intensiver führen als derzeit über telemedizinische Möglichkeiten. So könnten den Patienten anhand von „digitalen Zwillingen“ OP-Abläufe dergestalt veranschaulicht werden, dass sie auch virtuell umfassend informiert in den geplanten Eingriff einwilligen können.

Anschaulich ist auch das Beispiel der Teleradiologie: Während das Röntgenbild in einer wohnortnahen Praxis aufgenommen werden kann, kann die Diagnosestellung auch im Ausland erfolgen. Die Befundbesprechung kann dann im virtuellen Krankenhaus stattfinden, wo sich Arzt und Patient über ihre Avatare dank VR immersiv und realitätsnah begegnen. Im Bereich der Psychotherapie können die Möglichkeiten des Metaverse ebenfalls ergiebig sein. Zwar hat schon durch die Covid-19-Pandemie die Videotherapie stark an Zuspruch gewonnen. Jedoch baut die 2D-Technologie eine durchaus beklagte Distanz zwischen Therapeut und Patient auf. Das Metaverse kann diesen Effekt durch das realitätsnahe 3D-Erleben abmildern und so Teletherapie noch wirksamer machen.

Metaverse hat Potenzial, medizinische Aus- und Weiterbildung nachhaltig zu verändern

Man stelle sich vor, OP-Techniken könnten an einem virtuellen OP-Tisch dank VR-Brillen und gekoppelter Instrumente in großem Stil geübt und verfeinert werden. Oder statt der Präparation von Leichen würde der menschliche Körper für Studenten spielerisch erfahrbar, indem durch die Gefäße „spaziert“ werden könnte. Das Üben am Patienten gem. der Doktrin „see one, do one, teach one“ könnte damit der Vergangenheit angehören. 

Auch in den Bereichen Produktentwicklung, Vertrieb und Marketing von Arzneimitteln oder Medizinprodukten bietet das Metaverse zahlreiche innovative Möglichkeiten. 

Der Strauß an Betätigungsfeldern für Unternehmen in Lifesciences und Healthcare ist also groß, bunt und vielfältig. 

Schutz von Gesundheitsdaten als wichtiger Aspekt im Metaverse

Eine Herausforderung, die sich in die virtuelle Welt überträgt, ist der Datenschutz. Die VR- und AR-Technologien benötigen gewaltige Mengen an Daten, um etwa Mimik sowie Bewegungsabläufe der Avatare originalgetreu abzubilden. Daneben handelt es sich gerade bei Gesundheitsdaten um besonders sensible Daten, die entsprechend gut geschützt werden müssen.

Insoweit sind insbesondere die Anforderungen der EU-Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) zu befolgen – auch und gerade im Healthcare Metaverse. Mit zunehmender Relevanz des Metaverse ist auch nicht auszuschließen, dass bereichsspezifische Datenschutzregeln erlassen werden könnten. Der bereits erwähnten Studie der Technologieberatung BearingPoint zufolge ist effektiver Datenschutz ein neuralgischer Punkt bezüglich der Akzeptanz des Metaverse: Fast die Hälfte der Befragten sorgt sich um ihre Gesundheitsdaten im Metaverse. 

Software als Medizinprodukt

Darüber hinaus stellt sich insbesondere für Medizinproduktehersteller die Frage, inwiefern die EU-Medizinprodukteverordnung (MDR) auch im Metaverse für ihre Produkte Anwendung findet. Medizinprodukte sind ein „Instrument, ein[en] Apparat, ein Gerät, eine Software, ein Implantat, ein Material oder ein [anderer] Gegenstand“, die/der nach der Zweckbestimmung des Herstellers etwa zur Überwachung, Behandlung oder Linderung von Krankheiten dienen soll. Dabei ist insbesondere zu beachten, dass der diagnostische Erfolg oder der therapeutische Effekt in der realen Welt eintreten muss und nicht etwa nur bei einem „digitalen Zwilling“ im Metaverse. 

Viele Medizinprodukte, die im Metaverse von Relevanz sein könnten, werden als Software einzustufen sein. Dies gilt es jedoch im Einzelfall sorgfältig zu prüfen. Auch stellen sich u.U. Abgrenzungsfragen, wenn bspw. für die Behandlung im Metaverse VR-Brillen notwendig sind und/oder mitgeliefert werden. Es ist dann fraglich, ob es sich bei dem Kernprodukt und der Brille um eine Gesamteinheit bzw. ein „System“ handelt, die Brille ein „Zubehör“ i.S.d. MDR darstellt oder keine Verknüpfung zwischen den Produkten besteht. Auch hierfür ist eine sorgfältige Einzelfallbetrachtung unumgänglich. 

