Der Große Senat des BFH hat in seiner veröffentlichten Entscheidung vom 28.11.2016 (GrS 1/15) den Sanierungserlass der Finanzverwaltung verworfen.
Bei Unternehmenssanierungen verzichten die Gläubiger auf einen Teil der ihnen zustehenden Forderungen. Der Verzicht auf die Forderungen führt beim Schuldner zu einem handelsbilanziellen Ertrag und grundsätzlich steuerpflichtigen Gewinn in Höhe des Nennbetrags der verzichteten Forderungen. Sanierungsmaßnahmen führen also zu steuerpflichtigen Gewinnen und Steuerforderungen des Fiskus, obwohl dem Unternehmen keine Liquidität zugeführt wird.
Um Sanierungen nicht durch die Besteuerung solcher Sanierungsgewinne zu erschweren oder gar unmöglich zu machen, hat das BMF am 27. März 2003 den sog. Sanierungserlass veröffentlicht (BStBl. I 2003, 240).
Warum ist der Sanierungserlass rechtswidrig?
Der BFH sieht in dem Sanierungserlass einen Verstoß gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung.
Die Frage, ob sich der Fiskus an Sanierungen von Unternehmen durch einen eigenen Leistungsbeitrag – nämlich dem Verzicht auf Steuerforderungen – beteiligen soll, ist eine lenkungspolitische Entscheidung, die allein dem Gesetzgeber vorbehalten ist.
Der Gesetzgeber habe den früheren § 3 Nr. 66 EStG abgeschafft, der diese Buchgewinne von der Besteuerung ausgenommen habe. Die Finanzverwaltung könne sich nach Auffassung des BFH über diese Entscheidung nicht hinwegsetzen, indem sie eine allgemein bindende Ausnahme über die §§ 163, 227 AO hinaus erlasse. Zwar sei das Ziel nachvollziehbar, insolvente Unternehmen zu erhalten und außergerichtliche Sanierungen zu fördern. Daraus folge aber nicht, dass sich der Fiskus „mit Steuersubventionen an Sanierungen zu beteiligen habe.″
Besteht ein Risiko für bereits umgesetzte Sanierungen?
Für bereits umgesetzte Billigkeitserlasse gilt: Nach den Grundsätzen des Vertrauensschutzes, der in den Änderungsvorschriften der Abgabenordnung zu Verwaltungsakten und Steuerfestzungen niedergelegt ist, sollten sich keine Risiken ergeben. Dasselbe kann gelten, wenn verbindliche Auskünfte erteilt und das Sanierungskonzept wenigstens in Teilen umgesetzt ist.
Welche Alternativen bieten sich nun derzeit für Unternehmenssanierungen? – Ist ein Billigkeitserlass im Einzelfall noch anwendbar?
Nach der Entscheidung des Großen Senats ist ein Erlass von Steuerforderungen nur noch nach sorgfältiger Einzelfallprüfung auf Basis der §§ 163 und 227 AO vorzunehmen, wenn die Erhebung der Steuer im Einzelfall aus persönlichen oder sachlichen Gründen unbillig wäre. Nach dieser Entscheidung ist für eine Einzelfallentscheidung aufgrund sachlicher Unbilligkeit kein Raum mehr, allein persönliche Gründe, zum Beispiel eine Existenzgefährdung, könnten noch einschlägig sein. Eine Existenzgefährdung als persönlicher Grund ist aber nur dann beachtlich, wenn die Notlage gerade durch die steuerliche Inanspruchnahme selbst verursacht ist. Damit ist den meisten Fällen einer Sanierung der Anwendungsbereich einer Billigkeitsentscheidung nicht eröffnet, da dort der Fiskus einer von vielen Gläubigern ist, der auf die Forderungen verzichtet.
Bleibt der Rangrücktritt als Alternative?
Anders als ein Forderungsverzicht bewirkt der Rangrücktritt lediglich, dass die Reihenfolge der Befriedigung geändert wird. Nach den zivilrechtlichen Grundsätzen besteht daher die Forderung fort, sie wäre also in der Handels- und Steuerbilanz weiterhin auszuweisen. Doch Unsicherheiten bestehen im Hinblick auf besondere Vorschriften des Steuerrechts. So hat der BFH im Jahr 2014 entschieden, dass die Finanzverwaltung die Auffassung vertreten könne, dass ein Rangrücktritt zu einer ertragswirksamen Ausbuchung der Verbindlichkeit führen würde.
Das bedeutet, dass der Rangrücktritt nur nach sorgfältiger Prüfung und Abstimmung mit der Finanzverwaltung im Rahmen einer verbindlichen Auskunft eingesetzt werden könnte.
Nach gekipptem Sanierungserlass: Gesetzliche Neukonzeption notwendig
Es ist nun am Gesetzgeber zu entscheiden, ob durch eine rückwirkende gesetzliche Regelung zur steuerlichen Behandlung von Sanierungsgewinnen die derzeit unglückliche Rechtslage für notleidende Unternehmen beseitigt werden soll. Man könnte auch daran denken, die Mindestbesteuerung abzuschaffen. Denn dann könnten Verluste aus der Vergangenheit uneingeschränkt mit Gewinnen verrechnet werden.