29. März 2023
Doppelbesteuerungsabkommen Russland
Steuerrecht

Mögliche Aussetzung des Deutsch-Russischen Doppelbesteuerungsabkommens

Russisches Finanz- und Außenministerium schlagen vor, Doppelbesteuerungsabkommen mit dem Westen zeitweise einseitig auszusetzen.

Am 15. März 2023 haben das russische Finanz- und das russische Außenministerium dem russischen Präsidenten laut einer entsprechenden Pressemitteilung vorgeschlagen, die Anwendung von 60 Doppelbesteuerungsabkommen (DBA), u.a. mit Deutschland, zeitweise einseitig auszusetzen.

Was eine solche Aussetzung – sollte es tatsächlich dazu kommen – für deutsche Unternehmen mit weiterhin aufrechterhaltenen Geschäftsaktivitäten in Russland sowie für in Russland arbeitende, in Deutschland aber unbeschränkt steuerpflichtige Arbeitnehmer* bedeuten würde, wollen wir im Folgenden kurz darstellen.

Die für deutsche Unternehmen günstigen Quellensteuerbeschränkungen könnten wegfallen

Gem. Art. 10 Abs. 1 des Deutsch-Russischen Doppelbesteuerungsabkommen (DBA Russland) vom 29. Mai 1996 werden Dividenden, die eine in Russland ansässige Gesellschaft an eine in Deutschland ansässige Gesellschaft zahlt, in Russland mit max. 5 % des Bruttobetrags der Dividende besteuert. Voraussetzung ist, dass die deutsche Gesellschaft unmittelbar mit mind. 10 % am Stammkapital der russischen Gesellschaft beteiligt ist und dieser Kapitalanteil mind. EUR 80.000 oder den entsprechenden Wert in Rubeln beträgt. In allen anderen Fällen werden die Dividenden in Russland mit 15 % besteuert. 

Zinsen, die aus Russland stammen und an eine in Deutschland ansässige Person als Nutzungsberechtigte gezahlt werden, werden zudem gem. Art. 11 des DBA Russland nur in Deutschland besteuert. Gleiches gilt für Lizenzgebühren.

All diese für deutsche Unternehmen mit Beteiligungen an russischen Gesellschaften günstigen Quellensteuerbeschränkungen würden durch die Aussetzung des DBA Russland wegfallen. 

Bei Zinsen und Lizenzgebühren ist zwar grds. denkbar, dass eine etwaige Doppelbesteuerung über eine Anrechnung der in Russland gezahlten Quellensteuer in Deutschland reduziert bzw. vermieden werden kann. Anrechnungsüberhänge sind aber insbesondere bei Kapitalgesellschaftsbeteiligungen nicht auszuschließen. Bei Dividenden wäre dann mitunter auf die Regelung des Art. 10 Abs. 4 des DBA Russland gegenüber der deutschen Finanzverwaltung zu verweisen, um eine Doppelbesteuerung bestmöglich zu reduzieren. 

Für Arbeitnehmer könnte es zu einer Doppelbesteuerung von Gehältern und Löhnen kommen

Für Arbeitnehmer, die in Deutschland unbeschränkt einkommensteuerpflichtig sind, aber ihre unselbständige Arbeit teilweise in Russland ausüben, gilt hinsichtlich der Besteuerung von Gehältern, Löhnen und ähnlichen Vergütungen Art. 15 des DBA Russland.

Danach dürfen die genannten Vergütungen unselbständiger Arbeit nur dann in Russland besteuert werden, wenn die Arbeit tatsächlich dort ausgeübt wird. Das Besteuerungsrecht Russlands entfällt jedoch wiederum dann, wenn die Voraussetzungen des Art. 15 Abs. 2 des DBA Russland allesamt vorliegen. Dies sind die folgenden:

  • Der Arbeitnehmer hält sich in Russland insgesamt nicht länger als 183 Tage während eines Zeitraums von 12 Monaten auf,
  • die Vergütungen werden von einem in Deutschland ansässigen Arbeitgeber gezahlt und
  • die Vergütungen werden nicht von einer Betriebsstätte oder einer festen Einrichtung (wirtschaftlich) getragen, die der in Deutschland ansässige Arbeitgeber in Russland hat.

