Der Referentenentwurf zum Verbandssanktionengesetz wurde offiziell veröffentlicht. Die Kritik aus der Wirtschaft und Unternehmenspraxis wurde zum Teil berücksichtigt.
Am 21. April 2020 hat das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) den seit langem erwarteten Referentenentwurf zum viel diskutierten sog. Verbandssanktionengesetz (Gesetz zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft, VerSanG-E), veröffentlicht.
Ein erster Regelungsvorschlag des BMJV war bereits im August 2019 bekannt geworden und hatte in Fachkreisen zu einer intensiven Debatte sowie zu Kritik an verschiedenen Regelungen geführt. Der jetzt offiziell veröffentlichte Referentenentwurf hält an dem grundsätzlich neuen Konzept einer eigenständigen Verantwortlichkeit von Verbänden für sog. Verbandstaten, einem Spektrum von Verbandssanktionen, der gesetzlichen Förderung von Compliance-Maßnahmen sowie Anreizen für die Mitwirkung an der Aufklärung von Verbandstaten durch interne Untersuchungen fest. Einzelne, besonders umstrittene Aspekte des ersten Regelungsansatzes wurden jedoch angepasst.
Hintergrund und Zielsetzung des VerSanG-E
Hintergrund des VerSanG-E ist das bereits im Koalitionsvertrag vom 12. März 2018 vereinbarte Ziel der Regierungsparteien, eine Neuordnung des Sanktionsrechts für Unternehmen zur wirksamen Ahndung von Wirtschaftskriminalität zu schaffen. Die bestehenden Instrumente, insbesondere das Opportunitätsprinzip bei der Sanktionierung von Unternehmen, die Beschränkung des Bußgeldrahmens auf EUR 10 Mio. und das Fehlen konkreter Zumessungsregeln für Unternehmenssanktionen, wurden als unzureichend bemängelt.
Mit dem VerSanG-E will das BMJV eine gesetzliche Grundlage für die Ahndung von Verbandstaten schaffen, die Sanktionierung von Verbandstaten dem Legalitätsprinzip unterwerfen und verbesserte Ahndungsmöglichkeiten eröffnen. Der Entwurf will dabei die Sanktionierung von Verbänden, deren Zweck auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist, auf eine eigenständige gesetzliche Grundlage stellen. Zugleich will der Entwurf explizit Compliance-Maßnahmen fördern und Anreize für die Aufklärung von Straftaten durch interne Untersuchungen schaffen.
Wesentliche Eckpunkte des VerSanG-E
Der jetzt veröffentlichte Referentenentwurf richtet sich ausdrücklich an Verbände, „deren Zweck auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist″ (§ 1 VerSanG-E). Daher sind etwa Verbände mit einem gemeinnützigen Zweck nicht erfasst, sie unterliegen weiterhin den Regelungen des OWiG. Im Unterschied zum OWiG ist der räumliche Anwendungsbereich des VerSanG-E auch auf Verbände mit einem Sitz im Inland für im Ausland begangene Verbandsdelikte erweitert, die nicht dem deutschen Strafgesetz unterfallen.
Im Mittelpunkt der Neuregelung steht die Schaffung der sog. Verbandssanktion als eigenständige Sanktionsart für sog. Verbandstaten. Diese definiert § 2 Abs. 1 Nr. 3 VerSanG-E als Straftaten, durch die Pflichten, die den Verband betreffen, verletzt worden sind oder durch die der Verband bereichert wurde bzw. werden sollte. Gemäß § 3 Abs. 1 VerSanG-E wird gegen einen Verband eine Verbandssanktion verhängt, wenn jemand als Leitungsperson dieses Verbandes eine Verbandsstraftat begangen hat. Eine Verbandssanktion wird ebenfalls verhängt, wenn eine sonstige Person in Wahrnehmung der Angelegenheiten des Verbands eine Verbandstat begangen hat, sofern Leitungspersonen dies durch angemessene Vorkehrungen hätten verhindern oder wesentlich erschweren können.
Für die Verfolgung von Verbandstaten soll im Unterschied zur bisherigen Rechtslage nun das Legalitätsprinzip gelten. Daher besteht (mit Ausnahme der Einstellungsmöglichkeiten nach der StPO) grundsätzlich ein Verfolgungszwang. Für das Sanktionsverfahren ist die für Verfolgung der Verbandsstraftat verantwortliche Verfolgungsbehörde zuständig.
