Viele Unternehmen möchten ihren Beschäftigten Workation-Zeiträume ermöglichen. Doch wie steht es um sozialversicherungsrechtliche Konsequenzen?
Das Thema Workation – also das gelegentliche und kurzfristige mobile Arbeiten im Ausland an einem Urlaubsort bzw. vor einer Urlaubsreise oder im Anschluss daran – ist derzeit wie kaum ein anderes im Bereich der modernen Arbeitsformen „gefragt“ und wird auch von zahlreichen Anbietern massiv beworben. Nicht ganz zu Unrecht, denn wenn ein ortsunabhängiges Arbeiten möglich ist, warum dann nicht die Arbeit in das Feriendomizil verlegen?
Die Vorteile liegen auf der Hand: Mit der entsprechenden IT-Ausstattung wären mit dem Arbeiten an einem Urlaubsort eine noch effektivere Kombination von beruflichen und privaten Interessen und/oder eine unkomplizierte Bewältigung von Schließzeiten in Betreuungseinrichtungen bzw. von Schulferien möglich.
Maßgebliches Sozialversicherungssystem: Tätigkeitsortprinzip als Grundsatz
So verlockend es klingt: Viele Unternehmen zögern bei entsprechenden Anfragen ihrer Beschäftigten – und das mit gutem Grund. Aktuell ist das Thema Workation mit vielen Unsicherheiten im Bereich des koordinierenden Rechts behaftet.
In sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht sieht die Verordnung VO (EG) Nr. 883/2004, die bei grenzüberschreitender Tätigkeit innerhalb der EU-Mitgliedstaaten, der EWR-Staaten und der Schweiz gilt, vor, dass Personen, die innerhalb dieser Staaten grenzüberschreitend arbeiten, dem System der sozialen Sicherheit nur eines Staates unterworfen werden (sollen). Ausgangspunkt hierbei ist das Tätigkeitsortprinzip, wonach eine Person, die in einem Staat eine Beschäftigung ausübt, grds. den Rechtsvorschriften dieses Staates unterliegt. Würde man diesen Grundsatz uneingeschränkt zur Anwendung bringen, würde jede noch so geringfügige Arbeitstätigkeit im Ausland dazu führen, dass zwei oder mehr Sozialversicherungssysteme in einem Arbeitsverhältnis zur Anwendung kämen.
Ausnahme zum Tätigkeitsortsprinzip: Entsendung
Der Grundsatz, dass ein Beschäftigter* im Falle eines grenzüberschreitenden Tätigwerdens dem Sozialversicherungssystem des Staates unterfällt, in dem die Arbeitstätigkeit ausgeübt wird, gilt nicht ausnahmslos. Es besteht die (in der Praxis jedoch kaum relevante) Möglichkeit des Abschlusses einer Ausnahmevereinbarung (Art. 16 VO [EG] Nr. 883/2004) und der (für die Konstellation von gelegentlichen Workation-Zeiträumen allerdings nicht passenden) Regelung für die Situation, dass Beschäftigte gewöhnlich in zwei oder mehr Mitgliedstaaten eine Arbeitstätigkeit ausüben (Art. 13 VO [EG] Nr. 883/2004). Daneben sieht die Verordnung zur Koordinierung der nationalen Systeme der sozialen Sicherheit in Art. 12 vor, dass im Falle einer Entsendung das bisherige (deutsche) Sozialversicherungsrecht anwendbar bleibt.
Doch die Vorschrift setzt hierfür grds. insbesondere voraus, dass ein Beschäftigter von seinem Arbeitgeber für voraussichtlich maximal 24 Monate
in einen anderen Mitgliedstaat entsandt wird, um eine Arbeit für dessen Rechnung auszuführen.
Mit anderen Worten: Eine Entsendung i.S.d. Verordnung liegt nach dem Wortlaut (nur) vor, wenn der Beschäftigte aufgrund einer arbeitgeberseitigen Weisung in dem fremden Staat vorübergehend tätig wird.
