26. November 2020
KUG DSGVO Foto journalistischer Bereich
Datenschutzrecht Presserecht

KUG schlägt DSGVO bei Veröffentlichung von Fotos im journalistischen Bereich

Nach der Entscheidung des BGH vom 7. Juli 2020 (Az.: VI ZR 246/19) findet das KUG im journalistischen Bereich weiterhin Anwendung.

Die Regelungen bleiben auch nach Inkrafttreten der DSGVO anwendbar. Die DSGVO sieht in Art. 85 Abs. 2 DSGVO eine Öffnungsklausel für die Verarbeitung zu journalistischen Zwecken vor, von denen in Deutschland u.a. durch §§ 22, 23 KUG Gebrauch gemacht wurde. Unklar bleibt auch nach dem Urteil, nach welchen Regeln für gewerbliche Zwecken angefertigte Fotografien, wie z.B. Werbefotografien oder Veranstaltungsfotografien veröffentlicht werden dürfen. 

Boulevard-Zeitung berichtet mit Bildern über Scheidung von Prominenten und begründet die Erlaubnis mit der gesetzlichen Ausnahme eines zeitgeschichtlichen Ereignisses

Im Jahr 2018 veröffentlichte eine Boulevard-Zeitung eine Berichterstattung zu dem gerichtlichen Scheidungsverfahren einer bekannten deutschen „Entertainerin″ mit ihrem als Musiker und Produzent ebenfalls bekannten Ehemann. Die Berichterstattung mit dem Titel 

Nach 12 Jahren Ehe! Hier treffen sich … (Klägerin) und ihr Mann vor dem Scheidungs-Richter

informierte anlässlich eines nichtöffentlichen Gerichtstermins in Wort und Bild über die Trennung und das Scheidungsverfahren. 

Die Berichterstattung enthielt inhaltlich richtige Darstellungen in Textform sowie Fotos der Beteiligten vor dem Amtsgericht. Ein großes Foto zeigte die mit Mütze, Schal und Mantel bekleidete Ehefrau mit abgewandtem Gesicht im hinteren Halbprofil neben ihrem damaligen Ehemann, der im Profil zu sehen war.

Aufgrund dieser Berichterstattung sah sich die abgebildete Ehefrau in ihrem Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt. Sie war der Meinung, es bestehe kein überwiegendes öffentliches Interesse an ihrem Scheidungsverfahren, sodass die Berichterstattung insgesamt unzulässig gewesen sei.

Die Zeitung hingegen sah die Berichterstattung als zulässig an. Bei dem Scheidungsverfahren handele es sich um ein „Ereignis der Zeitgeschichte“ i.S.d. §§ 22, 23 KUG, sodass eine Bildberichterstattung zulässig sei.

Ausgangspunkt der BGH-Entscheidung: Fotografien sind personenbezogene Daten

Vor Inkrafttreten der DSGVO ging die Rechtsprechung davon aus, dass das KUG vorrangig vor dem damaligen BDSG anzuwenden ist. Hintergrund war die Subsidiaritätsklausel des BDSG-alt, die anordnete, dass „andere Rechtsvorschriften des Bundes″ vorrangig anzuwenden sind, sofern sie sich auf personenbezogene Daten beziehen (§ 1 Abs. 3 BDSG-alt). 

Rechtslage nach Inkrafttreten der DSGVO: Anwendbarkeit des KUG neben der DSGVO?

Nach Inkrafttreten der DSGVO stellte sich allerdings das Problem, dass die DSGVO als europäische Verordnung unmittelbar in den Mitgliedsstaaten gilt und Anwendungsvorrang gegenüber den nationalen Gesetzen genießt. Da die DSGVO keine dem BDSG-alt entsprechende Subsidiaritätsklausel enthält, verdrängt sie damit grundsätzlich entgegenstehendes nationales Recht.

Als EU-Verordnungen sieht die DSGVO jedoch eigene Gestaltungsspielräume für die Mitgliedsstaaten, sog. Öffnungsklauseln, vor. Derartige Öffnungsklauseln ermöglichen es den Gesetzgebern der Mitgliedstaaten der EU, gewisse Sachverhalte abweichend von der Verordnung oder konkreter zu regeln. Allerdings dürfen die aufgrund der Öffnungsklauseln erlassenen mitgliedstaatlichen Gesetze das Datenschutzniveau der DSGVO nicht unterschreiten. 

