Droht ein Arbeitskampf, müssen Arbeitgeber schnellstmöglich versuchen, betriebliche Abläufe aufrechtzuerhalten und negative Auswirkungen zu minimieren.
Die Zeitspanne zwischen der Ankündigung und dem tatsächlichen Beginn von Arbeitskampfmaßnahmen ist erfahrungsgemäß kurz bemessen. Für Arbeitgeber bringt dies die zusätzliche Schwierigkeit mit sich, in der Regel innerhalb weniger Tage eine Vielzahl relevanter Aspekte und Bereiche (um)organisieren zu müssen: Wie und was sollte gegenüber der Belegschaft bzw. Kunden und Geschäftspartnern kommuniziert werden? Welche Stellen müssen sonst noch informiert werden? Und vor allem: Wie können die Abläufe im bestreikten Betrieb trotz allem so gut wie möglich aufrechterhalten bleiben? Die richtige Vorbereitung ist deshalb ganz entscheidend, um als Unternehmen auch in einer derartigen Ausnahmesituation handlungsfähig zu bleiben.
Information / Kommunikation / Vertragsbeziehungen zu Dritten
Insbesondere im Vorfeld beginnender Streikmaßnahmen kann eine Informations- und Kommunikationsoffensive gegenüber der Belegschaft als wichtige Weichenstellung für den weiteren Verlauf des Arbeitskampfs fungieren. Mit der Zugänglichmachung sachlicher Informationen zu den wichtigsten Rechten und Pflichten der Beschäftigten im Streik erweist man sich zunächst als handlungsfähiger und verlässlicher Ansprechpartner für die „eigenen Leute“.
Aber auch in strategischer Hinsicht bietet eine frühzeitige Kommunikation und Positionierung zu den gewerkschaftlichen Forderungen die Möglichkeit, „klare Kante“ zu zeigen und damit zugleich einen Beitrag für die bevorstehenden weiteren Tarifauseinandersetzungen zu leisten. In einer Situation, in der gerade zu Beginn des Arbeitskampfs aus taktischen Gründen nicht selten bewusst falsche oder zumindest irreführende Behauptungen verbreitet werden, lässt sich eine gute und eindeutige Kommunikation „nach innen“ vor allem auch dazu nutzen, um Aufklärung gegenüber der eigenen Belegschaft zu betreiben: Wie sind die Streikziele der Gewerkschaft einzuordnen? Was bedeutet dies konkret für den Standort / den Betrieb / das Unternehmen? Welche (wirtschaftlichen) Konsequenzen hätte die Erfüllung der Forderungen? Welche wichtigen Aspekte werden außer Acht gelassen? Welche (finanziellen) Vorteile bietet das (Gegen-)Angebot der Arbeitgeberseite und welche Kosten sind damit verbunden?
Auch im Verhältnis zu Kunden / Lieferanten und sonstigen Dritten sollten nach einer Streikankündigung direkt mögliche Auswirkungen auf die Vertragsbeziehungen und etwaige Verpflichtungen untersucht werden. Im Sinne einer transparenten Kommunikation empfiehlt sich insoweit in gleicher Weise ein klares Erwartungsmanagement, insbesondere mit Blick auf absehbare Lieferverzögerungen. Eine Prüfung der relevanten Vertragsdokumente ermöglicht zudem eine realistische Einschätzung von Risiken: Sind Vertragsstrafen bei Verspätungen vereinbart und, falls ja, in welcher Staffelung? Gibt es ggfs. Sonderkündigungs- oder Rücktrittsrechte? Auf dieser Grundlage lässt sich auch nochmals fundierter einschätzen, ob womöglich in besonderer Weise ein Handlungsdruck für zu ergreifende Gegenmaßnahmen besteht.
Erhaltungsarbeiten und Notdienst
Zur Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit des Betriebs (etwa Wartungs- und Kontrolltätigkeiten) sowie bei Tätigkeiten, die „zur Befriedung der elementaren persönlichen, sozialen und staatlichen Bedürfnisse die erforderliche Mindestversorgung gewährleisten“ (BAG, Urteil v. 31. Januar 1995 – 1 AZR 142/94) sind die Organisation von Erhaltungsarbeiten und die Einrichtung eines funktionsfähigen Notdienstes für Unternehmen von elementarer Bedeutung, in ganz besonderem Maße im Bereich der Daseinsvorsorge.
Aus Gründen der Planungssicherheit sollte dazu unbedingt der Abschluss einer Notdienstvereinbarung mit der streikführenden Gewerkschaft angestrebt werden, um die während des Arbeitskampfs erforderlichen Aufgaben festzulegen und die Mitarbeiter entsprechend einzuteilen. Hierzu sollte zur Koordinierung der Maßnahmen auf Arbeitgeberseite intern ein Team gebildet werden. Empfehlenswert ist es, nach einer Streikdrohung nicht auf einen Vorschlag der Gewerkschaftsseite zu warten, sondern einen eigenen Entwurf vorzulegen. Falls eine Einigung nicht erzielt wird, kann der Arbeitgeber unter Rückgriff auf das Direktionsrecht selbst einen Notdienst installieren.
