7. Oktober 2021
Umsatzsteuer Betriebsstätte Inland
Steuerrecht

EuGH-Urteil Titanium: Neue umsatzsteuerliche Regeln für im Ausland ansässige Vermieter

Immobilienvermietung ausländischer Unternehmen ohne Personal vor Ort begründet keine umsatzsteuerliche Betriebsstätte und führt zum Reverse Charge Verfahren.

Am 3. Juni 2021 erging das EuGH Urteil in der Rechtssache Titanium (C-931/19). Das Unternehmen Titanium Ltd. („Titanium“) mit Sitz und Geschäftsleitung in Jersey vermietete umsatzsteuerpflichtig eine ihm gehörende Immobilie in Österreich an zwei österreichische Unternehmer. Titanium unterhielt für die Vermietungstätigkeit kein eigenes Personal vor Ort; die Abrechnung von Mieten und Betriebskosten, die Buchführung und Vorbereitung von Umsatzsteuervoranmeldungen und Umsatzsteuerjahreserklärungen etc. hatte Titanium an ein Hausverwaltungsunternehmen übertragen. Alle unternehmerischen Entscheidungen im Zusammenhang mit der Immobilie wurden durch Titanium selbst getroffen. 

Titanium war der Ansicht, dass allein eine vermietete Immobilie keine feste Niederlassung in Österreich im Sinne der Umsatzsteuer darstellt und erstellte Rechnungen ohne Umsatzsteuerausweis. Demgegenüber berief sich das zuständige Finanzamt in Österreich auf die Umsatzsteuerrichtlinien, nach denen in der vorliegenden Konstellation Titanium als inländischer Unternehmer zu behandeln sei und nicht der Leistungsempfänger die Steuer für diesen Umsatz schulde. 

Titanium-Urteil: Ohne Personal vor Ort liegt keine umsatzsteuerliche Betriebsstätte vor  

Die Frage zur Vorabentscheidung war, ob im Fall der umsatzsteuerpflichtigen Vermietung einer Immobilie stets eine personelle und technische Ausstattung vorhanden sein muss und der Unternehmer daher eigenes Personal für die Leistungserbringung im Zusammenhang mit der Vermietung vor Ort haben muss, damit eine feste Niederlassung im Inland vorliegt. 

Der EuGH bejahte diese Frage mit Verweis auf seine ständige Rechtsprechung, wonach für eine feste Niederlassung ein Mindestbestand vorliegen muss, der

durch das ständige Zusammenwirken der für die Erbringung bestimmter Dienstleistungen erforderlichen Personal- und Sachmittel

gebildet wurde und der zu einem hinreichenden Grad an Beständigkeit und Struktur führt.

Widerspruch zum Umsatzsteueranwendungserlass und zur Rechtsprechung in Deutschland

Dieses Urteil ist nicht nur für die österreichische, sondern auch für die deutsche Praxis mit Konsequenzen verbunden: Nach dem Umsatzsteueranwendungserlass (Abschn. 13b.11 Abs. 2 Sätze 2 ff. UStAE) sind Unternehmer, die ein im Inland gelegenes Grundstück besitzen und steuerpflichtig vermieten, als im Inland ansässig zu behandeln. Diese Umsätze sind im allgemeinen Besteuerungsverfahren zu erklären, während der jeweilige Leistungsempfänger die Umsatzsteuer für diese Umsätze nicht schuldet. Vorsteuern können im Rahmen der Umsatzsteuervoranmeldungen bzw. der Umsatzsteuerjahreserklärung geltend gemacht werden (und nicht im Vorsteuervergütungsverfahren).

Die o. g. Verwaltungsanweisung steht daher im Widerspruch zur Auslegung des Begriffs „feste Niederlassung“ durch den EuGH im Urteil Titanium, da letzteres die Anwendung des Reverse-Charge-Verfahrens zur Folge hat. 

Aber auch verschiedene deutsche Finanzgerichte haben die Eigenschaft einer Windkraftanlage als umsatzsteuerliche Betriebsstätte bejaht, mit dem Argument, dass in dem Fall eine gering ausgeprägte oder sogar fehlende personelle Ausstattung durch eine überdurchschnittlich stark ausgeprägte sachliche Ausstattung kompensiert werde (FG Münster, Urteil v. 5. September 2013 – 5 K 1768/10 U; FG Köln, Gerichtsbescheid v. 14. März 2017 – 2 K 920/14; FG Schleswig-Holstein, Urteil v. 17. Mai 2018 – 4 K 47/17).

Diese Rechtsprechung dürfte daher auch als überholt anzusehen sein.

