30. Januar 2024
beteiligungsidentische Personengesellschaft Übertragung Wirtschaftsgut § 6 EStG
Steuerrecht

BVerfG entscheidet: § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG teilweise verfassungswidrig

§ 6 Abs. 5 Satz 3 EStG ist mit dem Grundgesetz unvereinbar, soweit eine Buchwertübertragung zwischen beteiligungsidentischen Personengesellschaften ausgeschlossen wird

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat mit seinem am 12. Januar 2024 veröffentlichten Beschluss vom 28. November 2023 (2 BvL 8/13) entschieden, dass die Regelung in § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG insoweit mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar ist, als eine Übertragung von Wirtschaftsgütern zwischen beteiligungsidentischen Personengesellschaften zum Buchwert ausgeschlossen ist. 

Problemaufriss: Steuerneutrale Übertragungen nach § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG

Während § 6 Abs. 5 Satz 1 EStG die steuerneutrale Buchwertfortführung bei Überführung (ohne Rechtsträgerwechsel) eines einzelnen Wirtschaftsguts zwischen verschiedenen Betriebsvermögen desselben Steuerpflichtigen behandelt, regelt § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG die – unter bestimmten Voraussetzungen mögliche – steuerneutrale Buchwertfortführung bei Übertragung (mit Rechtsträgerwechsel) eines Wirtschaftsguts bei Mitunternehmerschaften, im Speziellen (Nr. 1) Übertragungen zwischen eigenem Betriebsvermögen und Gesamthandsvermögen einer Mitunternehmerschaft und umgekehrt (Nr. 2) Übertragungen zwischen Sonderbetriebsvermögen und Gesamthandsvermögen derselben Mitunternehmerschaft oder einer anderen Mitunternehmerschaft, an welcher der Mitunternehmer beteiligt ist und (Nr. 3) Übertragungen zwischen Sonderbetriebsvermögen verschiedener Mitunternehmer innerhalb derselben Mitunternehmerschaft. 

Die Vorschrift des § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG regelt aber nicht explizit Übertragungen zwischen beteiligungsidentischen Schwesterpersonengesellschaften, d.h. zwischen Personengesellschaften, an denen dieselben Gesellschafter im gleichen Verhältnis beteiligt sind.

Finanzamt lehnte steuerneutrale Behandlung ab, Finanzgericht Baden-Württemberg gab Klage hiergegen statt

Eine gewerblich tätige GmbH & Co. KG (KG) veräußerte zwei bebaute Grundstücke aus ihrem Gesamthandsvermögen an eine beteiligungsidentische Schwesterpersonengesellschaft zu einem Kaufpreis in Höhe der Summe der bilanziellen Buchwerte. Diese Übertragungsvorgänge wurden steuerlich als erfolgsneutral behandelt. 

Das Finanzamt hingegen war der Auffassung, dass die Veräußerung zur vollständigen Aufdeckung der in den übertragenen Grundstücken enthaltenen stillen Reserven geführt hat. 

Das Finanzgericht Baden-Württemberg gab der hiergegen gerichteten Klage statt (Urteil vom 19. Juli 2012, 13 K 1988/09). Gegen dieses Urteil hat das Finanzamt Revision eingelegt.

Revision beim Bundesfinanzhof eingelegt; Aussetzung des Verfahrens und Vorlage zum Bundesverfassungsgericht

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit Vorlagebeschluss vom 10. April 2013 (I R 80/12) eine Entscheidung des BVerfG zur Frage, ob § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG insoweit gegen den allgemeinen Gleich­heitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstößt, als hiernach eine Übertragung von Wirtschaftsgütern zwischen beteiligungsidentischen Personengesellschaften nicht zum Buchwert möglich ist, eingeholt.

Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts: Norm teilweise verfassungswidrig

Mit Beschluss vom 28. November 2023 (2 BvL 8/13) hat der Zweite Senat des BVerfG entschieden, dass § 6 Abs. 5 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes mit dem Grundgesetz unvereinbar ist, soweit er eine Buchwertübertragung zwischen beteiligungsidentischen Personengesellschaften ausschließt.

Keine (entsprechende) Anwendung § 6 Abs. 5 Satz 1 EStG

Das BVerfG sieht beim Transfer eines Einzelwirtschaftsguts zwischen den Gesamthandsvermögen von beteiligungsidentischen Schwesterpersonengesellschaften keine Möglichkeit einer entsprechenden Anwendung des § 6 Abs. 5 Satz 1 EStG, da dies nicht unter den Wortlaut „Überführung“ subsumiert werden kann. In § 6 Abs. 5 EStG hat der Gesetzgeber begrifflich zwischen einer Überführung (kein Rechtsträgerwechsel) und einer Übertragung (Rechtsträgerwechsel) differenziert. Da mit dem Transfer eines Einzelwirtschaftsguts zwischen den Gesamthandsvermögen von Schwesterpersonengesellschaften zivilrechtlich stets ein Rechtsträgerwechsel verbunden ist, kann ein solcher Transfer nicht unter diesen Wortlaut gefasst werden. Auch spricht die Entstehungsgeschichte der Norm gegen eine entsprechende Anwendung, da im Gesetzgebungsverfahren mehrfach diskutiert wurde, ob eine solche Regelung in § 6 Abs. 5 EStG aufgenommen werden sollte und dies letztendlich nicht erfolgte.