Pragmatische Handhabung von Workation durch die DVKA
Bei einer engen rechtlichen Betrachtung dürfte das in der Ausnahmeregelung des Art. 12 VO (EG) Nr. 883/2004 enthaltene Weisungselement im Falle von Workation zu verneinen sein. Denn regelmäßig wird die Auslandstätigkeit im Rahmen von Workation auf alleinigen Wunsch der Beschäftigten erfolgen. Hilfreich wäre ein solches Ergebnis für die Beteiligten allerdings nicht. Bis zu einer gesetzlichen Klarstellung sind daher pragmatische Lösungsmodelle gefragt. Eines davon könnte der von der Deutschen Verbindungsstelle Krankenversicherung – Ausland (DVKA) verfolgte Ansatz sein, dass es während der vorübergehenden Tätigkeit von Beschäftigten im Ausland bei der Anwendbarkeit deutschen Sozialversicherungsrechts bleibt, wenn
- der Arbeitgeber von der Auslandstätigkeit Kenntnis hat und dieser zustimmt,
- der Arbeitgeber die erbrachte Leistung entgegennimmt und vergütet sowie
- eine EU-Entsendung bei der hierfür zuständigen Stelle beantragt wird.
Laut der DVKA sei es für das Vorliegen einer Entsendung i.S.d. EU-Verordnung insbesondere unerheblich, dass die Initiative von den Beschäftigten ausgehe und in ihrem (überwiegenden) Interesse erfolge (vgl. hierzu auch FAQ der DVKA zur Entsendung).
Unabhängig von der nach Ansicht der DVKA möglichen Subsumtion unter den Begriff der Entsendung und unabhängig von der Anwendung der Ausnahmeregelung des Art. 12 VO (EG) Nr. 883/2004 dürften in Anlehnung an Art. 13 VO (EG) Nr. 883/2004 unbedeutende Tätigkeiten (weniger als 5 % der regulären Arbeitszeit und/oder weniger als 5 % der Gesamtvergütung) keine Auswirkungen auf das anwendbare (deutsche) Sozialversicherungsrecht haben. Denn diese Tätigkeiten sollen bei der Feststellung der anwendbaren Rechtsvorschriften nach Art. 13 VO (EG) Nr. 883/2004 gerade nicht zu berücksichtigen sein. Diese Erheblichkeitsschwelle dürfte daher erst recht für solche marginalen Tätigkeiten gelten, die nicht regelmäßig in einem ausländischen Staat, sondern nur einmalig/gelegentlich remote ausgeübt werden.
Praxistipps für Workation: Abstimmung mit DVKA und Beantragung EU-Entsendung
Wichtig ist, sich als Unternehmen vor Augen zu führen, dass die Auffassung der DVKA keine Gewähr für eine rechtlich sichere Lösung von Workation-Fällen darstellt. Die rechtliche Wirklichkeit sieht derzeit leider noch anders aus und es kann insbesondere zum jetzigen Zeitpunkt nicht abgeschätzt werden, wie die Bundesregierung ihr im Koalitionsvertrag gegebenes Versprechen, die mobile Arbeit EU-weit unproblematisch zu ermöglichen, umsetzen wird. Auch in den FAQs der DVKA heißt es daher seit Neuestem, dass zu der Handhabung der von den Beschäftigten ausgehenden Auslandstätigkeiten bislang noch keine Auslegungshinweise durch die Verwaltungskommission ergangen seien, sich das Bundesministerium für Arbeit und Soziales der Rechtsauffassung der DVKA allerdings anschließe.
Tatsächlich scheint die Handhabung der DVKA aktuell zumindest eine denkbare und vor allen Dingen pragmatische Möglichkeit darzustellen, um den Beschäftigten eine vorübergehende Tätigkeit am Urlaubsort im Ausland (EU, EWR, Schweiz) kurzfristig zu ermöglichen. Rechtssicherheit kann jedoch am Ende nur eine klare gesetzliche Regelung bringen.
