VG Mainz: Selbst bei datenschutzwidriger Kameraüberwachung bietet die DSGVO keine Grundlage für behördliche Anordnungen zum Abbau der jeweiligen Kamera.
Das Verwaltungsgericht Mainz hat mit Urteil v. 24. September 2020 (Az. 1 K 584/19.MZ) dem Landesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit Rheinland-Pfalz eine Absage erteilt und dessen Anordnung zur Demontage einer Videokamera gegenüber einem Grundstückseigentümer für rechtswidrig erklärt.
Nach zutreffender Ansicht der Richter kann eine Datenschutzaufsichtsbehörde zwar eine Datenverarbeitung wie die Videoüberwachung selbst auf Grundlage der DSGVO verbieten und deren Unterlassung anordnen. Zum Abbau der jeweiligen Datenverarbeitungsanlage, also der Videokamera, hingegen bietet aber weder die europäische DSGVO noch das nationale Datenschutzrecht eine hinreichende Ermächtigungsgrundlage. Hier kommen allenfalls zivilrechtliche Unterlassungsansprüche des Betroffenen in Frage.
Nebenbei macht das Verwaltungsgericht noch interessante Feststellungen zu der Frage, ob durch Videoüberwachung auch sensible Daten (wie z.B. Informationen zu Gesundheit oder Religionszugehörigkeit) verarbeitet werden.
Datenschutzbehörde verlangte vom Eigentümer Abbau einer installierten Überwachungskamera
Der klagende Grundstückseigentümer hatte zur Vermeidung bzw. Verfolgung von Vandalismus auf seinem Supermarktparkplatz, auf dem unter anderem eine digitale Werbetafel im Wert von rund EUR 200.000 stand, mehrere statische Überwachungskameras installiert. Die Kameras zeichneten durchgängig in kennzeichen- und personengenauer Auflösung das Geschehen auf, speicherten die Aufnahmen für 48 Stunden und löschten diese – wenn es zu keinen Vorfällen kam – anschließend automatisch. Die Kameras filmten dabei verschiedene Bereiche des Supermarktparkplatzes, wobei eine der Kameras auch den Bereich der öffentlichen Straße einschließlich des Fußgänger- und Radwegs erfasste.
Der rheinland-pfälzische Datenschutzbeauftragte sah in dieser Videoüberwachung einen Datenschutzverstoß und verwarnte den Grundstückseigentümer. Zudem ordnete er an, die Videoüberwachung zu beschränken, so dass nur noch eine Überwachung außerhalb der allgemeinen Öffnungszeiten und nur des privaten Parkplatzes stattfinde. Im Zuge dessen ordnete die Behörde außerdem an, die die öffentliche Straße erfassende Kameraanlage abzubauen.
VG Mainz: Kein berechtigtes Interesse an umfassender und durchgehender Videoüberwachung
Das VG Mainz entschied, dass die behördliche Entscheidung zwar rechtmäßig sei, sofern diese die Videoüberwachung an sich betreffe. Insbesondere stimmten die Richter der Aufsichtsbehörde dahingehend zu, dass die Videoüberwachung allenfalls nur außerhalb der allgemeinen Öffnungszeiten auf die berechtigen Interessen des Grundstückeigentümers gestützt werden könnte (Art. 6 Abs. 1 lit. f) DSGVO). Und dies gelte auch nur, soweit die Videoüberwachung sich auf den privaten Parkplatz beschränke.
Während der Öffnungszeiten sei die automatische Überwachung hingegen mangels konkreter Gefährdungslage nicht erforderlich. Sofern es zu dieser Zeit zu Beschädigungen des Grundstücks, der Werbetafel oder der Kundenfahrzeuge käme, handele es sich hierbei nur um das allgemeine Lebensrisiko. Dieses könne aber eine solche Überwachung grundsätzlich nicht rechtfertigen, da insofern das Recht der gefilmten Personen auf informationelle Selbstbestimmung und Schutz ihrer personenbezogenen Daten das Eigentumsrecht des Grundstückeigentümers überwiege.
Die Videoüberwachung des öffentlichen Raums vor dem Parkplatz sei schließlich insgesamt rechtswidrig, weil es sich hierbei um eine öffentliche Aufgabe der Straßenverkehrsbehörden und der Polizei handele, die grundsätzlich nicht von privater Seite wahrgenommen werden dürfe.
Aber: DSGVO bietet keine Grundlage für Abbau von Datenverarbeitungsanlagen
Anders verhalte es sich aber hinsichtlich der behördlichen Anordnung, die Kameraanlage abzubauen, die Teile der öffentlichen Bereiche erfasste. Für eine solche Anordnung fehle es der Aufsichtsbehörde nach Auffassung der Richter an einer entsprechenden Ermächtigungsgrundlage.
Datenschutzaufsichtsbehörden könnten zwar auf Grundlage der DSGVO die Datenverarbeitung selbst vorübergehend oder endgültig beschränken oder sogar verbieten. Dies umfasse aber eben nicht etwaige Anordnungen bezogen auf die Datenverarbeitungsanlagen, mit denen die (rechtswidrige) Datenverarbeitung durchgeführt wurde.