Als Verbandssanktionen nennt der aktuelle Referentenentwurf die Verbandsgeldsanktion (§ 9 Abs. 1 VerSanG-E) sowie die Verwarnung mit Verbandsgeldsanktionsvorbehalt (§ 10 Abs. 1 VerSanG-E). Der Sanktionsrahmen soll für Verbände mit einem durchschnittlichen Jahresumsatz von mehr als EUR 100 Mio. bei einer vorsätzlichen Tat auf bis zu 10 % des durchschnittlichen Jahresumsatzes erhöht werden können. Unternehmen sollen ferner mit einem „Verbandssanktionenvorbehalt″ verwarnt und mit Auflagen oder Weisungen belegt werden können, um eine „Straffälligkeit″ künftig zu vermeiden. Hierzu zählt insbesondere der Nachweis wirksamer Compliance-Maßnahmen durch Bescheinigung einer sachkundigen Stelle (wie etwa dem im US-amerikanischen System vorgesehenen Monitor).
Bei einer großen Zahl von Geschädigten kann das Gericht neben der Verhängung der Verbandsgeldsanktion die öffentliche Bekanntmachung der Verurteilung des Verbandes anordnen.
Bei der Bemessung der Verbandssanktion sollen sowohl vor als auch nach der Verbandstat ergriffene Compliance-Maßnahmen mildernd berücksichtigt werden können. In der Begründung wird betont, dass Anreize für Compliance-Maßnahmen sowie zur Schadenswiedergutmachung geschaffen werden sollen.
§ 17 VerSanG-E sieht zudem eine Milderung der Verbandssanktionen vor, wenn der Verband oder von ihm beauftragte Dritte wesentlich zur Aufklärung der Verbandstat beitragen. Voraussetzung für die sanktionsmildernde Berücksichtigung soll die vollumfängliche Kooperation mit den Verfolgungsbehörden, die Leistung eines wesentlichen Aufklärungsbeitrags und die Einhaltung von rechtsstaatlichen Grundsätzen bei der Aufklärung sein.
Der Referentenentwurf sieht die Einrichtung eines neuen „Verbandssanktionenregisters“ als eigenes Zentralregister beim BMJV vor (§ 54 VerSanG-E). Das neue Register soll rechtskräftige Gerichtsentscheidungen über die Verhängung von Verbandssanktionen enthalten, ebenso wie rechtskräftige Gerichtsentscheidungen über die Festsetzung von Geldbußen (über EUR 300) nach dem OWiG. Einzutragen sind neben relevanten Daten des Verbandes bei Verbandssanktionen u. a. die rechtliche Bezeichnung der Verbandsstraftat, Art und Höhe der Verbandssanktion sowie die Anordnung der öffentlichen Bekanntmachung (§ 55 VerSanG-E).
Änderungen und Neuregelungen im Referentenentwurf vom 21. April 2020
Im Vergleich zum vorherigen, vom BMJV angedachten Regelungsansatz enthält der Referentenentwurf vom 21. April 2020 die folgenden Änderungen und Neuregelungen:
- Der nun veröffentlichte Referentenentwurf verwendet eine deutlich abgemilderte Terminologie. Während ursprünglich von einem Gesetz zur Bekämpfung der Unternehmenskriminalität die Rede war, soll mit dem aktuellen Titel (Gesetz zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft) die Mehrzahl der rechtstreuen Unternehmen adressiert und eher die erhofften positiven Effekte der geplanten Neuregelung hervorgehoben werden. Auch spricht der Entwurf nun nicht mehr von Verbandsstraftaten sondern nur noch von Verbandstaten, ohne dass damit freilich eine materielle Änderung verbunden wäre. In der Begründung wird betont, dass sich die ganz große Mehrheit der Unternehmen rechtstreu verhält und dass durch das VerSanG lediglich die Unternehmen zur Verantwortung gezogen werden sollen, die von den Verfehlungen Einzelner profitieren. Die geänderte Wortwahl soll offenbar den aus der Wirtschaft geäußerten Sorgen vor einer pauschalen Kriminalisierung von Unternehmen Rechnung tragen.
- Entgegen des ursprünglich vom BMJV angedachten Regelungsansatzes soll das VerSanG jetzt nur noch für solche Verbände gelten, deren Zweck auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist. Damit werden insbesondere Vereine und andere Verbände, die vorrangig gemeinnützige Zwecke verfolgen, vom Anwendungsbereich ausgenommen (sie unterliegen weiterhin dem OWiG).
- Die in dem zunächst vom BMJV angedachten Regelungsansatz vorgesehene (und teilweise heftig kritisierte) Möglichkeit der Sanktion einer Verbandsauflösung wurde ersatzlos gestrichen.