Im Hinblick auf die sozialversicherungsrechtlichen Implikationen von Workation lassen sich daher derzeit die folgenden Praxistipps zusammenfassen:
- Vor einer Remote-Tätigkeit im Ausland (EU, EWR, Schweiz) für einen deutschen Arbeitgeber sollte die DVKA kontaktiert und das Vorgehen im konkreten Fall abgestimmt werden.
- Dies gilt grds. unabhängig davon, wie lange die Beschäftigten im Ausland tätig sind (d.h. auch bei „unbedeutenden“ Tätigkeiten im Umfang von weniger als 5 %) und um welche Art von Tätigkeit es sich handelt.
- Planen Beschäftigte einen bestimmten Urlaub und wünschen sie, vor bzw. im Anschluss daran wenige Tage/Wochen vom Urlaubsland aus zu arbeiten, sollte der Arbeitgeber (auf Grundlage der praktischen Handhabung der DVKA und nach vorheriger Abstimmung mit dieser) eine EU-Entsendung beantragen.
- Dies gilt auch dann, wenn die Beschäftigten ihre Tätigkeit losgelöst von einem Urlaubszeitraum vorübergehend remote im Ausland erbringen möchten.
- Die Beantragung der EU-Entsendung und der Bescheinigung über die anzuwendenden Rechtsvorschriften (A1-Bescheinigung) erfolgt bei der hierfür zuständigen Stelle. Zuständig ist
- die gesetzliche Krankenkasse, sofern eine gesetzliche (Pflicht-, Familien-, freiwillige) Krankenversicherung besteht,
- der Träger der gesetzlichen Rentenversicherung (DRV Bund, DRV Knappschaft-Bahn-See oder der zuständige Regionalträger der DRV), sofern die Beschäftigten nicht gesetzlich krankenversichert sind bzw.
- die Arbeitsgemeinschaft Berufsständischer Versorgungseinrichtungen e.V., wenn die nicht gesetzlich krankenversicherten Beschäftigten Mitglied bei einer berufsständischen Versorgungseinrichtung sind.
- Für den entsprechenden Beantragungsprozess sollte ein zeitlicher Vorlauf von mind. einer Woche eingeplant werden.
- Wichtig ist: Die Entsendung sollte nicht unterbrochen werden (z.B. für einen kurzen „Heimatbesuch“), da in diesem Fall die Entsendung regelmäßig endet und bei Rückkehr an den Urlaubsort (ohne erneute Beantragung einer Entsendung) das ausländische Sozialversicherungsrecht anwendbar wäre.
- Schließlich sollten die Unternehmen die entsprechende Kommunikation mit der DVKA und den Beschäftigten sowie die Antragstellungen dokumentieren und aufbewahren.
Tätigwerden des Gesetzgebers erforderlich
Das Thema Workation wird die Arbeitswelt nicht nur im Zusammenhang mit den bevorstehenden Feiertagen und den Pfingst- und Sommerferien beschäftigen. Als Teil der modernen und neuen Arbeitsweise ist dieser Aspekt ein Asset für Zufriedenheit, Wertschätzung, Effektivität und Vertrauen. Die dringend – und zwar auf gesetzgeberischer Ebene – zu klärende Frage wird nur sein, wie dies zukünftig Arbeitgebern und Beschäftigten rechtssicher und unbürokratisch möglich gemacht wird. Der Ansatz der DVKA – der bis zu einer rechtlichen Klarstellung als Orientierung für die Unternehmen dienen kann – könnte dabei einen entscheidenden Anstoß geben.
Nach dem Auftakt zu unserer Serie „Mobile Arbeit im Ausland (Workation)“ ist dies der zweite Beitrag.
*Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.