Bei Streit über Umfang und Reichweite der Anordnung von Notdienstarbeiten wird häufig gerichtliche Hilfe in Anspruch genommen werden müssen. So können die Arbeitsgerichte im einstweiligen Verfügungsverfahren dahingehende Anordnungen treffen bzw. jedenfalls auf die Beteiligten einwirken. Dies wurde etwa bei den jüngsten Streiks mit Auswirkungen auf den Verkehrssektor für den Flughafen Köln/Bonn (LAG Köln, PM Nr. 4 vom 25. Februar 2023 und Nr. 6 vom 16. März 2023) und den Elbtunnel (LAG Hamburg, PM vom 26. März 2023) sowie im Klinikbereich (ArbG Berlin, Urteil v. 20. August 2021 – 29 Ga 8464/21) erfolgreich praktiziert. Umgekehrt führt das Ausbleiben des Abschlusses einer Notdienstvereinbarung allerdings nicht dazu, dass der Arbeitgeber allein aus diesem Grund die gerichtliche Untersagung des Arbeitskampfes insgesamt beanspruchen könnte (LAG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 20. Oktober 2021 – 12 Ta 1310/21).
Reaktionsmöglichkeiten – Strategie der optimalen Betriebsfortführung
Die „klassischen“ Arbeitskampfmittel auf Arbeitgeberseite wie die Aussperrung oder die Betriebsstilllegung spielen aufgrund der damit verbundenen Selbstschädigung des Unternehmens heutzutage in der Praxis kaum mehr eine Rolle. Im Sinne der Strategie der optimalen Betriebsfortführung sollten stattdessen Anreize zur Fortführung streikbedingt gefährdeter oder liegengebliebener Tätigkeiten ausgelotet werden. Zu diesem Zweck können Arbeitgeber etwa finanzielle Vorteile für diejenigen Arbeitnehmer in Aussicht stellen, die sich einem Streikaufruf der Gewerkschaft widersetzen oder einen bereits begonnenen Arbeitskampf nicht mehr unterstützen und stattdessen ihre Arbeitsleistung erbringen.
Mit diesen Streikbruchprämien wird unmittelbar auf das tarifliche Gegenüber eingewirkt, da eine erfolgreiche „Anwerbung“ von Mitarbeitern zu Streikarbeiten gleichzeitig auch die Effizienz der gewerkschaftlichen Streikmaßnahmen untergräbt. Wichtig ist dabei, folgende zeitliche Differenzierung zu beachten: Die Zahlung einer Streikbruchprämie muss unbedingt vor oder während des Arbeitskampfs zugesagt werden, da es sich nur dann um ein zulässiges Arbeitskampfmittel handelt (BAG, Urteil v. 14. August 2018 – 1 AZR 287/17). Umgekehrt ist im Regelfall ein Verstoß gegen tarifliche und/oder gesetzliche Maßregelungsverbote gegeben, wenn erst nach Abschluss einer Arbeitskampfmaßnahme derartige Prämien ausgelobt werden. Konkrete Vorgaben hinsichtlich der Höhe solcher Prämien existieren nicht und sind daher situations- und einzelfallabhängig (etwa: EUR 200 brutto pro Arbeitstag zulässig, vgl. ArbG Braunschweig, Urteil v. 2. Juni 2016 – 6 Ca 529/15).
Alternativ oder ergänzend kann der Einsatz von sog. Streikbrechern organisiert werden. Zu diesem Zweck kann der Arbeitgeber zunächst – etwa mithilfe von Streikbruchprämien – bereits vorhandene eigene Beschäftigte gewinnen. In diesem Kontext ist es zulässig, Arbeitnehmer aus anderen Bereichen oder auch aus anderen Betrieben des Unternehmens oder der Gruppe auf Arbeitsplätze von Streikenden zu versetzen und gegenüber arbeitswilligen Arbeitnehmern Überstunden anzuordnen. Zumindest für einfachere bzw. abgrenzbare Aufgaben kommt auch eine – unter den Voraussetzungen des § 14 TzBfG sachgrundlos befristete – Einstellung neuer Mitarbeiter in Betracht, zumal insoweit auch etwaige kündigungsrechtliche Risiken mit Blick auf die regelmäßig nicht erfüllte Wartezeit von sechs Monaten (vgl. § 1 Abs. 1 KSchG) überschaubar sind.
