30. September 2022
Whistleblowing personelle Einzelmaßnahme
Whistleblowing

Whistleblowing: Arbeitsrechtliche Folgemaßnahmen nach Ermittlungsabschluss

Die internen Ermittlungen zu einer Meldung im Hinweisgebersystem sind abgeschlossenen. Welche Maßnahmen können nun vom Arbeitgeber getroffen werden?

Wenn Whistleblower* Verstöße im Hinweisgebersystem eines Unternehmens gemeldet haben, ist der Arbeitgeber zu deren Aufklärung verpflichtet. Hierfür wird er i.d.R. interne Ermittlungen durchführen (s. hierzu Interne Ermittlungen nach Whistleblowing – was ist erlaubt?). Sind diese abgeschlossen, knüpft sich hieran die Frage an, welche Rechte und ggf. sogar Pflichten der Arbeitgeber im Anschluss an die Ermittlungen hat. Relevant werden können personelle Einzelmaßnahmen des Arbeitgebers in Reaktion auf gefundene Ermittlungsergebnisse.

Hinweisgeber und Betroffener als mögliche Adressaten arbeitgeberseitiger Maßnahmen

Haben interne Ermittlungen zu einer Meldung Rechtsverstöße ergeben, stellt sich die Frage, ob und gegen wen ein Arbeitgeber arbeitsrechtliche Schritte einleiten kann. Wen er sanktioniert, hängt davon ab, wem nach Abschluss der Ermittlungen ein arbeitsvertraglicher Verstoß zuzuschreiben ist. Dies kann je nach Art des Verstoßes sowohl der hinweisgebende Arbeitnehmer – der sog. „Whistleblower“ – sein als auch der vom Hinweis betroffene Arbeitnehmer, der Gegenstand einer Meldung bzw. in der Meldung genannt ist.

  • Hinweisgebender Arbeitnehmer, sog. „Whistleblower“: Wie aus der Gesetzesbezeichnung als „Hinweisgeberschutzgesetz“ (HinSchG) bereits deutlich wird, geht es um den (besseren) Schutz hinweisgebender Personen, der sog. Whistleblower. Ein Whistleblower im arbeitsrechtlichen Sinne ist ein Informant aus der Belegschaft, der auf bestimmte Missstände – bspw. illegales Handeln oder Gefahren –, von denen er am Arbeitsplatz erfährt, hinweist. Zu unterscheiden ist dabei zwischen externem Whistleblowing (Information an Dritte, z.B. an Strafverfolgungsorgane) und dem internen Whistleblowing (Information der Geschäftsleitung, der Vorgesetzen, Kollegen oder sonstigen Stellen im Unternehmen). Auch wenn der Gesetzentwurf zum HinSchG bezweckt, Benachteiligungen von hinweisgebenden Personen auszuschließen, können diese Personen bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen auch Adressaten arbeitsrechtlicher Sanktionen sein. Dies gilt insbesondere in Fällen, in denen der Whistleblower wissentlich eine unrichtige Meldung abgibt und hierdurch das Hinweisgebersystem missbraucht.
  • Vom Hinweis betroffener Arbeitnehmer: Gegen den vom Hinweis des Whistleblowers betroffenen Arbeitnehmer (bspw. Mitarbeiter oder Vorgesetzter) können ebenfalls Maßnahmen ergriffen werden, soweit sich nach Abschluss der Ermittlungen eine Verletzung des Arbeitsvertrags ergibt. Aufgrund seiner Organisationspflichten ist der Arbeitgeber sogar verpflichtet, bei Verstößen zu entscheiden, ob und, wenn ja, in welchem Umfang diese zu sanktionieren sind. Mangels Bestehens eines Arbeitsverhältnisses kann ein „Dritter“, der außerhalb des Unternehmens steht, selbstverständlich nicht Adressat von arbeitgeberseitigen Maßnahmen sein. Gleiches gilt für Dritte, die nicht in ihrem beruflichen Umfeld, sondern bspw. in einem privaten Rahmen Kenntnis über Rechtsverstöße erlangt haben und diese melden.

Sanktionsmöglichkeiten des Arbeitgebers bei ermittelten Verstößen

Für ein funktionierendes Hinweisgebersystem bedarf es nach den Erwägungsgründen der EU-Whistleblower-Richtlinie auch geeigneter Sanktionen. Insoweit stellt sich die Frage, welche konkreten Maßnahmen der Arbeitgeber im Nachgang an die Untersuchungen treffen kann und u.U. sogar muss. Hierbei spielen solche Maßnahmen eine Rolle, die eine (sanktionierende) Entscheidung des Arbeitgebers im Rahmen eines einzelnen Arbeitsverhältnisses betreffen (sog. personelle Einzelmaßnahmen). 

