1. Dezember 2023
Fußstapfentheorie Umwandlung Ertragsteuer Organschaft
Steuerrecht

Ertragsteuerliche Organschaft bei unterjähriger Umwandlung

Eine gegenüber dem Übertrager bestehende finanzielle Eingliederung ist bei umwandlungssteuerlicher Rechtsnachfolge stets dem Übernehmer zuzurechnen. 

Am 23. November 2023 wurden gleich vier Urteile des 1. Senats des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Thematik der finanziellen Eingliederung im Rahmen einer ertragsteuerlichen Organschaft veröffentlicht (I R 21/20I R 36/20I R 40/20, I R 45/20). Diese stehen (teilweise) im Widerspruch zum aktuellen Umwandlungssteuererlass des Bundesministeriums der Finanzen (Schreiben vom 11. November 2011, BStBl. I 2011, 1314 – UmwStE). Die neue BFH-Rechtsprechung ermöglicht die Begründung oder nahtlose Fortführung einer ertragsteuerlichen Organschaft auch bei unterjähriger Umwandlung.

Problemaufriss: Finanzielle Eingliederung im Rahmen einer ertragsteuerlichen Organschaft

Verpflichtet sich eine Kapitalgesellschaft (GmbH, AG, SE oder KGaA) mit Geschäftsleitung im Inland und Sitz in einem EU-Mitgliedstaat oder EWR-Vertragsstaat (Organgesellschaft) durch einen Gewinnabführungsvertrag im Sinne des § 291 Abs. 1 AktG ihren ganzen Gewinn an ein einziges anderes gewerbliches Unternehmen abzuführen, so ist – unter bestimmten Voraussetzungen – das Einkommen der Organgesellschaft dem Träger des Unternehmens (Organträger) zuzurechnen (§§ 14 Abs. 1 Satz 1, 17 Abs. 1 S. 1 KStG). 

Zu diesen Voraussetzungen gehört, dass der Organträger an der Organgesellschaft vom Beginn ihres Wirtschaftsjahres (der Organgesellschaft) an ununterbrochen in einem solchen Maße beteiligt ist, dass ihm die Mehrheit der Stimmrechte aus den Anteilen an der Organgesellschaft zusteht (finanzielle Eingliederung, § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 KStG).

Bei Umwandlungen mit einem umwandlungssteuerlichen Übertragungsstichtag, der nicht dem Beginn des Wirtschaftsjahrs der Organgesellschaft entspricht, stellt sich die Frage nach der wirksamen Begründung der ertragsteuerlichen Organschaft für das Jahr der Anteilsübertragung. Der BFH sah hierin keine Hemmnis und befürwortete sowohl für den Fall der (homogenen und heterogenen) Verschmelzung als auch des Anteilstauschs das Vorliegen einer finanziellen Eingliederung für das gesamte Wirtschafsjahr der Organgesellschaft. Den einzelnen Urteilen lagen folgende Sachverhaltsgestaltungen zu Grunde:

BFH-Urteil (I R 21/20): Fußstapfentheorie bei der finanziellen Eingliederung bei unterjähriger Verschmelzung einer Kapital- auf eine Personengesellschaft

Im Rechtsstreit I R 21/20 bestand zwischen der Klägerin (einer GmbH) als Organgesellschaft und der B-GmbH als Organträgerin eine ertragsteuerliche Organschaft. Eine Personengesellschaft (OHG) erwarb im März 2015 sämtliche Anteile an der B-GmbH. Im November 2015 wurde die B-GmbH auf die OHG mit (steuerlicher) Rückwirkung zum 1. April 2015 aufwärts verschmolzen. Die Klägerin (Wirtschaftsjahr entsprach Kalenderjahr) begehrte für das gesamte Jahr 2015 die Behandlung als Organgesellschaft.