Keine (entsprechende Anwendung) § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG

Auch kann im vorliegenden Fall keine entsprechende Anwendung von § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG erfolgen, da der Sachverhalt einerseits vom Wortlaut der Norm nicht erfasst wird, andererseits auch die Entstehungsgeschichte der Norm dagegenspricht. Eine entsprechende Heranziehung würde die Grenzen zulässiger richterlicher Rechtsfortbildung überschreiten, da keine planwidrige Regelungslücke vorliegt, denn die Frage der Buchwertübertragung zwischen beteiligungsidentischen Schwesterpersonengesellschaften wurde im Gesetzgebungsverfahren mehrmals diskutiert. 

Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG)

Dass die Übertragung von Einzelwirtschaftsgütern zwischen den Gesamthandsvermögen von beteiligungsidentischen Schwesterpersonengesellschaften – im Gegensatz zu den sonstigen von § 6 Abs. 5 EStG erfassten Wirtschaftsguttransfers – nicht steuerneutral zum Buchwert möglich ist, verstößt gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG). 

Nach diesem muss wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich behandelt werden. Der allgemeine Gleichheitssatz ist dann verletzt, wenn sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonst wie sachlich einleuchtender Grund für eine gesetzliche Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden lässt. 

Während die Regelungen bzw. Fallkonstellationen des § 6 Abs. 5 EStG steuerneutrale Buchwertfortführungen ermöglichen – und dies sogar trotz Übergang der stillen Reserven auf andere Steuerpflichtige, d.h. einer Verlagerung bzw. Neuzuordnung stiller Reserven – führt ein Wirtschaftsguttransfer zwischen beteiligungsidentischen Schwesterpersonengesellschaften zur Aufdeckung stiller Reserven, obwohl sich diese nicht in einer Markttransaktion realisiert haben und die stillen Reserven weiterhin steuerverstrickt und insbesondere auch denselben Steuerpflichtigen zugeordnet bleiben, d.h. es zu keiner Verlagerung stiller Reserven auf einen anderen Steuerpflichtigen kommt. 

Für diese Ungleichbehandlung sind auch keine sachlich einleuchtenden Gründe ersichtlich, die die Ungleichbehandlung zu rechtfertigen vermögen. 

Entscheidung sorgt für Rechtssicherheit in der Praxis

Das BVerfG hat entschieden, dass der Gesetzgeber unverzüglich rückwirkend für Übertragungsvorgänge nach dem 31. Dezember 2000 eine Neuregelung zu treffen hat. § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG bleibt bis zum Inkrafttreten einer Neuregelung mit der Maßgabe anwendbar, dass die Vorschrift mit Wirkung für Übertragungsvorgänge nach dem 31. Dezember 2000 auch gilt, soweit ein Wirtschaftsgut unentgeltlich aus dem Gesamthandsvermögen einer Mitunternehmerschaft in das Gesamthandsvermögen einer beteiligungsidentischen Schwesterpersonengesellschaft übertragen wird. 

Die Entscheidung hat Auswirkungen für alle noch nicht bestandskräftigen Fälle, d.h. für alle Fälle, in denen Rechtsbehelfsverfahren (Einspruch oder Klage) laufen bzw. in denen die Steuerbescheide mit Hinblick auf das bisher laufende Verfahren beim BVerfG vorläufig festgesetzt wurden. Es bleibt abzuwarten, wie schnell der Gesetzgeber eine Neuregelung erlässt und wie er dabei auch mit nicht mehr offenen, d.h. bestandskräftigen Fällen, umgehen wird. Ob für diese Fälle eine eventuelle Regelung im Billigkeitswege unter Durchbrechung der Bestandskraft erfolgt, bleibt ebenfalls abzuwarten.

Die Entscheidung des BVerfG ist zu begrüßen, da nach vielen Jahren der Rechtsunsicherheit wirtschaftlich sinnvolle Umstrukturierungen rechtssicher steuerneutral erfolgen können. Diese Entscheidung erging allerdings zu dem speziellen Fall einer beteiligungsidentischen Schwesterpersonengesellschaft. Ob die Finanzverwaltung künftige Umgestaltungen seitens der Gesellschafter im Hinblick auf die Schaffung dieser Voraussetzungen als Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten (§ 42 AO) einstuft, bleibt abzuwarten.

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