Auch diese für den in Deutschland ansässigen Arbeitnehmer, der seine Arbeit teilweise in Russland ausübt, günstigen Beschränkungen des russischen Besteuerungsrechts würden durch die Aussetzung des DBA entfallen. Dies könnte für den Arbeitnehmer zu einer Doppelbesteuerung seiner Gehälter und Löhne führen. Es ist daher auch diesbezüglich zu empfehlen, die Reduzierung/Vermeidung einer etwaigen Doppelbesteuerung über eine Anrechnung der in Russland einbehaltenen Lohnsteuern in Deutschland im Detail zu prüfen oder vorübergehend den Tätigkeitsort ausschließlich in Deutschland zu belassen, sofern möglich. 

Auch im Umgang mit Verrechnungspreisen sind nachteilige Auswirkungen nicht ausgeschlossen

Wie Verrechnungspreise für Transaktionen zwischen verbundenen russischen und deutschen Unternehmen von der jeweiligen Finanzverwaltung zu bewerten sind, regelt das DBA Russland nicht. Demnach würde die einseitige Aussetzung auch nicht automatisch dazu führen, dass sich der Umgang mit Verrechnungspreisen in Russland ändert. 

Im Hinblick auf Verrechnungspreise besteht allerdings immer die Gefahr, dass die deutsche und die russische Finanzverwaltung die bspw. zwischen einer deutschen Mutter- und einer russischen Tochtergesellschaft vereinbarten Verrechnungspreise unterschiedlich bewerten und es im Ergebnis zu einer Doppelbesteuerung kommt. Hierzu folgendes Beispiel:

Eine russische Tochtergesellschaft zahlt an eine deutsche Muttergesellschaft für die Nutzung eines immateriellen Wirtschaftsguts eine Lizenzgebühr von 100 Geldeinheiten (GE). Dies ist der sog. Verrechnungspreis. Durch die Zahlung reduziert sich der handelsrechtliche Gewinn der russischen Tochter um 100 GE, während sich der Gewinn der deutschen Mutter entsprechend um 100 GE erhöht. Um eine künstliche Gewinnverschiebung zwischen verbundenen Unternehmen zu vermeiden, haben jedoch fast alle Länder, so auch Deutschland und Russland, einfachgesetzliche Regelungen erlassen, um die gewählten Verrechnungspreise anzupassen, sofern sie nicht einem von unabhängigen Dritten gewählten Preis entsprechen und somit nicht fremdvergleichskonform sind. Hält die russische Finanzverwaltung in dem Beispielsfall einen Verrechnungspreis von 80 GE für fremdvergleichskonform, während die deutsche Finanzverwaltung einen Verrechnungspreis von 100 GE oder mehr für fremdvergleichskonform hält, kommt es zu einer Doppelbesteuerung.

Aus diesem Grund enthalten fast alle DBA – auch das DBA Russland – die Möglichkeit für die zuständigen Behörden der Vertragsstaaten, gemeinsam zu beraten, wie in solchen Fällen eine Doppelbesteuerung vermieden werden kann. Im Bereich der Verrechnungspreise sind insbesondere sog. bilaterale Vorabverständigungsverfahren zur Bestimmung eines von allen Seiten als fremdvergleichskonform akzeptierten Verrechnungspreises ein probates Mittel, um eine Doppelbesteuerung zu vermeiden.

Durch die einseitige Aussetzung des DBA Russland ist nicht ausgeschlossen, dass es gerade auch im Hinblick auf bilaterale Vorabverständigungsverfahren zu Verrechnungspreisabreden zu erheblichen Änderungen kommt und es so auch auf dem Gebiet der Verrechnungspreise zur Gefahr einer Doppelbesteuerung kommt.

Reaktion Deutschlands auf mögliche Aussetzung zu erwarten

Wie beschrieben würde es sich zunächst nur um eine einseitige und zeitweise Aussetzung des DBA handeln und gerade nicht um eine Kündigung des Abkommens. Dadurch wäre Deutschland zunächst weiterhin verpflichtet, die getroffenen völkervertraglichen Regelungen einzuhalten. 

Allerdings kann nicht ausgeschlossen werden – sollte es tatsächlich zu der vorgeschlagenen Aussetzung kommen –, dass auch Deutschland seinerseits die Anwendung des DBA Russland aussetzt oder aber die Aussetzung als völkerrechtlichen Vertragsbruch wertet und diesen wiederum als Anlass nimmt, vom DBA zurückzutreten oder es zu kündigen.

*Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.

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