Das Finanzamt lehnte dieses Begehren ab, da die Voraussetzung der finanziellen Eingliederung der Organgesellschaft in die OHG als neue Organträgerin zum Beginn des Wirtschaftsjahres der Organgesellschaft (Klägerin) noch nicht erfüllt gewesen sei (mit Hinweis auf den steuerlichen Übertragungsstichtag, siehe UmwStE Rn. Org.02).

Diese Entscheidung wurde seitens des BFH (teilweise) bestätigt. Die ertragsteuerliche Organschaft zwischen der B-GmbH und der OHG hat im Streitjahr 2015 bestanden. Der BFH urteilt, dass nicht der umwandlungssteuerliche Übertragungsstichtag, sondern die Vorschriften §§ 12 Abs. 3 i.V.m. 4 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Satz 3 UmwStG entscheidend sind. Diese sehen eine Gesamtrechtsnachfolge, d.h. einen umfassenden Eintritt des übernehmenden Rechtsträgers (OHG) in die steuerliche Rechtsstellung des übertragenden Rechtsträgers (B- GmbH), vor (sog. Fußstapfentheorie). Dies gilt auch und insbesondere für das Merkmal der finanziellen Eingliederung. Ausreichend ist, wenn ab dem Beginn des Wirtschaftsjahres der Organgesellschaft eine finanzielle Eingliederung zunächst zum übertragenden Rechtsträger und anschließend zum übernehmenden Rechtsträger besteht. Der übernehmende Rechtsträger tritt hinsichtlich der finanziellen Eingliederung auch dann in die Rechtsstellung des übertragenden Rechtsträgers ein, wenn der umwandlungssteuerliche Übertragungsstichtag nicht auf den Beginn des Wirtschaftsjahres der Organgesellschaft zurückbezogen wird. Die Rechtsinstitute der umwandlungssteuerlichen Rechtsnachfolge und der umwandlungssteuerlichen Rückbeziehung stehen gleichberechtigt nebeneinander. Neben der finanziellen Eingliederung gilt die Fußstapfentheorie auch für das Merkmal der Zuordnung der Beteiligung an der Organgesellschaft zu einer inländischen Betriebsstätte des Organträgers.

Der BFH entspricht allerdings nicht dem Hessischen Finanzgericht, was die Zurechnung des Einkommens der Organgesellschaft betrifft. Das Einkommen kann zivilrechtlich nicht beiden Organträgern (dem alten und dem neuen) pro rata zugerechnet werden, sondern – wenn kein Rumpfwirtschaftsjahr gebildet wird – dem Organträger, der am Ende des Wirtschaftsjahres der Organgesellschaft nach dem (zivilrechtlichen) Gewinnabführungsvertrag anspruchsberechtigter Organträger ist. Auch wird steuerlich an den gesamten Gewinn nach dem handelsrechtlichen Jahresabschluss zum Ende des Wirtschaftsjahres der Organgesellschaft angeknüpft.

Darüber hinaus hat der BFH geurteilt, dass die gesonderte und einheitliche Feststellung des § 14 Abs. 5 Satz 1 KStG zumindest „incidenter″, sozusagen als Vorbedingung, auch die Statusfrage (Bestehen/Nichtbestehen einer körperschaftsteuerrechtlichen Organschaft) betrifft, denn ohne das Bestehen einer Organschaft kann kein dem Organträger zuzurechnendes Einkommen festgestellt werden. 

BFH-Urteil (I R 36/20): Fußstapfentheorie bei der finanziellen Eingliederung bei unterjähriger Verschmelzung auf eine andere Kapitalgesellschaft

Im Rechtsstreit I R 36/20 gründete die A-GmbH (Wirtschaftsjahr entspricht Kalenderjahr) im Jahr 2014 die B-GmbH (Wirtschaftsjahr 1. September bis 31. August). Im Februar 2015 schloss die A-GmbH als Organträgerin mit der B-GmbH als Organgesellschaft einen Ergebnisabführungsvertrag, der im März 2015 in das Handelsregister eingetragen wurde und rückwirkend ab Beginn des Wirtschaftsjahres der B-GmbH galt. Im Mai 2015 wurde die A-GmbH auf ihre Alleingesellschafterin, eine AG (Klägerin), verschmolzen, mit Verschmelzungsstichtag 1. Mai 2015. Im Jahr 2017 wurde auch die B-GmbH auf die Klägerin verschmolzen, mit Verschmelzungsstichtag 1. September 2017. Die B-GmbH ging für das Wirtschaftsjahr 1. September 2014 bis 31. August 2015 (Streitjahr) von einer ertragsteuerlichen Organschaft aus. 