- Auch die vorgesehene Möglichkeit, Verurteilungen von Verbänden in Fällen mit einer besonders großen Zahl von Geschädigten öffentlich bekannt zu machen, wurde modifiziert. Eine öffentliche Bekanntmachung soll jetzt nur dann erfolgen, wenn und soweit dies dazu dient, dass Geschädigte gegen den verurteilten Verband Entschädigungsansprüche geltend machen können. Hingegen soll eine solche Veröffentlichung nach der Begründung ausdrücklich nicht zur Befriedigung eines öffentlichen Genugtuungsinteresses erfolgen. Hat der Verband etwaige Schäden bereits ausgeglichen, kann eine Veröffentlichung auch gänzlich ausgeschlossen sein. Diese Änderungen sollen insbesondere eine „Prangerwirkung″ für verurteilte Unternehmen vermeiden. Diese Prangerwirkung war ein wesentlicher Kritikpunkt an dem ursprünglichen Regelungsansatz des BMJV.
- Auch die Regelungen zur Möglichkeit der Sanktionsmilderung durch interne Untersuchungen wurden etwas modifiziert. So soll es nicht länger im freien Ermessen des Gerichts liegen („kann″), ob ein Verband in den Genuss einer Sanktionsmilderung kommt. Das Gericht soll jetzt vielmehr in seinem Ermessen gebunden sein („soll„), wenn die Voraussetzungen einer Sanktionsmilderung gegeben sind.
- Auf den ersten Blick erstaunt, dass im aktuellen Referentenenentwurf die vormalig angedachte Regelung des § 18 Abs. 1 Nr. 6 (a.F.) gestrichen wurde, wonach interne Untersuchungen in Übereinstimmung mit den geltenden Gesetzen zu erfolgen haben. Dies bedeutet freilich nicht, dass Unternehmen bei der Durchführung von internen Untersuchungen nun nicht mehr an geltende Gesetze gebunden sind. Dies wird in der Begründung auch ausdrücklich klargestellt. Für die betroffenen Unternehmen bedeutet dies aber möglicherweise eine Erleichterung der Voraussetzungen für eine Sanktionsmilderung. Denn während nach dem ursprünglichen Regelungsansatz die Sorge bestand, dass jeder noch so geringe Verstoß gegen geltende Gesetze im Rahmen der internen Untersuchung die Hoffnung auf eine Sanktionsmilderung zunichtemachen könnte, dürfte dieses Risiko nun gemindert sein, da die Einhaltung der Gesetze nun nicht mehr als ausdrückliche Voraussetzung genannt ist. Dies lässt den erkennenden Gerichten einen gewissen Spielraum, bei geringfügigen Gesetzesverstößen gleichwohl die Verbandssanktion zu mildern.
- Neu eingefügt wurde ein Absatz, wonach es für eine Sanktionsmilderung insbesondere auf den Beitrag des betroffenen Unternehmens zur Aufklärung der Verbandstat ankommen soll. Demnach soll das Gericht insbesondere die Art und den Umfang der offenbarten Tatsachen, deren Bedeutung für die Aufklärung und vor allem den Zeitpunkt der Offenbarung durch das Unternehmen bei seiner Entscheidung berücksichtigen. Diese Ergänzung des Entwurfs verstärkt nochmals die Notwendigkeit einer unverzüglichen, umfassenden und vor allem sachdienlichen Kooperation der Unternehmen, wenn diese in den Genuss einer Sanktionsmilderung kommen wollen.
- Nicht geändert wurde hingegen die intensiv und kontrovers diskutierte obligatorische Trennung zwischen Aufklärungs- und Verteidigungsmandat. Ebenso bleibt es bei den strengen Anforderungen, die im Rahmen von internen Untersuchungen an Befragungen von Mitarbeitern zu stellen sind.
Fazit: Das Unternehmenssanktionsrecht kommt
Der am 21. April 2020 veröffentlichte Referentenentwurf greift die in Unternehmenspraxis und Rechtswissenschaft formulierten Kritikpunkte zum vorangehenden Regelungsvorschlag zum Teil auf, wenngleich einige Regelungen weiterhin zu erheblichen Diskussionen führen dürften.
Das BMJV hat den Verbänden Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 12. Juni 2020 eingeräumt. Es bleibt abzuwarten, welche weiteren Änderungen sich im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens noch ergeben werden. Dass das Verbandssanktionengesetz verabschiedet und damit das Unternehmenssanktionsrecht grundlegend reformiert wird, erscheint nur noch eine Frage der Zeit.
Nach dem Auftakt zu unserer Serie zum Referentenentwurf zum Verbandssanktionengesetz folgten Informationen zu Änderungen bei Internal Investigations, zum faktischen Kooperationszwang und der Aushöhlung von Verteidigungsrechten sowie zu den Verbandsgeldsanktionen und der „fachkundigen Stelle″. Zuletzt haben wir uns mit den Risiken nach einer M&A-Transaktion beschäftigt.