Das Verwaltungsgericht räumte ein, dass es für die Aufsichtsbehörde in der Praxis äußerst schwierig sein dürfte, zu prüfen, ob entsprechend installierte Kameras denn auch tatsächlich nicht (mehr) zur rechtswidrigen Videoüberwachung eingesetzt würden. Das ändere jedoch nichts daran, dass es an einer entsprechenden Ermächtigungsgrundlage fehle. Von der in der DSGVO bewusst vorgesehenen Möglichkeit für den nationalen Gesetzgeber, die Aufsichtsbehörden mit entsprechenden Befugnissen auszustatten (Art. 58 Abs. 6 DSGVO), sei eben in Deutschland bisher noch kein Gebraucht gemacht worden.
Bei Videoüberwachung mangels „Auswertungsabsicht“ keine sensiblen Daten
Interessanterweise stellt das Verwaltungsgericht nahezu beiläufig noch fest, dass bei der vorliegenden Videoüberwachung keine sensiblen personenbezogenen Daten (beispielsweise Daten, aus denen der gesundheitliche Zustand, die ethnische Herkunft, politische Meinungen oder die sexuelle Orientierung hervorgehen) betroffen seien, für die strengere Voraussetzungen gelten (vgl. Art. 9 DSGVO). Zwar könnten den Videoaufnahmen derartige Informationen entnommen werden, da die erkennbare Haut- und Haarfarbe derartige Rückschlüsse ebenso zulasse wie beispielsweise, wenn eine Person in einem Rollstuhl sitze oder eine religiöse Kopfbedeckung trage. Es handele sich aber dennoch nicht um sensible personenbezogene Daten, weil der Kläger die Aufnahmen allein zur Vermeidung bzw. zur Verfolgung von Vandalismus verarbeite. Insofern handele es sich um „Mischdatensätze“, die eben beide Kategorien von Daten enthalten. Die „Auswertungsabsicht“ des Grundstückseigentümers beziehe sich aber explizit nicht auf die sensiblen Daten.
Zur Bewertung: Gericht zeigt Möglichkeiten und Grenzen der Aufsichtsbehörden auf
Dem Verwaltungsgericht ist zuzustimmen. Die einschlägigen Normen der DSGVO knüpfen in maßgeblicher Weise an die Verarbeitung personenbezogener Daten an. Die DSGVO gibt den zuständigen Aufsichtsbehörden insofern wirksame Mittel an die Hand, datenschutzwidrige Verarbeitungen zu unterbinden. Hierzu gehören nicht nur das allseits gefürchtete Bußgeld (Art. 58 Abs. 2 lit. i)), sondern auch Änderungs- und Unterlassungsverfügungen (Art. 58 Abs. 2 lit. d) und f)). Außerdem kann bzw. muss die Behörde den Verantwortlichen bei kleineren Verstößen – wie im vorliegenden Fall – auch zunächst verwarnen (Art. 58 Abs. 2 lit. b)).
Nach aktueller Rechtslage hat die Aufsichtsbehörde hingegen keine Möglichkeit, Personen den Besitz oder die Installation bestimmter Datenverarbeitungsanlagen – wie Videokameras – zu verbieten. Dies gilt selbst dann, wenn die Gefahr besteht, dass der Verantwortliche eine Datenverarbeitung durchführen könnte. Die Behörde kann den Verantwortlichen allenfalls vor rechtswidrigen Datenverarbeitungen warnen (Art. 58 Abs. 2 lit. b) DSGVO).
Im Übrigen ist zu begrüßen, dass das Verwaltungsgericht das Vorliegen sensibler Daten mangels der Auswertungsabsicht verneint. Die grundsätzliche Annahme sensibler Daten bei Videoüberwachungen wäre schlicht praxisfern und nicht umsetzbar. Insofern wird der vom Verwaltungsgericht gewählte Weg über die (subjektive) „Auswertungsabsicht“ des Verantwortlichen in der Literatur bereits vielfach vertreten. Gerichtsentscheidungen hierzu sind allerdings bislang noch rar gesät.
Kein Rechtsschutz gegen installierte Kameras?!
Das heißt aber nicht, dass betroffene Person schutzlos dastehen. Auch wenn mangels Datenverarbeitungsvorgangs die DSGVO nicht anwendbar ist, können betroffene Personen sich im Einzelfall auf zivilrechtlichem Wege gegen die Installation von Videokameras und ähnlichen Überwachungsanlagen wehren. Denn allein durch das Anbringen solcher Überwachungsanlagen entsteht anerkanntermaßen bei dem Betroffenen ein Gefühl des ‚Überwachtwerdens‘, was zwar keinen Eingriff in das Datenschutzrecht bzw. in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung darstellt, wohl aber in das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Das bedeutet, dass ein betroffener sich auf zivilrechtlichem Wege zur Wehr setzen kann, wenn der Nachbar Kameras installiert, die auf das Grundstück des Betroffenen gerichtet sind (Grundlage sind §§ 823, 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog in Verbindung mit den Grundsätzen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts).
Ein solcher Anspruch kann nach herrschender Ansicht sogar dann geltend gemacht werden, wenn es sich bei der Kamera nachweislich nur um eine Attrappe handelt. Denn auch in diesem Fall kann das Gefühl des Überwachtwerdens entstehen und somit ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht vorliegen. Der Weg über das Datenschutzrecht ist aber nicht gegeben, solange (tatsächlich) keine Daten verarbeitet werden. Insofern kann auch die Datenschutzaufsichtsbehörde keine Anordnungen erlassen.