Der BFH urteilt mit Verweis auf I R 21/20 und dem Gedanken der Fußstapfentheorie, dass zwischen der Klägerin und der B-GmbH die Voraussetzungen der finanziellen Eingliederung bereits ab dem 1. September 2014 vorlagen, d.h. bereits vom Beginn des Wirtschaftsjahres der Organgesellschaft an. Weiterhin wird festgehalten, dass die Verschmelzung der B-GmbH auf die Klägerin zwar zu einem Erlöschen des Ergebnisabführungsvertrags durch Konfusion vor Ablauf der fünfjährigen Mindestlaufzeit geführt hat, eine solche Beendigung allerdings in entsprechender Anwendung des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 2 KStG unschädlich gewesen ist. Die Konfusion stellt einen wichtigen Grund für die Nichteinhaltung der Mindestvertragslaufzeit dar, welcher die steuerrechtliche Anerkennung nicht hindert.

BFH-Urteil (I R 45/20): Fußstapfentheorie bei der finanziellen Eingliederung bei rückwirkender Verschmelzung auf eine andere Kapitalgesellschaft mit Übertragungsstichtag vor deren Gründung

Im Rechtsstreit I R 45/20 handelt es sich um eine im Jahr 2005 gegründete GmbH (Klägerin) (Wirtschaftsjahr entspricht Kalenderjahr), welche mit ihrer Alleingesellschafterin (A-GmbH alt) im Jahr 2008 einen Ergebnisabführungsvertrag schloss. Die A-GmbH wurde mit Verschmelzungsvertrag vom August 2012 auf die im August 2012 gegründete B-GmbH (Wirtschaftsjahr 1. Dezember bis 30. November) verschmolzen. Die B-GmbH firmierte am gleichen Tag in A-GmbH um (A-GmbH neu). Für das Jahr 2012 bildete sie ein Rumpfwirtschaftsjahr vom 30. Dezember 2011 bis zum 30. November 2012. Die Klägerin ging für das Streitjahr 2011 von einer körperschaftsteuerrechtlichen Organschaft zwischen ihr als Organgesellschaft und der A-GmbH neu als Organträgerin aus. 

Die Finanzverwaltung hingegen ging von einer Organschaftslücke aus, da die Klägerin vom 1. Januar 2011 bis zum 30. Dezember 2011 in die A-GmbH alt und erst anschließend in die A-GmbH neu finanziell eingegliedert gewesen sei.

Der BFH urteilte hier entsprechend mit der Argumentation der Fußstapfentheorie und bejahte die ertragsteuerliche Organschaft für das Streitjahr. Der Umstand, dass die A-GmbH neu zum 1. Januar 2011 (Beginn Wirtschaftsjahr Organgesellschaft) noch nicht rechtlich existierte, ist für das Konzept der umwandlungssteuerlichen Rechtsnachfolge nicht entscheidend. 

BFH-Urteil (I R 40/20): Fußstapfentheorie bei der finanziellen Eingliederung bei unterjährigem qualifizierten Anteilstausch

Im Rechtsstreit I R 40/20 handelt es sich um einen alleinigen Anteilseigner C der Klägerin (eine im Jahr 2008 gegründete GmbH), welcher im Januar 2010 die B-GmbH gründete und die Einlage durch Einbringung seiner Beteiligung an der Klägerin mit wirtschaftlicher Wirkung zum 15. Januar 2010 leistete. Ferner schloss die B-GmbH mit der Klägerin einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag mit Wirkung ab Beginn ihres (kalendergleichen) Wirtschaftsjahres am 1. Januar 2010.

