Verschärfung der Wegzugsbesteuerung im ATAD-Umsetzungsgesetz belastet die Mobilität internationaler Unternehmer.
Am 25. Juni 2021 hat der Bundesrat dem Gesetz zur Umsetzung der Antisteuervermeidungsrichtlinie (ATAD-UmsG) in der Fassung des Finanzausschusses final zugestimmt. Das Gesetz wurde am 30. Juni 2021 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht. Bereits mit dem am 24. März 2021 vom Bundeskabinett beschlossenen Entwurf des Gesetzes war absehbar, dass es zu beachtlichen Verschlechterungen bei der Wegzugsbesteuerung kommen wird.
Das ATAD-UmsG hat in Deutschland einen langen Weg hinter sich. Nachdem ein erster Referentenentwurf zur ATAD-Umsetzung im Dezember 2019 kurzfristig wieder von der Tagesordnung der Kabinettssitzung genommen worden war, war die Umsetzungsfrist für das Gesetz am 31. Dezember 2019 ausgelaufen. Trotz eines im Januar 2020 durch die EU-Kommission eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahrens, hat der deutsche Gesetzgeber auch nach einem zweiten Referentenentwurf aus März 2020 ein weiteres Jahr gebraucht, sich auf den möglichen Gesetzesinhalt festzulegen.
Trotz der vielfach geäußerten Kritik bleiben die bereits nach den Entwürfen drohenden Verschärfungen für die Mobilität internationaler Unternehmer nun auch im finalen Gesetz „beschlossene Sache″:
Das Gesetz setzt einen Teil der Vorgaben der ATAD-Richtlinien I und II aus den Jahren 2016 und 2017 um. Neben umfangreichen Regelungen zur Verrechnungspreisermittlung und Hinzurechnungsbesteuerung enthält es zusätzlich auch Änderungen der Wegzugsbesteuerung.
Die Neuregelungen zur Wegzugsbesteuerung gehen über das von der Richtlinie verlangte Anpassungsmaß deutlich hinaus. Änderungen zu den vorhergehenden Referentenentwürfen aus Dezember 2019 und März 2020 sind im Regierungsentwurf und dem nunmehr auch im Bundesrat beschlossenen Gesetz insoweit nicht erfolgt. Unternehmer müssen daher nicht nur bei einem Wegzug in ein Drittland, sondern auch bei einem Wegzug innerhalb der EU/EWR mit erheblichen Liquiditätsbelastungen rechnen.
Die zeitliche Anwendung des Gesetzes wurde so gefasst, dass den Steuerpflichtigen für einen noch „günstigen″ Wegzug innerhalb der EU/EWR bis zum Jahresende 2021 Zeit bleiben sollte.
Aktuelle Regelungen der Wegzugsbesteuerung – zeitlich unbefristete und zinslose Steuer-Stundung bei Wegzug innerhalb der EU/EWR
Nach den meisten Doppelbesteuerungsabkommen steht das Besteuerungsrecht für Veräußerungsgewinne für im Privatvermögen gehaltene Anteile an Kapitalgesellschaften dem Staat zu, in dem der Gesellschafter steuerlich ansässig ist. Zieht der Gesellschafter ins Ausland – sei es, dass er seinen Wohnsitz oder auch nur seine Ansässigkeit ins Ausland verlegt – verliert Deutschland regelmäßig das Besteuerungsrecht an den Kapitalgesellschaftsanteilen. Damit könnten in Deutschland gebildete stille Reserven nach dem Wegzug nicht mehr in Deutschland besteuert werden. Um diesen Verlust des Besteuerungssubstrats zu vermeiden, wird beim Wegzug eine fiktive Veräußerung unterstellt und die bis zum Wegzug entstandenen Wertsteigerungen in den Anteilen besteuert (§ 6 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 2 AStG). Entsprechendes gilt, wenn Anteile ins Ausland vererbt oder verschenkt werden (§ 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AStG). Die Wegzugsbesteuerung muss damit nicht nur beim Wegzug des Gesellschafters, sondern auch im Hinblick auf den Erbfall oder eventuelle Schenkungen unbedingt beachtet werden.
Bei einem Wegzug in ein EU-Land (und wenn der Gesellschafter EU-Staatsangehöriger ist) kann die anfallende Steuer nach dem derzeit geltenden Recht zeitlich unbefristet und zinslos sowie ohne Sicherheitsleistung gestundet werden (§ 6 Abs. 5 AStG). Folge hieraus ist, dass die Mobilität des Gesellschafters steuerlich unbelastet bleibt, da es aufgrund der Stundung nicht zu Liquiditätsabflüssen kommt. Erst ein weiterer Umzug in ein Nicht-EU-Land oder der Verkauf der Anteile löst die Fälligkeit der Steuer aus.
Für den Wegzug in ein Drittland sieht das Gesetz nur eine verzinsliche Stundung über 5 Jahre vor, die zudem voraussetzt, dass die sofortige Steuerzahlung zu einer erheblichen Härte führt.
Wegzugsbesteuerung im ATAD-Umsetzungsgesetz lässt Erleichterungen bei Wegzug innerhalb der EU/EWR entfallen
Mit dem ATAD-UmsG wird diese Erleichterung zur Wegzugsbesteuerung innerhalb der EU/EWR zukünftig entfallen. So wird auch bei einem Wegzug innerhalb der EU/EWR die Wegzugsteuer unmittelbar fällig werden oder auf Antrag nur noch eine Ratenzahlung der Steuer über 7 Jahre und regelmäßig gegen Sicherheitsleistung möglich sein. Diese Ratenzahlung ist unabhängig vom Zuzugsland vorgesehen und betrifft zukünftig somit einen Zuzug im EU/EWR-Land genauso wie den Zuzug in einem Drittland. Für die Mobilität des Unternehmergesellschafters insbesondere im Mittelstand dürfte die damit einhergehende unmittelbare Liquiditätsbelastung erhebliche Einschränkungen mit sich bringen.
