1. Juni 2023
Wegzugbesteuerung
Steuerrecht

BFH lässt Wegzugbesteuerung bei „nur vorübergehenden Abwesenheit“ auch ohne Rückkehrabsicht entfallen

Wegzugbesteuerung: Nicht die Rückkehrabsicht zählt, sondern innerhalb der gesetzlich bestimmten Zeit zur unbeschränkten Steuerpflicht zurückzukehren.

Nach § 6 AStG führt der Wegzug bzw. die Aufgabe des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts (einer natürlichen Person) in Deutschland zu einer fiktiven Veräußerung für im Privatvermögen gehaltene Anteile an Kapitalgesellschaften (bei einer Beteiligung von mindestens 1%).

Hintergrund dieser Regelung ist, dass Deutschland mit dem Wegzug das Besteuerungsrecht an den Anteilen verliert und im Inland gebildete stille Reserven nach dem Wegzug nicht mehr besteuert werden könnten. Um den Verlust des Besteuerungssubstrats zu verhindern, wird daher beim Wegzug eine fiktive Veräußerung unterstellt, infolgedessen alle bis zum Wegzug entstandenen Wertsteigerungen in den Anteilen besteuert werden. Entsprechendes gilt, wenn Anteile ins Ausland vererbt oder verschenkt werden.

Ohne Liquiditätszufluss stellt diese sog. „Wegzugbesteuerung“ regelmäßig eine hohe Belastung und ein Hindernis für die internationale Mobilität dar. Für alle Wegzüge seit dem 1. Januar 2022 haben sich zudem durch die Verschärfungen der Wegzugbesteuerung im ATAD-Umsetzungsgesetz die Hürden des Wegzugs signifikant erhöht. 

Entfallen der Besteuerung bei Rückkehr ins Inland

Eine Entlastung sehen die gesetzlichen (Neu-)Regelungen lediglich bei einer Rückkehr nach Deutschland vor: Unter bestimmten Voraussetzungen – u.a. dem Fortbestehenden des Anteilsbesitzes und der Rückkehr nach Deutschland innerhalb von sieben (nach alter Rechtslage fünf) Jahren („lediglich vorübergehende Abwesenheit“) – kann die festgesetzte Steuer rückwirkend entfallen (§ 6 Abs. 3 Satz 1 AStG). Besteht eine unveränderte Absicht zur Rückkehr, kann diese Frist auf Antrag um maximal fünf auf damit insgesamt zwölf (nach alter Rechtslage zehn) Jahre verlängert werden (§ 6 Abs. 3 Satz 3 AStG bzw. § 6 Abs. 3 Satz 2 AStG a.F.). 

Lange umstritten ist, ob bereits im Zeitpunkt des Wegzugs eine Rückkehrabsicht vorliegen muss. Hierzu hat der BFH nunmehr mit Urteil vom 21. Dezember 2022, I R 55/19 – zur alten Rechtslage – entschieden. Er geht davon aus, dass das zum Entfallen der Wegzugbesteuerung führende Merkmal der „nur vorübergehenden Abwesenheit“ in § 6 Abs. 3 Satz 1 AStG (a.F.) unabhängig von einer „Rückkehrabsicht“ erfüllt sei, wenn der Steuerpflichtige innerhalb des gesetzlich bestimmten Zeitrahmens von fünf Jahren nach dem Wegzug wieder unbeschränkt steuerpflichtig wird. Die Rückkehr innerhalb dieses gesetzlich geregelten Zeitraums sei ein Indiz für die ursprünglich bestehende Rückkehrabsicht.

Diese Entscheidung dürfte auch für die aktuelle gesetzliche Fassung der Wegzugbesteuerung relevant sein. Zu den wesentlichen Aspekten der Entscheidung im Überblick: 

Fall vor dem BFH: Innerhalb von fünf Jahren von Deutschland nach Dubai und zurück

Dem Urteil des BFH lag folgender (stark verkürzter) Sachverhalt zu Grunde: Im Jahr 2014 war der Kläger unter Aufgabe seines inländischen Wohnsitzes und gewöhnlichen Aufenthalts in die Vereinigten Arabischen Emirate gezogen. Zum Zeitpunkt seines Wegzugs hielt er Beteiligungen an verschiedenen Kapitalgesellschaften. 2016 begründete der Kläger seinen gewöhnlichen Aufenthalt wieder in Deutschland. 

Für das Jahr des Wegzugs besteuerte das Finanzamt gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 AStG a.F. fiktive Veräußerungsgewinne i.S. des § 17 EStG. Der Kläger vertrat die Auffassung, dass diese Wegzugbesteuerung aufgrund seiner Rückkehr nach Deutschland rückwirkend entfallen müsse. Den Einspruch des Klägers wies das Finanzamt mit der Begründung zurück, der Kläger habe im Zeitpunkt des Wegzugs nicht glaubhaft gemacht, dass er die Absicht hatte, nach Deutschland zurückzukehren, also im Inland wieder seinen gewöhnlichen Aufenthalt oder einen Wohnsitz zu begründen und damit wieder unbeschränkt steuerpflichtig zu werden. 