Die Finanzverwaltung erkannte die Organschaft für das Streitjahr 2010 nicht an. Dies wurde damit begründet, dass die B-GmbH erst im Streitjahr gegründet worden sei und das Gesetz für den Fall des Anteilstauschs keine Möglichkeit einer steuerlichen Rückwirkung regele. Dementsprechend fehle zum Beginn des Streitjahres der Organgesellschaft (Klägerin) die finanzielle Eingliederung. 

Der BFH entschied, dass auch bei einem qualifizierten Anteilstausch im Sinne des § 21 Abs. 1 Satz 2 UmwStG der übernehmende Rechtsträger (Organträger) hinsichtlich des Merkmals der finanziellen Eingliederung nach §§ 12 Abs. 3 i.V.m. 23 Abs. 1 und § 4 Abs. 2 Satz 3 UmwStG in die Rechtsstellung des übertragenden Rechtsträgers eintritt, unter der Voraussetzung, dass ein Antrag auf Ansetzen der Anteile unter dem gemeinen Wert gestellt wird. Dass der umwandlungssteuerliche Übertragungsstichtag im Fall des Anteilstauschs nicht auf den Beginn des Wirtschaftsjahres der Organgesellschaft zurückbezogen werden könne, ist unerheblich. Der Anwendung der Fußstapfentheorie steht auch nicht entgegen, dass es im Streitfall nicht um die Fortführung einer bereits beim übertragenden Rechtsträger bestehenden Organschaft ging, sondern die körperschaftsteuerrechtliche Organschaft zwischen der B-GmbH und der Klägerin neu begründet wurde. Der Umstand, dass C eine Privatperson und mangels gewerblicher Tätigkeit kein tauglicher Organträger sei, führte zu keiner anderen Würdigung. Die gewerbliche Tätigkeit des Organträgers muss nicht bereits zu Beginn des Wirtschaftsjahres der Organgesellschaft vorliegen.

Die BFH-Rechtsprechung bringt Rechtsklarheit und führt zu höherer Flexibilität

Die BFH-Urteile zur Fortführung bzw. Begründung einer ertragsteuerlichen Organschaft im Kontext von Umwandlungen sorgen nunmehr für Rechtssicherheit in der Schnittstelle von Umwandlungssteuerrecht und ertragsteuerlicher Organschaft. Zugleich eröffnet es eine höhere Flexibilität für Umstrukturierungsmaßnahmen, die in der Vergangenheit aufgrund der ablehnenden Verwaltungsauffassung im UmwStE praktisch nicht gegeben war. Dies gilt in insbesondere für Fälle des qualifizierten Anteilstauschs, da hier eine steuerliche Rückbeziehungsmöglichkeit gesetzlich nicht vorgesehen ist. Daneben dürften die Grundsätze zur Fußstapfentheorie bei normativer Anordnung der umwandlungssteuerlichen Rechtsnachfolge auch für Fälle der Ab- und Aufspaltung sowie der Ausgliederung entsprechend anzuwenden sein.

Erhoffte Änderungen im aktualisierten Umwandlungssteuererlass?

Es bleibt zu hoffen, dass die Finanzverwaltung die BFH-Rechtsprechung anerkennt und ihre vormals ablehnende Haltung zur Anwendung der Fußstapfentheorie auf die Zurechnung der finanziellen Eingliederung bei unterjährigem Umwandlungsstichtag aufgibt. Entsprechend wäre es wünschenswert, dass das BMF dies bei der derzeitigen Aktualisierung des UmwStE nachvollzieht und die Ausführungen in den Randnummern Org.02, Org.03 bzw. 02.03 des aktuellen UmwStE-Entwurfs vom 11. Oktober 2023 anpasst.

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