Um individuell auf Ermittlungsergebnisse im Anschluss an die Untersuchung zu reagieren, stehen dem Arbeitgeber eine Reihe von arbeitsrechtlichen Maßnahmen zur Verfügung. Relevant werden insbesondere solche Maßnahmen, die ihren Anknüpfungspunkt in dem Verhalten des Adressaten haben. So liegt bei arbeitsrechtlichen Maßnahmen gegen den Hinweisgeber der Vorwurf regelmäßig in einer falschen oder diffamierenden Meldung. Bei Maßnahmen gegen den vom Hinweis betroffenen Arbeitnehmer handelt es sich oftmals auch um einen verhaltensbedingten Vorwurf, der betriebsschädigendes Verhalten wie bspw. Schmiergeldzahlungen, „schwarze Kassen“ oder Betrugsfälle betrifft.

Wie bei allen arbeitsvertraglichen Pflichtverletzungen kommen auch bei Verstößen, die durch ein Hinweisgebersystem zu Tage treten, die allgemeinen arbeitsrechtlichen Sanktionswerkzeuge in Betracht:

  • Abmahnung 
  • Versetzung oder Änderungskündigung
  • außerordentliche oder ordentliche Kündigung

Über diesen Maßnahmenkatalog hinaus können ggf. Schadensersatzansprüche des Arbeitgebers gegen den hinweisgebenden oder vom Hinweis betroffenen Arbeitnehmer bestehen, die im Zweifel gerichtlich vom Arbeitgeber geltend zu machen sind. 

Ein wohl ebenfalls scharfes Schwert einer möglichen Sanktion eröffnet der Gesetzentwurf in Form von Bußgeldern. So soll bei wissentlichen Falschmeldungen z.B. ein Bußgeldrahmen von bis zu EUR 20.000 gegenüber dem Whistleblower eröffnet werden. 

Betriebliche Mitbestimmung bei personellen Einzelmaßnahmen berücksichtigen

In Unternehmen, bei denen ein Betriebsrat besteht, muss beachtet werden, ob durch die Maßnahme Beteiligungsrechte des Betriebsrates ausgelöst werden. Während bei einer Abmahnung als reine disziplinarische Maßnahme keine Mitwirkungsrechte des Betriebsrates entstehen („mitbestimmungsfrei“), unterliegen Versetzung und Kündigung als personelle Einzelmaßnahmen den Mitbestimmungsrechten des Betriebsrates. Insofern muss vor Ausspruch solcher Maßnahmen der Betriebsrat beteiligt werden.

Ganz allgemein und je nach Art und Qualität des sanktionierten Sachverhalts kann es darüber hinaus aber auch angezeigt sein, den Betriebsrat ungeachtet etwaiger Mitbestimmungsrechte i.S.e. vertrauensvollen Zusammenarbeit zu informieren.

Repressalienverbot des Whistleblowers bei personellen Einzelmaßnahmen 

Der Gesetzesentwurf zum HinSchG enthält zum Schutz der Hinweisgeber – über das bereits allgemein geltende Maßregelungsverbot hinaus – ein grundsätzliches Verbot von Repressalien gegen hinweisgebende Personen. 

Sofern die hinweisgebenden Personen die Anforderungen des HinSchG an eine Meldung oder Offenlegung einhalten, genießen sie umfassenden Schutz vor Kündigung oder sonstigen Benachteiligungen. Hintergrund ist, dass Whistleblower nicht aus Angst vor persönlichen Konsequenzen von einer Meldung von Verstößen Abstand nehmen sollen. In prozessualer Hinsicht soll der Schutz des Whistleblowers zudem dadurch sichergestellt werden, dass ihm der Beweis, dass es sich bei einer ihm widerfahrenen Benachteiligung um eine Repressalie handelt, erleichtert wird. Unternehmen trifft künftig die Beweislast, dass eine Benachteiligung des Whistleblowers nicht mit der Meldung oder Offenlegung zusammenhängt oder aber hinreichende Gründe für die Benachteiligung vorlagen. Das bedeutet, dass Arbeitgeber künftig z.B. in einem Kündigungsschutzverfahren beweisen müssen, dass die Kündigung des hinweisgebenden Arbeitnehmers nicht aufgrund seines Whistleblowings erfolgt ist. Gelingt dem Arbeitgeber der Beweis nicht, wäre eine solche Kündigung wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot unwirksam. 

Nicht schutzwürdig sind nach dem Gesetzentwurf allerdings Hinweisgeber, die vorsätzlich oder grob fahrlässig (Leichtfertigkeit genügt nicht) unrichtige Informationen melden oder offenlegen. Ihnen gegenüber sind arbeitsrechtliche Sanktionsmaßnahmen zulässig und auch geboten. Schließlich enthält das HinSchG keinen Freibrief für Meldungen, sondern hat auch den Schutz des Unternehmens und der betroffenen Arbeitnehmer im Blick. 