Erstattung von Gesundheitsleistungen

§ 68a SGB V ermöglicht Kooperationen zwischen MedTech-Unternehmen und Krankenkassen zur Förderung digitaler Innovationen. Eine solche Förderung kann etwa eine fachlich-inhaltliche Kooperation zwischen Krankenkassen und Unternehmen sein oder den zusätzlichen Erwerb von Anteilen am Investmentvermögen durch die Krankenkasse umfassen.

Daneben ist denkbar, dass die Krankenkassen mittelfristig von der Möglichkeit der „besonderen Versorgung mit digitalen Versorgungsangeboten“ Gebrauch machen, die § 140a Abs. 4a SGB V eröffnet. Sie könnte es erlauben, KI-basiert im Metaverse z.B. die Anamnese zu beginnen und darauf aufbauend von einem KI-gestützten Avatar Behandlungsoptionen aufgezeigt zu bekommen. Auch Beratungen zu präventiven Angeboten könnten dergestalt erfolgen. Es muss jedoch sichergestellt sein, dass die therapeutische Letztentscheidung in den Händen eines (Vertrags-)Arztes liegt.

Für die Integration des Metaverse in das Gesundheitssystem ist auch von Relevanz, inwiefern Leistungen, die im Metaverse erbracht werden, erstattungsfähig sind. Eine Option dafür wäre, dass Krankenkassen Verträge über innovative integrierte Versorgungslösungen gem. § 140a SGB V schließen. Auch könnte Software für Behandlungsoptionen im Metaverse als digitale Gesundheitsanwendung (DiGA) qualifiziert und vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in das Verzeichnis erstattungsfähiger digitaler Gesundheitsanwendungen aufgenommen werden. Erforderlich hierfür sind gem. § 139e SGB V Nachweise über die Sicherheit, Funktionstauglichkeit und Qualität des Produktes sowie über die Wahrung des Datenschutzes. Darüber hinaus sind positive Versorgungseffekte nachzuweisen, also entweder ein medizinischer Nutzen oder eine patientenrelevante Struktur- und Verfahrensverbesserung. Gerade letztgenannter Aspekt könnte auf Anwendungen im Metaverse in besonderer Weise zutreffen. So hat bspw. in den USA die Arzneimittelbehörde FDA im vergangenen Jahr ein Programm zur Linderung chronischer Rückenschmerzen zugelassen, das sich der VR-Technologie bedient. Über ein VR-System können die Patienten eine kognitive Verhaltenstherapie in Kombination mit Entspannungsübungen selbstbestimmt durchführen. 

Ärztliche Behandlungen im Metaverse eingeschränkt möglich

Ärzte werden auch im Metaverse nicht vollständig durch Avatare ersetzt werden können, da nur sie aufgrund ihrer Approbation die ärztliche Heilkunde ausüben dürfen. Bei ärztlichen Behandlungen besteht seit 2018 jedoch die Möglichkeit, auch ausschließlich telemedizinisch zu versorgen, sofern dies im Einzelfall ärztlich vertretbar ist und

die erforderliche ärztliche Sorgfalt insbesondere durch die Art und Weise der Befunderhebung, Beratung, Behandlung sowie Dokumentation gewahrt wird und die Patientin oder der Patient auch über die Besonderheiten der ausschließlichen Beratung und Behandlung über Kommunikationsmedien aufgeklärt wird

(§ 7 Abs. 4a MBO-Ä). 

Auch diesbezüglich dürfte das Metaverse neue Dimensionen der telemedizinischen Behandlung eröffnen. Hier wird besonders darauf geachtet werden müssen, dass der Patient über die Besonderheiten und Grenzen des Metaverse aufgeklärt wird. Sofern sich die Patienten in Deutschland befinden, findet bei einer ärztlichen Behandlung zwingend das deutsche Patientenschutzrecht als Teil des deutschen Zivilrechts Anwendung, auch wenn sich der behandelnde Arzt im Ausland aufhält. Im umgekehrten Falle, also wenn der Arzt im Inland und der Patient im Ausland ansässig ist, greift dasjenige Recht, das dem Patienten ein höheres Schutzniveau verspricht. Dies ist bei ärztlichen Aktivitäten im Metaverse u.a. hinsichtlich des Haftungsrisikos zu beachten.