Die vom Kläger vor dem Finanzgericht Münster erhobene Klage hatte keinen Erfolg (FG Münster, Urteil v. 31. Oktober 2019 – 1 K 3448/17

BFH: Auf einen Rückkehrwillen kommt es nicht an

In der Revision erteilte der BFH der Auffassung der Finanzverwaltung eine klare Absage: Diese fordert bisher im Sinne einer „subjektiven Theorie“, dass bereits im Zeitpunkt des Wegzugs eine „Rückkehrabsicht“ bestehen muss und dies auch glaubhaft zu machen ist (BMF-Schreiben vom 14. Mai 2004 – IV B 4 – S 1340 – 11/04 BStBl 2004 I Tz. 6.4.1, Tz. 6.4.2). In seiner Urteilsbegründung schließt sich der BFH hingegen der herrschenden Literarturmeinung an, nach der für das Entfallen der Wegzugsbesteuerung im Sinne einer „objektiven Theorie“ ausreichend sei, wenn die Rückkehr innerhalb von fünf Jahren erfolgt. 

Ein „Rückkehrwille“ als Tatbestandserfordernis wird hiernach abgelehnt, da das Merkmal der „vorübergehenden Abwesenheit“ allein das gesetzgeberische Motiv für das Entfallen der Wegzugsbesteuerung benenne. Dies könne nicht als absichtsbegründete Tatbestandsvoraussetzung verstanden werden. Ausreichend sei allein die fristgemäße Rückkehr innerhalb von 5 Jahren. Begründet wird diese Sichtweise u.a. auch mit Praktikabilitätserwägungen und den Schwierigkeiten bei der Feststellung der Absichten des Steuerpflichtigen. Eine Rückkehr innerhalb der 5 Jahre indiziere eine ursprünglich bestehende Rückkehrabsicht.

Auch wenn man aus dem Tatbestandsmerkmal der „lediglich vorübergehenden Abwesenheit“ das Erfordernis einer Rückkehrabsicht ableiten könnte, gebe der Gesetzeswortlaut zum Zeitpunkt der entsprechenden Willensbildung keine Auskunft. Denn der Gesetzestext fordert erst in der Sondersituation der einzelfallbezogenen Verlängerung der Rückkehrmöglichkeit (§ 6 Abs. 3 Satz 2 AStG a.F.) eine Rückkehrabsicht und eine entsprechende Glaubhaftmachung. Ein Rückschluss darauf, dass diese auch bereits im Zeitpunkt des Wegzugs (und damit auch für die Situation des Satzes 1) gegeben sein müsse, lasse sich daraus nicht belastbar ableiten. Der Rückkehrwille könne durchaus auch im Laufe des ersten 5-Jahres-Zeitraums gebildet worden sein. 

Fazit: Das Urteil bringt Rechtsklarheit für Wegzüge nach altem Recht und sollte auch im neuen Recht gelten

Das Urteil ist zu begrüßen. Es schafft Rechtsklarheit und Erleichterungen in der Praxis. Denn regelmäßig war der Nachweis einer Rückkehrabsicht als subjektives Tatbestandsmerkmal mit einer Unsicherheit und Diskussionen mit der Finanzverwaltung verbunden. 

Für offene/anhängige Altfälle (Wegzüge bis zum 31. Dezember 2021) gibt das Urteil Rechtssicherheit, dass es für das rückwirkende Entfallen der Wegzugbesteuerung – das Vorliegen der weiteren Voraussetzungen vorausgesetzt – nur darauf ankommt, dass der Steuerpflichtige innerhalb dieser Zeit überhaupt zurückkehrt. Eine subjektive Rückkehrabsicht muss nicht glaubhaft gemacht werden.

Für einen Wegzug unter der Geltung des neuen Rechts (ab 1. Januar 2022) ist die nach früherem Recht noch mögliche zeitlich unbegrenzte Stundung bei Wegzug in einen EU-/EWR-Staat entfallen. Damit wird sowohl bei einem Wegzug innerhalb der EU/EWR als auch in ein Drittland die Wegzugsteuer unmittelbar fällig oder ist auf Antrag als Ratenzahlung der Steuer über sieben Jahre und regelmäßig gegen Sicherheitsleistung abzugelten. Eine Entlastung von der Steuer ist nur noch im Fall der Rückkehr möglich. D.h. die Wegzugsteuer entfällt, wenn – das Vorliegen der weiteren Voraussetzungen vorausgesetzt – innerhalb eines Zeitraums von sieben Jahren eine Rückkehr des Steuerpflichtigen nach Deutschland erfolgt. Dass es dabei keines subjektiven Rückkehrwillens (im Zeitpunkt des Wegzugs) und dessen Glaubhaftmachung bedarf, dürfte mit der Argumentation des BFH hier entsprechend gelten. 

Die Reaktion der Finanzverwaltung steht noch aus.

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