Eine solche Öffnungsklausel stellt Art. 85 Abs. 2 DSGVO dar. Gemäß Art. 85 Abs. 2 DSGVO dürfen die Mitgliedsstaaten für die Verarbeitung von Daten

zu journalistischen Zwecken oder zu wissenschaftlichen, künstlerischen oder literarischen Zwecken

Abweichungen oder Ausnahmen von den Grundsätzen der Verarbeitung nach der DGSVO vorsehen. Dabei sollen „Begriffe wie Journalismus“ wegen ihrer Bedeutung für die Meinungsfreiheit weit ausgelegt werden (Erwägungsgrund 153 S. 7).

Vor der BGH-Entscheidung war umstritten, ob der Gesetzgeber zur Ausfüllung dieser Öffnungsklausel neue Regelungen schaffen muss oder ob von einer Öffnungsklausel auch durch bestehendes Recht Gebrauch gemacht werden kann. Dies macht für die Anwendbarkeit des KUG einen essenziellen Unterschied, da dieses bereits 1907 in Kraft getreten ist und damit jedenfalls nicht als neue Regelung zur Ausfüllung der Öffnungsklausel geschaffen wurde. 

BGH: DSGVO hindert nicht die Anwendung des KUG

An dieser Stelle schließt der BGH in seiner Entscheidung an: Er stellt klar, dass für Bildveröffentlichungen im journalistischen Bereich die DSGVO der Anwendung der §§ 22, 23 KUG als nationale Regelung nicht entgegenstehe. Bei diesen Normen handele es sich um nationale Ausgestaltungen der Öffnungsklausel des Art. 85 Abs. 2 DSGVO für den journalistischen Bereich. 

Dem stehe nicht entgegen, dass es sich beim KUG um ein Gesetz handelt, dass vor dem Inkrafttreten des DSGVO schon galt. Die Rechtmäßigkeit der Veröffentlichung der Fotografien ist daher nach dem BGH lediglich an den Grundsätzen der §§ 22, 23 KUG und nicht an der DSGVO zu messen. 

Das BGH-Urteil findet jedoch nur Anwendung auf die Veröffentlichung von Fotos im journalistischen Bereich. Es trifft keine Aussage zur Anwendbarkeit der Vorschriften des KUG für die Veröffentlichung von Fotos zu nicht-journalistischen Zwecken, also insbesondere für zu gewerblichen Zwecken angefertigten Fotografien, wie z.B. Werbefotografien oder Veranstaltungsfotografien. 

Rechtslage bei Veröffentlichung von Fotografien außerhalb des journalistischen Bereichs bleibt unsicher

Offen bleibt nach der Entscheidung des BGH weiterhin, wie künftig die Veröffentlichung von zu gewerblichen Zwecken angefertigten Fotografien, wie z.B. Werbefotografien oder Veranstaltungsfotografien, die Unternehmen für Zwecke der Öffentlichkeitsarbeit oder der Werbung anfertigen lassen, zu beurteilen ist. Hierzu lässt sich der Entscheidung des BGH keine Aussage entnehmen.  

Für diese Fotos ist bei der Abbildung von natürlichen Personen grds. die DSGVO anwendbar. Die DSGVO erlaubt den Mitgliedsstaaten aber, durch Rechtsvorschriften das Recht auf den Schutz personenbezogener Daten gemäß der DSGVO mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung in Einklang zu bringen (Art. 85 Abs.1 DSGVO). Da Fotografien von natürlichen Personen für die Werbung oder die Öffentlichkeitsarbeit in der Regel als „Meinung″ geschützt sind, kann die Vorschrift auch für den wichtigen Bereich gewerblicher Fotografien bedeutsam sein. 

Unklar ist aber, ob in der Regelung (Art. 85 Abs. 1 DSGVO) lediglich eine Aufforderung an die Mitgliedsstaaten zu sehen ist oder die Regelungen als eigenständige, weiterreichende Öffnungsklausel zu interpretieren ist, die den Mitgliedsstaaten ein Abweichen von der DSGVO erlaubt: 

  • Einige Stimmen in der Literatur sprechen sich gegen die Eigenschaft als Öffnungsklausel aus und sehen Art. 85 Abs. 1 DSGVO als „Anpassungsauftrag“. Sie befürchten, dass andernfalls über die spezialgesetzliche Regelung das Regelungsregime der DSGVO ausgehebelt und durch nationale Regelungen unterlaufen werden könnte.
  • Andere Stimmen, darunter der Deutsche Bundestag in seiner Stellungnahme WD 3 – 3000 – 156/18 vom 16. Mai 2018, und die Bundesregierung, plädieren für die Eigenschaft als eigenständige Öffnungsklausel und damit für die weitere Anwendbarkeit des KUG auch für Werbung und Öffentlichkeitsarbeit – einschließlich der hierzu entwickelten Rechtsprechung – mit der Maßgabe, dass diese sich nun an der Grundrechtecharta der Europäischen Union zu messen habe.