Für Marketingmaßnahmen muss auch im Metaverse das Heilmittelwerberecht beachtet werden

Schließlich dürfte für alle im Metaverse agierenden Akteure aus dem Lifesciences- und Healthcare-Sektor von Interesse sein, inwiefern das Metaverse zu Marketingzwecken genutzt werden kann. Wie für andere Sektoren auch eröffnen sich hier ganz neue Möglichkeiten der Interaktion mit Nutzern, was kreative Ansätze beflügeln dürfte. Allerdings darf dabei nicht aus den Augen verloren werden, dass die Werbung für Arzneimittel, Medizinprodukte und ärztliche Behandlungen strengeren Regeln unterliegt als etwa die Werbung für Konsumgüter. Hier gelten die Vorgaben des Heilmittelwerbegesetzes (HWG) – auch für die Kommunikation im Metaverse.

Ähnlich wie im „klassischen“ Internet oder auf Social-Media-Plattformen ist also stets zu prüfen, ob eine Werbemaßnahme mit den besonderen Vorschriften des HWG vereinbar ist. So wird eine Bewerbung verschreibungspflichtiger Arzneimittel auch im Metaverse nicht außerhalb der Fachkreise zulässig sein. Und Wirkaussagen oder anpreisende Darstellungen werden sich auch im Metaverse am sog. Strengeprinzip messen lassen müssen. Unter Beachtung dieser – sicherlich im Metaverse auch weiterzuentwickelnden und teilweise neu zu denkenden – Grenzen sind kreative Marketingmaßnahmen und neue Wege der Patientenkommunikation möglich. 

Rechtsfragen bei neuen Healthcare-Projekten im Metaverse frühzeitig bedenken 

Das Metaverse eröffnet im wahrsten Sinne des Wortes neue – virtuelle – Räume. Gerade im Bereich der Gesundheitsversorgung tun sich ganz neue Formen der Kommunikation und Versorgung auf. Es wird spannend sein zu sehen, wie diese neuen Räume gestaltet, genutzt und bespielt werden.

Bei aller Euphorie und Kreativität rund um die Potenziale des Healthcare Metaverse ist zu bedenken, dass natürlich kein neuer rechtsfreier Raum entsteht. Die bisher schon geltenden Vorgaben werden auch auf die Kommunikation und die Versorgungsformen im Metaverse Anwendung finden – unter Berücksichtigung der durch die neue Technologie geschaffenen Möglichkeiten. Unternehmen, die sich die neuen Räume erschließen, innovative Formen der Kommunikation entwickeln oder an neuen Geschäftsmodellen für das Metaverse tüfteln, sind gut beraten, die rechtlichen Rahmenbedingungen von vornherein in die Überlegungen miteinzubeziehen. 

Wie schon bei „klassischen“ Digital-Health-Angeboten mag es sein, dass sich bestimmte Modelle rechtlich nicht umsetzen lassen, anders aufgesetzt oder inhaltlich angepasst werden müssen. Es mag aber auch durchaus sein, dass rechtlich mehr geht als zunächst gedacht – auch das gibt es, gerade in innovativen Feldern und im digitalen Business, immer wieder. Vielleicht eröffnet das Metaverse dann auch insoweit ungeahnte rechtliche Potenziale für neue Ideen der Patientenversorgung.

In unserem CMS-Blog informieren wir Sie im Rahmen unserer Blog-Serie „Metaverse“ fortlaufend mit aktuellen Beiträgen zum Metaversum. Nach einer Einführung in das „Metaverse“ sind wir bereits eingegangen auf Arbeit im Metaverse, auf Rechtsberatung im Metaverse und geben einen Überblick über Steuern im Metaverse sowie über die Umsatzsteuer bei der Vermietung von virtuellem Land im Metaverse. Darüber hinaus haben wir uns mit dem Markenschutz für Blockchain- und andere Krypto-Projekte, dem Markenschutz vs. Kunstfreiheit bei mit NFTs verlinkten Medien sowie mit dem Markenschutz für digitale Produkte im „Metaverse“ und den EUIPO-Leitlinien zur Eintragung virtueller Waren und NFTs beschäftigt. Außerdem prüfen wir, ob das Markenrecht bereit für das Metaverse ist.

Darüber hinaus halten wir Sie auf unserer Insight-Seite zum Metaverse auf dem Laufenden!

*Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.

Tags: Ausbildung Healthcare Krankenhaus Life Sciences Metaverse