Rechts- und Handlungsunsicherheit bei ausländischen Immobilieneigentümern/Vermietern und deren Mietern

Obwohl seit der Veröffentlichung des Urteils im Fall Titanium bereits einige Monate vergangen sind, liegt bisher noch keine Reaktion der deutschen Finanzverwaltung vor. Dies führt zu Rechts- und Handlungsunsicherheit bei ausländischen Immobilieneigentümern/Vermietern und deren Mietern. Während die Vermieter ein Interesse daran haben, dem Umsatzsteueranwendungserlass zu folgen, um im Voranmeldungsverfahren den Vorsteuerabzug zu erhalten, stellen sich Mieter die Frage, wie sie mit der EuGH-Rechtsprechung in der Praxis umgehen sollen, solange eine Übergangsregelung aussteht.  

Aber auch im Rahmen von Immobilientransaktionen dürfte das EuGH-Urteil zu Diskussionen bei der Formulierung von Umsatzsteuerklauseln im Rahmen von Asset Deals führen. Ausländische Immobilieninvestoren, deren Investment im Inland endet, wollen in den meisten Fällen das Investment-Vehikel mittelfristig auflösen und haben nach Beendigung ihrer Tätigkeit als Vermieter im Inland oftmals (wegen Kündigung von Verträgen mit externen Dienstleistern, Auslaufen von IT-Lizenzen, mangelnde Personalkapazitäten auf Konzernebene wegen der Beendigung des Investments) nicht die Möglichkeit, eine Abwicklung auf der Basis der Rechtsprechung im Fall „Titanium“ zu stemmen.

Demzufolge wäre es wünschenswert, wenn die deutsche Finanzverwaltung auf diese EuGH-Rechtsprechung kurzfristig reagieren und eine großzügige Übergangsregelung schaffen würde.

Worauf bei der Immobilienvermietung im Inland jetzt geachtet werden sollte

Nach dem Urteil ist es nur wichtig, über einen Mindestbestand an Personal- und Sachmitteln zu verfügen, der für die Erbringung der Dienstleistungen notwendig ist, während die Entscheidungsbefugnis im Zusammenhang mit diesen Dienstleistungen nicht an das Personal der umsatzsteuerlichen Betriebsstätte vor Ort übertragen werden muss. Allerdings dürfte auch eine solche schwach ausgestaltete Betriebsstätte aufgrund der festen Anbindung der Geschäftsräume an Deutschland zu einer ertragsteuerlichen Betriebsstätte führen (im Zusammenhang mit gewerblichen Einkünften i.S.d. § 49 Abs. 1 Nr. 2 f EStG). 

Anzumerken ist ferner, dass die Auslegung des Begriffs der umsatzsteuerlichen Betriebsstätte durch den EuGH die Geltendmachung von Vorsteuern seitens des ausländischen Vermieters/Investors im Rahmen des Vorsteuervergütungsverfahrens zur Folge hat. Dies kann zu einem Liquiditätsnachteil zu Lasten des ausländischen Investors führen, da die Erstattung von Vorsteuern im Rahmen des Vorsteuervergütungsverfahrens durch die Finanzbehörden in den meisten Fällen später als im Rahmen des Veranlagungsverfahrens erfolgen dürfte. Ferner sind jährliche Ausschlussfristen zu beachten.

Solange die Reaktion der deutschen Finanzverwaltung aussteht, ist es aus Sicht von Vermietern und Mietern empfehlenswert, sich auf die Umsetzung des Urteils einzustellen: Dauermietrechnungen müssten angepasst, neue Mietverträge ggf. anders formuliert und für alte Mietverträge – je nach Formulierung in den bestehenden Mietverträgen – Nachträge geschlossen werden. 

Mietern empfiehlt sich, eine Kommunikation mit dem Vermieter und ggf. eine Offenlegung des Sachverhalts beim zuständigen Finanzamt in Erwartung einer praktikablen Reaktion der deutschen Finanzverwaltung.

Im Rahmen von Transaktionen soll stets eine Regelung vereinbart werden, die zur Zufriedenheit von Verkäufer und Käufer formuliert wird und die Interessen beider Parteien berücksichtigt, wobei hier möglicherweise wirtschaftliche Aspekte eine wichtige Rolle spielen können.

Bei künftigen Investitionen sollten die ausländischen Vermieter abwägen, was für sie wichtiger ist: Dass Vorsteuern möglichst schnell im Rahmen des Veranlagungsverfahrens erstattet werden (empfehlenswert insbesondere in der Bauphase oder bei größeren Investitionen oder Instandhaltungen seitens des Eigentümers/Vermieters) oder dass keine Sach- und Personalkosten vor Ort entstehen.  

Die passende Lösung wird vom jeweiligen Einzelfall abhängig sein und sollte rechtzeitig geprüft werden.

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