Mangels Entscheidungserheblichkeit hat sich der BGH zu dieser Frage nicht geäußert. 

Teilweise prüfen Aufsichtsbehörden die Wertungen des KUG im Rahmen der Interessensabwägung nach Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. f) DSGVO

Wenn man der Ansicht folgt, dass Art. 85 Abs. 1 DSGVO keine eigenständige Öffnungsklausel darstellt, muss sich die Veröffentlichung der Fotografien allein an den Grundsätzen der DSGVO messen lassen: 

  • Brandenburg und Thüringen lassen die Wertungen des KUG in die Interessensabwägung im Rahmen des Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. f) DSGVO mit einfließen. Sie kommen zu dem Schluss, dass jedenfalls bei Vorliegen eines der Ausnahmetatbestände des § 23 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 KUG von einem Überwiegen der Interessen des Verantwortlichen ausgegangen werden könne.
  • Fehlt es an einem überwiegenden Interesse, ist eine Einwilligung des Betroffenen erforderlich. Das dürfte insbesondere bei der Abbildung von Kindern und der Gefahr von Diskriminierung der Fall ein. 

Geht man davon aus, dass es sich bei Art. 85 Abs. 1 DSGVO um eine Öffnungsklausel handelt, sind die §§ 22, 23 KUG auch bei zu gewerblichen Zwecken angefertigten Fotografien, wie z.B. Werbefotografien oder Veranstaltungsfotografien, anwendbar. In der Regel ist dann eine Einwilligung für die Veröffentlichung (nicht aber die Anfertigung!) der Fotografien erforderlich (§ 22 KUG). 

Frage der Anwendbarkeit von DSGVO oder KUG hat unterschiedliche Auswirkungen auf die Widerruflichkeit einer Einwilligung

Holt der Verantwortliche die Einwilligung der abgebildeten Personen ein, ergeben sich folgende Unterschiede: 

  • Die Einwilligung nach der DSGVO ist durch den Betroffenen jederzeit mit Wirkung für die Zukunft widerrufbar (Art. 7 Abs. 3 DSGVO). Hierauf muss der Betroffene zudem ausdrücklich hingewiesen werden. 
  • Die Widerruflichkeit der Einwilligung nach dem KUG wurde von den Gerichten indes sehr kritisch beurteilt. Das OLG München stellte zum Beispiel fest, dass an einen Widerruf nach § 42 UrhG analog strenge Anforderungen zu stellen sind (Az.: 21 U 4729/88 = NJW RR 1990, 999-1000). Ferner wird in der Rechtsprechung angenommen, dass ein Widerruf nur aus „wichtigem Grund″ möglich ist. So soll der Widerruf wegen eines Wandels der inneren Einstellung i.S.d. § 42 UrhG nur möglich sein, wenn wegen die Fortwirkung der Einwilligung das Persönlichkeitsrecht verletzen würde.

Für den Verantwortlichen stellt dies ein erhebliches praktisches Problem dar: Beruft er sich auf die Einwilligung nach der DSGVO, muss er einen jederzeitigen Widerruf in Kauf nehmen. Stellt er sich hingegen auf den Standpunkt, dass eine Einwilligung nach dem KUG erfolgt und daher ein Widerruf nur aus „wichtigem Grund″ möglich ist, verstößt er möglicherweise unmittelbar in bußgeldbewehrter Weise gegen die die DSGVO.

Rechtslage bei der Veröffentlichung von Fotografien im gewerblichen Bereich bleibt weiterhin unklar

Die Entscheidung des BGH schafft dahingehend Klarheit, dass sich die Veröffentlichung von Fotografien im journalistischen Bereich auch nach Inkrafttreten der DSGVO nach dem KUG richtet. 

Für die viel diskutierte Frage der Veröffentlichungen von Fotografien im gewerblichen Bereich bietet die Entscheidung jedoch keine neuen Erkenntnisse. In diesem praktisch wichtigen Bereich besteht auch nach der Entscheidung weiterhin eine erhebliche Rechtsunsicherheit. 

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