Entlastungen sind bei Rückkehr möglich
Eine Entlastung bieten die Neuregelungen hier lediglich bei einer Rückkehr nach Deutschland. So kann unter bestimmten Voraussetzungen wie u.a. dem Fortbestand des Anteilsbesitzes und einer Rückkehr nach Deutschland innerhalb von sieben Jahren die festgesetzte Steuer rückwirkend entfallen. Besteht eine durchgehende Absicht zur Rückkehr, kann diese Frist auf Antrag um maximal fünf auf damit insgesamt zwölf Jahre verlängert werden. Auf Antrag kann in diesem Fall bis zur Rückkehr die Ratenzahlung ausgesetzt werden, wobei dies nur zu empfehlen ist, wenn mit einer Rückkehr tatsächlich zu rechnen ist, da andernfalls eine Verzinsung erfolgt.
Nach den aktuellen Regelungen ist eine Rückkehr aus einem EU-/EWR-Staat zeitlich unbegrenzt möglich. Auch insoweit führt die Neuregelung zu einer Verschärfung. Erleichterungen bringt es dagegen für Wegzüge in ein Drittland. Hier wird auf den bisher von der Finanzverwaltung geforderten Nachweis einer Rückkehrabsicht verzichtet und die Frist für die Rückkehr von bisher maximal 10 auf 12 Jahre verlängert.
Anwendung der geplanten Neuregelungen (doch erst) ab dem Veranlagungszeitraum 2022
Nachdem aufgrund der früheren Gesetzentwürfe die Sorge bestand, dass die Neuregelung ggf. bereits ab dem Jahr 2021 zur Anwendung kommen könnte, ist durch das nun vorliegende Gesetz klargestellt, dass die Gesetzesänderung erstmals für Wegzüge ab dem 1. Januar 2022 gelten wird. Damit besteht für Unternehmer, die einen Wegzug in einen EU-/EWR-Staat planen, noch bis zum Jahresende die Möglichkeit, unter dem Regime des aktuellen Rechts wegzuziehen und damit die Möglichkeit einer unbefristeten und unverzinslichen Stundung der Wegzugsteuer zu erhalten. Nach der Gesetzesbegründung sollen für die bis zum 31. Dezember 2021 erfolgten Wegzüge die bisherigen Stundungs- und Rückkehrregelungen fortgelten.
Fazit: Wegzugsbesteuerung im ATAD-Umsetzungsgesetz bedroht die Mobilität internationaler Unternehmer und ruft unionsrechtliche Bedenken hervor
Das ATAD-UmsG sieht Verschärfungen der Wegzugsbesteuerung vor, die die Richtlinie selbst so nicht einfordert. Aufgrund drohender Steuerbelastungen durch die nunmehr umgesetzten Neuregelungen wird die freie Mobilität für international agierende Unternehmer innerhalb der EU/EWR zukünftig stark beschränkt. Ob die Neuregelungen in dieser Ausprägung mit der unionsrechtlichen Freizügigkeit vereinbar sind, scheint jedenfalls zweifelhaft. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte im Februar 2019 in der Rechtssache Wächtler (C-581/17) noch entschieden, dass Wegzüge aus Deutschland in die Schweiz mit Wegzügen in den EU/EWR-Raum gleich behandelt werden müssen, wenn sie unter das Freizügigkeitsabkommen von Schweiz und EU fallen. Insbesondere hat der EuGH die Stundung nicht als geeignet angesehen, den Liquiditätsnachteil durch die Wegzugsbesteuerung aufzuheben. Hiernach hätte grundsätzlich erwartet werden können, dass eine Verschärfung der Wegzugsbestimmungen für Wegzüge innerhalb der EU nicht drohen dürfte, sondern ein geändertes Gesetz Erleichterungen für Wegzüge in ein Drittland vorsehen würde.
Letzteres war allerdings bereits durch die Reaktion der Finanzverwaltung im Schreiben des Bundesfinanzministeriums vom 13. November 2019 zu den Folgen des Wächtler-Urteils zweifelhaft geworden. Denn die Finanzverwaltung hielt weiterhin an der Stundung – allein unter Verzicht auf die Härtefallprüfung – fest und dies ausdrücklich nur „bis zu einer gesetzlichen Änderung″. Die hieraus folgende Sorge, dass eine zinslose, unbefristete Stundung bei Wegzügen auch im EU-/EWR-Raum entfallen könnte, hat sich mit nun umgesetzten Neuregelungen bestätigt.
Aufgrund der zu den beiden vorhergehenden Gesetzentwürfen bereits massiv geäußerten Kritik bestand noch die Hoffnung, dass der Gesetzgeber den europarechtlichen Bedenken in diesem Punkt nachgehen und die Stundungsregelung entschärfen könnte. Da der Gesetzgeber im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens jedoch die Gesetzesbegründung sogar noch ergänzt und die vorgesehene Regelung weitergehend erläutert hat, waren diesbezüglich keine Erleichterungen mehr zu erwarten.
Insbesondere Familienunternehmen sollten daher die verbleibende Zeit der alten Rechtslage nutzen, sich mit dieser Thematik auseinandersetzen und zu prüfen, welche steuerlichen Schutzmaßnahmen die grenzüberschreitende Mobilität flankieren sollten.