Darüber hinaus kann auf Externe zurückgegriffen werden – dabei ist allerdings eine saubere rechtliche Qualifizierung entscheidend: Handelt es sich um eine echte Fremdvergabe bestimmter Tätigkeiten im Rahmen eines Werkvertrags nach § 631 BGB (Outsourcing), kann das auf diese Weise gewonnene Drittpersonal ohne besondere Einschränkungen als Streikbrecher eingesetzt werden. Wichtig ist insoweit, bei der konkreten Ausgestaltung das Risiko einer verdeckten Arbeitnehmerüberlassung zu vermeiden. Hier kann unser onlinebasiertes Produkt CMS FPE (Fremdpersonaleinsatz) bei der Prüfung unterstützen.
Denn seit der AÜG-Novelle 2017 ist zu diesem Zweck kein Einsatz von Leiharbeitnehmern mehr möglich. Das in § 11 Abs. 5 AÜG nunmehr vorgesehene Einsatzverbot, wonach ein Entleiher Leiharbeitnehmer nicht tätig werden lassen darf, wenn sein Betrieb unmittelbar durch einen Arbeitskampf betroffen ist, wurde durch das BVerfG als verfassungsgemäß bewertet (BVerfG, Urteil v. 19. Juni 2020 – 1 BvR 842/17). Eine solche unmittelbare Betroffenheit ist gegeben, wenn der Einsatzbetrieb vom Streikaufruf der Gewerkschaft erfasst wird. Ausgeschlossen (und bußgeldbewehrt) ist damit, dass Leiharbeitnehmer – unmittelbar oder mittelbar – Tätigkeiten von Streikenden übernehmen, und zwar unabhängig davon, ob sie bereits vor dem Arbeitskampf im Betrieb tätig waren oder nicht. Dies bedeutet beim Rückgriff auf Fremdpersonal: Das Einsatzverbot gilt nicht für echtes Outsourcing, sehr wohl aber für Scheinwerkverträge bzw. verdeckte Arbeitnehmerüberlassung.
Hinsichtlich der Reaktionsmöglichkeiten des Arbeitgebers zur Abwehr gewerkschaftlicher Kampfmaßnahmen ist zu beachten, dass die insoweit grundsätzlich bestehenden Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats regelmäßig im Wege arbeitskampfkonformer Auslegung einzuschränken sind (st. Rspr., BAG, Urteil v. 20. März 2018 – 1 ABR 70/16). So können arbeitskampfbedingte Neueinstellungen oder Versetzungen mitbestimmungsfrei durchgeführt werden – ein Rückgriff auf „echtes“ Fremdpersonal unterfällt mangels Eingliederung in den Einsatzbetrieb ohnehin nicht dem Anwendungsbereich des § 99 Abs. 1 BetrVG.
Mitteilung an zuständige Stellen
Schließlich sollten die sich aus der Situation des Arbeitskampfs ergebenden gesetzlichen Besonderheiten im Blick behalten werden. Bei der zuständigen Agentur für Arbeit ist nach § 320 Abs. 5 SGB III eine unverzügliche schriftliche Anzeige zu Beginn und Beendigung des Arbeitskampfes erforderlich – idealerweise unter Verwendung des bereitgestellten Formulars. Denn in unmittelbar durch einen Arbeitskampf betroffenen Bereichen darf die Agentur für Arbeit wegen der gebotenen staatlichen Neutralität nur dann vermitteln, wenn Arbeitssuchende und Arbeitgeber dies ausdrücklich verlangen (§ 36 Abs. 3 SGB III).
Demgegenüber wird eine Mitteilung an die jeweiligen gesetzlichen Krankenkassen nur dann relevant, sobald die Unterbrechung von Entgeltzahlungen (§§ 198 SGB V, 28a Abs. 1 Nr. 8 SGB IV) den Zeitraum von mehr als einem Monat überschreitet, da ansonsten aufgrund der Fiktion des § 7 Abs. 3 SGB IV der Krankenversicherungsschutz unabhängig von der Rechtmäßigkeit des Streiks ohnehin fortbesteht.
Mit guter Vorbereitung und einer klaren Kommunikationsstrategie lassen sich die negativen Konsequenzen von Arbeitskampfmaßnahmen der Gewerkschaften im Unternehmen jedenfalls begrenzen
Als besonders entscheidend erweist sich in der Praxis die Vereinbarung bzw. Durchsetzung effektiver Notdienstregelungen. Daneben kann arbeitgeberseitig – je nach Branche und Situation – auf verschiedene Instrumente zurückgegriffen werden, um die betrieblichen Abläufe bestmöglich aufrechtzuerhalten. Mit Ausnahme von Leiharbeitnehmern ist dabei insbesondere auch ein Einsatz von Streikbrechern möglich.
Nach unserem Überblick über das Thema Arbeitskampf und einem Beitrag zu den Anforderungen auf Gewerkschaftsseite sowie den Folgen für die Vergütungs- und Beschäftigungspflicht ist dies der dritte Beitrag unserer Blogreihe.
Ergänzend hierzu weisen wir Sie gerne auf unseren Podcast zu diesem Thema hin, den Sie hier finden.
*Gemeint sind Beschäftigte jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.