Grenzen personeller Einzelmaßnahmen

Welche Reaktion aufgrund des gemeldeten Sachverhalts verhältnismäßig und zweckmäßig ist, kann individuell sehr unterschiedlich sein. 

Gerade in Fällen, in denen die Hinweise nicht zur Feststellung einer echten Pflichtwidrigkeit führen, kann es zum Schutz des betrieblichen Klimas dennoch sinnvoll sein, die beteiligten/betroffenen Personen zu trennen. In dieser Situation kommt neben einer einvernehmlichen Anpassung des Arbeitsvertrags immer auch eine Versetzung eines oder mehrerer der Beteiligten in Betracht. Auch eine Änderungskündigung könnte ein mögliches Mittel der Wahl sein, wobei diese bekanntlich an den Maßstäben des Kündigungsschutzgesetzes zu messen ist. 

Erkennt man im Rahmen der Untersuchung bereits, dass am Ende eine (außerordentliche) Kündigung im Raum stehen könnte, ist aufgrund der bekannten Zwei-Wochen-Frist Eile geboten. Wie das Bundesarbeitsgericht (BAG) jüngst entschieden hat, kann der Arbeitgeber zwar zunächst Ermittlungen anstellen. Allerdings betont das BAG, dass der Arbeitgeber Compliance-Untersuchungen nicht beliebig ausdehnen darf. Insbesondere wenn Ermittlungen nur noch Präventionszielen dienen, kann die Zwei-Wochen-Frist früher beginnen (BAG, Urteil v. 5. Mai 2022 – 2 AZR 483/21, s. auch LAG BW zur Kündigungsfrist bei Compliance-Untersuchungen (cmshs-bloggt.de).

Im Rahmen einer kündigungsrechtlichen Interessenabwägung können für den Arbeitgeber u.a. folgende Umstände herangezogen werden: 

  • die Befürchtung, dass der Arbeitgeber mit weiteren Verstößen des Arbeitnehmers gegen Compliance-Vorgaben rechnen muss,
  • die Gefahr von hierdurch verursachten Schäden sowie
  • eine Rufschädigung und ggf. auch ein „Nachtatverhalten“, wenn ein Arbeitnehmer etwa im Rahmen der Aufklärung des Arbeitgebers weitere Täuschungshandlungen begeht.

Insofern ist das allgemein geltende „Prognoseprinzip“ zu beachten, wonach eine verhaltensbedingte Kündigung nur gerechtfertigt ist, wenn eine störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten ist und mithin künftigen Pflichtverstößen nur durch die Beendigung des Arbeitsverhältnisses begegnet werden kann.

Insbesondere dann, wenn der Sachverhalt aufgrund der ablaufenden Zwei-Wochen-Frist nicht bis zum Schluss aufgeklärt werden kann, sollten Arbeitgeber an die Verdachtskündigung denken. Ob in diesen Fällen eine im Rahmen der Compliance Untersuchung durchgeführte Befragung des Arbeitnehmers als Anhörung genügt, ist in den meisten Fällen fraglich und sollte daher kritisch geprüft, im Zweifel aber durchgeführt werden.

Fingerspitzengefühl ist gefragt

Das arbeitsrechtliche Instrumentarium, wie auf einen gemeldeten Hinweis reagiert werden kann, ist vielseitig und sollte von Arbeitgebern mit viel Fingerspitzengefühl genutzt werden. 

Da es bei den meisten Hinweisen auch in Zukunft um etwaiges Fehlverhalten von Einzelpersonen und nicht um strukturelle Fehlentwicklungen gehen dürfte, muss sich sowohl die Untersuchung als auch eine etwaige individuelle Sanktion am Maßstab der Verhältnismäßigkeit orientieren. Sie darf aber auch etwaige unternehmensinterne Notwendigkeiten nicht außer Acht lassen.

Wenn ein Hinweisgebersystem funktionieren und von der Belegschaft angenommen werden soll, müssen Arbeitgeber zeigen, dass sie Hinweise ernst nehmen und Pflichtverstöße auch sanktionieren und nicht „unter den Teppich kehren“. 

Alles in allem ein spannendes Feld, das Schnittstellenkompetenz verlangt. Wir freuen uns darauf, Ihnen in unserer Blog-Serie zum Whistleblowing dieses Feld durch unser arbeitsrechtliches Brennglas vorzustellen.

*Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.

Tags: Arbeitsrecht Betriebsrat personelle Einzelmaßnahme Whistleblowing